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Oh!" rief Garnier enttäuscht. Das ist unmöglich! Bei einem solchen Himmel muß es unbedingt schönes Wetter sein!"

Er versäumte von nun an feine Versammlung. Er Er blinzelte mit den Augen, öffnete sie weit, fuchte seine Brille, hatte einige Worte Englisch aufgeschnappt, und seine fand sie aber nicht. Eine Weile schwantte er zwischen der Alter­Freunde halfen ihn zum weiteren Verständnis. Sie waren native, ob er seine Frau rufen oder aufstehen und selbst das kleine oft recht stürmisch, diese Versammlungen. Sechs Männer Instrument holen sollte. Endlich entschloß er sich zu letzterem, sprang sprachen auf einmal und in verschiedenen Dialekten. Alle aus seinem Bett, ergriff den Barometer und legte sich ebenso schnell wieder hin. aber sprachen verzweifelt ernsthaft; Jurgis war ebenfalls Bequem ausgestreckt, hielt er sich den Apparat dicht vor die ernsthaft, denn er begriff, daß von einem Kampf die Rede Augen. Die Nadel zeigte auf Veränderlich". war, und zwar von seinem Kampf. Seit der Zeit seiner Ent­täuschung hatte Jurgis geschworen, keinem Menschen, außer Und er wünschte: Möchte es doch heute schönes Wetter sein! seiner Familie mehr zu trauen. Hier aber entdeckte er Was sollte sonst aus ihrem Plan werden, dem Frühstück in Brüder und Verbündete im Leid. Die einzige Hoffnung aller bestand in der Gewerkschaft, und der Kampf ward ihnen so Meudon in der Jasminlaube des kleinen Restaurants, das wegen seines Kaninchenfritasfees weit und breit berühmt war? Das wäre zu einer Art Kreuzzug. Jurgis war immer ein Mitglied ja entsetzlich! Herr Garnier liebte nämlich Landpartien leidenschaftlich, der Kirche gewesen, weil sich das so gehörte, aber die Kirche aber ebenso heiß war auch sein Abschen vor Regen, und als eine der hatte ihn nie tiefer berührt; das überließ er den Frauen. schlimmsten Erinnerungen seines Lebens bewahrte er die an einen Hier aber bot sich ihm eine neue Religion, eine, die ihn er- Blagregen mitten im Walde von St. Cloud, gerade als sie ihre griff und jede Faser an ihm erregte. Mit all dem Eifer und Vorräte auf dem Rasen ausgepackt hatten. dem Fanatismus des neu gewonnenen Mitgliedes ging er als Missionar hinaus. Es gab noch viele Nichtgewerkschaftler unter den Litauern, und diesen predigte er, rang mit ihnen und bat sie, um sie zum wahren Recht zu führen. Zuweilen wollten sie widerspenstig sein und weigerten sich selbst, ihn anzuhören, und Jurgis war- ach nicht immer geduldig. Er vergaß, wie blind er selbst gewesen war, vor kurzer Zeit noch er machte es wie alle Kreuzfahrer seit dem ersten Kreuzzuge, als sie das Evangelium der Bruderliebe mit der Gewalt des Schwertes verbreiten wollten.

9.

Eine der ersten Folgen der Aufklärungen in der Ge­werkschaft bestand bei Jurgis in dem Wunsche Englisch zu lernen. Er wollte verstehen, was in den Versammlungen borging, um teil daran nehmen zu können. Er begann auf­zuhorchen und einzelne Worte aufzulesen. Die Kinder, welche in der Schule schnell Englisch lernten, lehrten ihn einige Vokabeln, und ein Freund lieh ihm ein Buch, in dem ebenfalls englische Vokabeln enthalten waren. Ona las fie ihm vor. Nun wurde Jurgis traurig, daß er nicht lesen konnte, und als er später im Winter hörte, daß es eine freie Nachtschule gab, ging er hin und schrieb sich ein. Jeden Abend nach der Arbeit wanderte er nach der Schule; er ging, Sie wenn er auch nur eine halbe Stunde übrig hatte. lehrten ihn Englisch lesen und sprechen, und wenn er nur Zeit gehabt hätte, würden sie ihn noch mehr gelehrt haben.

Möchte es doch heute schönes Wetter sein! wiederholte er in brünstig.

Dann versant er in Nachdenken.

falsch prophezeit? Das war aber auch nicht gut, weil dann seine Wenn es wirklich schönes Wetter blieb, hatte der Barometer ja Frau wieder einmal recht behielt. Seine Frau hatte ihm diese müze Ausgabe schon des öfteren vorgeworfen und be­Das wäre hauptet, der Apparat tauge doch zu nichts. ein gefundenes Fressen für sie, wenn sie höhnen tönnte: Ich hatte es Dir ja gleich gesagt: diese Dinger gehen niemals. Wenn Du auf mich gehört hättest-"

Er stellte den Barometer auf den Nachttisch. Madame Garnier brachte ihm das Frühstück: Schokolade und Hörnchen, ein Luxus, den sie sich nur des Sonntags gestatten durften.

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Nimm das weg!" sagte sie, mit dem Kopf auf den Wetter­propheten deutend. Wohin soll ich denn das Tablett stellen?" Hastig nahm Garnier den Barometer vom Nachttisch und, un­fchlüssig, was damit anfangen, legte er ihn auf die Decke neben sich. Das Wetter läßt sich ja schön an," sagte Madame Garnier, die sich auf ihre meteorologischen Kenntnisse viel einbildete. Wir haben Glück."

und

" Ja," erwiderte er ausweichend, borausgesetzt, daß es so bleibt." mechanisch sah er auf den Barometer.

Du zweifelst daran?" fragte sie kampfbereit.

denn Dein Apparat?"

Schweigend reichte er ihn ihr.

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Was prophezeit

Was beweist das?" entgegnete sie mit der Logik der Frauen, die trotzdem recht haben wollen.

Und da Garnier schwieg, fuhr sie fort: Wenn Du meinem Rate folgst, brechen wir um 10 Uhr auf. Ich gehe jedenfalls mich anziehen."

Aber noch eine andere große Veränderung rief die Ge­werkschaft bei Jurgis hervor. Er begann der Politik Auf- Damit erhob sie sich und ging zur Tür, aber bevor sie dieselbe merksamkeit zu schenken. Er wurde Demokrat. Die Gewerk- öffnete, warf sie ihm einen herausfordernden Blick zu und sagte: schaft stellte einen fleinen Staat dar, eine Miniatur- Du weißt, ich nehme meine Federboa und meine gelben Schuhe. Republik . Die Angelegenheiten des Verbandes waren die enn es regnen sollte um so schlimmer!" von jedermann, und jedermann durfte sein Wort dazu her­geben. Mit anderen Worten, Jurgis lernte über Politik sprechen. Dort, von wo er gefommen war, gab es keine Politik-in Rußland hielt man die Regierung für eine Plage wie Blitz und Hagel.

Bück Dich, Brüderchen, bück Dich!" flüsterten die alten Bauern untereinander. Bück Dich, Bruder! Alles geht vorüber."

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Und als Jurgis nach Amerika gekommen war, hatte er anfangs geglaubt, da wäre es ebenso. Er hatte sagen hören, es wäre ein freies Land, aber was bedeutete das? Er fand, daß hier, ebenso wie in Rußland , reiche Leute waren, denen alles gehörte, und wenn ein Armer feine Arbeit hatte, tat der Hunger ihm hier ebenso weh wie dort.

( Fortfebung folgt.)

( Nachdrud verboten.)

Der Barometer.

Von Michèle Sabry. Autorisierte Uebersetzung aus dem

Französischen.

Kaum erwacht, warf Mayime Garnier einen Blick nach dem Kamin, wie um sich zu vergewissern, daß der Barometer, den er am Abend vorher dort aufgestellt, über Nacht seinen Platz nicht ver­ändert hätte. Einen Moment liebfoste er ihn mit einem zugleich zärtlichen und unruhigen Blick. Das Instrument flößte ihm eine Art bewindernder Furcht ein. Von seinem Bette aus konnte er die fleine Nadel nicht sehen. Worauf mochte sie wohl zeigen? Würde heute schönes Wetter sein?

Das war die Frage, welche Garnier sich jeden Sonntagmorgen stellte. Die ganze Woche hindurch mußte er schwer arbeiten. Kein Wunder, daß der Sonntag für ihn ein Feiertag war, ein Tag, an dem man zu seiner Erholung und Zerstreuung etwas unter­nehmen muß.

Krachend fiel die Tür hinter ihr ins Schloß. Ohne es sich zu gestehen, fühlte Garnier sich bedrückt, beunruhigt. Er wunderte sich über sich selbst. Der Sonntag war für ihn sonst ein Tag um getrübtester Zufriedenheit gewesen. Wenn es an einem solchen Tage wirklich einmal schon am Morgen geregnet hatte, hatte Garnier, boll rosenrotem Optimismus, nicht daran gezweifelt, daß das Wetter sich doch noch aufklären würde, und diese Hoffnung, die bisweilen freilich enttäuscht wurde, erhielt ihn bei guter Laune, indem sie ihn auf das Geheimnisvolle, das Unbekannte spekulieren ließ. bekanntes. Und dann im Grunde genommen war es doch beffer, Uebrigens dieses Veränderlich" war ja auch etwas Un­daß man gewarnt war: man wußte wenigstens, woran man sich zu halten hatte.

Aber alle Vernunftsgründe, durch die er sich selbst Mut ein­einzuflößen versuchte, vermochten nicht seine Unruhe zu zerstreuen, und während er sich ankleidete, schleuderte er dem Barometer einen fast feindlichen Blick zu.

Seine Frau wartete schon auf ihn. Frisch nnd strahlend in ihrer duftigen Frühjahrstoilette, hatte sie noch, gleichsam als stumme Herausforderung, einen Battistsonnenschirm in der Hand.

Jm Entree reichte sie ihrem Gatten seinen Spazierstod. Nach sekundenlangem Zögern nahm er ihn, aber schon im nächsten Augen­blick zürnte er sich deshalb, weil sich darin ein Mangel an Vertrauen zu dem Barometer dokumentierte. Wozu sich unnütz der Gefahr aus­setzen, durchnäßt zu werden?

Auf dem Weg zum Bahnhof plapperte Madame Garnier unauf­hörlich:" Du wirst sehen, es wird schönes Wetter bleiben, ich täusche mich nie! Erinnerst Du Dich noch an den Platzregen von St. Cloud? Ich hatte ihn vorausgesagt, aber Du wolltest mir ja nicht glauben." und ohne Uebergang einen anderen Gesprächsstoff anschlagend: Wenn wir in Meudon nur noch Platz bekommen! Ach! wie freue ich mich darauf, im Walde zu liegen und nach den Baum­fronen emporzuschauen!"

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Ihr Gatte schüttelte skeptisch den Kopf. Am Himmel zeigten sich inzelne weiße Wöllchen. Für ihn unterlag es feinem Zweifel, daß regnen würde. Und obgleich nicht das geringste Anzeichen eines nahenden Unwetters zu fonstatieren war, fühlte er sich nervös, ge­