UnterhaltungsSlatt des �VorwärtsNr. 217.Donnerstag� den 8. November.1906sZiachdrilck verbalen.)28] Der Sumpf.Roman von Upton Sinclair. Autorisierte Uebersetzung.Ona schluchzte und weinte in steigender Angst undFurcht: wilde Erregungen erschiitterten sie, schüttelten sie, wieein Sturmwind den Baum auf den Bergen schüttelt. IhrKörper zitterte und bebte, als wenn er zerrissen werden sollte.Sonst hatte ein solcher Anfall Jurgis außer sich gebracht, jetztstand.er dabei mit zusammengebissenen Zähneu. Mochte siesich zu Tode weinen— ihn bewegte das heute nicht. Undals er fühlte, daß ihr Schluchzen sein Blut gefrieren ließ undseine Lippen wider seinen Willen gittern machte, war es ihmlieb, daß Elzbieta, bleich vor Schrecken, die Tür aufriß undhereinstürzte. Er wandte sich fluchend zu ihr:„Geh hinaus!"schrie er,„geh hinaus!"Und als sie zögerte, ergriff er ihren Arm, stieß sie ausdem Zimmer, schlug die Tür zu und schob einen Tisch davor.Dann wandte er sich wieder zu Ona.„Antworte!" schrie er.Sie hörte ihn nicht. Noch war sie unter der Gewastihres Anfalls. Jurgis sah, wie ihre ausgestreckten Händesich zitternd und bebend reckten, hierhin und dorthin, als wolltesie etwas fassen oder zurückstoßen. Er sah, wie ihre Gliederflogen. Ihr Weinen wurde zum Schreien— dann stieß sieein furchtbares Lachen aus. Jurgis ertrug es, solange erkonnte, endlich griff er an ihre Schulter und schüttelte sie.„Höre auf, sage ich! Hör' auf!"In Todesangst sah sie zu ihm cnipor und wagte nichtzu atmen, nur noch ein wildes Schluchzen schüttelte ihrenKörper. Tann lag sie regungslos, vollkommen regungslos,so daß Jurgis von wilder Furcht erfaßt wurde. Er glaubte,sie würde sterben. Plötzlich hörte er ihre schwache Stimme.„Jurgis! Jurgis!"„Was ist es?" fragte er.Er mußte sich zu ihr beugen, sie war so schwach. Inleisen gebrochenen Lauten flehte sie:„Glaub' an mich! Hab'Vertrauen!"„Was soll ich glauben? Was?" schrie er.„Glaub' mir, daß— ich weiß es am besten,— daß ichDich liebe! Und frag' mich nicht— bitte, bitte, Jurgis, frag'mich nicht! Es ist am besten so— es ist—"Er wollte sie unterbrechen, aber sie fuhr hastig in wilderEile fort:„Wenn Du doch nicht fragen wolltest! Wenn Dumir doch glauben wolltest! Es war nicht meine Schuld—ich konnte nichts dafür— es ist nichts— gewiß nichts.O Jurgis, Jurgis, bitte, bitte!"Sie tastete nach ihm, suchte sich an ihm festzuhalten, ihmins Gesicht zu sehen— er fühlte das Zittern ihrer Hände, dasheftige Wogen ihres Busens— ihre heißen Tränen auf seinerHand.—„Glaub' mir, glaub' mir!" flehte sie. Er aber schriewütend:„Ich will nicht!"Sie aber hängte sich an ihn und flehte voller Vxr-zweiflung:„O Jurgis, bedenke, was Du tust! Es mußuns zugrunde richten— zugrunde richten! O mein Jurgis,tue es nicht! Es macht mich wahnsinnig— es wird michtöten. Nein, nein, Jurgis— ich bin verrückt, es ist nichts!Du brauchst es nicht zu wissen. Wir können glücklich sein,wir können uns ebenso lieb haben wie sonst. O bitte, bitte,glaube mir!"Ihre Worte brachten ihn nochmals in Wut. Er entrißihr seine Hand und stieß sie von sich.„Antworte mir!" schrieer,„Gott verdamm' es— sage ich— antworte mir!"Sie sank zu Boden— und weinte. Ihr Weinen glichdem Stöhnen einer verlorenen Seele, und Jurgis konnte esnicht mit anhören. Er schlug mit der Faust auf den Tischund schrie:„Antworte!"Sie schrie auf— wie ein wildes Tier aufschreit, wenndie Kugel es trifft:„Ich kann nicht! Ich kann nicht!"„Warum nicht?" schrie er.„Das weiß ich selber nicht!"Jetzt war er mit einem Satze wieder bei ihr und rißsie empor.„Sage mir, wo Du warst!" stöhnte er.„Schnell.heraus damit."Flüsternd— kaum verständlich— kam ein Wort nachdem anderen von ihren Lippen:—„Ich— war in— einemHause— in der— Stadt— da unten."„In welchem Hause?— Was meinst Du damit?"Sie versuchte ihre Augen zu verbergen, aber er litt dasnicht.„In Miß Hendersons Haus!" flüsterte sie.Zuerst verstand er nicht—„Miß Hendersons Haus',wiederholte er.— Plötzlich kam— wie ein Blitzstrahl, dieErkenntnis über ihn. Aufschreiend wich er zurück. SeineAugen wurden starr— er legte die Hand an die Stirn—„Jesus! Jesus!" flüsterte er wimmernd. Plötzlich spranger auf sie zu und griff nach ihrer Kehle.„Den Namen!" ächzte er heiser.„Schnell— wer führteDich dahin?"Sie versuchte, sich von seinem Griff zu befreien, von ihmloszukommen, und das machte ihn noch wütender. Er glaubte,sie fürchtete sich nur— er verstand die Todesangst ihrerScham nicht. Sie antwortete ihm:„Connor."„Connorl" schrie er.„Wer ist Connor?"„Der Auffeher— der Mann—"In seiner Wut drückte er ihre Kehle fester, und als ersah, daß ihre Augen sich schlössen, nierkte er, daß er sie er-würgte. Er ließ sie los und kauerte sich neben sie hin, bisihre Lider sich wieder hoben. Sein heißer Atem berührteihr Gesicht.„Sag' mir," flüsterte er endlich.—„sag' mir alles."Sie lag bewegungslos, und er mußte den Atem anhalten,um sie verstehen zu können.„Ich wollte nicht"— hauchte sie.—„Ich versuchte, esnicht zu tun.— Ich tat es,— um— uns zu retten. Es warunsere letzte Hoffnung!"Eine Weile war es still im Zimmer— nichts hörte mauals seinen Atem. Ona schloß die Augen, als sie wieder sprach:„Er sagte mir, er würde mich fortschicken— er hätte esauch getan.— Uns alle würde er fortschicken. Nie würdenwir wieder Arbeit bekommen— nie! Er wollte uns ver-derben."Jurgis zitterte so, daß er sich kaum aufrecht haltenkonnte.„Wann begann es?" flüsterte er wieder.„Gleich zuerst!" Sie sprach wie bewußtlos unter einemZwange.„Es war— Miß Hendersons Plan. Sie haßtemich— und— er wollte mich haben. Er sprach mit mir—draußen auf dem Gange,— dann sagte er mir,— daß— ermich liebte.— Er bot mir Geld,— er bat und flehte;~ danndrohte er mir,— er wüßte alles von uns,— er wüßte, daßwir verhungern würden. Er kannte Deinen Aufseher und erkannte Marijas Aufseher. Er hätte uns zu Tode gehetzt:—er sagte, er würde es tun;— er sagte— dann faßte er,—wenn ich wollte— wenn ich— alle würden wir immer Arbeitbekommen— immer. Und eines Tages überfiel er mich,—er wollte mich nicht loslasten— er— er—"„Wo war das?"„Im Flur— nachts,— alle ivaren fort,— ich konntemir nicht helfen. Ich dachte an Dich,— an das Kind,— anMutter und die Kinder. Ich fürchtete mich vor ihm undfürchtete mich zu schreien."Einen Augenblick war ihr Gesicht aschgrau geworden;jetzt färbte es sich purnpurn. Sie atmete schwer. Jurgisgab keinen Laut von sich.„Vor zwei Monaten war's. Dann wollte er, ich sollein— das Haus kommen. Ich sollte dableiben. Er drokstewieder,— er würde uns alle Arbeit nehmen. Er zwang mich,abends zu kommen. Du dachtest, ich wäre in der Fabrik—denn in der Nacht als es schneite, konnte ich nicht zurück,—letzte Nacht gingen die Wagen nicht. Es war ein Zufall undwird unser Verderben sein. Ich versuchte zu gehen, aber ichkonnte nicht. Du solltest es nicht wissen,— es wäre— eswäre so gegangen.— Du brauchtest es nicht wissen. Er wurdemeiner schon müde,— er wollte mich bald nicht mehr. Ichsoll ein Kind bekommen, und ich werde häßliche Das sagte ermir zwei-, dreimal schon— diese Nacht schlug er mich— undnun wirst Du ihn töten.— Du— wirst ihn töten und wirwerden sterben."Sie sprach das alles ohne Regung, ohne zu zittern. Sielag ganz still, nicht einmal ihre Augenlider bewegten sich,