Am Sonnabend hat Fra» Despres bei ihrem erneuten Gast- spiel im Neuen Theater wieder einmal ihre Phödre gespielt Es war ein interessantes Experiment. Racines Tragödie, die aus dem altgriechischen Sagenstosfe ein regelrechtes„klassisches" französisches Theaterstück gesonnt hat, im abgezirkelten Alerandrinerschritt und niit gleichmäßig plätschernden Reiinen, wurde aus dem klassischen Stil der Attitüden und des Pathos ins Natura- listische, Moderu-Menschliche übersetzt. So mußte in der Tat von der DeSpres die Phodre verkörpert werden. Der Lebende hat Recht. Jede Generation schafft sich ihren eigenen Stil. Aber wenn dieser Stil auf einen anderen Stil angelvendet wird, so gibt es Dishannonien. und keine noch so verdienstliche Dar- stellung, kein noch so glückliches Gestalten nach einem neuen Stilgefühl gibt einen restlos befriedigenden Einklang. Ob Racine mit modernen Mitteln uns überhaupt menschlich näher zu bringen ist, als mit den übernommenen, das ist die Frage. Aus alle Fälle ist der Versuch dankbar, wenn eine DeSpres ihn unternimmt. Ein schcueS, zartes Mädchen dünkte sie uns, die ihr inniges Gefühl und die innerliche Tragik, die wir an ihr bewundern, in Racines Königin hineinlegte. Kein Stelzengang der Deklamation, keine lauten Gesten, kein Tragödinnenschrei. Dafür das fein abgestufte Helldunkel deS Gefühls und eine schöne, zartlinige Plastik. Dem L'Oeuvre-Theater wird das gute Enscmblespiel nach- gerühmt. Aber nicht alle Darstellendeit rechtfertigten den Ruf.. Herr Lugnö-Poe(Theramöne) und Phsdres Vertraute, Madame Lemercier, noch am besten. Aber ein allzu stutzerhafter Hippolyte und eine weder griechische noch racinemäßige geartete Aricie störten einigermaßen.— r. Freie Volksbühne lim Berliner Theater):„Bau- meister S o l n e ß". Es ist eine eigene Bewandtnis um die Feierlichkeit in den Jbsenschen Dramen. Im„Baumeister Solneß" scheint das Leben aus geheimen Tiefen zu sprechen. Der Dialog bewegt sich oft an den äußersten Grenzen weihevoller Tragik. Da mag es wohl häufig geschehen, daß der Dichter mißverstanden wird? daß der gespannte Ernst, der in den Worten und Situationen liegt, im Publikum einer heiteren Auslegung begegnet. Ibsens Höhen- kunst verträgt sich sehr schlecht mit Lustspielstimmung von gewöhn- lichem Schlage. Sie fordert auch dort, wo des gealterten Dichters Hinneigung zu mystischen Rätseln und seltsamer Symbolik be- fremdend vor die Smne des Hörers tritt, respektvolle aufhorchende Stille. Allerdings stellt Ibsen auch an die Darsteller große Anforderungen. Die Titelrolle hier ist wohl eine der schwierigsten. Sie muß aus tieffter seelischer Verinner- lichung heraus gestaltet werden, um auch überall zur äußerlichen Klarheit und Deutlichkeit zu gelangen. Daß Magnus Stift seiner schweren Aufgabe durchaus sich gewachsen zeigte, kann nicht behauptet werden. Er suchte mehr durch äußer- liche schauspielerische Behelfe zu wirken; vom innerlichen Verwachsen- sein mit seinem Helden war wenig zu verspüren. Gleichwohl zeigte der Künstler hie und da, daß er zu einer Vertiefung in: Geist und Sinn des Baumeisters Solneß gelangen kann. Eine rechte Hilde Wange! war auch Meta Jäger nicht. Der jugendfrohen Unbe- kümmertheit wird sie prachtvoll gerecht; wo Feierlichkeit und Ernst in ihre Rolle treten, versagt ihr soubrettenhaft sprudelndes Talent. Was sie dann gibt, ist gezwungen. Else Schlösser gab die Gattin des Baumeisters mit mehr Starrheit als natürlicher Schmerz- durchsättigung. Erna Pawlitzky als Kaja Fosli, Ernst Neßler sDr. Herda!) und Lothar Äövner Wagnar Brovik) sind dann noch zu nennen. Eine vorzügliche Charokiercharge bot Claudius Merten als Knut Brovik.— e. lc Literarisches. Carlo Goldonis , des italienischen Lustspieldichters des acht- zehnten Jahrhunderts, der noch lebendig geblieben ist, wird in diesen Tagen bei der 200. Wiederkehr seiner Geburt gedacht. Seine venezia- tuschen Landsleute veranstalten, wie das so üblich geworden ist, ihm zur Ehre Feste und geben endlich eine gute Gesamtausgabe seiner Dramen heraus, die sich auf etliche IM belaufen. Ein rechter und schlechter Theatermann war Goldoni . S8on_ früh auf zogen ihn seine Neigungen zur Bühne. Studien und die Advokatenlaufbahn gab er rhr zuliebe auf. Ein reichbewegtes Leben und frisches Beobachtungstalent machten ihn zu seinem Berufe sehr geeignet. Sein Schaffen war ein außerordentlich leichtes. In einer Stagione— Saison würde» wir heute sagen— schrieb er einmal 1ö Stücke. Nicht allzuviel lebt noch davon, aber immer ist doch noch ein Teil seiner Lust- und Charakterspiele auf dem Repertoire. Uild italienische Schauspieler— wie die Duse und Novelli— haben ihn auch im Auslände immer noch mit Erfolg gespielt. Venedig lag im 18. Jahrhundert im Todeskampfe. Wirtschaftlich rumiert, politisch und. gesellschaftlich korrumpiert, war es nur noch ein Kadaver ehemaliger Größe und Pracht. Aber sein langsames Dahinsiechen wurde zu einem ewigen Karneval. Man amüsierte sich, koste es, was es wolle. Venedig war so eine Theaterstadt im hervor- ragenden Sinne. Und Goldoni wurde einer seiner leichten und besseren Theaterunterhalter. Kein ernstes, höheres Streben, keine Satire— wie wäre sie auch möglich gewesen—. aber etwas sanfte Moralisiererei und dann möglichst nawr- getreues Konterfeien des LebcCs in seinem Durchschnitt— das charakterisiert fein Schaffen. Und doch war er dabei ein Re- former. Er führte— allerdings nach toskanischem Wtuster— das regelrechte Drama in Venedig und damit in Italien ein. Wie Gottsched bei uns, kämpfte er gegen die Stegreifkomödie, die sogen. commsclm dell'aite mit ihren stehenden Figuren. Auf die Dauer blieb er Sieger, aber die natürwüchsige, volkstümliche ältere Form des Dramas hielt sich noch lange. Die Kämpfe aber, die sich darum entspannen, trieben ihn nach Paris , wo er des Königs Kinder im Italienischen unterrichtete. Voltaire und Roust'eau schätzten ihn, er schrieb auch französische Komödien. Wie er selber von Macchiavellis kräftig satirischer Mandragola und besonders von Molieres Charakterdramen abhängig war, so wirkte er auch wieder auf die Entwickelung des französischen Dramas. Diderots bürgerliche Rührstücke stehen unter seinem direkten Einfluß. Die französische Revolution erlebte der politisch Ahnungslose noch. Sie brachte ihn, der von ihr nichts mehr begriff, um seine Pension. Harte Tage kamen. Der Dichter Andrö Cbönier setzte es aber 1793 im Nationalkonvente durch, daß ihm die Pension wieder bewilligt wurde. Er war aber bereits tot, als man ihn davon be- nachrichtigen wollte. Goldonis Memoiren geben ein gutes Spiegelbild seiner Person und seiner Zeit. Kein Sturm und Drang , kein Ahnen und Kämpfen fiir neue Ideen, Geniächlichkeit und künstlerisch angeregte Klein- bürgerlichkeit prägen sich darin aus. Kotzebue und Jffland bieten eine Anzahl Vergleichspunkte, nur daß Goldoni mehr bedeutet. Seine Laune, sein Humor und Witz und seine Charakterisierung des enghorizontigen venezianischen Lebens, das er so gut kannte, seine Volkstünilichkeit, die ihn vielfach im Dialekt dichten ließ, werden ihn noch länger lebendig erhalten als einen kulturhiswrisch interessanten und immer noch amüsanten Mann vom Theater, der sein Fach verstand. Humoristisches. — Die zweite Haager Friedenskonferenz! Da die erste Haager Friedenskonferenz einen so koloffal mörderischen Erfolg errungen hatte— vergleiche russisch -japanischen Krieg!— so sieht sirti das Komitee veranlaßt, in Bälde schon eine zweite Friedenskonferenz zu arrangieren: Aus Petersburg kommt die Meldung, daß die russische Regierung das Pogrom für die zweite Konferenz bereits fertiggestellt habe; die Vorschläge an die Regierung lauten: 1. Zur Schlichtung von Streitigkeiten werden allerorts Feld- gerichte errichtet. 2. Meinungsverschiedenheiten werden durch Pulver und Blei ausgeglichen. '3. Um eine schöne Einigkeit zu erzielen, werden Andersdenkende gehenkt. 4. Als Ort der Zusanimenkünfte wird ein russisches Gefängnis bestimmt. Der Zar beantragt, daß mit der Durchführung der obigen Vor- schäge eine bombensichere Persönlichkeit aus seiner unnutlelbaren Umgebung betraut werde. Schließlich hegt der Zar den aufrichtigen Wunsch, die Mächte möchten sich hauptsächlich dahin einigen: Auf welche Art eine große Anleihe für Rußland aufzutreiben wäre. — Di e Verlass'ne(das Zentrum zu Biilow):„Du ganz schlechter Kerl! Gel, solang' D' nix g'habt hast, war i Dir recht I Jetzt hast Dir an Andre zuawig'legt! Aba da brennst Di, wenn D' moanst, i mach Dir's Aushülf-Madl!" — Nach dem Begräbnis.„Und so bald hat's sterb'n- müss'n, und sauber iS gwen, und oan Zentner achtzig Pfund hat's g'wog'n."(„Jugend".) — Mildernde Umstände.„Allerdings ist dieses Unglück ipr Saarrevier eine schwere Schickung des Herrn; immerhin aber ist zu bedenken, daß es Ultramontane oder gar Sozialdemokraien ge- Wesen sind." — Pech. „Denken Sie, der arme Kerl war so dumm, daß er Leutnant werden mußte. Und dann hatte er einen gescheiten Ein-' fall, der ihn beim Militär immöglich machte." — Märkischer Adel.„——— und cS ist manchmal schwer, an Gott zu glauben, wenn daS Pfund Schweinefleisch bloß siebzig Pfennige gilt." („Sinrplicissimus".) Notizen. — Gertrud Ehsoldt ist plötzlich an Diphtheritis erkrankt, infolgedessen müssen die Aufführungen von Hedda Gabler in den Kammerspielen des Dentschen Theaters verschoben werden. — Der Kun st maler Professor V.Diez ist in München 68 jährig gestorben. Er war von der alten Garde der Pilotyschüler und Epigonen, die in der geschickten Nachahmung der alten Meister ihr Heil sahen. — Jakob Julius Davids gesammelte Werke werden im Verlage von R. Piper u. Co. in München erscheinen. Erich Schmidt wird die Vorrede schreiben. An der Herausgabe sind Oskar Bie , Ernst Heilborn , Emil Franke, H. Glückmann und Alexander Weilen beteiligt. Verantwortl. Redakteur: Hanb Weber, Berlin.— Druck u. Verlag: Vorwärts Buchdruckerei u.Verlagtanstalt Paul Singer L�Co.. Berlin LlV.
Ausgabe
24 (26.2.1907) 40
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