Anterhallungsblatl des Horwärts Nr. 33. Dienstag, den 19� Februar. 1907 (Nachdruck verbolm.l 35] JVladamc d'Ora. Roman von Johannes V. Jensen. Als sie durch die belebten Straßen in Brooklyn ge- kommen waren, beschleunigte Hall die Fahrt, und sie fuhren landeinwärts. Eine lange Strecke jagten sie mit allen fünf- »indzwanzig Pferdekräften der Maschine: die starke Be- wegung, der Luftzug und die Abkühlung taten ihnen beiden Wohl. Gegen fünf Uhr gelangten sie an den Strand jenseits von Long Island , da wo sie schon einmal vor ein paar Monaten gewesen waren. Leontine sah Edmund lächelnd an, als er den Wagen anhielt, sie freute sich, daß er sie hier hinausgeführt hatte, sie kannte den Ort. Sie setzten sich in das Gras auf den niedrigen Strand, gegen den kleine, klare, träge Wellen plätscherten. Am Horizont waren drei, vier Dampfer sichtbar. Ohne zu zögern, nahm Hall Leontinens Arm und wickelte das Taschentuch ab. Das Blut in der Wunde war geronnen. Und während er nun unverwandt die geschwollene und angetrocknete Wunde betrachtete, er- zählte er ganz ruhig, was das Schlimmste war. Leontine zuckte nur ganz leise zilsammen, als sie hörte, daß sie tödlich angesteckt war. Ihre Augen wurden unklar und sie errötete ganz bis an den Hals hinab, aber sie lächelte: „Das macht nichts, Edmund," sagte sie auf ihre ehrliche Weise. Leben war ja für sie gleichbedeutend mit Hoffen. Selbst jetzt.„Es ist wohl nicht so schlimm. Ich bekomme also die Hundetollwut. Aber das kommt ja nicht gleich so auf einmal, nicht wahr?" „Es kann Monate währen, aber auch nur Tage— es kann auch in wenigen Stunden zum Ausbruch gelangen. Ich fürchte--" „Das macht nichts," entgegnete sie mit einer Miene,„als verfüge sie über alle Reichtümer der Welt. Ich wäre auch ohnedem heute noch gestorben, Edmund." „Wie meinst Du das?" Sie nickte leise in geheimnisvoller Laune. „Ich hätte mich doch heute abend ertränkt." Sie wandte ihr Gesicht ihm zu und sah ihn vergnügt an. Ihre blauen Augen lachten in ihren Höhlen. „Warum hättest Du Dich ertränkt, Leontine?" „Ach!" Sie warf den Kopf leichtsinnig in den Nacken. Sie strich ihm die Mütze vom Kopf und fuhr mit ihren Fingern durch sein Haar, das fast weiß war. Sie war so zufrieden. „Warum? Ich könnte mancherlei Gründe haben. Ich wollte ins Jenseits hinüber, natürlich. Glaubst Du nicht, daß es Dich interessiert hätte, wenn ich in den Sitzungen als Geist erschienen wäre?---- Aber jetzt---" Er schloß die Augen geblendet wie vor einem glühenden Eisen. „Bist Du böse, daß ich Mirjam ergriff?" fragte sie schnell.„Ich konnte es nicht lassen, Edmund. Ich war so eifersüchtig. Aber glaubst Du nicht, daß es doch gnt war, daß ich es tat? Sonst hätten sie Dich wohl dahin gebracht, Dir das Leben zu nehmen. Ich bin fest überzeugt, daß er da drinnen stand, bereit. Dich zu erdrosseln. Aber wir wollen nicht mehr darüber reden. Jetzt ist es ja alles vorbei." „Ja. Ja, jetzt ist es vorbei." Nach einer Weile fragte Hall: „Was machen wir jetzt?" „Das weiß ich wirklich nicht," antwortete sie lachend. „Du pflegtest ja Getränke in Deinem Wagen zu haben, findest Du nicht auch, daß wir etwas genießen sollten? Wir haben ja Zeit genug. Ich brauche mich nicht zu ertränken, da ich doch sterbe, und Du hast niemand, nach dem Du Dich sehnen kannst, da wollen wir es«ns gemütlich machen." Sie schüttelte ihren verwelkten Kopf, sah mit Entzücken die kleinen, gemächlichen Wellen an. Der eine Arm lag lahm in ihrem Schoß. Hall erhob sich und holte eine Flasche Rhein- wein aus dem Wagen. „Der ist ja warm.!" rief sie bedauernd aus, als sie ge- trunken hatte. Sie saßen lange schweigend da. „Leontine." sagte Hall grübelnd und mit großer An» strengung,„Leontine, ich trat meine Reise nach Europa in diesem Frühling doch mit der Hoffnung an. Dir zu be- gegnen..." „Wirklich, lieber Edmund?" „Ja. Jetzt weiß ich es. Aber ich wußte es damals nicht. Ich ging in London umher und grämte mich." „Gingst Du dahin, wo wir gewohnt hatten?" „Ja, das tat ich." „Edmund, warum wolltest Du Dir an jenem Tage auf dem Schiff das Leben nehmen? Ich habe nie gewagt, Dich danach zu fragen. War das auch, weil Du mich liebtest?" „Nein, Leontine," antwortete er langsam.„Ich war nervös und überanstrengt... ja... ja." Er grübelte lange, mit ganz friedlichem Gesichtsausdruck. Plötzlich war es, als werde ihm etwas klar, er sah sie leb- hast an. „Du, ich bin immer Selbstmörder gewesen. Und zwar im Grunde ans Lebenslust— aus Ungeduld— Ungeduld! Das Leben ist so kurz. Ich habe mich verzehrt vor Sehnsucht, niehr zu besitzen, als mein Teil war, und das hat mich nur meine Zeit gekostet. Ich fing gestern an, und heute bin ich ein alter Mann. Ich tat ein Stück Arbeit in meinem Leben, nicht mehr als eins, und das nahm mir achtzehn Jahre. Es war ein Gedanke, der mir in einer Morgenstunde kam, in dem. Bruchteil eines Augenblicks. Ach, die Angst hat mir tagtäglich den Blick verdunkelt. Unzählige Male habe ich geglaubt, ich sei tot, da das Ganze ja doch nichts weiter ist als eine Wanderung bergauf und an der anderen Seite wieder bergab. Welch Unterschied besteht zwischen Newton und mir, weil er tot ist? Warum ist mein Dasein wirklicher als das seine? Es ist ja doch unwesentlich, daß ich nach ihm geboren bin, daß ich n o ch nicht tot bin. Das war es, was ich fühlte. Keine Zeit! Ich verschmähte das Geschenk von dreißig Erdumdrehungen. Ja, und dann war ich unglücklich in Dich verliebt, Leontine." „Warst Du es also doch!" lachte sie sanft. Sie gab sich einen Ausdruck heiligen Staunens. „Monsieur reist nach Europa , um seine verlorene Ge- liebte aufzusuchen, und als es ihm gelungen ist, sie zu meiden, kehrt er zurück und wird nur durch die sehr zeitgemäße Da- zwischcnkunft besagter Geliebten vom Tode errettet. Monsieur versöhnt sich hübsch mit seiner einstigen Freundin in dem- selben Augenblick, als sein Herz an Bord in eine schöne junge Armenierin hineinfliegt,— nein, in den Schatten einer jungen Armenierin,— Edmund!" Er senkte stumm den Kopf, saß lange da, als erwarte er einen Schlag. „Sie haben uns angeführt," sagte Leontine trocken nach einer Weile.„Sie haben uns gejagt und uns eingeholt." Sie leerte ihr Glas, riß einige Grashalme heraus. Dann bemerkte sie: „Gott weiß, ob Du jemals etwas anderes gesehen hast, als daß sie nackend wart Ja, ja! Das muß Dir wohl als Entschuldigung dienen. Ich muß mich damit trösten, daß Du auf alle Fälle geliebt hast. Ich glaube, im Grunde hast Du m i ch die ganze Zeit geliebt, Edmund. Aber ich war ja im Begriff, eine alte Jungfer zu werden. Ich weiß sehr wohl, daß ich Dich gequält habe mit Wiederholungen, mit Zynisnien, die ich ringsumher aufgesammelt hatte, indem ich Deine Nerven verletzte, indem ich Dich nicht verstand. Aber..." Sie seufzte, als ob alles, alles jetzt aus ihr erschöpft sei. Er sah nicht auf. Das Wasser trieb leise plätschernd gegen den Strand. Es war ein so ganz gewöhnlicher Tag. Das Gras stand nach des Sommers Hitze mit versengten Flecken da, aber darin lag nichts Sonderbares. Der Himmel war wolkenlos. Die blaugrüne Fläche des Meeres hob sich vom Horizont ab, weder weiter entfernt noch näher als sonst. Es war das ein für allemal wohlbekannte Wasser, das gleich- mäßig wogt, mag man es ans einer Vergnügungsfahrt durch- furchen, oder mögen schiffbrüchige Matrosen auf den Ruder- bänken das Los ziehen, wer zur Nahrung für die übrigen oelchlacktet werden soll.
Ausgabe
24 (19.2.1907) 35
Einzelbild herunterladen
verfügbare Breiten