Nnterhaltungsblatt des vorwärts Nr. 17. Donnerstag, den 24. Januar. 1907 (Nachdruck uw&oten.) 17] jVladame d'Ora. Noman von Johannes V. Jensen� Was für eine Kanuner oder was für ein Zelt hast Du denn da aufgestellt, Edmund... einen neuen Apparat, um sich als Skelett zu sehen? Und Du hast ein Harmonium be- kommen? Ich glaube gar. Du spielst geistliche Lieder! Aber was für häßliche Vorhänge hast Du doch an den Fenstern angebracht. Immer hast Du etwas Neues vor! Ich habe jeden Tag an Dich gedacht, der Du hier oben in Deiner wissenschaftlichen Gondel schwebst und Deine Arbeiten aus- führst und zu den Wolken hinaussiehst und die Kleinen tief unten lärmen hörst. Ich kenne niemand, der sich so wie Du einrichten kann, ohne die Welt fertig zu werden und sie doch zu besitzen. Aber wie herrlich ist es. dort unten mitten im Gewimmel zu sein, für ein schwingenloses Geschöpf wie ich es bin wie ich es liebe, im Gedränge festgeklemint zu sein, Flaggen über dem Kopf zu sehen und die große Trommel in der Straße näher kommen zu hören! Du lächelst, Edmund... früh, ganz früh, heute morgen sah ich den Niagara aus dem Coup�fenster und hörte die Wassermassen tönen, es war so groß. ach, wie groß es war." Madame d'Ora   schwieg schwelgend und schüttelte demütig den Kopf: gleich darauf traten ihr Tränen in die Augen, sie lächelte, und neue Bilder erfüllten sie: Edmund, ich war in New-Orleans  , natürlich, und in St. Louis   und in einer Menge anderer Städte in den Süd- sraaten. Und ich reiste über die Prärien und durch die Berge und über die Steppen, wo nichts war als Salz und Pottasche und ich war ja in Utah  . Jetzt sollst Du einmal hören, dort kam ich in die Gesellschaft von Mormonen smart sind sie, aber sonderbar geheimnisvolle Leute, die dreist und der- steckt blinzelten, als spielten sie alle mit unanständigen Karten und dann fällt mir ein, was Du von diesem Evanston  sagtest, als wir zusammen an Bord waren. Denk nur, er ist wirklich Mormone! Sie freuten sich so in Utha  , als ich von ihm erzählte, und er schien ein großer Mann bei ihnen zu sein. Er ist einer ihrer besten Agenten: der immer umher- reist und Proselyten macht. Man ließ mich mit großer Ehr- furcht verstehen, daß Evanston   der Sohn eines der allerersten Mormonen sei, und erzählte, daß er in einem Emigranten- wagen geboren wurde, gerade als die Indianer den Zug an- griffen. Und er sei aus guter Familie, sagten sie, sein Vater fei gar nicht nach Amerika   gekommen, weil er etwasgetan habe" ist das nicht allerliebst! er sei seinerzeit aus Europa   ausgewandert unter dem unbestimmten Gefühl, daß er in der Ferne einen geistigen Beruf zu erfüllen habe. Man machte übrigens einen kleinen liebevollen Versuch, mich für die Lehre Mormons zu interessieren, aber ich beeilte mich, meinen eigenen Kinderglauben zu bekennen, der sich ja auf die Voraussetzung einer Mehrheit von Männern stützt. Dann war, weiß Gott, einer so witzig, zu entgegnen, daß Mormon in seiner Lehre von einer Mehrheit keineswegs von dem Ge- schlecht geredet habe... drollige Leute! Tu siehst per- stimmt aus, lieber Edmund, nun glaubst Du sicher, daß ich mir etwas aus diesen armen, gierigen Psalmisten gemacht habe... Ach, Edmund, ich bin auf dieser ganzen Reife kaum ein einziges Mal verliebt gewesen. Aber ich habe mich gesehnt, ich habe mich nach Dir gesehnt, Edmund. Und Du hast mich noch nicht ein einziges Mal verliebt angesehen, seit ich gekommen bin, nicht einmal freundlich..." Madame, die sich auf einen Stuhl gesetzt hatte, erhob sich langsam, aber sie überwand ihre Bewegung, setzte sich wieder und sah mit sehnsuchtsvollen Augen zu EWnmd Hall hinüber. Ist es Dir gut gegangen?" fragte sie ruhig.Koimn, setzen wir uns ein wenig an die Fenster. Ich werde auch bald gehen. Du bist weit weg, Edmund, woran denkst Du? Bist Du unruhig?" Sie schwiegen lange. Dann sieht Madame d'Ora   mit einem Gesicht auf, das seine Fassung ganz wiedergewonnen hat, ihre Augen schimmern von einer tiefen Wärme, sie sieht und sieht Edmund an, bis sie errötet und den Kopf senkt. Dann sieht sie wieder auf und lächelt: Vielleicht bin ich doch einmal in Chicago   verliebt ge« Wesen obwohl, nein. Ich traf dort einen jungen Dichter» der ein großes Lied auf mich schrieb. Meine Begeisterung über Amerika   habe ihn dazu angeregt, sagte er. Aber wie gut er selber über seinen Weltteil sprach, über die Bisonochsen und den Schnee, über die Eisperiode, über Columbus   und! den Mississippi  ! Er war der lebhafteste und der zarteste, ich meine, der glanzvollste Mensch. Er machte denselben all- wissenden Eindruck wie Du, Edmund, er hatte dieselbe Art und Weise alles zu schätzen. Er ist berühmt als Fußball- spieler. Aber trotzdem konnte ich ihn nicht lieben. Er glaubte eine Menge erhabenen Unsinn von mir, bewunderte mich hartnäckig, wenn ich fluchte und trank. Er war aller- liebst." Edmund Hall sagte nichts. Madame d'Ora   beugte sich vornüber und schien in Gedanken zu versinken. Dann hllstet sie und bemerkt leise: Er kommt hierher." Wer?" Ralph." Ach so!" Edmund nickt sehr wohlerzogen. Du ahnst ja gar nicht, wer Ralph ist," ruft Madame d'Ora   aus.Sagte ich, daß er so heißt, mein Dichter aus Chicago  ? Gut, er ist es, und er kommt wirklich. Ralph Winnifred Lee. Er schreibt sehr schön, und ich erlaubte ihm, mich hier in New Jork zu besuchen." Edmund Hall schwieg noch immer mit einer außer- ordentlich korrekten Miene. Da bricht Madame d'Ora   in ein lautes, fröhliches Lachen aus, in da? sich jedoch ein wenig bittere Heiserkeit mischt, und ehe Edmund Hall sich's ver­steht, stürmt sie ihm an den Hals und weint. Und er wird ganz froh, sieht auf ihr Haar an seiner Brust und errötet,� der dunkle Kneifer fällt ihm von den Augen. Er empfindet Dankbarkeit, daß Leontine abermals am Rande einer Nieder- läge gesiegt hat. Alle Künste und alle Kälte sind ver- schwunden, übersprungen, vergessen, und nach einer Weile sitzen sie da und plaudern ganz unbefangen und Vertrauens- voll wie vor Leontinens Reise. Aber Edmund ist zerstreuter und dabei doch aufmerksamer, als er zu sein pflegt, und das entdeckt Leontine bald. Und nun erzähle mir, was Du angefangen hast, C8- mund, und was geschehen ist, während ich fort gewesen bin. Ich habe ja die ganze Zeit gewußt, daß Dich eftvas beschäs- tigte, aber nicht wahr, ich mußte doch wissen, wie wir zu- einander stehen, ehe wir davon sprachen..." Hall sah auf, als ob seine Stimmung durch diese Be- merkung ein wenig aus dem Gleichgewicht käme. Aber Madame d'Ora   legte in demselben Augenblick ihre beiden warmen Hände auf die seinen. Du hast mir nicht ein einziges Mal geschrieben, Ed- mund." Das haben wir ja noch nie getan. Wir einigten uns doch schon vor mehreren Jahren dahin, daß wir nicht für- einander existieren wollten, wenn wir mcht direkt zusammen wären." Wohl wahr, aber diesmal versprachst Du mir, zu schreiben. Ich ließ doch hin und wieder von mir hören. Aber ich konnte ja in den Zeitungen von Dir lesen..." Madame d'Ora   schwieg und wartete nun mit geheimer Angst, daß sich Edmund getroffen fühlen sollte. Als er keine Miene verzog, konnte sie sich nicht länger beherrschen, ihr Ge- ficht verzog sich häßlich. Ich habe von DeinenVersuchen" mit Mirjam Karerut gelesen. Es stand in einer kalifornischen Zeitung. Edmund Edmund..." Er konnte sehen, wie etwas in ihr austvallte, erstickend und unwiderstehlich, etwas viel Wilderes als das Weinen vorhin, und er war auf Geschrei und Krämpfe vorbereitet, aber es mußte eine lähmende Wirkung in seinem Blick gelegen haben, denn sie schnappte nach Lust, als sie ihn ansah und sank dann zusammen. In den Stuhl zurückgelehnt, fuhr sie fort, ihn anzusehen, während sich Müdigkeit und Schmerz über ihr Gesicht breiteten und die Hände zitternd in den Schoß sanken. Ihr Blick wurde so schwer und fern, indem die Tränen die Augen füllten und anfingen, an den Wangen herabzurinnen. Sie seufzte schließlich und bewegte den