Der Wald.)
Bon Nikolaus Krauß
-
f
734
Der Wald! Er war der Nährvater aller. Arbeit Der Wald! Er war der Nährvater aller. Arbeit und Brot gab er ihnen, und fie opferten ihm ihre Kraft, thren Schweiß, oft ihre geraden Glieder, nicht selten ihr Leben. Seit Generationen gehörten sie zusammen, sie und der Wald. Der Dienstbote im Flachlande konnte weiter gehen, wenn es ihm nicht mehr gefiel; fie hielt das kleine Haus, der Acker, der ihnen Kartoffeln trug, und der Wald. Als unsterblich erschien er ihnen; wo das eine Geschlecht Jung föhren sah, fand ein anderes schlagbaren Hochwald. Immer war er ihnen der Gütige. Beeren und Pilze bot er ihnen und Moos und dürre Nadeln für ihre Felder. Er ließ heilfräftige Kräuter wachsen und spendete wohlriechendes Harz und frische Sprossen für die Kranken und Bresthaften. Und fie liebten ihn, liebten ihn mit jener Liebe, in der unerschütterliches Vertrauen beschlossen ist.
Und aus diesem Vertrauen, aus dieser Liebe heraus fanden sie ihr Verhältnis zum Förster. Er war der Vertraute des Waldes, sein Priester; er wußte alles, was ihm frommte, und tat es. Wie fonnte der ihnen Feind sein? Für den Förster war der Wald alles. Er hatte keine Götter neben ihm. Alles andere, mochte es sein, was es wollte, kam erst in zweiter Reihe. Der Wald und der Dienst! Der Dienst, der nicht nach der Vorschrift" fragt, sondern der Sache um ihrer selbstwillen sich widmet, der jede Fajer und jeden Blutstropfen beansprucht. Von ihnen ging die letzte Rede am Abend, und ihnen galt am Morgen der erste Gedanke. Ein stolz- freudiges Gefühl stieg in dem Förster empor, wenn er sich den Wald betrachtete, seinen Wald! Wie der Mitschöpfer kam er sich bor seines Gottes.
Lange fand Lene feine Stellung zu den Anschauungen, Gefühlen und Stimmungen. Ihr, dem Kinde des Flachlandes, erschien der Wald als etwas Düster- Geheimnisvolles. Das Sturmes- Mechzen in den Föhrenkronen jagte ihr Schauer über die Haut; das sausende Krachen stürzender Stämme ließ fie bis ins Mark erzittern. Wenn man von einem Fenster, hinten bei der Pumpe hinaussah, erhob sich knapp hinter den wenigen Feldern die dunkle Wand. Wie ein schwarzes, lauerndes Ungetüm lag er da. Und was war denn Schönes an ihm? Tausend und abertausend Bäume standen nebeneinander, hohe und niedrige, dicke und dünne, alte und junge. Das mußte Brennholz in die Million geben! Schon recht! Aber dieser Holzhaufen trug ja die Schuld, daß sie hier troß aller Anstrengungen, Mühen, trotz des besten Willens nicht festen Fuß faffen konnte! Wie kam das nur?
Lene wurde eifersüchtig auf den Wald. Mählich lernte sie sehen. Sie unterschied die tiefgreifende, ernste Föhre von der freundlicheren, etwas einförmigen Fichte und diese wieder von der stillen, hohen Tanne, Und sie schaute und sie fand immer neue Gesichter. Nicht ein Baum war dem anderen gleich. Alte Murrköpfe gab's da, die sich einzeln hielten, und Spaßmacher wieder, die nie zu Ruhe tamen, erschöpfte Greise und sich emporreckende Jugend; Jungvolt ficherte, und die Töne erstarben in einem zerfließenden Gewisper. Jeder Baum hatte eine besondere Stimme und jede Art ihre eigenen Töne..
An einem Sonntag Nachmittag, in der Zeit, da der Sommer scheidet, ging Lene auf dem Sträßchen, das am Forsthaus vorbei nach dem Gebirge führt, in den Wald. Der Lag war still. Neben dem Wege, dessen Löcher man mit Steinen, Prügelholz und Reisig zu stopfen versucht, zog sich zu beiden Seiten der Wald. Kaum das Stangenholz erschien noch geschlossen, der Hochwald war start gelichtet; es war Bauernwald. Langsam schritt Lene dahin, über breite Sonnenbänder und unter überhängenden Aesten, wo es fast fühl war. Hie und da leuchtete unter Jungfichten ein Fliegenschwamm hervor, man spürte deutlich den etwas strengen Duft des Preiselbeertrautes.
Nach einer halben Stunde trat zur Rechten der Wald zurück. Knapp am Wege erhob sich ein Gemäuer, eine Betbank stand davor, den Zwischenraum füllten ein Dugend Rüden. In Lenes Brust war Freude, ein stiller Jubel, dem fie feinen Namen geben fonnte. Fast gleichgültig ging ihr Blick über das Bethäusl, über das auf Holz gemalte Bild der heiligen Barbara, über die langschwänzigen Teufel, die das Bett des sterbenden Sünders" umlauerten. Es war ihr nicht
" 1
-
nach Beten; das mochte die erleichtern, die bedrückten Herzens herkamen.
Auf einen Stein unter einer Eberesche ließ sie sich nieder. ihre Glieder, als sie ihn sah. Vor ihr ein langer Hau mit Ihre Blide suchten den Wald. Ein sanftes Fließen zog durch Jungföhren, in lindes Licht getaucht von der sich abwärts neigenden Sonne. Als wären fie aus grauer Seide, erschienen die Maitriebe der Kiefernbüsche, freundliche Birken tauchten auf, da und dort glomm das rote Blatt der Waldbrombeere. Links zog sich eine Fichtenwand hinab. Und gerade aus, weit unten, die Föhren. Zu dunklen Kuppeln schoben sich die Kronen zusammen. Und an den Stämmen lief, züngelte, loderte es empor bis unter die neſtähnlichen Nadelbüschel, rot, orange und gelb, bunt und doch den Augen ein Labsal: das milde Licht des sterbenden Sommers. Und nirgends auch nur ein Hauch. Rene stockte der Atem. Als müßte sie dem bochenden Herzen, den klopfenden Pulsen wehren, erschien
es ihr. Und immer weiter wuchs das Bild. Ueber den Wald empor recte der Till'n sein massiges Haupt. Und weit über die Föhren hinweg drang der Blick, über helle Waldwiesen und glitzernde Wasserflächen; enge Schluchten tauchten auf, die das Licht durch den Wald gerissen zu haben schien, einsame Weiler und Siedelungen auf weiter Rodung; über Hügel und Berge, Hänge und Lehnen zog sich der Wald bis hinauf, wo das Kaisergebirge mit blauem Gedämmer den Rahmen schloß. Mit emporgehobenen Händen schnellte Lene empor. Das war der Friede!.. Das Glück! Das Glück!.. Sie hatte ihre Heimat gefunden.--
Der Dichter Krauß.
"
weil
Bor fünf Jahren machte ich seine literarische Bekanntschaft, vor drei Jahren seine persönliche. Ich kam damals von Paris und war betroffen, als ich ihn fah. Sie find Hans Nicolaus Krauß?"- Sjoh! Warum moanens?" Und ich meinte, weil er nicht mehr in seinen Büchern so viel Jugend war. jung war. Weil ich mir ihn jung borgestellt hatte Jugendlich ist sein literarisches Bild. Jugendlich wie es damals war, ist es heute noch, nicht deshalb, weil er uns seit Anfang der neunziger Jahre nichts Geschlossenes mehr gegeben hat, sondern auch, weil das, was er sporadisch im Laufe der Jahre gab, den gleichen Stempel der Jugend wie seine große Roman Trilogie Heimat" trug. Dieses Wort nur gesagt, ergänzt sich schon das Bild. Er war der echte Sohn seiner Heimat geblieben und hatte ihr nicht nur literarisch, sondern auch menschlich die Treue Er war gehalten. ein Sohn jenes Waldes, den er im Förster von Konradsreuth " so wunderbar geschildert hat, und er war wie dieser Förster so gerade und aufrecht, so trotzig und fest. Und er war wie seine Lene" so hart und ausdauernd, so frei und unabhängig und so ganz und gar ein Mensch, der sich fein Schicksal selbst gezimmert hat. Und er war wie der Egerländer überhaupt, den er in seinen Büchern geschildert und den er zum erstenmal in die Literatur eingeführt hat: freiheitstrogig und mundfaul; radikal und konservativ; schimpffroh und empfindlich; ernst und morgen als Wandervogel auf allen Straßen; zäh wie ein schwerfällig und voll grotesker Humore; heute hinter dem Ofen sizend und Kronawettsteden, im Befig eines Dialettes voll weicher Bokale, boll altdeutscher Worte und Wendungen". Er war stolz darauf, und wenn man im Scherz von seinem Egerland als vom Böhmerland sprach, fuhr er wütend auf und fluchte alle Wetter vom Himmel, betonend, daß er ein Franke sei und die Egerländer nicht Böhmen , sondern Franken seien.
Hans Nicolaus Krauß hat in seiner Jugend nicht nur den Wald so vollkommen erlebt, daß wir ihn als Schilderer des Waldes getrost neben Adalbert Stifter stellen dürfen, er muß auch in jungen Jahren viel Qual, viel Not und Bitterkeit ertragen haben. Denn nur so einer tann es fertig bringen, ein ganzes Buch über die Leiden einer Jugend zu schreiben, wie es" Lene", der erste Teil der RomanTrilogie Heimat" ist. Und wieder muß ihm die Gabe der Helläugigfeit verliehen gewesen sein, denn nur so einer fann das bewegte Leben der Heimatstadt schildern, wie es Krauß im Schlußteil seiner RomanTrilogie, in Die Stadt" getan hat. Und es mußte eben einer ein Dichter sein, um das Ethnologische seines Stoffes so bollkommen im Epischen aufgehen zu lassen, um das Einzelne bedeutungsvoll zum Typischen zu erheben, wie es ihm in den drei Büchern in drei io verschiedenen Stoffen wie Land, Wald und Stadt gelungen ist. Diese Werke wurzeln im Heimatlichen, fie gewinnen ihre Bedeutung in der Heimatfunft, aber fie erheben sich über das Heimatliche hinaus in das Typische des Lebens, fie find Lebenskunst.
19
Als
As Krauß seine Bücher schrieb, war das Wort Heimatfunft noch nicht zur allgemeinen Geltung gelangt, wenn es tam, war schon für unsere gegenwärtige Dichtung, und auch, überhaupt schon aufgekommen war. der letzte Band damit zusammenhängend, für unser Publikum, eine Zeit des mehr Problematischen in der Kunft gekommen. Und wie er so einerfeits etwas zu früh, andererseits ein weniges zu spät fam, fam er