Anterhaltungsblatt des Vorwärts
Nr. 8.
8]
Freitag, den 11. Januar.
( Nachdrud verboten.)
Madame d'Ora.
Roman von Johannes V. Jensen.
5.
Aber während sie dastanden und den Tiger ansahen, der in seinem Käfig auf und nieder ging, unruhig und vom Sonnenschein geblendet, rief Madame d'Ora aus:
"
Da stehen sie ja alle beide!"
" Wer?" fragte Hall.
" Evanston und Mirjam. Dort beim Affenkäfig." Sie lief dahin und brach in ein Gelächter aus.
Guten Tag, Mirjam! Herr Evanston will Dich wohl feiner Familie vorstellen? Guten Tag, Herr Missionar! Daß New York doch nicht größer ist! Wie geht es Dir, Mirjam, bist Du in Dein neues Heim gekommen, und magst Du gern da sein?"
Evanston hatte sich einen Schritt zurückgezogen, fein Ausdruck bezeugte, daß er sich geehrt fühlte und doch einen gewissen Abstand bewahren wollte, er starrte Madame d'Ora an und bemühte sich, warnend zu lächeln.
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" Fräulein Rarefin wohnt jegt im Hause des wohlehrwürdigen Samuel R. Mc. Carthy, Atlantic Avenue, Brooklyn , eines allgemein geachteten Mannes, der Ihnen, gnädige Frau, freilich wahrscheinlich unbekannt sein wird. Ich bin überzeugt, Fräulein Karekin wird die Freundlich feit nicht vergessen, die man ihr an Bord des Bacharach " erzeigt, wie ich auch überzeugt bin, daß es zu ihrem besten ist, daß sie jetzt in ruhigere Verhältnisse gekommen ist..." Sagen Sie lieber, Sie freuen sich, daß sie nicht mehr bei mir, der Entsetlichen ist," sagte Madame d'Ora trocken. „ Herr Evanston, darf ich mir die Frage erlauben, ob es Ihre oder Mirjams Idee ist, daß Sie hier sind und die wilden Ziere ansehen? Wenn es Mirjams ist, so befinden wir uns hier in einem Garten Edens, wenn aber Sie es sind, der fie hierher geführt hat, so ist es darf ich es sagen?"
" Fräulein Karekin versteht noch kein Englisch," entgegnete Evanston mit einem unheilverkündenden Blähen der Nüstern; wäre das der Fall, so würde unsere Unterhaltung ihr Ende erreicht haben."
Edmund Hall legte sich ins Mittel, indem er eine Bemerkung an Evanston richtete, und während sie sprachen, nahm sich Madame d'Ora Mirjams an, die ein wenig hülfLos dastand, sonst aber frisch und lebhaft aussah.
„ Aber wo ist die hübsche Frisur, die ich Dir gestern morgen gemacht habe?" fragte Madame d'Ora ganz vorwurfsvoll.„ Darfst Du dort, wo Du bist, nicht damit gehen? Du siehst lange nicht so hübsch aus, wenn Du das Haar aus der Stirn trägst, obwohl Du auch so füß bist. Herr Evanston , warum darf Fräulein Karekin doch nicht ein wenig modern aussehen? ft es ein sehr pietistischer Mann, in dessen Hause Sie Mirjam untergebracht haben?"
Evanston antwortete nicht, sondern sprach weiter mit Hall, dem er große Fürsorge und Ehrfurcht erwies. Sie gingen ein wenig zwischen den Käfigen umber, und Madame d'Ora fing an, Mirjam von den Tieren zu erzählen. Mirjam schien ganz Auge zu sein, mit großen, lebhaften Bliden sah sie alles an, aber die feinen Züge rührten sich nicht. Nur wenn Madame d'Ora fie dazu zwang, sprach sie, und dann lächelte fie, schien aber nicht fröhlich zu sein. Es gelang Madame d'Ora nicht, sie zum Lachen zu bewegen, weder über die Bären noch über das Kamel, das sie selber auslachte, oder das Flußpferd, dessen Blick sie vor Vergnügen hüpfen machte. Nur einmal blieb Mirjam von selber vor einer Umzäunung stehen, wo ein Paar Bergschafe weideten. Sie schienen ihr Gefallen zu erregen, fie sah zu ihnen hinein und ihr schönes Geficht wurde noch stummer.
Mein Gott, fühlst Du Dich fo angezogen von dem Schaf!" rief Madame d'Ora mit einem teilnehmenden Lachen und umarmte sie. Mirjam seufzte und sah mit fanften Augen auf.
Das muß Hall hören!" sagte Madame d'Ora gludsend. Sie eilte zu den anderen beiden und erzählte es, aber weder Hall noch Evanston konnten darüber lachen.
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1907
Ob wir nicht lieber fahren sollten?" fragte Hall Sie wollten mit mir in bezug auf Fräulein Karekin sprechen, Herr Evanston . Wollen wir nach meinem Laboratorium fahren ich denke, wir haben alle vier Plaz im Automobil oder ziehen Sie es vor, in meine Privatwohnung zu kommen? Ich wohne in der dreißigsten Straße. Das Haus, in dem ich mein Laboratorium habe, wird um sechs Uhr geschlossen."
Evanston sah Madame d'Ora mit einem Blick an, bei dem sie ihn sofort ertappte:
" Ja, ich fahre mit, Herr Evanston ," sagte sie und lachte ihm ins Gesicht. Ist Ihnen das sehr unangenehm?"
Er schlug die Augen nieder, und an seinen Kiefern bildeten sich große Muskelfnoten.
Komm, Mirjam, wir wollen zusammen sigen, mein liebes kleines Schaf. Dann können die beiden Hirten sich miteinander unterhalten."
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Hall lachte kopfschüttelnd über Madame d Ora, aber sie machte mit fampfbereiter Miene Front gegen ihn. Sie war unwiderstehlich und als sie das alte, verliebte Aufblißen in Halls Augen sah, ward sie wieder die Güte selbst. Während fie nach der Stadt hinunterfuhren, strahlte sie vor Ausgelassenheit. Evanston saß schweigend da.
Im Laboratorium angekommen, ließ Hall die beiden Damen Platz an den Fenstern nehmen und forderte Evanston auf, sich an seinen Arbeitstisch in dem anderen Ende des Raumes niederzulassen. Evanston aber schien dies nicht als Aufforderung zu betrachten, mit seinem Vorhaben heraus. zurücken, er fing an, sich umzusehen und über die verschiedenen merkwürdigen Dinge zu reden, die im Laboratorium zu sehen waren. Hall pflegte mit niemand über seine Arbeiten zu sprechen, aber in dem Bestreben, Madame d'Oras Unliebenswürdigkeit gegen Evanston wieder gut zu machen, begann er, ihm einige in die Augen fallende Kleinigkeiten zu zeigen, die, wie er wußte, stets die Aufmerksamkeit des Laien fesseln. ,, Wir wollen auch sehen!" rief Madame d'Ora vom Sofa her und fam mit Mirjam herbei. Nun sah Hall ein, daß etwas gemacht werden mußte, und mit der Miene eines Zauberers schickte er sich an, einen Kolben und einige Gläser zusammenzustellen, er lächelte Mirjam zu und klingelte geheimnisvoll. Mirjam errötete.
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,, Ach, das ist der alte Versuch mit Luft, die knallt," fagte Madame d'Ora geringschäßend, wie magst Du nur!" " Fräulein Karekin hat es vielleicht noch nicht gesehen," meinte Hall und sah gutmütig auf. Madame d'Ora wandte fich ab und begann unter einem ignorierenden Trällern eine Reihe Reagenzgläser zu betrachten, die zugedeckt und mit Aufschriften versehen in einem kleinen Stativ standen. Es waren gefärbte Flüssigkeiten und sonderbare erstarrte Massen darin. Was ist das?" fragte Madame d Dra.
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„ Das sind Bazillen," erklärte Hall,„ nimm Dich in acht, daß Du feines der Gläser zerschlägst. Sie sind gefährlicher als Dynamit."
Komm doch her und erkläre mir das alles," befahl Madame. Hall ging lächelnd hin und nahm verschiedene von den Gläsern heraus, flopfte mit dem Nagel daran und erzählte, was sie enthielten. Aber dies interessierte auch Evanston lebhaft, und Mirjam sah mit großen, friedlichen Augen zu. Hall zeigte ihnen Tuberkelbazillen und suchte ein Buch hervor, in dem sich Bilder davon in vergrößertem Maßstab befanden. Er zeigte ihnen Bestbakterien und andere tödliche Ansteckungsstoffe. Madame d'Ora stand da und pfiff, sie langweilte sich.
" Es ist sonderbar," sagte Evanston und wog eins der Gläser in der Hand, hier stehe ich mit diesem Glasrohr, das nichts weiter zu enthalten scheint als ein wenig trübes Wasser, und dabei ist es eine fleine Welt von Krankheiten..."
„ Es sind Keime zu Hydrophobie in dem Glase, Hundetollwut, genug um eine Provinz anzufteden," erklärte Hall. Evanston hielt das Glas mit einem Ruck vor sich hin, setzte es dann langsam und vorsichtig wieder in das Stativ.
„ Und dies?" fragte er, auf ein anderes Glas mit einer blutroten Flüssigkeit zeigend.
Sollen wir denn jetzt Dein Knallfunststück sehen?" fragte Madame d'Ora ungeduldig.
" Ich muß erst ein wenig Geifenwasser haben," sagte Hall und entfernte sich.„ Einen Augenblick!"