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Notizen.
bes freien Lebens" der Landstraße mag ein so verhältnismäßig| Buch allerdings doch nur teilweise Recht behalten, denn der Blak tühles, objektiv wirkendes Büchlein wie Ostwalds fürzlich erschienenes im Fond eines solchen Fahrzeuges wird heute troß gewisser Ge Vagabunden"( Bard, Marquard u. Co.) von Nutzen sein, das diese fahren, die dann aber nicht von der Maschine, sondern von Verhältnisse eingehend, mit knappen Strichen und außerordentlich einem Zusammenstoß her drohen, immerhin bedeutend lieber gelebendig darstellt. Ostvald greift aus der vielbevegten Fülle des wählt, als der Plaß unter dem Wagen. Eine Statistit würde Landstreicherlebens ein paar Bildchen heraus, schildert sie mit wohl den Nachiveis liefern, daß das Automobil mehr Personen lebendigen Farben und zeigt nüchtern und kalt ihre Verknüpfung durch Ueberfahren als durch Explosionen zu Schaden gebracht hat. mit der modernen Kultur. Darin liegt ein besonderer Vorzug dieses Büchleins, daß ihm das Vagabundenleben nicht Vorwand gut ein paar idyllischen Genrebildchen ist, sondern daß in Ostwald der Gesichtspunkt des Gesellschaftstrititers lebendig bleibt. Ganz craft weist er den Umfang der Wanderbettelei durch Statistiken nach, sucht sie aus dem sozialen Milieu zu erklären, rechnet nüchtern die Beteiligung der Stände nach und gibt Mittel an, wie die Bagabundage erfolgreich zu bekämpfen sei. Plötzlich formt sich seine Erinnerung zu einem Beispiel, und er plaudert von dem Leben der Kunden, wie der Mann in die Unruhe" kommt, übrigens ein prachtvoller Ausdruck sich auf die„ Tippelei" begibt, wie fein Leben auf der Landstraße und im Chauffeegraben sich fortspinnt, abwechselnd durch mehr oder weniger freiwilligen Aufenthalt in Arbeiterkolonien, Arbeitshäusern, Diakonissenheimen usw. unterbrochen. Das Leben selbst ist ja nicht allzu anstrengend, mehr als vier Stunden am Tage marschiert ein echter Kunde nicht, und die einzige Anstrengung ist das Talfen"( Betteln). Sehr hübsch ist dies in einem Kundenlied dargestellt, bas Ostwald anführt:
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Ach, wie ist des Walzen schön! Schumpeidi, schumpeida.
Ei, man muß es nur verstehn! Schumpeidi, eida.
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Hier gibts Bidus( Essen ), da gibts Hanf( Brot) Stunde schiebt niemals Kohlendampf( hungert niemals) Schumpeidi, schumpeida usw.
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Abends gehts in die" Penne"( Herberge), oder der Kunde macht platt"( schläft im Freien). Ab und zu wird auch einmal gearbeitet, aber um Gottes willen sich nicht anstrengen, sonst fällt das Tippeln" schwer und seinen Beruf will doch keiner verfehlen. Wenn man Ostwalds Schilderungen lieft, erwacht wohl unser Interesse für die abenteuerliche Welt der Vagabunden, vielleicht erinnert man sich auch an Hans Baluschets föstliche Typen von denen eine dem Bändchen vorangesetzt ist aber man sollte doch nie vergessen, daß es sich um eine soziale Schicht handelt, die abgeschnitten ist von unserer Kultur, unfähig zur geistigen Fortbildung, unftät und nur auf augenblidliche Befriedigung ihres Hungers bedacht. Das sollte die romantische Schwärmerei ein wenig eindämpfen, und es sei nochmals als Ostwalds Verdienst erwähnt, daß er über die bewegte Buntheit der Außenseite niemals das Kulturfeindliche, Niedrige der Wanderbettelei bergißt.
Technisches.
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R. K. W.
Denkmalsheuchelei. Alle Proteste haben nichts ge holfen. Die deutsche Wissenschaft" im Bunde mit Bülow, Studt dem Schulverpfaffer, dem Kriegsminister von Einem, dem Unterdrücker der Lehrfreiheit an den Universitäten Althoff, dem Junter v. Kröcher, der die parlamentarische Würde in der Form lokaler Begünstigungen verramscht, und dem unvergeßlichen Er- Reichstagspräsidenten v. Ballestrem, will Johann Gottlieb Fichte zum Herbst 1910 ein Denkmal sezen. Kein Erbe Fichtes fann gegen diese Schmach protestieren, kein anderer Erbe als das deutsche Proletariat, das die Erbschaft der großen Dichter und Denker verwaltet und zu ihren Jdealen den Weg der Verwirklichung sucht. Inzwischen aber schmücken sich die herrschenden Klassen mit fremdem Raub, wie ein wildes Bolt mit europäischen Fezzen. Fichte, der Herold der Freiheit, der Volksfreiheit und nicht der Fürstenbefreiung, wie die Geschichtsfälscher dem nationalen Philister vorgaufelu, Fichte, der Künder freiester Sittlichkeit und nicht dogmatischen Korsettzwanges, Fichte, der fühne Denker und Forscher muß sich von den kleinen Gernegroßen und Zauberkünstlern des nationalen Prestiges, von den kulturfeindlichsten Krautjunkern und ihrem Beamtentroß feiern lassen. Und die deutsche Wissenschaft macht die Lakaienmusik dazu. Oder sieht sie in der Ehrung des ersten Rektors der Berliner Universität durch solche Elemente etwa noch eine unbewußte und halb unfreiwillige Anerkennung, die sich das Ingenium auch von seinen Feinden und Bebrüdern erzwingt? Ein süßer Sklaventroſt.
Bonn , der deutsche Idealist, hat bei Conan Doyle , dessen Detektivromane er gegen Doyles Willen natürlich nur zur Werbefferung des deutschen Bühnengeschmacks im Berliner Theater ausschlachtet, fein Glüd. Dieser abscheuliche Engländer hat offenbar gar kein Verständnis für diesen praktischen Idealismus. Er weist die Zumutung, als habe er von Bonn eine Einladung angenommen, mit Entrüstung zurück und will. ihm lieber verklagen helfen. Ein ständiges französisches Theater in Berlin gedenkt Direktor Lugné- Bol mit Suzanne Desprès und der Truppe des Pariser Theater de l'Deuvre, die bei ihrem Gaftspiel im Neuen Theater einen so starten Erfolg erzielten, zu be gründen. Die Saison soll das ist klug- aber nur die Monate April- Mai umfassen. Zurzeit sucht Herr Lugné für diese Monate ein Theater zu pachten. Kleists 8erbrochener Krug" ist von dem Hamburger Wilhelm Bold ins Plattdeutsche übersetzt worden. Der Gerichtsrat Walter spricht hochdeutsch, ebenso Adam und Licht im Busammenspiel mit ihm, sonst spricht alles plattdeutsch. Der Schauplatz ist an die Waterkant verlegt.
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Zu Ehren Wilhelm Jensens, der am 15. Februar feinen 70. Geburtstag begeht, hat die Deutsche Dichter- GedächtnisStiftung beschlossen, 800 Exemplare des Jensenschen Romans Die Pfeifer vom Dusenbach" anzulaufen, um sie an fleine ländliche Wolfsbibliotheken zu verteilen. Ferner gibt die Stiftung als Heft 12 ihrer Voltsbücher" eine Novelle Wilhelm Jensens Ueber der Heide" heraus, die im 30 jährigen Kriege in der Lüneburger Heide spielt. Die Novelle Ueber der Heide" ist im Buchhandel für 25 Bf. geheftet oder 55 Pf.) gebunden erhältlich.
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Der Maler Rudolphe Julian ist in Paris , 68 Jahre alt, gestorben. Weniger seiner Sunft wegen- obwohl er einmal ein guter Porträtist war als um seiner Schule willen war er in allen Künstlerkreisen sehr bekannt. Er betrieb den Kunstunterricht in einer ganzen Anzahl Schülerateliers engros. Besonders die Ausländer Deutsche und Amerikaner waren seine Klienten. Wenn sie nicht malen lernten, so hatte er doch den Profit davon. wie in allen anderen Malschulen.
Ein Automobil vor 130 Jahren. Es ist merkwürdig, daß der Mensch immer wieder die Erfahrung wiederholen muß, daß es nur höchst selten eine wirkliche neue Idee in den Geisteswissenschaften wie in der Technik gibt. Auf beiden Gebieten, hauptsächlich aber in der Technit, scheint der wesentliche Unterschied zwischen Alt und Neu immer vorzugsweise in der Ausführung zu liegen. Der Automobilismus ist doch wirklich wie etwas ganz Modernes über uns gekommen, und doch sind die Gedanken, die ihm zugrunde liegen, erstaunlich alt. Ein auffallender Beweis für diese Behauptung ist in einem alten französischen Wert Recreactions mathematiques" von Ozonam enthalten, das schon im Jahre 1778 veröffentlicht wurde. Es heißt darin:" Man hat feit einigen Jahren versucht, die Feuermaschine dazu anzuwenden, im Wagen zu betreiben, und man hat sogar im Arsenal bon Paris ein Experiment damit gemacht. In der Tat ist die Mafchine gelaufen, aber ich halte diese Idee doch immer mehr für genial als für praktisch ausführbar. Es würde auch keine große Annehmlichkeit für die Reisenden sein, hinter sich eine Maschine zu wissen, die sie jeden Augenblick in die Luft schleudern könnte, und ich bezweifle, daß die Pläße im Fond eines solchen Wagens fonderlich gesucht sein würden." Noch interessanter werden die Ausführungen dieses alten Buches dadurch, daß unmittelbar neben dem Automobil das Dampfboot besprochen wird, weil sich dadurch die Frage aufdrängt, warum das Dampfboot wohl schon etwa 20 Jahre nach jener Zeit und das Automobil erst mehr als ein Jahrhundert später in den Verkehr eingeführt wurde. dort auch von dem Versuch mit einem Dampfboot auf der Seine die Rede, der aber recht kläglich ausfiel. Das Boot war mit einer" Feuermaschine" ausgerüstet und hatte Räder, deren Speichen als Ruder dienen sollten. Infolge des zu heftigen und plöklfthen Antriebes, den diese Räder von der Maschine empfingen, sprangen Sie jedoch in Stücke. Mancher Ingenieur der Gegenwart möchte twohl etwas darum geben, wenn er bei diesem Experiment hätte dabei sein können, oder wenn er heute etwa eine kinematographische Vorführung davon betrachten könnte. Damals aber stand man dem Versuch überhaupt mit größtem Bedenken gegenüber, und der Verfaffer jenes alten Werkes bemerkt dazu, daß die Mehrzahl der Mechaniker, die bei den Vorbereitungen zugegen gewesen waren, einen derartigen Mißerfolg vorausgesehe hatten. Jetzt fann man es sich faum mehr vorstellen, von welcher Art diese Maschinerie gewesen sein muß, die beim ersten Anlaß in Stücke zerflog. Mit seiner Prophezeiung bezüglich des Automobils hat das Verantwortl. Rebatteur: Hans Weber, Berlin.- Drud u. Verlag: Vorwärts Buchdruckerei u.Verlagsanstalt Paul Singer& Co., Berlin SW.
Es ist
- Der Kölnische Karneval degeneriert von Jahr zu Jahr mehr. Das ist erklärlich. Wirkliche Volksfeste können nur aus einem einheitlichen frohen Voltsbewußtsein erwachsen und haben ein freies politisches Leben zur Voraussetzung. Und wo sollte das herkommen? die Interessenten um Krampfhaft bemühen sich die Bürger und die Belebung des Karnevals und doch ist der liebe Müh' umsonst. Das liest man auch zwischen den Zeilen einer Betrachtung in der Köln . Zeitung" heraus:
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" Der Karneval lebt, mag man ihm Freund oder Feind sein, er hat eine breite Wurzel in der Volksfeele, er ist in feinen Ermögen scheinungen ein Bestandteil des Volkscharakters. Er lebt gelehrte Doktores, die neidisch auf Köln , auf seine Bedeutung, sein Kölnisch Wasser und seinen Karneval find, die Diagnose stellen: Er liegt im Sterben! Er lebt im Voltsbewußtsein als ein ererbtes Gut, und mag das Gut nun wertvoll oder antiquiert sein, ererbte Güter, mag ihnen auch eine neue Politur von Nutzen sein, sind mit einem flüchtigen Wort, einem hämischen Satz oder einer unwissen schaftlichen ärztlichen Diagnose" nicht weggewischt."
Und
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fügen wir hinzu durch Palliativmittel nicht in lebendigen Besitz wieder umzuwandeln.