Anterhaltungsblatt des Vorwärts

Nr. 185.

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Dienstag, den 25. September.

( Nachdruck verboten.)

Die Sandinger Gemeinde.

Novelle von Henrit Pontoppidan. Autorisierte Uebersetzung aus dem Dänischen von Mathilde Mann  Aber nun öffnete sich die Tür zum Gang und eine andere dicke Madam mit bloßen Armen und weißer Lay­schürze rief nach der Wärterin.

Kaffee!" sagte sie nur und verschwand. Die Frau am Fenster beeilte sich, hinauszukommen.

Ehe sie ging, kam sie jedoch zu Kasper, um sich zu er­kundigen, wie es ihm gehe.

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Dante, dante, gut!" sagte er und lächelte, er war so glücklich, daß er ihrem mütterlichen Busen so nahe war. ,, Sie denken doch an das, was der Doktor gesagt hat, nur ganz still liegen und sich gar nicht rühren!" Kasper nickte und folgte ihr mit den Augen, als sie hinausging.

Dann lag er eine Weile da und sah in die Luft hinauf und dabei versant er in eine eigentümliche Seligkeit. Er fühlte seinen Körper gar nicht. Die Wände mit den beiden Reihen Betten schienen sich mehr zu entfernen. Der ganze Raum lag schließlich wie in einen mystischen Rebel gehüllt. Plötzlich aber zuckte ihm ein Schmerz durch die Brust, als werde er von einem Spieß durchbohrt. Er warf sich un­willkürlich auf die Seite herum, von wo der Schmerz ge­kommen war, nach einer Weile aber überwältigten ihn die Qualen mit einer solchen Heftigkeit, daß er sich im Bett auf richten und den Kopf in die Hände pressen mußte, um nicht zu schreien. Es war entsetzlich. Es war ihm, als gäben die Rippen nach und sprengten die Brustmuskeln und endlich kam der Hustener fonnte ihn nicht zurückhalten, ob­wohl er alles tat, um die neben ihm Schlafenden nicht zu wecken,- er drängte nach umspannte seinen Hals, wie ein Paar eiserne Hände, die ihn ersticken wollten.

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Na, wie lange soll denn das Konzert noch dauern?" hörte er eine Stimme sagen.

Das kann ja nett werden!" sagte eine andere. Einer nach dem anderen erhoben sich die Kranken im Bett und betrachteten halb ärgerlich, halb mitleidig die ge­spensterhafte kleine Person, die plößlich unter ihnen auf­getaucht war, und deren Husten kein Ende nehmen wollte. Jezt erwachte auch der Mann mit dem großen, struppigen Bart und dem fürchterlichen Geschnarche.

,, Wer bellt da eigentlich so?" brummte er in das Kissen hinein. Und als der Husten noch immer nicht schwieg, wälzte er sich auf den Rücken herum und richtete sich auf, so daß das Bett krachte. ,, Den Deubel auch! Seht doch den armen Menschen Hat er sich nicht einen Buckel angehustet? Wo ist denn die Madam?"

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" Ja, wo ist die Madam?- Wo ist die Madam?" riefen sie jetzt alle. Nur der junge Mann in der Ecke lag noch immer in seinen Fieberphantasien da und redete wirres Zeug.

Kasper bemühte sich vergebens, eine Entschuldigung zu lallen, die Worte erstarben ihm unter dem Husten. Nur das Auge, das große, brechende vermochte zu reden. Es war, als ob sein angstvoll umherschweifender Blick alle zu Zeugen seiner Qualen anrufen wolle.

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Mit dem sieht es bös aus," sagte einer.

Wir müssen ihm doch helfen," meinte der große Mann mit dem Bart.

Und ohne weitere Formalitäten stand er auf und ging im bloßen Hemd zu Kasper hinüber.

Na, Dir geht es wohl recht schlecht, Kamerad?" sagte er und legte seinen Arm zur Stüße um ihn. " Ja," flüsterte Kasper heiser.

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Rehn Dich man gegen meinen Arm, Kamerad! Du brauchst nicht bange zu sein, der Arm hält noch! Das ist ein Weberbaum, weißt Du!- So! Das ist eine kleine Erleichterung, nicht?"

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Kasper tat, wie ihm geheißen wurde, ja, er sant ganz

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zusammen in dem großen, sehnenstarken Arm. Das Auge schloß sich, er wurde so blaukalt um die Nase.

Inzwischen hatte man nach der Wärterin und dem wachthabenden Arzt geschickt. Aber noch ehe jemand von ihnen erschienen war, hatte sich Kasper Rappers fleiner Köper plöglich ausgestreckt und war dann in dem Arm des fremden Mannes schlaff zusammengefallen.

Mit einem Ausdruck des höchsten Staunens und der maßlosesten Bestürzung wandte sich dieser zu den anderen und sagte: Aber zum Deubel auch! Er ist ja gestorben!"

15.

Frau Gylling hatte eine Stunde in ihrem eigenen Dann ging sie hinaus, um sie zu rufen, und nun stellte es Zimmer gesessen und auf Boel gewartet, aber sie kam nicht. sich heraus, daß sie verschwunden war, daß sie das Haus ver­lassen hatte, um nicht wieder zurückzukehren. Auf dem Bett in ihrer Kammer lagen alle die Kleidungsstücke, die sie bei ihrer Ankunft erhalten hatte, sorgfältig geordnet. Keine Faser fehlte. Sie war in denselben alten Kleidern aus dem Hause gegangen, in denen sie gekommen war, hatte nur das­selbe kleine Bündel mit Wäsche mitgenommen, das sie aus der Heimat mitgebracht hatte.

Gylling im Grunde ganz froh, sie auf eine so bequeme Weise Als der erste Schrecken sich gelegt hatte, war Frau losgeworden zu sein. Sie hätte sich ja sonst gezwungen ge­sehen, sie wegzuschaffen, was so leicht von den Leuten hier wie in Sandinge hätte mißverstanden werden können.

Wenn das Mädchen dahingegen aus eigenem Antrieb das Haus verließ, sogar ohne ein Wort zu sagen, ja ohne Ab­schied, so war ihr Gewissen entlastet. Es lag ihr fern, jemanden zu zwingen, gegen seine Lust und Neigung in ihrem Hause zu bleiben. Der freie Wille war bei ihr in allem die Hauptsache, das Selbstbestimmungsrecht eines Menschen durfte nicht gekränkt werden.

Im übrigen ging ja aus dieser Flucht ganz deutlich hervor, daß Boel ein schlechtes Gewissen hatte. Die Be­fannten von auswärts, mit denen sie am gestrigen Abend ausgewesen war, hatten sicherlich Schuld an dem Ganzen. Jedenfalls hatte sie jetzt zweifelsohne bei ihnen Zuflucht ge­sucht. Sie fannte ja sonst niemand hier.

trippelte von dannen

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,, Gott   halte seine schüßende Hand über ihr," sagte sie liebevoll und nachsichtig, während die Haushälterin wie auch Das Stubenmädchen vor Empörung die Hände zusammen­schlugen. Fräulein Rosalie, die auch herbeigekommen war, wie gewöhnlich einige Worte murmelnd, die niemand verstehen konnte. Indessen war Boel nach Christianshafen hinausgelangt. Es war noch immer ihre Absicht, den kleinen Uhrmacher­gehülfen aufzusuchen, dessen Namen und Wohnung sie nun in Erfahrung gebracht hatte. Sein Kollege aus der Werk­statt hatte ihr freilich nur mitteilen können, in welcher Straße er wohnte, die Hausnummer hingegen hatte er nicht gewußt; und deswegen mußte sie nun in dem strömenden Regen von Haus zu Haus gehen und alle, denen sie in den Haustüren und Treppen begnete, fragen, ob sie nicht wüßten, wo Herr Kapper wohnte.

Nein, den kannte niemand. Die meisten gaben un­höfliche, einige sogar unverschämte Antworten. In ein paar Wohnungen, wo sie sich erfühnte, zu schellen, warf man ihr die Tür vor der Nase zu, einen Fluch ausstoßend: Sie solle sich zur Hölle scheren mit ihrem Kapper! Oder: Das mag der Satan wissen!

Endlich traf sie eine gutmütige Person, die Bescheid wußte.

Es war eine Frau, die den Krankenwagen in der Straße gesehen und sich dann erkundigt hatte, wer es sei, der da weg­gefahren würde. Sie konnte Boel sogar den Namen des Hospitals sagen, nach dem Kasper gebracht war; und sie gab ihr den Rat, falls sie noch heute mit dem Kranken zu sprechen wünsche, sofort dahin zu gehen. Es sei gerade jetzt Besuchs­zeit, sagte sie, um sechs würde aber geschlossen.

Boel wußte nichts weiter zu tun. Sie fannte keinen anderen Menschen in der großen Stadt, bei dem sie hätte Nat oder Beistand suchen können. Aber das Krankenhaus lag