UMeryaUungsMalt des Jorwaris Nr. 28. Freitag, den 8. Februar. 1907 (Nachdruck verboten.) 28](Vladamc d'Ora. Roman von Johannes V. Jensen. „Edmund, siehst Du jemals etwas von diesem Predi- kanten, von Mirjams Vormund? Denk' Dir, Ralph und ich waren heute hin, um ihn zu hören. Als wir gefrühstückt hatten, kam uns der Einfall-, in einer Zeitung stand, daß er eine Vormittagsversammlung abhalte. Evanston predigte in einer großen Halle, oben an der dreiundzwanzigsten Straße, und er hatte einen gewaltigen Zulauf, wir liefen keine Gefahr, erkannt zu werden. Er spricht wie ein Schleifstein, er mahlt, er betäubt die Leute— die Lichtbilder, derentwegen er so berühmt ist, wurden heute nicht gezeigt— er predigte von dem neuen Reich und von dem Kreuzzug gegen die Sünde, diesen ganzen fossilen Nonsens, von dem ich nicht begreife, daß es die Leute immer noch amüsieren kann. Aber er ge- braucht Fremdwörter und entlehnt Bilder aus der Chemie, das ist das Feine an ihm, und er bewegt sich in Gleichnissen aus seinem Jägerleben und aus der Zeit, als er sich im Schmutz der Sünde wälzte,— selbst Ralph fand, daß er Phantasie habe. Er malte unter anderem aus, wie der Weg zur Seligkeit durch Wüsten führe, die mit Tausenden von Knochen und Ochsenhörnern von dem Vorspann der Wanderer übersäet sei, und wie die Pfeile des Versuchers draußen aus der öden Finsternis kommen und sich zitternd in das Wagen- zeit festsetzen, auf der Wanderung über wilde und unwegsame Steppen!— Und da senkte auch Ralph seinen blonden, ehrlichen Kopf und fand, daß es gut war. Später, als wir wieder gingen, machte Ralph die lächerlichsten Versuche, Wyoming mit demselben starken Wildgeschmack auszu- sprechen, wie es Evanston seiner Behauptung nach getan hatte... aber da schlug ich sie beide aus dem Felde, ich jauchzte auf der Straße, während Ralph und ich zusammen gingen, so daß die Leute glaubten, ich sei verrückt— hör' einmal—" Leontine erhob sich, und indem sie sich mit ge- streckter Kehle vorbeugte, brüllte sie wie irgend ein mächtiges und wildes Raubtier, das verwundet ist:„Wyoming ! Wyo— ming!" „Die Menschen sind sonderbar, Edmund, die fallen noch um und liegen tot da von einem Gebrüll. Selbst Du fingst ein wenig an zu zittern, eben als ich heulte. Da steht dieser Mormone oben in New Jork und heult sie sich alle mit- einander Untertan, dies hungrige, schmutzige Tier! Aber Ralph fand ihn monumental mit diesen knochigen Streifen an der Nase, er begeisterte ihn zu einem witzigen Aphorismus über den Mandril und die Eiszeit des Menschengeschlechts... genau so wie es Dir in alten Zeiten in den Sinn kommen konnte, als Du immer mit mir über Atavismus redetest und über all das, was ich notgezwungen lieben mußte, wenn ich mit Dir zusammen war. Ihr seid wirklich reizend! Aber ich hasse nun einmal Tiere! Ich werde krank davon! Ah!" Sie fuhr so heftig zusammen, daß sie beinahe zu Boden gesunken wäre, dort wo sie stand. Sie setzte sich, schöpfte Atem, sah Hall an. Er schwieg. Er hatte unwillkürlich daran denken müssen, daß sich Leontine bewußt oder unbewußt stets solcher Ausdrücke und Bilder bediente, die sie der Zoologie entlehnte, was sie sich durch ihren Umgang mit ihm an- gewöhnt hatte, und dies rückte entschwundene Jahre in seiner Erinnerung so nahe, daß er unter einem schneidenden Gefühl von der Kürze des Lebens fast das Bewußtsein des Schmerzes verlor. Leontine sah nicht mehr, obwohl ihre Augen starrten, sie hatte sich nach innen gewendet im Kampfe gegen das, was sie quälte. Ihre Brust zog sich ein paar Mal stark zusammen unter einem physischen Bedürfnis, sich zu befreien, indem sie Edmund alles mitteilte. „Edmund, hör' einmal.. „Ja, Leontine." Sie bezwang sich, sie bezwang sich. „Gib mir lieber ein Glas Whisky," bat sie begehrlich. „Kann es wohl schaden, wenn ich nur ein wenig trinke, kann e6 Mirjam wohl schaden? Du trankst neulich selber, Edmund, als Deine Nerven Dich im Stich ließen..." Hall fixierte sie, er fing an zu ahnen, daß sie sich in Not befand. Hall sah nicht mehr sehr scharf. Er zögerte, Leon- tine aber sprang auf und schrie klagend: „Ich kann es nicht aushalten, Edmund!" Es schien ihm, als habe er keine Berechtigung, sie nach dem Grund ihrer Gemütsbewegung zu befragen. Ohne etwas zu sagen, erhob er sich und holte eine Flasche mit Whisky. Er brachte zwei Gläser und eine Karaffe mit Eis- wasser. Leontine trank und stöhnte laut vor Linderung. Der Schweiß brach ihr aus allen Poren. Sie wurde ruhiger. Das zweite Geheimnis, das sie vor Hall verbarg, beunruhigte ihr Gemüt, sie wurde- flammend rot, und gleich darauf ward ihr Mund so bleich, sie sah ihn mit einem ertrinkenden Blick an, bis ihre Augen zufielen. Sie war guter Hoffnung. Sie wußte es seit heute morgen. Und wie sie nun so saß und Hall ansah, glänzten ihre Augen von heißer und schmerzlicher Sehnsucht, von Zärtlichkeit und Verzweiflung. Sie be- trachtete seinen Mund, als habe sie ihn noch niemals ordentlich gesehen, als empfinde sie eine Verantwortung für die Züge, die sie fortzupflanzen im Begriff stand: sie sah sein Haar an und plötzlich brach sie zugleich in Lachen und Weinen aus: „Dein Haar ist ja auch fast weiß, Edmund," schluchzt sie. und sie lacht und schüttelt den Kopf, sie sperrt den Mund weit auf und seufzt, schnappt nach Luft, ringt die Hände. Hall aber sitzt stumm und still da. Da wendet sie das Gesicht auf- wärts und bricht in einen gequälten Notruf aus, sie dampft aus den Zähnen und dem Schlund, sie bellt ganz laut, bis sie ihr Herz befreit hat, dann bricht sie zusammen und weint erleichtert: die heißen Tränen furchen ihr Antlitz, tropfen ihr von Mund und Kinn, sie bebt, aber jetzt lächelt sie wieder, und sieht Hall unter schimmernden Tränen an, sie klagt und lacht kläglich:„Wyoming ! Wyoming !" „Kehr' Dich nicht daran, daß ich mich so anstelle," stammelt sie ganz getröstet und glücklich,„es ist wohl nur so eine Art Heimweh, das mich überkommt. Es kleidet Dich so gut, wenn ich hysterisch bin, Edmund, Du siehst so geduldig aus... Wyoming ! Mein Freund!" Sie betrachtet ihn lange, den Kopf auf die Seite gelegt und einen Zipfel des Taschentuches zwischen den Zähnen, ihre Tränen rinnen langsam an den Wangen herab. Endlich scheint es, als fasse sie durch ein strahlend liebevolles und verschämtes Lächeln hindurch einen Beschluß... „Mein Gott, wie ich Dich geliebt habe, Edmund!" flüstert sie.„Ich will es sagen. Ich will es sagen." Hall nähert ihr sein Gesicht, um sie besser zu sehen; er ist sehr bewegt, aber er schweigt. „Ich habe das Recht zu lieben, wen ich will, nicht wahr? Und ich liebe Dich nun einmal. Du brauchst Dich ja gar nicht daran zu kehren. Ich habe Dich immer geliebt, Edmund, habe Dich nie entbehren können." Sie springt auf, unbändig, sie stößt die Luft aus ihren breiten Lungen heraus wie Schüsse, sie steht auf den Zehenspitzen: „Ach, Du bist ja der einzige, der mich zusammengehalten hat, Edmund? Du hast mich immer freigesprochen. Du hast nicht einen Teil von mir geliebt, sondern mich, mich! Du hast alles gewußt, ich habe Dir nichts verbergen können. Edmund! Edmund! Ohne Dich fühle ich mich verhärtet, gewöhnlich und verderbt. Du hast mich immer durchschaut, mich mir selber bewiesen. Wenn ich habe leben können, ijb- wohl ich so roh und so verdorben bin, so danke ich Dir das. Ja, das tue ich!" Sie schnaubt, geht durch das Zimmer, kehrt wieder zurück und setzt sich dann gehorsam hin: „Aber ich weiß sehr wohl, daß es vorbei ist." Die Tränen steigen ihr wieder in der Kehle auf. aber sie schluckt sie mühsam hinunter, drängt ihre Qual zurück. Edmund Hall sitzt gesenkten Hauptes da, sie streckt schüchtern die Hand aus, berührt sein Haar. „Leb' wohl!" flüstert sie.„Edmund! Edmund!" Und nun schweigen sie beide. Leontine leert durstig ihr Glas. Später, als sie ihre Augen getrocknet hatte und sie da- saßen und auf den Kreis warteten, sprachen sie friedlich mit- einander, beide sehr sanft und jedes in sein Schicksal ergeben. Nach einer Pause, während welcher Leontine in tiefe Ge-.
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24 (8.2.1907) 28
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