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Bier. Ganz in der Nähe steht der Schanktisch, wo du bestellen| fährten, er þurrt sie mit dem Geigenstocke, bis zuletzt die kannst, was du willst, ohne dafür bezahlen zu müssen.
" Eikoz! Graicziau!" schreit Marija Berczynskas und Stürzt sich selbst an die Arbeit, denn da ist noch mehr im Ofen, das verderben würde, wenn es nicht gegessen wird.
So nehmen denn die Gäste, unter Lachen und Schreien, unter endlosen Späßen und Narrheiten ihre Plätze ein. Die jungen Männer, welche größtenteils nahe der Tür gelungert haben, nehmen ihren Mut zusammen und kommen näher, und der schüchterne Jurgis wird von den alten Leuten so lange gestoßen und geschubst, bis er sich entschließt, sich zur Rechten seiner Braut zu seßen. Die beiden Brautjungfern, deren Insignien Papierfränze sind, siten neben dem Brautpaar und nach ihnen der Rest der Gäste, alte und junge, Knaben und Mädchen. Der stattliche Barhalter nimmt die Gelegenheit beim Schopfe und entscheidet sich für die Platte mit den Enten; selbst der fette Polizist, dessen Pflicht es später sein wird, Streite zu schlichten, zieht seinen Stuhl an das Ende der Tafel. Die Kinder schreien, die Babys heulen und alle Welt lacht, singt und schwazt, während über all den betäubenden Lärm hinweg Cousine Marija den Musikanten ihre Befehle zuschreit.
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Die Musikanten wie soll man sie beschreiben? All die Zeit waren sie da und spielten in wahnsinniger Wut. Alles das Reden, Deflamieren, Singen geschah unter muſttalischer Begleitung. Erst die Musik gab der Sache die Weihe; die Musik erst machte das Hinterzimmer des Gastfaales Hinter den Schlachthöfen" zu einem Feenschloß, zu einem Wunderland, einer kleinen Ecke der Himmelswohnungen. Die kleine Person, welche das Trio anführt, ist ein begeisterter Mann. Seine Geige ist verstimmt, und es ist faum noch ein Haar auf seinem Bogen, aber er ist doch ein begeisterter Mann, die Muse hat ihre Hand auf sein Haupt gelegt. Er spielt gleich einem, der von einem Dämon besessen ist, ja, von einer ganzen Horde von Dämonen. Du kannst diese Dämonen förmlich fühlen in der Atmosphäre, die ihn umgibt, wo sie frenetisch tanzen. Mit ihren unsichtbaren Füßen geben sie den Takt an. Das Haar des Dirigenten sträubt sich, seine Augäpfel treten aus den Höhlen heraus und er muß sich anstrengen, fie festzuhalten.
Lamoszius Kuszleifa ist sein Name, und er hat sich selbst das Geigenspielen gelehrt, indem er jede Nacht übte, nach der Tagesarbeit an der Schlachtbank. Er ist in Hemds ärmeln; feine Weste ist geschmückt mit verblaßten goldenen Hufeisen. Sein rotgestreiftes Hemd ist fleberig von Pfeffermünzzuder. Eine Militärhose, lichtblau mit gelben Streifen dient dazu, dem Leiter der Bande eine gewisse Hoheit zu berleihen. Er ist nur fünf Fuß hoch, aber die Hose ist ihm doch beinahe acht Zoll zu kurz. Du wunderst dich, woher er fie hat, oder vielmehr du würdest dich wundern, wenn die Erregung, in seiner Nähe zu sein, Zeit ließe, an solche Dinge zu denken.
Denn er ist ein begeisterter Mann. Jeder Zoll von ihm ist begeistert man möchte sagen: einzeln begeistert. Er stampft mit den Füßen, er stößt mit dem Kopfe, er schwingt und schwankt hin und her. Er hat ein verschrumpeltes, unwiderstehlich komisches Gesicht, und wenn er eine Figur oder Cadenz ausführt, zittern seine Brauen, seine Lippen und Augenlider zwinkern, selbst die Enden seines Halstuchs träufeln sich komisch. Dann und wann wendet er sich zu feinen Gefährten, nickend, Zeichen gebend, inbrünstig flehend, -alles im Dienste der Musen.
Denn sie sind kaum eines Tamoszius würdig, die anderen beiden Mitglieder des Orchesters. Die zweite Violine spielt ein Slovak , ein großer hagerer Mann mit schwarzumrahmter Brille und dem stillen, geduldigen Blick einer abgetriebenen Mähre. Er gehorcht der Peitsche nur schwach und fällt immer wieder in den alten Trott zurück. Der dritte Mann ist sehr fett, mit einer platten, roten, sentimentalen Nase und er spielt mit zum Himmel gerichteten Blicken voll unendlicher Sehnsucht den Baßteil auf seinem Cello; es gibt für ihn feine Aufregung dabei. Was auch in dem Dreibunde geschieht, seine Sache ist nur, eine langgezogene flagende Note nach der anderen herunterzufägen, von vier Uhr nach mittags an bis fast zur selben Stunde des nächsten Morgens und für ein Drittel des Gesamteinkommens von einem Dollar pro Stunde.
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Bevor das Fest nur fünf Minuten im Gange war, hatte Tamoszius sich in Ertase gebracht. Einige Minuten später fiehst du, wie er den Hals über die Tafeln reckt, seine Nüstern find geweitert und sein Atem hastet die Dämonen treiben ihn. Er nickt und schüttelt mit dem Kopfe nach seinen Ge
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lange Gestalt des zweiten Geigers sich ebenfalls erhebt. Endlich avancieren sie alle drei, Schritt für Schritt, auf die Tafelnden zu. Des Cellisten Valentinevyczias Instrument faramboliert mit den Gästen. Endlich sind alle drei am Fuße der Tafel angelangt und dort steigt Tamoszius auf einen Stuhl. Nun ist er in seiner Glorie, die Situation beherischend. Einige Leute fahren fort zu essen, andere lachen und schwagen, aber du würdest dich sehr irren, dächtest du, daß einer da wäre, welcher ihn nicht hört. Seine Töne sind niemals rein, und seine Geige schnurrt in der Tiefe und fragt und quiekt in der Höhe, aber das stört sie so wenig wie der Schmutz und Lärm um sie herum das ist das Material, aus dem sie ihr Leben bilden, und diese Musik ist es, die ihre Seelen öffnet. Sie spricht ihre Sprache, fröhlich und lärmend, oder traurig und klagend, oder leidenschaftlich und rebellisch, diese Musik ist ihre Musik, Heimatsmusik. Sie streckt die Arme nach ihnen aus, und sie geben sich ihr hin. ( Fortsetzung folgt.)
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Zu unferem Roman.
Mit dem Inhalt des in kurzer weltberühmt gewordenen Romans von Upton Sinclair The Jungle " sind die Vorwärts". Leser bereits durch einen von M. Beer verfaßten Artikel, der in unferer Literarischen Rundschau" vom 1. Juli d. J. erschien, beSinclairs Werk durch eigenes Studium tennen zu lernen und selbst fannt gemacht worden. Nun erhalten unsere Lefer Gelegenheit, darüber zu urteilen. Neue Erfahrungen können sie daraus gewinnen, neues Wissen daraus schöpfen, indem sie Umschau halten in der großen Werkstatt eines mächtigen amerikanis schen Trusts, des Beeftrusts. Diese Werkstatt heißt Badingtown, das Schlachthausviertel von Chicago .
Dort schafft der Beeftrust seine Reichtümer. Von dort fließen Ströme Goldes, gepreßt aus der Arbeit von 30 000 Menschen, um schließlich dem Luxus und der ungeheuren Verschwendung der Trustmagnaten zu dienen.
Mit welchen verwerflichen, scheußlichen Mitteln, unter welchen furchtbaren Opfern an Leben, Glück und aller Daseinsfreude armer betrogener Mitmenschen diese Reichtümer erzeugt werden, das schildert uns der Verfasser mit einer grimmigen, unnachsichtlichen Ausführlichkeit, mit unbestechlicher Wahrhaftigkeit. Er stellt uns mitten hinein in das Treiben, wo es am ärgsten ist, in Badingtown, er zeigt uns, welche ekelhaften Produkte der geldgierige Fleischtrust ins Inland und Ausland sendet, wie er Millionen bon sich um seine Profite handelt, wie er die Gefeße mißachtet und VerMenschen vergiftet, daß Arbeiterleben ihm nichts gelten, wo es brechen begeht, wie er in der Politik bestimmend auftritt und die ärgste Korruption nicht scheut.
Was Sinclair über die Produktionsmethoden des Fleischtrusts aufgedeckt hat, erregte die Aufmerksamkeit der ganzen Kulturwelt. Die Regierung der Vereinigten Staaten wurde dadurch aufgerüttelt und zum Einschreiten im Intereffe der bedrohten Voltsgesundheit veranlaßt. Der Trust versuchte dem Sturm zu troßen, waren viele Millionen von Dollar verlor, da zitterte er und gelobte aber als der amerikanische Exporthandel in Fleisch und FleischBesserung. Er verkündigte, daß umfassende Aenderungen vorgenommen seien, und er ließ Einladungen an einflußreiche Londoner Beitungen ergehen, auf Kosten des Trusts Vertreter nach Badingtown zu senden, die sich überzeugen sollten, daß die Zustände jezt all right" seien, wie der beliebte amerikanische Ausbrud lautet.
Wenn inzwischen wirklich eine Wandlung zum Besseren in sicher den ersten Anteil daran. den Verhältnissen eingetreten sein sollte, so hat Sinclairs Roman
Was dem Verfasser, der ja Sozialist ist, aber wohl am meisten am Herzen lag, war die jammervolle Lage der Arbeiter in Badingtown. Da wird uns ein erschütterndes Bild entrollt von dem furchtbaren Kampfe um die Griftena, um das nadte Leben, gegen den unbarmherzigen Fleischtrust, der die Ausbeutung die ausländischen Arbeiter, die in ihrer Hülf- und Ratlosigkeit am der Arbeiter mit rücksichtsloser Härte betreibt. Es sind besonders schwersten getroffen werden.
Darüber erhob sich teine Entrüstung in der Kulturwelt. Man tannte diese Erscheinung nur zu gut; es war dasselbe alte Bild des Arbeiterelends, wie es der Kapitalismus überall hervorruft. Man sprach wohl mit Mitleid von den armen Leuten, denen es in dem reichen Chicago so jämmerlich schlecht ergehe, und mancher wunderte sich sehr, daß in Amerita so etwas" mög lich sei. Gern tröstete man sich mit dem Gedanken, daß die Verist offen ausgedrückt in dem Geleitwort der deutschen Ausgabe von hältniffe bei uns" doch wesentlich günstiger liegen. Diese Ansicht Dr. Eugen Ritter, der durch die Lektüre des Romans zu der Ansicht gelangt ist, daß es dem deutschen Arbeiter weit besser gehe als dem amerikanischen, wie folgende Stelle zeigt:
" Wir aber in deutschen Landen werden dieses Buch noch unter