Anterhaltungsblatt des Vorwärts

Nr. 5.

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Dienstag, den 8. Januar.

( Nachdrud verboten.)

Madame d'Ora.

Roman von Johannes V. Jensen.

Madame d'Ora hob den Kopf, als lausche sie; ein suchender Ausdruck glitt über ihre Augen, während sie auf Edmund Hall ruhten. Aber im nächsten Augenblick strahlten fie Feuer aus. Sie stürzte gleichsam in großen Sprüngen borwärts, drängte sich mit ausgebreiteten Armen zwischen die Passagiere und zerteilte sie, streckte beide Armen wie zwei Flammen in die Höhe:

" Ich will singen!"

Rauschender Beifall, Hänteklatschen und Entzücken. Madame will singen!"

"

Aber es kostet viel, mich singen zu hören!" rief Madame d'Ora   schnaubend wie ein Pferd. Sehen Sie alle her! Dies schöne und unglückliche Kind bleibt nun von heute an hier unter uns! Hier ist ihr Platz. Auch für das übrige wollen wir sorgen. Wo ist der junge Herr, der vorhin so tüchtig auf dem Flügel spielte? Er trete vor!- Sie meine ich, Herr Wilson!"

" Hier, hier, Madame!" rief Wilson.

-

Sie gehen in den Salon hinab und begleiten. Sie spielen hier herauf, lassen Sie die Lufen öffnen! Herr Wilson, gehen Sie zu meiner Kammerjungfer und lassen Sie sich die Noten geben Das blinde Mädchen". Jetzt ruhig. Ich will nicht in so heller Beleuchtung stehen Schaffen Sie doch den Mond weg! So, Hier will ich fingen!"

-

Wilson stürzte davon, und während der Minuten, die verstrichen, ehe er unten zu spielen begann, stand Madame d'Ora   regungslos auf demselben Fleck da. Sie bog den Kopf zurück, schloß die Augen fast ganz, und ihr üppiger Mund war schmerzlich verzogen, so daß man die Unterlippe nicht fah.

Edmund Hall saß neben Fräulein Karekin. schien vergessen zu sein. Er sah sich nach vielen um, aber schien Notiz von ihm zu nehmen.

Evanston  niemand

An einen der Ventilatoren gelehnt, stand ein kleiner, breitschultriger Mann, eine schottische Mütze auf dem Kopf, Evanston   gefiel sein Gesicht, er näherte sich ihm. Sie famen in Unterhaltung, der Mann stellte sich als Thomas A. Mason vor und erwies sich als redselig. Evanston   stand geistes­abwesend da.

" Ja, ich denke, ich will mich auf meinen Plaz zurück­ziehen," sagte er endlich lächelnd. Ich habe meine Mission erfüllt."

,, Warum wollen Sie das nur?" fragte Mason. Bleiben Sie doch hier und hören Sie das Konzert mit an, hnen mehr als sonst jemand gebührt die Ehre dafür. Sie können mir glauben, es wird Geld einkommen, beachten Sie, was ich Ihnen sage, Geld wie Dred. Wir werden einen an­genehmen Abend haben. Herr Evanston  , Sie sind Geist­licher, aber Sie sind Amerikaner, haben Sie etwas dagegen, daß ich einen Syphon und etwas Whisky heraufbringen lasse? Eine Zigarre, Herr Evanston  ?"

-

Evanston   nahm die Zigarre vergaß sie jedoch gleich wieder und wandte sich um.

Denn ein langer, wunderbar schöner Ton quoll in die Luft empor, stieg mächtig und ging in ein Dunkel von Tönen über, die tief waren und rauh wie Geburtsschreie, aber heller als die Zungen einer Orgel-Madame d'Ora fang, mit weitgeöffnetem Munde und schwellender Kehle:

Sagft Du, daß es schimmert Von Blüten, wo wir schreiten, Ach, meine Füße schaudern Geliebter Dir zur Seiten.

Gnädig die Nacht ist.

Es war die blinde Merete Lustwandelnd mit ihrem Freund, Sie sucht ihn unter Seufzern, Der nun verschwunden scheint. Gnädig die Nacht ist.

Fliehst Du von meiner Seite? Wie mich Dein Schweigen drückt, Verlier Dich nicht ins Weite, Sei Du bei mir beglückt!

Gnädig die Nacht ist. Verbirg dich nicht und lächle Nicht über meine Lust, Bedenk, die Stunden eilen, O, fomm an meine Brust! Gnädig die Nacht ist.

O fühle, wie ich bebe, Kühl fällt der Tau auf mich, Er sinkt auf meine Brüste Wo find ich, Liebster dich? Gnädig die Nacht ist.

-

Hörst du mich nicht, ich gittre, Bin ich denn hier allein? Geh ich nicht unter vielen? Was schweigen sie wie Stein?

Gnädig die Nacht ist.

Und hörst du meine Klage, Verfluch Gott   deinen Mund, Geh und kehr nimmer wieder Die Blinden  , die richten zu Grund! Gnädig die Nacht ist.

Es soll der Blik dich treffen, Nein, Gott   belohne dein Herz, Denn plötzlich fann ich sehen Und sehn: Lust ist Schmerz! Gnädig die Nacht ist.

O, arme, arme Merete, Mit all deiner warmen Lust, Du suchtest Wärme und fandest Sie nur an des Todes Brust. Gnädig die Nacht ist.

1907

Als Madame d'Ora   geendet hatte, folgte ein wilder Beifall. Aber durch den ganzen steinrutschähnlichen Tumult suchte sie Edmund Hall und sah ihren eigenen Namen auf seinen Lippen, indem er sich entzückt hingezogen zu ihr vor. beugte. Die junge Armenierin, die neben Hall saß, hing mit großen, betauten Augen an seinem Ausdruck voll Innigkeit.

Evanston   beobachtete sie. Er trank Whisky mit Thomas A. Mason.

Viertes Kapitel.

Edmund Hall hatte sein Laboratorium in einem zwölften Stockwerk in New York  . Es bestand hauptsächlich aus einem sehr großen Naum mit vielen Spiegelfenstern an zwei Seiten, von wo man eine Aussicht auf eine Gruppe von Turmhäusern und bis an die Brooklyner Brücke hatte. Das Haus lag in der unteren Stadt. Zwischen den beiden Wänden, wo die Fenster waren, hatte Edmund Hall mit Hülfe von Möbeln und Wandschirmen eine Ecke eingerichtet, die den Eindruck einer Stube machte; die anderen Wände waren mit Büchern und Borten bedeckt, und in der inneren Ecke standen ein Schmelzofen und eine Menge wissenschaft­licher Maschinen. Von der Decke herab hingen Glühlampen und ein einzelnes großes Bogenlicht. Der Fußboden war aus italienischem Mosaik, hie und dort mit Rosten. Dies war Edmund Halls Privatlaboratorium. Zwei Stockwerke tiefer hatte er noch eins, in dem seine Assistenten arbeiteten.

Ein paar von den großen Fensterscheiben waren ein wenig offengestellt, das tiefe Getöse der Stadt tönte herauf. Hin und wieder donnerte da unten in der Höhe des zweiten Stockwerks der L- 3ug vorüber. Schneeweißer Dampf ver flüchtigte sich draußen in dem Iuftigen Raum zwischen den Zurmhäusern und den Stücken blauen Himmels. Edmund Hall ging mit seinen Gläsern in und her, ganz in Anspruch genommen von einem Versuch. Er hatte einen langen, mit Säuren befleckten Rittel an, seine Rippen bewegten sich, als ob er die ganze Zeit hindura) Zahlen memoriere. Unten auf dem Fluß heulte ein Dampfer. Die Tür gab einen durch den Zug aus dem Fahrstuhl veranlaßten Laut von sich, das Telephon klingelte, und Edmund Hall griff nach dem Schallrohr, lauschte und antwortete tonlos, fette ann feine Arbeit fort.