Unterhaltungsblatt des Vorwärts

Nr. 32.

32]

Donnerstag, den 14 Februar.

( Nachdrud verboten.)

Madame d'Ora.

Roman von Johannes V. Jensen.

Nach Verlauf einiger Minuten erschien Eld wieder, fie fam schnell aus dem Kabinett heraus. Sie war verändert. Sie glich einem Fieber. Ein Stöhnen rang sich aus dem Kreise los. Die Situation wurde kritisch. Mit Eld war eine große Veränderung vor sich gegangen, ihr Mund stand offen, ihre Augen weinten, sie war ganz wild vor Gemütserregung. Hall stand über seinen Tisch gebeugt, als er die Ringe im Stabinett flirren hörte. Er richtete sich auf, er glaubte, es sei der Urmensch, der sich wieder blicken ließ. Aber als er Eld sah, war er mit einem Sprung bei ihr.

Eld!" " Ja."

Sie schob die Brust vor, verzweifelt und stark, sie atmete so heftig, daß ihr die weißen Gewänder von den Schultern glitten.

,, Eld, was ist geschehen?" fragte er barsch.

1907

nach Gift, oder nur nach einem Nagel, um sich die Pulsader damit aufzureißen.

" Ja, Eld. Ich komme!" murmelt er und geht ihr nach in das Kabinett, in die Finsternis hinein.

Da ertönt ein rasendes Gebrüll! Ein wilder, schallender Kehllaut, und große Sprünge werden auf dem Fußboden hör­bar. Es ist Leontine d'Ora! Leontine d'Ora wirft sich mit ihrem ganzen Gewicht zwischen die beiden. Und in der Ver wirrung und dem Tumult, die mun entstehen, hört man aber­mals Madame d'Oras wahnsinniges Gebrüll und dann einen laut gellenden Frauenschrei, und im nächsten Moment freischt Madame d'Ora vor Schmerz auf. Und wieder brüllt sie triumphierend. Aus dem Kabinett dringt ein Lichtstreif heraus.

Ich halte fie!" heult Madame d'Ora . Licht! Licht!" Der Kreis ist von den Stühlen aufgesprungen, und plöy­lich erstrahlt das Laboratorium in vollem, blendenden elek­trischen Licht.

Ich halte fie!" stöhnt Madame d'Ora . Seht! Es i st Mirjam! Seht! Seht! Sie hat mich gestochen. Seht sie alle! Ah! Ach!"

Sie schwingt den einen blutigen Arm und schlägt die weiße, leblose Gestalt, die schlaff auf ihrem Busen liegt, zwei­

Ich muß gehen," sagte sie weinend. Ich muß gehen. mal auf den Rücken, daß es nur so schallt.

Es ist vorbei."

Mußt Du gehen?"

Ja."

,, Und kommst Du nicht wieder?"

"

Nein. Nein."

"

Warum mußt Du gehen?" fragte er klagend. ,, Eld, warum?"

Sie schüttelte den Kopf, ihn ansehend.

Ich fann es nicht sagen. Ich muß gehen." Hall senkte den Kopf.

" sa, aber Eld," bat er eindringlich, kannst Du denn nicht noch etwas bleiben? Mußt Du gleich gehen? Gleich? Bleibe noch ein wenig! Wenn es doch das leztemal ist. Eld?" Sie lachte ihn an, stammelnd, seufzend, weinend. " Ich muß verschwinden,

gleich."

Hall geht vor ihr auf und nieder, geht einmal um sie herum und wieder auf und nieder, er ringt die Hände, wie jemand, der in bitterer Not ist.

Eld, wohin gehst Du dann?"

Sie schüttelt den Kopf und das Haar nach allen Richtungen hin. Hall faßt unwillkürlich nach ihr. Sie weicht zurück mit hocherhobenen Armen und Augen, die vor Angst rund sind. Er faßt wieder nach ihr, schwächer.

,, Nein, nein, nein, nein," fleht sie, und er läßt die Arme sinken, steht mit leeren Händen da, sinkt vor ihr zusammen. " Jeßt muß ich gehen."

,, Nein, Eld!"

" Ja, ich muß gehen."

Er lächelt in seinem Schmerz, er will sie festhalten, er will die Zeit in die Länge ziehen.

,, Und dann willst Du wohl heimwärts? Du willst zurück, Eld, von uns weg. Willst Du nach den Tälern bei Bingöl Dagh, wo Du Schafe hütetest? Willst Du den Euphrat sehen? Oder wohin gehst Du? Und kann ich nicht mit Dir gehen?"

,, Kann ich mitgehen?"

Ah! Ich hab' es mir ja gleich gedacht! Da könnt Ihr fehn! Ah!"

Aber mun steigert sich die Verwirrung zu einem alf­gemeinen Ausbruch von Wahnsinn, man schreit in allen Ton­arten. Denn die Portieren zu dem Kabinett tun sich auf, und heraus tritt The missing link, behaart und in seiner Kleidung aus Häuten. Er ist nicht angenehm zu sehen in dem blendenden Licht, als er zähneknirschend auf Madame d'Ora losgeht mit Fingern, die sich nach ihrer Kehle krümmen.

Der kleine graue Mann mit der goldenen Brille zieht cinen Revolver heraus, und seine Augen haben plöglich gar feinen alten Blick mehr, er erhebt eine kommandierende Stimme. Aber jetzt ist da ein anderer, der schwer auf den Fußboden springt, Ralph Winnifred Lee! Er fliegt auf den Urmenschen zu und reißt mit einem Ruck den Urmenschenbart von seinem Untergesicht.

" Jesus Christus ! Das ist Evanston !" ruft der kleine Mann mit der goldenen Brille. Und als befolge er ein Bei­spiel, befreit er sich von der Brille und von seinem schönen grauen Bart, den er mit" Puh" in die Tasche steckt. allgemeinen in das Zimmer hinein und zeigt ein Polizeischild. Mein Name ist Thomas A. Mason," sagt er ganz im Nein, so etwas hab' ich doch --Jesus Christus !"

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Madame d'Ora hat Mirjam losgelassen. Sie sieht sich nach Edmund Hall um und entdeckt ihn mitten im Labora­torium auf einem Stuhl sigend in all der Panik und all dem Aufruhr. Hall hat sich hingesetzt, er ist kein Teilnehmer mehr. Leontine schwanft auf ihn zu und friecht auf den Knien vor Stopf in seinen Schoß. ihn hin, zeigt ihm ihren verwundeten Arm und legt ihren

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Und während nun alle Augen auf Lee und Evanston ge­richtet sind, die sich von Angesicht zu Angesicht gegenüber­stehen, sizt Edmund Hall da, die Hände auf Leontines Stopf, und beobachtet etwas, das über den Fußboden hinkriecht- Mirjam in Elds weißen Gewändern. Sie hat sich auf allen Vieren aus ihrer Ohnmacht aufgerüttelt und friecht nun " Ja, das kannst Du!" flüstert sie, vom Kopf bis zur Zehe dahin, so gut sie fann, um aus dem Wege zu gelangen. Das zitternd. Er sieht die wunderbare Schwäche in ihrem Blid, lange, schwarze Haar, das vom Einflechten leicht geflammt die ihn trifft, ihn blendet, er tastet mit den Händen vor ist, jetzt sieht er das hängt herab und verbirgt ihr Ge­sich hin. sicht völlig, aber sie scheint feine Verwendung für ihre Augen zu haben. Sie schleppt sich mit Mühe und Beschwerde auf Händen und Knien weiter, sie sinkt mit dem Hinterkörper nach der Seite um und erhebt sich nur mit großer Not wieder, der Kopf auf dem dünnen, kraftlosen Halse sinkt bald nach der einen, bald nach der anderen Seite. Allmählich gelangt sie bis an die Wand, wo sie umfällt, sie stößt den Kopf mehrmals gegen die Mauer, als wolle sie sich unter einem Busch ein Versteck bohren, sie streicht an der Seite entlang, um in Schutz zu gelangen, und als sie den Widerstand fühlt, folgt sie der Wand mit ihren letzten armseligen Kräften, sie will bis ans Ende gelangen, fie will aus dem Wege. Einmal läßt sie das arme, schwache Rückgrat ganz im Stich, so daß fie umsinkt,

a. Aber jetzt muß ich fort." Sie gleitet ein paar Schritte zurück, auf das Kabinett zu, steht undeutlich im Halbdunkel. Er folgt ihr.

,, Geh nicht," fleht er außer sich. ,, Geh nicht! Nein, Eld!" Stomm!" flüstert sie und weicht noch einen Schritt zu­rück. Er steht eine Weile und starrt sie an. Dann läßt plöß­lich die Erregung nach, die seine Kräfte fast erschöpft hat, und er wird vollständig ruhig.

,, Willst Du denn, daß ich sterben soll?" fragt er finster. Komm!" flüstert sie.

Er greift in alle seine Taschen, sucht nach einem Meffer,