AnterhaltungMatt des Worwärts Nr. 30 Dienstag� den 12 Februar. 1907 (Nachdruck verboten.) so] JMadamc d'Ora. Roman von Johannes V. Jensen. Edmund, entsinnst Du Dich wohl noch des kleinen Kindes, das mitten auf dem Rasenplatz in einem Park saß, an einem Tag im Frühling, als wir zusammen ausfuhren?" Sie senkte die Stimme ganz. Das war am Morgen nach der Nacht, als Du mich auf dem Treppenflur sitzen fandest." Hall schwieg, er konnte sich des Kindes nicht entsinnen. Und er sah den elenden Blick nicht, mit dem Leontine um sein Erbarmen flehte, oder er verstand ihn nicht. Da lehnte sie sich still in den Stuhl zurück und schloß die Augen und den Mund. 13. Die Mitglieder des Kreises hatten sich eingefunden. Man war im Begriff, die Fenster zu verdunkeln, als an die Tür gepocht wurde. Hall ging hin und fragte, wer es sei, ein Mann draußen sprach einige Worte. Das ist Ralph I" rief Madame d'Ora   aus.Das ist Herr Lee. Darf er nicht hereinkommen?" Hall durchschnitt mit einem Taschenmesser den Papier  - streifen, der über die Türritze geklebt war und öffnete. Als Herr Lee hereingekommen war, wurde die Tür wieder zu- geklebt. Madame d'Ora   stellte Lee vor. Er grüßte, indem er sich nach der Mitte des Laboratoriums zu verneigte, weder unerzogen, noch gewandt. Er war ein langbeiniger, jungcer Mann mit einem ein wenig vorgestreckten, klugen Kopf, seine Gesichtsfarbe war hell und frisch, seine Augen lagen tief und waren groß, der ganze blaue Ring in ihnen war sichtbar. Er war auf das sorgfältigste gekleidet, in dem dummdreisten Stil des Tages, mit einem Kragen, der bis an die Ohren hinanging und enorm vorspringenden Schuhsohlen es sah aus, als sögen sich seine Füße fest. Sein Anzug war funkel- nagelneu und die Beinkleider scharf gepreßt, wie um die Luft besser zu schneiden, und auch sonst bemerkte man an seiner Kleidung alle diese kleinen, ungeheuer wichtigen Details, die eine Woche lang so wunderbar sind, um dann ganz unmöglich >u werden. Er glich dem Sohn eines Millionärs, dem Erben ünes Kohlenlagers oder einem jungen Amateurradler. Als er ein paar formlose Worte mit Edmund Hall gewechselt hatte, nicht mehr als nötig war, richtete er unverzüglich seine olauen, ernsthaften Augen auf Madame d'Ora  , ohne sie nieder abzuwenden. Geht es Ihnen gut?" fragte er. Seine Stinime war laut und ein wenig schleppepd, er dämpfte sie nicht. Ja, sehen Sic, jetzt wird es dunkel, Ralph." Er sah ruhig nach den Fenstern hin, die bis auf eins geblendet waren, und ließ dann den Blick durch das Labors- torium schweifen, als wollte er sich nierken, wo alle standen, bis es ganz dunkel wurde. Sie haben geweint," sagte er. Ja. Ralph." Einen Augenblick später war die Dunkelheit vollkommen, und fast gleichzeitig zündete Hall das verborgene Licht an. Sie befanden sich in der roten Grotte. Nachdem der Kreis seine Plätze eingenommen hatte, Herr Lee erhielt einen Stuhl neben Madame d'Ora   ver­las Hall wie gewöhnlich das Programm der Sitzung. Es var diesmal weiter nichts Ungewöhnliches zu erwarten, als >as Eld, ihrem Versprechen von der letzten Sitzung zufolge, einen Versuch machen wollte, dem Kreis das fehlende Glied '.wischen Affen und Menschen, das sogenannte rn i k s i n x link, zu zeigen. Dies geschah auf Anregung von Hall 'elbcr. Im übrigen wollte man die Erscheinungen nehmen, vie sie kamen. Hall machte darauf aufmerksam, daß er eine lleränderung mit der Umfriedigung vorgenommen hatte, o daß diese nun anders wirken würde als bisher, falls ie überschritten werden sollte. Dann nahm er Mirjam bei )er Hand und führte sie in das Kabinett. Fräulein Karckin :ah heute wohler und lebhafter aus als sonst, nur lag etwas sonderbar Halbverschlossenes. Teilnahmloses in ihrem Blick. Als sie hineinging, sah man, daß ihr Haar in Flechten um ihren Hinterkopf gelegt war. Nun begann die Unterhaltung: die korpulente Dame setzte sich an das Harmonium und spielte. Das Geschwätz nahm ungestört seinen Fortgang unter den Mitgliedern des Kreises. Warum haben Sie geweint?" fragte Lee Madame d'Ora. Ihr neues weißes Haar sieht so gut aus hier in diesem Kirchenlicht..." Ich werde reisen," sagte Leontine leise.-«Ralph, ich reise noch heute abend." Er schwieg baumstill. Es ist wahr, Sie werden mich nie wiedersehen... Ich meine, i ch werde Sie nie wiedersehen, Ralph Winnifred Lee." Er murrte. Madame d'Ora   lachte ein wenig über ihn. Sie glauben es noch nicht. Gut." Er fing an, sich unruhig zu bewegen, er unterdrückte einen tiefen Seufzer. Wohin?" Nach Hause." Ach, nicht weiter I" sagte er und lachte erleichtert.Dahin, wo Sie zu Hause sind, befördert der Portier auch meinen Koffer. Gehen Sie nach Europa  ?" Still, Ralph! Jetzt müssen Sie acht geben. Fühlen Sie nicht eine sonderbare Veränderung in der Luft?" Lee streckte den Hals in seinen krachenden Kragen, öffnete die Augen und schloß sie wieder. Ich merke nichts." Ich übrigens auch nicht. So! Sehen Siel" Die Portieren vor dem Kabinett bewegten sich. Aber zu aller Verwunderung war es Mirjam selber, die erschien und sich mit einem Blick auf Edmund Hall vor das Kabinett stellte. Er ging hin und sprach ein paar Worte mit ihr, worauf sie wieder zwischen den Draperien verschwand. Hall kehrte an seinen Tisch zurück und erklärte, Mirjam habe gesagt, es sei ihr unmöglich, in Trance zu fallen. Die Luftverhältnisse wären wohl nicht giinstig. Hall notierte den Barometerstand und beobachtete verschiedene andere Instrumente. Vielleicht wirke auch die Anwesenheit eines ganz neuen Mitgliedes störend. Das bedauere ich sehr," sagte Herr Lee laut.Wenn meine Anwesenheit einen störenden Einfluß haben sollte, so bin ich gern bereit, mich zurückzuziehen." Hall beruhigte ihn.Es sei vorgesehen, daß ein ein- zelnes Glied des Kreises eine Verbindung zwischen diesem und dem Medium unterbrechen könne. Aber es seien ja erst einige Minuten vergangen. Wahrscheinlich würde die Anwesenheit eines ganz neuen Mitgliedes nur bewirken, daß es ein wenig länger währte, bis der Strom zwischen dem Kreise und dem Medium geschlossen sei. Lee blieb unruhig sitzen. Madame d'Ora   war in einer Unterhaltung mit Frau Mac Carthy be- griffen. Aber es schien heute lange zu währen. Aus dem Kabinett ertönte kein Laut, und kein kalter Lufthauch verkündete, daß etwas vor sich ging. Die starke Dame spielte und sang ein geistliches Lied nach dem anderen. (Willst Du nicht etwas singen?" fragte Hall Madame d'Ora. Sie nickte, erfreut, daß er sie ansah. Sie suchte seine Augen zu fesseln, indem sie ihr anziehendstes Gesicht aufsetzte, sie beeilte sich, mit ihm an das Harmonium zu treten. Und solange er dort stehen blieb, fing sie nicht an zu spielen, sondern saß ihm zugewandt da und freute sich, daß er dort stehen blieb. Als erLing, beugte sie sich stumm und verlassen über die Tasten. Nachdem sie allerlei Bruchstücke zu spielen versucht hatte, ging sie in eine einfache Melodie über und sang ganz, ganz gedämpft: Im Drange meiner vollen Brust Ein süßes Aengsten lebt, DaS ist mein eigenes, stummes Kind, Das unter dem Busen webt. Wenn ich erröte, ist es das Blut Der Kindheit tief in mir? Mein Herz erschrickt mit jedem Mal Bei einem Laut ve« dir.