eine allmähliche Umgestaltung und Hebung der unteren Volksllassen, eine geordnete und gesunde EntWickelung der wirtschaftlichen Kräfte der Mittelklassen, eine Aristokratie Vr Gedanken, der Wissenschaft, der Kunst in einer im höchsten Sinne nationalen Pflege des Genius." Gegrollt hat er bis zuletzt, versöhnt hat er sich nicht, weder mit der Pfaffenwirtschaft, noch mit der herrschenden Horde der Affaristen (politischen Streber). Alle, die für eine Erneuerung der Gesellschaft auf der Grundlage volkstümlicher Kultur und Freiheit und Wohl- stand arbeiten, dürfen an Cardueeis Bahre das stolze Wort sagen: „Denn er war unser."... Auch dem Blute nach gehörte er der revolutionären Bewegung: sein Vater war Carbonaro. als solcher verfolgt und gehöht und starb als armer Landarzt, Cardueei die Sorge für seine Familie hinter- lassend. Kaum 24 Jahre alt, heiratete der damalige Gymnasiallehrer seine Cousine, die mit drei Töchtern den Großen überlebt. Im September 1860 erfolgte der Ruf an den Lehrstuhl für italienische Literatur an der Universität Bologna , wo er arbeitete und lehrte, bis ihn 1904 die zerrüttete Gesundheit zur Ruhe zwang. Schon 1885 war er durch Ueberanstrengung erkrankt, 1900 lähmte ein Schlaganfall deS Dichters linke Seite. Seitdem begann die Auf- lösung langsam und unaufhaltsam, bis eine kurze akute Krankheit das Licht für immer auslöschte, auf das so viele junge Augen be- wundernd und strebend geblickt haben. Keine Clique von Verehrern, keine lobhudelnde Schmarotzerbande umsteht die Bahre. Cardueei hat sich diese Leute fernzuhalten ge- wüßt, mit einem sich oft brutal äußernden Bedürfnis nach Reinlich- keit und Charakter. Er hatte ein gerades Rückgrat und konnte die gebückten Leisetreter in den Tod nicht leiden. Um Cardueei klagt ganz Italien , als um seinen vornehmsten Zohn. Vergangene Größe des Altertums verkörpert sich in ihm, und die kommende Größe des vierten Italiens wird in seinem Lebenswerk wurzeln. Er hat an dieses Kommende geglaubt und an die„heilige Kanaille", die mit ihrem Blute die Felder der Menschheitserneuerung düngt. > kleines Feuilleton. Die Wiege des Menschengeschlechts. Zu einem eigenartigen Beweismittel dafür, daß die Wiege des Menschengeschlechts in einem warmen Lande innerhalb der Wendekreise gestanden haben muß, eine Annahme, die durch mancherlei Ergebnisse wissenschaftlicher Forschung gestützt wird, gelangt Dr. Ludwig Reinhardt in einem Artikel über„Die Bedeutung der Milch als Nahrungsmittel" im ,.5kosmos". Dieses Beweismittel liefert ihm die Zusammensetzung der Menschenmilch, die relativ fettarm, dafür aber zuckerreich ist. Nach den Milchanalysen, die im physiologischen Laboratorium von Prof. v. Bunge in Basel ausgeführt wurden, ließ sich eine strenge Gesetzmäßigkeit� im Unterschied von Fett- und Zuckergehalt bei den verschiedenen Säugetieren festlegen. Wie der Mensch, je nachdem er in einem kalten oder warmen Lande wohnt, seine Kost modifiziert, indem er in einem kalten Lande instinktiv eine fettreiche, dafür aber eine zuckerarme Nahrung genießt und umgekehrt in einem warmen Landstrich eine zucker-, beziehungsweise stärkereiche, aber fettarme Kost bevorzugt, so ist dementsprechend auch die Milch der Tiere, die in einem warmen Klima leben, oder in einem solchen ursprünglich zu Hause sind, reich an Zucker und arm an Fett, wie beispielsweise bei Kamel, Lama, Pferd, Esel, während die Milch der Bewohner des Nordens, zum Beispiel des Renntiers, reich an Fett und dafür arm an Zucker ist. Der überaus hohe Fettgehalt der Milch des Schwarz- wals, eines Bewohners des nördlichen Eismeeres, dessen Fettgehalt dreimal so hoch ist als selbst beim Renntier, erklärt sich aus einem doppelten Grund, indem dieses Tier nicht bloß ein Bewohner des kalten Nordens, sondern dazu noch ein Wasserbewohner ist. d. h. es ist umgeben von einem besseren Wärmeleiter als die Luft- bewohner, bedarf also zur Behauptung seiner konstanten Körper- temperatur, die es im Gegensatz zu den wechselwarmen Fischen auf- weist, der intensivsten Wärmequelle, nämlich des Fettes, in Höherem Maße als die von dem schlechteren Wärmeleiter Luft umgebenen Landtiere selbst des hohen Nordens. Die diesergestalt festgelegte Gesetzmäßigkeit in der Zusammensetzung der Milch bei den Tieren übertragen auf den Menschen, ergibt die schon genannte Annahme, daß das Menschengeschlecht aus einem warmen Landstrich hervor- gegangen sein mutz.— Naturwissenschaftliches. mb. Aus der Kampfzeit der modernen Natur- Wissenschaft. Zu den berühmtesten wissenschaftlichen Gesell- schaften der Welt gehört die englische„Royal Society "(Königliche Gesellschaft), die im Jahre 1661 in London gegründet wurde. Sie hatte zwei Vorläufer: zwei wissenschaftliche Bereine, die seit 1649 in London und in Oxford existierten. Der Oxforder Verein versammelte sich in der Wohnung Dr. Pettys, der später als Sir William Petty bekannt wurde und als politischer Oekonom hervorragendes geleistet hat. Der Zweck der Gesellschaft war:„einen Mittelpunkt zu bilden für würdige Personen, die in der Naturphilosophie(Naturwissenschaft) und in anderen Gebieten menschlichen Wissens forschen wollen, besonders aber in dem Gebiete, das n?au Neue Philosophie oder Experimentale Philosophie genannt und die seit Galilei in Florenz und Baeo in England mannigfache Anhänger in Italien , Frankreich , Deutschland und England gefunden hat." Die Gesell- schast hat sich seitdem einen Weltruhm erworben; zu ihren Mit« gliedern gehörten die bahnbrechenden Geister Englands, wie Newton, Davy und Darwin ; ihre Medaillen, die sie von Zeit zu Zeit an verdienstvolle Gelehrte der Welt verleiht, werden hoch geschätzt. Aber im ersten Jahrhundert ihres Bestehens hatte sie viele Ber- folgungen zu bestehen. Schöngeister. Geistliche und Politiker wurden gar nicht müde, sie durch bitteren Spott, fanatische Beschuldigungen und„überlegene" Beweisführungen zu widerlegen und zu töten. Die Ursachen der Angriffe loaren folgende: Erstens: Der Zweifel der Gesellschaft an der Wahrheit deS damaligen Wissens, sowie die Ausstellung des Grundsatzes der freien Forschung. Zweitens: Die Anerkennung der Vernunft als höchster Autorität; die Auffindung der ursächlichen Zusammenhänge der natürlichen Er- scheinungen. Drittens: Die Ulltersuckjung der Natur der Tiere. Pflanzen und Mineralien; die Anwendung von physikalischen Instrumenten. Diese Ziele und Methoden, die uns heute als etwas Selbst- verständliches erscheinen, versetzten damals den größten Teil der englischen Nation in Aufregung und Schrecken. Es wurden zahl- reiche Pamphlete gegen und für die Königliche Gesellsckiaft geschrieben. Ein Vikar in Sommersetshire verfluchte die Gesellschaft als eine Verschwörung der Jesuiten gegen das englische Volk und seine Religion, etwa wie Eugen Richter den Lassallesche Arbeiter- verein als eine Verschwörung Bismarcks und seiner Leute gegen den Liberalismus brandmarkte. Der Vikar erklärte, die optischen Gläser der Naturforscher seien unmoralisch, da sie die Dinge in einem unnatürlichen, falschen Lichte erscheinen lassen. Es sei ungemein leicht, das Verderbliche der optischen Gläser zu be- weisen; man nehme zwei Brillen und gebrauche sie gleichzeitig und man werde nicht so gut sehen, wie durch eine Brille. Da aber Mikroskope und Teleskope aus mehreren Gläsern bestehen, so seien diese Instrumente nur zum Zwecke des Betruges eingeführt worden. Der berühmte Prediger Dr. South aus Oxford , dessen Predigten wahre Muster der Kraft und Schönheit der englischen Sprache sind, erklärte, die Mitglieder der Königlichen Gesellschaft bewunderten nichts so sehr als Flöhe, Läuse und sich selber. Und Jonathan Swift , der größte Satiriker Englands, beschrieb in seinem wellbekannten Buche:„Gullivers Reise " die gelehrte Akademie von Lagado, unter der die Londoner Königliche Gesellschaft zu verstehen ist, folgendermaßen: In der Akademie seien die Naturphilosophen damit beschäftigt, Sonnenstrahlen aus Gurken herauszuziehen, sie in luftdichte Flaschen einzusperren, und sie bei kaltem Wetter heraus- zulassen um die Menschheit zu ertvärmen. Andere Projekte dieser Gelehrten gingen darauf aus, verkalktes Eis in Schießpulver zu ver- wandeln, Marmorblöcke in weiche Polster, und beim Bau von Häusern mit dem Dach anzufangen und nach unten zu bauen bis zu den Fundamenten. Eine der besten Antworten auf diese Satire schrieb Joseph Glanville, ein Mitglied der Königlichen Gesellschaft, im Jahre 1665. Sein Buch heißt:„Plus Ultra", over der Fortschritt und die Förderung der Wissenschaft seit den Zeiten von Aristoteles . Er bringt den Beweis, daß Zeitgenossen selten imstande sind, neue Gedanken und Methoden zu würdigen und daß«spätere Geschlechter die Mut- maßungen und Forschungen, die anfangs fiir lächerlich und fremd- artig gehalten wurden, als greifbare Realitäten verwirklicht sahen." Glanville prophezeite", es werde eine Zeit kommen, wo Menschen, die räumlich von einander so weit entfernt sind, wie England von Indien , mit einander werden sprechen können." Selbstredend lachten die Gegner der Naturwissenschaften darüber noch mehr, aber die König - liche Gesellschaft betrachtete Glanvilles Buch als die wirkungsvollste Verteidigung, so daß eines ihrer leitenden Mitglieder ausrief:„Nun mögen die Hunde den Mond anbellen, bis ihre Hälser trocken sind." Außer Swift sind die Satiriker und Verfolger der Königlichen Gesellschaft vergessen. Und die Naturwissenschaften blühten auf und revolutionierten die Welt mit Hülfe jener Methoden und Instrumente, die als Träume und Betrügereien von so vielen praktischen, klugen und frommen Leuten gebrandmarkt wurden.— Medizinisches. Horn Hautpfropfung. In der„Umschau" berichtet Dr. Mehler über einen gelungenen Versuch, Hornhautstücke von einem Menschen auf einen anderen zu übertragen. Hornhaut» Pfropfung ist der Ersatz undurchsichtigen Hornhautgewebes im Auge durch ein anderes durchsichtiges Gewebe, um das Sehen zu er» leichtern oder zu ermöglichen. Der Gedanke dieser Operation stamnit von Reisinger(1824). Er wollte die getrübte Hornhaut des Menschen durch die eines Tieres ersetzen, ein Verfahren, dem er den Namen Keratoplastik gab. Die bedeutendsten Chirurgen griffen seine Idee auf und versuchten durch neue Instrumente, besondere Operationsmethoden usw. die bis dahin schlechten Re- sultate zu verbessern. Alle diese Bemühungen führten zu keinem Erfolg, so daß fast 30 Jahre diese Operation nicht mehr aus» geführt wurde. Erst in den 70er Jahren durch Power und von Hippel wurden die Versuche wieder aufgenommen. 1878 verpflanzte Sellcrbeck auf das durch Hornhauttrübung völlig erblindete Auge eines Mannes die Hornhaut eines L'�jährigen Mädchens. Am 14. Tage konnte der Patient lesen, allein schon nach kurzer Zeit trübte sich auch der überpflanzte Hornhautlappen und da»
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24 (21.2.1907) 37
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