Nnterhaltlmgsblatt des HorwürtsNr. 47.Donnerstag� den 7. März.19074Z(Nachdruck verboten.)Im I?ampf für foißlancis f rcibcit.Wieder erwartete mich ein geschlossener Wagen. Ichwußte aber nur, daß ich jetzt dieses Gefängnis verließ: wohines ging, davon hatte ich keine Ahnung. Merkwürdig war esaber, daß eine Art Wehmut mich beschlich bei dem Gedankenan meine kleine Zelle, in der ich mich schon eingelebt hatte,und daß ich jetzt vielleicht in ein anderes Gefängnis oder viel-leicht in die Freiheit sollte... Vielleicht!... Warum aberdann so viele Umständlichkeiten? Warum sind diese zwei!Gendarmen da?--- Wozu dieser verschlossene Wagen?>Wahrscheinlich komme ich in ein anderes Gefängnis. Aber �ich werde mich auch dort einleben. Die acht Monate, die ichim Gefängnis zugebracht habe, haben mir Kraft gegeben,meine Ueberzeugung gestärkt und mich innerlich gereift.Jetzt war ich auch„Revolutionär" geworden. Ich hattebeschlossen, mit aller Energie für die Freiheitsbewegung inRußland tätig zu sein. Ich wollte versuchen, selbst zuhandeln.... Dies alles ging mir durch den Kopf, als derWagen vorfuhr. Ich stieg ein, die zwei Gendarmen nahmenauch darin Platz, und im Nu waren wir auf der Straße. Alsich versuchte, den Vorhang etwas wegzuziehen, um doch einwenig vom Treiben und Leben draußen auf der Straße zusehen, riß ihn der Gendarm zurück und bemerkte, daß dasnicht erlaubt sei.Nach langer Zeit hielt der Wagen: wir stiegen aus, undich erkannte den Bahnhof der Nikolaibahn.„Sie werden für eigene Rechnung reisen," sagte derGendarm,„ich habe das Geld erhalten," und sie führten michin eine Wagenabteilung erster Klasse. Dafür haben wahr-scheinlich meine Verwandten gesorgt, dachte ich. Die Loko-motive pfiff, der Zug setzte sich in Bewegung, und noch immerwußte ich nicht, wohin die Reise ging.Es war Anfang Februar 1897. Ueberall lag Schnee,und draußen herrschte ziemliche Kälte. Ich hatte in dem Ge-fängnis seit Ende Mai gesessen, also den ganzen Sommerdort verbracht. Nun erblickte ich die freie Welt ini Winter-gewande wieder. Weite schneebedeckte Ebenen: hier und datauchten Dörfer auf, Tannenwälder zogen vorüber, Schlitten-spuren liefen den Eisenbahndamm entlang und verschwanden,wir überholten Bauern in ihren Schlitten— sie schautendem Zuge nach. Wann werde ich frei sein?Meine beiden Begleiter sorgten für Essen und Trinken,aber im übrigen unterhielten sie sich über ihre Angelegen-Helten, und ich schenkte ihnen keine Beachtung. Ein Ver-such, etwas über unser Reiseziel zu erfahren, hatte keinenErfolg.Zwischen Lesen und Betrachten der Gegend verging dieZeit. Oft war ich diese Strecke gefahren, wenn ich auf unserGut oder nach dem Süden Rußlands reiste. Wohin ging esaber nun? Bringen sie mich nach Sibirien oder in eine kleineStadt im europäischen Rußland? Komme ich in ein anderesGefängnis? Oder hat vielleicht mein Onkel erwirkt, daß ichauf unserem Gute unter Polizeiaufsicht leben darf? Warumsagt man mir nichts?Ich fing wieder ein Gespäch mit den beiden Gendarmenan, und erst jetzt gingen sie langsam aus sich heraus. Ichbot ihnen Zigaretten an und steckte einem etwas Geld zu.'Es war schon Abend geworden, wir mußten bald in Moskaueintreffen, und noch immer wußte ich nicht, ob es weiter ging,oder ob wir in Moskau bleiben sollten.Endlich kamen wir an. Wir stiegen wieder in einen ge- �schlossenen Wagen, der Schnee knirschte unter den Rädern,und weiter ging es ins Unbekannte.---Ich versuchte, die Vorhänge zurückzuziehen, wurde aberwieder von dem einen Gendarm daran gehindert. Endlichhielten wir vor einem erleuchteten Gebäude. Wir standenvor einem anderen, mir unbekannten Bahnhof. Hier stiegenwir in den Zug und setzten die Reise fort. Da hörte ich, kurzbevor die Betten gemacht werden sollten, wie der eineGendarm zu dem anderen sagte:„Wir kommen dann unddann in Wologda an und erhalten dort sogleich Pferde, sodaß wir obne Aufenthalt Weiterreisen können."-- DieReise ging also nach dem hohen Norden. Aber wohin? Undauf gut Glück fragte ich den einen:„Begleiten Sie michdirekt bis Archangelsk, oder erhalte ich in Wologda neueBegleitung?", worauf er gutmütig antwortete:„Nun, eigent-lich sollten Sie es nicht wissen, aber das schadet ja weiternichts. Wir begleiten Sie bis Archangelsk. Ob Sie dannweiter reisen oder dort bleiben, ist uns unbekannt. Siemüssen ein sehr reicher Herr sein, daß Sie mit so viel Be-quemlichkeiten reisen können. Was haben Sie denn ver-brochen?"-- Ich antwortete nichts. Die Betten wurdengemacht, ich legte mich hin, der eine Gendarm warf sich un-ausgekleidet auf den gegenüberliegenden Diwan, und zuseinen Füßen setzte sich der andere zur Wache hin.Am anderen Tage kamen wir in Wologda an. Der eineGendarm blieb bei mir, der andere besorgte ein Dreigespann,eine„Troika". Und nun ging die Reise mit Pferden weiter.Wir reisten Tag und Nacht ohne Unterbrechung undkamen am sechsten oder siebenten Tage spät abends in einerStadt an. Ich war in Archangelsk. Auf mein Verlangenwurde ich in ein Hotel gebracht, wo die beiden Gendarmenbei mir blieben. Uebrigens hatten sie wahrscheinlich ausPetersburg Weisung erhalten, mich sehr zuvorkommend undhöflich zu behandeln.Am nächsten Morgen wurde ich zur Gendarmerie-Verwaltung gebracht und mußte da in der Kanzlei warten,bis meine zwei Begleiter allerhand Formalitäten erledigthatten, dann wurde mir erklärt, ich solle mich nach derKanzlei des Gouverneurs begeben. Hier wurde meineWohnung notiert und mir gesagt, daß ich in den nächstenTagen über mein Reiseziel Bescheid erhalten würde.Ich war in mein Hotel zurückgekehrt ohne die Gen-darmen, die zurückreisen sollten, und erfuhr dort zu meinerUeberraschung, daß meine Verwandten ihre Liebenswürdig-keit soweit ausgedehnt hatten, daß sie mir noch vor meinerAnkunft einen Koffer mit Kleidungsstücken und Büchernhierher gesandt hatten. Alles war vorgesehen, um dieStrapazen einer solchen Reise zu erleichtern. Ich wollte mirgerade die Stadt ansehen, als ein Schutzmann erschien undmir sagte, ich solle sofort zum Gouverneur kommen. Ichwunderte mich darüber, da ich bereits in der Kanzlei desGouverneurs gewesen war, und fuhr mit dem Schutzmannzum Gouverneur. Da erschien ein älterer Herr mit sym-pathischen Zügen im Dienstfrack mit" einem Stern auf derBrust und sagte zu mir auf französisch:„Entschuldigen Sie,bitte, das Mißverständnis. Ich habe den Polizeimeister be-auftragt, sich zu erkundigen, ob Sie zu Hause seien: ich wollteIhnen eine Visite machen. Der dumme Kerl von Schutzmannhat wahrscheinlich den Austrag nicht verstanden und Sie un-nötigerweise hierher bemüht. Ich habe Ihren Herrn Vatergekannt, und als ich zu meinem größten Erstaunen erfuhr,daß Sie hierher verbannt seien, wollte ich mich Ihrer an-nehmen. Ich verbeugte mich und sagte:„Ist das alles,Exzellenz, was Sie von mir wünschen? Dann kann ich jain mein Hotel zurückkehren."—„Nein, Sie haben mich miß-verstanden und sehen in mir bloß den Beamten, und wie esscheint, haben Sie eine Aversion(Vorurteil) gegen Beamte.Das wird die Gefängnisnaft mit sich gebracht haben: sehenSie in mir jetzt nicht den Gouverneur, sondern einen früherenBekannten Ihres edlen Vaters."— Ich dankte ihm, ver-abschiedete mich und kehrte in mein Hotel zurück. Es warennoch keine zwanzig Minuten vergangen, als sich meine Türwie von selbst öffnete. Ich erblickte nur den grüßendenHoteldiener, und schon erschien der Gouverneur auf derSchwelle.„Sie erwarteten mich nicht. Ich habe mich aberdoch soeben anmelden lassen, und mir wurde gesagt, Sie seienzu Hause.".Man hielt es offenbar für überflüssig, mit mir, demVerbrecher, viel Zeremonien zu machen. Der Diener imHotel schien sich auf den Standpunkt eines Polizeibeamtengestellt zu haben.„Das tut nichts, Exzellenz: ich bitte Platz zu nehmen."„Ich komme, Ihnen eine Gegenvisite zu machen, und erlaubemir, in meinem und meiner Frau Namen, Sie zu einemeinfachen Diner bei uns einzuladen." Ich dankte für dieaußerordentliche Liebenswürdigkeit und nahm die Einladung