Drei bis vier Wochen später paradierte Edmund HallsName wieder obenan in den Sonntagsnummern derZeitungen zusammen mit riesenhaften Illustrationen undmehr oder weniger authentischen Interieurs, aus deren ziem-lich verwirrten Mitteilungen hervorging, daß der berühmteGelehrte sich jetzt ganz und gar dem Studium des Spiritis-mns gewidmet habe. Ein Blatt sah sich sogar imstande, dasBild eines weiblichen Geistes zu bringen, der bei denSitzungen erschienen war. Alle Blätter versprachen weiteregroße Mitteilungen, aber am nächsten und in den darauf-folgenden Tagen brachten sie nichts, und damit war die Sacheaus. Edmund Hall hatte seine Tür allen Reportern gesperrt.Nachdem sie drei Monate weggewesen war, kehrte Madamed'Ora zurück, feurig und mit Lorbeeren bedeckt. Sie standda an einem heißen Augusttage mitten in Edmund HallsLaboratorium, als sei sie nur eine Stunde weggewesen, standda, ihre Schleppe um die Füße gewickelt wie eine Wasserhoseaus lauter Jugend:„Edmund, wie ist es Dir ergangen? Tu hast viel ge-arbeitet. Du siehst sehr überanstrengt aus... Deine Augensind doch wohl nicht schlechter getoorden? Ich finde, ich kenneDich gar nicht recht. Ja, ich bin aber auch schrecklich langeweggewesen. Du kannst Dir gar nicht vorstellen, Edniund,was für einen Erfolg ich gehabt habe, Edmund, und wie ichmich amüsiert habe! Es ist ein wunderbares Land, diesAmerika. Die Leute hier sind ja wahnsinnig... Alles,worauf wir in der Trunkenheit verfallen und worüber wirdann fabeln können, das t u n sie. Denk Dir, in Frisco schießtman mit Rosen zu mir auf die Bühne heraus— aus einerKanone! Ich sang in einer Stadt, die Seattle heißt, daswar außerhalb meiner Route, aber man überredete mich dazu,eine Deputation von Männern mit Gardemaß. und da erhalteich ein großes, wunderschönes Bukett mit einem Stück Papier,und darauf steht— wessen Name glaubst Du wohl... Tai»Jellcyl Ter Name des Mörders, des großen Räubers undBanditen! Und am nächsten Tage lese ich, wie man einenReiter in der Nacht hat dahiusprengen sehen, wie ein Gärtneraus dem Bett geholt und gezwungen wurde, das Bukett zubinden... Denk Dir, da habe ich vor dem schrecklichenRäuber gesungen, und er hat das Leben aufs Spiel gesetztund von Mordwaffen strotzend dagesessen und mich singenhören! Ich sage Dir, es ist Wunderbar im Westen. Terstille Ozean ist herrlich und lustig, und dann weiß man, daßer direkt bis Japan geht. Wie gut mir San Francisco ge-fallen hat, die Leute sind so schlank und unbändig, immerdarauf bedacht, über die Stränge zu schlagen, sie wollenLuft trinken und die ganze Zeit in Spannung sein und aufder Straße Cour schneiden und Geld rollen lassen... genauso wie in Paris, aber sie sind jünger, hungriger in Frisco.Was für Augen sie haben, offen wie das Meer, welche Lebens-lust in ihnen allen steckt! Ach, das ist eine Stadt von Durch-gängern! Du kannst mir glauben, da bin ich gern gewesen— ich schwamm jeden Tag im Stillen Ozean, und da warich nahe daran zu ertrinken, das heißt, ich kreischte, weil iches glaubte und wurde von einem hünenhaften Tunichtgutan Land gebracht, der hinterher beinahe von der Menge gc-lyncht wurde— man umringte ihn und brachte drei wildeHochrufe für ihn aus und bewarf ihn mit einer goldenen Uhr,einem kostbaren Sonnenschirm und einer Diamantnadel...eS war großartig. Amerika, das ist ja lauter Jugend, dieJugend aller Nationen wieder von vorne angefangen— inFrisco wimmelt es von Backfischen, so wie in Christiania.aber sie sind aus allen möglichen Rassen zusammengemischt— ausgenommen aus der. die ein Gewissen hat; Gott weiß,welcher Nationen Teufelei man nicht in ihrem Blute findet.Und dann denke Dir— sie sind alle unschuldig! Ich inter-essierte mich ja für sie und studierte sie mit einem Eifer, dervon Dir beeinflußt sein könnte, Edmund... ja, sie sindalle keusch, obwohl sie die herausforderndsten Augen haben.Aber es ist, als hätten sie keine Eile, das Glück wird ihnenschon zufallen. Ich kann Dir nicht erklären, wie gerührt ichmich hierüber fühlte... Denk nur, auszusehen, als verberge man alle Erfahrungen einer verhärteten Sünderinunter seinen sechzehn Jahren, und dann eine Welt von Liebevor sich haben! Aber das ist wohl„die neue Welt". Ich mußsagen, das hat Eindruck auf mich gemacht. Und ich, die ichmir das Wetter hier drüben bürgerlich vorgestellt hatte, sorecht ein Wetter für Quaker und rationelle Landleute, ich binstarr über dies wilde Klima. Das ist ja ein Vollblutklima,daS Wetter ist ja nervös und gefühlvoll— alle Kalender derWelt sind da zusammengeschüttelt und erneuert. Jetzt dieseHitze, die wir haben, sie wirkt ja frisch, es, ist nicht der alteBackofen des„Südens"— es zerspringen Wärmebomben inder Lust. Ich bin durch eine Nation in Hemdsärmeln gereist,die Tragbänder kreuzweis über den Rücken, und sie keuchenund verdienen Geld dabei, deswegen geht alles genau so flott— in Chicago schlafen sie in Betten auf der Straße...man sollte fast glauben, daß diese Millionen von Hitzköpfendas Thermometer in die Höhe trieben,.(Fortsetzung folgt.)(Nachdruck verbslcn,)kleine Mintertiere.Von Hermann Löns, HannoverSchnee liegt in dem Garten, Eis hängt an den Dächern. GegenMittag gewinnt die Sonne Macht, sie zermürbt die Eiszapfen anden Dachrinnen, taut den Schnee zusammen und macht hier undda den schwarzen Erdboden frei.In der Mitte de» Gartens, wo die Sonnenstrahlen am stärkstenhinfallen, steigt ein silberner Punkt auf. tanzt hin und her, blitztruf und ab. Ein zweiter, dritter, vierter folgt ihm, immer mehr,bis über der Buchsbaumeinfassung, die steif und dunkel� von demweichen, hellen Schnee absticht, ein Wirbel von blitzenden Silber-punkten flimmert.Kopfschüttelnd sieht sich der Besitzer des Gartens, der dasVogelfutterhaus mit frischem Mischsamen versehen wollte, das Ge-flirr an. Er will seinen Augen nicht trauen, denn er erkennt,daß die blitzenden Punkte Mücken sind, richtige Mücken von derGröße der Stechmücken, die ihn im Sommer oft peinigten.Er nimmt an, daß es sich um eine jener Ausnahmeerscheinungenhandele, an denen die Natur so reich ist, um einen durch besondereörtliche Verhältnisse entstandenen Vorgang, denkt vielleicht, daß,weil es Waschtag ist, es in der Waschküche überwinternde Mückensind, die durch die Glut des Herdes aiß ihrer Erstarrung erwecktsind; er zieht sie in Vergleich zu den beiden c-chmetterlingen. demPfauenauge und dem kleinen Fuchs, die gestern beim Rcinmachender geschlossenen Veranda von den Mädchen gefunden und als be-deutende Naturwunder in das Wohnzimmer gebracht wurden, wosie bald aus dem Schlafs erwachten und lustig gegen die Fenster-scheiben flatterten. Als er aber gleich nach dem Mittagessen vordas Tor hinausgeht, wo die Spaden von allen Dächern zwitschernund in allen Bäumen die Meisen ofeifen, da sieht er überallan geschützten, sonnigen Stellen zwischen den Hecken kleinere undgrößere Schwärme von Mucken, die in säulenähnlicher Anordnungauf- und abgauteln und in ihm das Gefühl erwecken, daß derFrühling schon vor der Tür stehe und daß bald die Schneeglöckchenim Garten ihre weißen, grüngczierten Glöckchen entfalten werden.Und da er kein Kohlenhändler oder Kürschner oder Festsaalbesitzerist, ihm also keine geschäftlichen Interessen den Wunsch nahelegen,der Winter möge recht lange dauern, so freut er sich der Fühlings-zeichen, als welche ihm die Mücken erscheinen, wenn er auch imBogen um sie herumgeht.Letzteres hat er nicht nötig, denn die Mücken, die im Winterspielen, stechen nicht; es sind aber auch keine Frühlingszeichen, essind Vertünder des Winters, echte Wintertiere, die nur in derrauhen Jahreszeit zu finden sind und die, wenn das üblichesummende und brummende Volk erwacht, matt und müde in dasfaule Laub fallen und sterben. Es ist die Tanz- oder Winter-mücke, Trictioeera hiemalis, deren Made aus den im Spätwinterund Borfrühling gelegten Eiern im Herbste auskriecht, im faulenLaube und in Pilzen lebt und nach kurzer Puppenruhe erst imSpäthcrbste als fertiges Insekt, als Jmago, wie es der Zoologenennt, erscheint.Es ist der einzige deutsche Zweiflügler, der ein reines Winter-tier-ist, wie denn die meisten unserer Infekten ausgesprocheneSommertiere sind, die den Winter über als Ei, Larve oder Puppeüberdauern, wenn auch viele von ihnen, wie eine Menge Käfer,Schmetterlinge, Bienen, Wespen und Fliegen als fertige Tiereden Winter im Todesschlafe verbringen, und nur, wenn ganz be-sondere Umstände, so anhaltend warme Witterung, eintreten, ausder Erstarrung erwachen und sich zeigen, um dann als großeSeltenheiten angestaunt und als Frühlingsboten begrüßt und denRedaktionen der Tageszeitungen als„erster Maikäuscr" oder, ersterSchmetterling" zugesandt zu werden.Gegenstücke zu den Wintermücken bieten die Schmetterlingein den zum Teile den Obstbäumen sehr gefährlichen Frostspannern.drei bis fünf Zentimeter spannenden, meist zarten, unauffällig ge-färbten, aber äußerst fein gezeichneten Nachtfaltern, deren Weibchenstatt der Flügel nur Stummel besitzen. Alle zu dieser Gruppegehörigen Arten erscheinen erst vom Spätherbst ab. doch nicht geradein der Mitte des Winters, dielmehr tritt um diese Zeit eine Pauseein. Einige Arten sind Spätherbst- und Frühwinterttcre, von denenjede Art an einen ganz bestimmten Monat gebunden ist. ImNovember und Dezember und dann wieder im Februar undMärz steht man diese trüb gefärbten Falter viel tagsüber an denStämmen im Walde fitzen ci>er auf den Wegen liegen; mit Ein-tritt der Dämmerung werden sie munter und flattern in reget-losem Fluge von Baum zu Baum, um die plumpen, mehr einemKäfer, als einem Schmetterling ähnlichen Weibchen zu suchen, gegendie sich der Obstbaumbcjitzer durch mit Raupenleim getränkte