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Saman merft's Du kommst vom Lande, sehr weit her," antworteten sie ihm.

Und so war es; Jurgis hatte nie eine große Stadt ge­sehen, nicht einmal eine kleine Stadt, bis er auszog sein Glück zu suchen und sich sein Recht an Ona zu erringen. Sein Vater, vor dem sein Großvater, und vor diesem so viele Vorfahren, als die graue Sage zu melden wußte, hatten in einem Teil von Litauen   gelebt, genannt Bieloviecz, der kaiserliche Wald. Das ist ein großes Areal von hunderttausend Morgen, Sas   seit undenkbarer Zeit das Jagdgebiet des Adels darstellte. Einige wenige Bauern lebten darin, einem alten Privileg zu folge; einer von ihnen war Antanas Rudkus, welcher sich und nachher seine Kinder mitten in der Wildnis auf einem halben Dußend Morgen Landes erhalten hatte. Es gab da neben Jurgis noch einen Sohn und eine Tochter. Der Sohn war zum Militär eingezogen. Das war zehn Jahre her und niemand hörte wieder von ihm. Die Schwester hatte ge­heiratet und ihr Gatte den Platz gekauft, als der alte Antanas sich entschloß, mit dem Sohne auszuwandern.

Es war mun fast ein und ein halbes Jahr her, daß Jurgis zuerst Ona begegnete, auf einer Pferdeschau, hunderte von Meilen von der Heimat. Jurgis hatte nie an Heiraten gedacht; er lachte darüber wie über den dummsten Streich, welchen ein Mann machen konnte. Aber nun fand man ihn, ohne daß er ein einziges Wort und nur ein paarmal ein Lächeln mit ihr getauscht hatte, purpurrot im Gesicht, dabei, ihre Eltern zu bitten, ihm Ona als sein Weib zu ver­kaufen und bot für sie zwei Pferde, die er zum Verkauf her­gebracht. Onas Vater zeigte sich hart. Ona war noch ein Kind, und er ein reicher Mann. Seine Tochter gab er in dieser Weise nicht her.

Mit schwerem Herzen ging Jurgis heim und versuchte während des Frühlings mit allen Mitteln sie zu vergessen. Als aber die Ernte vorüber, da wußte er, daß das nicht an­ging und legte in vierzehn Tagen den langen Weg nochmals zu Fuß zurück, der ihn von Ona trennte.

Er fand völlig veränderte Zustände. Des Mädchens Vater war gestorben, und sein Anwesen hatten Gläubiger mit Beschlag belegt. Jurgis Herz hüpfte, als es ihm klar ward, daß der Preis ihm jetzt erreichbar war. Da war Elzbieta Lukoszaite, Teta oder Tante, wie sie genannt ward, Onas Stiefmutter, und es waren da sechs Kinder. Da war auch noch ihr Bruder Jonas, ein vertrocknetes Männchen, das auf der Farm gearbeitet hatte. Das waren Leute von großer Bedcutung, wie Jurgis, der frisch aus dem Wald kam, meinte;

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feine Ruhe felten, wenn es aber geschah, erschrak der Be­leidiger so, daß er nicht wieder anfing. Wenn Jurgis seinen Lohn erhalten, vermied er die Gesellschaft der Spieler und Trinker; deshalb versuchten diese, ihn zu ermorden. Er ent­schlüpfte und schlief dann immer nur noch mit einem offenen Auge.

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In der Sommerzeit segelten sie alle nach Amerika  . Im legten Augenblick schloß sich ihnen Marija Berkzynska, Onas Cousine, an. Marija war eine Waise und hatte von Kindheit an bei einem reichen Farmer in Wilna   gearbeitet und viel Schläge bekommen. Erst im Alter von zwanzig Jahren kam Marija auf den Gedanken, ihre Kraft zu gebrauchen, und war nahe daran gewesen, den Mann zu ermorden. Dann lief sie davon. Also war die Gesellschaft zu zwölfen, fünf Große, fieben Kinder und Ona, welche zu beiden nicht rechnete. Sie hatten auf der Reise eine schwere Zeit, der eine Agent hatte ihnen zwar geholfen, erwies fich aber als Schurke. Dann gerieten sie wieder in eine Falle bei einigen Beamten; das kostete ihnen ein gut Teil ihres kostbaren Geldes, an welchem sie unter steter Furcht hingen. Ebensolche Be­trügereien erlebten sie in New York  ; sie wußten ja nichts von dem Lande, hatten keinen, der ihnen einen Rat geben konnte. Ein Mann in einer blauen Uniform konnte sie leicht dort an sich feffeln, sie in ein Hotel bringen, dort festhalten und ihnen große Kosten verursachen, ehe sie wieder wegkonnten. Das Gesetz bestimmt, daß die Kostentabelle an der Tür eines Hotels hängen soll, aber es bestimmt nicht, daß sie in litauisch ge­schrieben sein muß. Jonas Freund war in den Stockyards ( Bichhöfen) reich geworden, und so war Chicago   das Ziel der Gesellschaft; fie fannten nur das eine Wort Chicago   und weiter brauchten sie nichts zu wissen, wenigstens nicht bis sie die Stadt erreichten.

Als sie aus dem Eisenbahnwaggon heraustaumelten, waren sie nicht besser daran als vorher. Sie standen auf der Dearborn  - Street und starrten auf die schwarzen Häuser, welche sich in der Ferne zeigten; ohne sich klar zu machen, daß sie angekommen waren und warum die Leute, wenn sie Chicago   sagten, nicht nach einer Richtung zeigten, sondern verblüfft aussahen oder lachten oder ohne sie zu be­achten vorübergingen.

( Fortsetzung folgt.)

( Nachdrid verboten.)

Ona konnte lesen und wußte und verſtand manche Sachen, Doftojewsky und feine ,, Dämonen':

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von denen er feine Ahnung hatte. Und nun war die Farm verkauft und die ganze Familie obdachlos sie nannten nichts ihr eigen wie siebenhundert Rubel, die halb so viel gelten wie Dollar. Sie hätten dreimal so viel haben müssen, aber der Richter entschied gegen sie, und es hätte etwas ge­fostet, ihn zu einer Aenderung seiner Entscheidung zu bringen. Ona hätte heiraten können und fortgehen, aber sie wollte nicht, sie hatte Teta Elzbieta lieb. Da schlug Jonas vor, fie sollten alle nach Amerika   gehen, wo ein Freund von ihm reich geworden. Er würde arbeiten, die Frauen würden arbeiten, auch einige Kinder es war zweifellos, daß sie irgendwo und irgendwie fortkommen konnten. Auch Jurgis hatte von Amerika   gehört. Das war ein Land, so erzählte man, wo ein Mann drei Rubel an einem Tage verdienen fonnte. Und Jurgis stellte sich vor, was drei Rubel an einem Tage bedeuteten, d. h. er dachte an die Preise, welche er daheim kannte, und entschloß sich kurzerhand, nach Amerika  zu gehen und zu heiraten und drüben ein reicher Mann zu werden. In dem Lande, so erzählte man, war jedermann, ob reich oder arm, frei. Er brauchte nicht beim Militär zu dienen, brauchte sein Geld nicht an schurkische Beamte zu geben, er fonnte tun, was ihm beliebte, und von seiner Person so hoch denken wie irgend jemand anders. So war Amerika  der Platz, von welchem Liebende und junge Leute träumten. Wenn man nur das Geld für die Ueberfahrt zusammen hatte, war aller Verdruß zu Ende.

Es wurde verabredet, daß sie im nächsten Früjahre reisen wollten; bis dahin vermietete sich Jurgis bei einem Unter­nehmer. Er wanderte fast vierhundert Meilen mit einer Rotte Männer, um bei einer Eisenbahn in Smolensk   zu ar­beiten. Er machte schreckliche Erfahrungen mit Schmuk, schlechter Nahrung, Grausamkeit und leberarbeit, aber er hielt es aus und kam mit seiner Ausstattung und 80 in den Rock genähten Rubeln zurück. Er trank und stritt nicht, weil er immer an Ona dachte, und war überhaupt ein ruhiger, gesetzter Mann, der tat, was ihm befohlen wurde. Er verlor

( Schluß.)

Rußland, wie es um jene Zeit war, steigt da vor unserem geistigen Auge empor. Das russische Proletariat, obwohl vorhanden, spielte damals noch keine politische Rolle. Es steht also auch in aber doch schon, was die Arbeiter der Spigulinschen Fabrik angeht, dem Roman noch im Hintergrunde der Handlung, wetterleuchtet als eine Art von Zukunftsgespenst hinein. Träger des großen Dramas sind hier nur die Kreise der Intellektuellen: Studentische Jugend, Offiziere, Professoren, Gutsbefizer, Lehrer, Kaufleute, Beamte in allen politischen Färbungen, vom gewalttätigsten Bro­pagandisten der Tat bis zum sozialistischen Doktrinär, vom Slavo­philen, Nationalpatrioten bis zum schlimmsten Reaktionär, ferner Fanatiker, Intriganten, Maniaken, Idioten, Verbrecher, Studentinnen, Blaustrümpfe, Dekadenten, religiöse Schwärmer, Städter, Bauern. Die einen wollen Rußland   durch den Fourierschen Utopismus retten; die anderen, indem sie von einer neuen russischen Religion und bon fich als Gottheit schwärmen. Wieder andere glauben, das alte Regime, ja selbst das ganze Volk durch Gewaltstreiche vernichten zu müssen, um dem mystischen Neuen Platz zu schaffen. Sie predigen Freiheit und streben nach despotischer Willtür. Slawophilen, Reaktionäre, Nationalisten wollen keine Ver­änderung. Andere repräsentieren das russische" Oblomofftum"; fie möchten in der Auswanderung tout Rußlands   das Heil der Zukunft erblicken. Gouverneure find hohltöpfige Streber: Weibnaturen, ge lenkt von ihren Frauen und deren ehebrecherischen Ratgebern. Das staatliche Gefüge des Reiches ist haltlos wie ein Kartenhaus. Jeder bermeint es umzublasen durch utopistische Phantastereien. Ju allen Köpfen gärt Unzufriedenheit mit den Zuständen, überall macht sich der Efel vor einer verlotterten Gesellschaft in ehrlichen oder großprahlerischen Worten Luft. Diese schwärmen für Freiheit und Gerechtigkeit, ähnlich wie bei uns die Liberalen; jenen ist's heiliger Ernst damit. Aber keiner weiß ein Heilmittel, durch das der kranke Körper: Rußland geheißen, gesunde. Religion! rufen die einen( Schatoff zu Stawrogin):" Wissen Sie auch, welches jezt das einzige Gott fragende Volt ist, das da kommen wird, die Welt zu erlösen und zu erneuen mit dem Namen des neuen Gottes das einzige Bolt, bem die Schlüssel des Lebens und des neuen Wortes gegeben find... .. Wissen Sie auch, welches Volt das ist und wie sein Rame lautet?... Das einzige Gott tragende Volk- das find