186-an. Gegen sechs Uhr fuhr ich hin und wurde von seiner Frauund ihm sehr freundlich begrüßt. Bei dem Diner entspannsich eine zwanglose Unterhaltung, wobei der Gouverneursein Bedauern aussprach, mich leider nicht in Archangelskbehalten zu können: er müsse mich nach einer kleinen Stadtweitersenden.„Aber ich hoffe," fügte er hinzu,„daß ich Siein sehr kurzer Zeit wieder hier in Archangelsk begrüßen kann,dann wird Ihnen die Verbannung leichter scheinen, und wirhoffen, Sie oft als unseren Gast zu sehen."„Ja, Exzellenz,ich weiß noch gar nicht, auf wie lange ich verbannt bin. Ichhabe kein Urteil gesehen. In Ihrer Kanzlei wurde mir mit-geteilt, daß ich in den nächsten Tagen einen Bescheid be-kommen würde. Ich finde das, offen gestanden, ungesetzlich!"lFortsetzung folgt.)ISciie GrzählungoUteratur-Von Ernst Kreowski.MaxEhth:„Der Schneider von Ulm. Geschichteeines zweihundert Jahre zu früh Geborenen." 2 Bände. �Stuttgart,Deutsche Verlagsanstalt.) Seit einigen Jahren ist man in Deutich-land und Frankreich eifrig mit der Lösung des technischen Problemsder Flugapparate beschäftigt. Von Fall zu Fall rückt man weiterund glaubt schon nahe an der Vollendung zu sein. Begreiflicher-weise haben die seitherigen Versuche das Jmerefle weitester Volks-kreise auf sich gezogen. Da scheint denn der eingangs genannteRoman gerade zur rechten Stunde gekommen zu sein. Dies uin somehr, als der unlängst verstorbene Max Eyth Ingenieur und Dichterin einer Person war. Nur er vermochte das Schicksal eines Erfindersso tief heraufzuholen und so erschütternd zu schildern, wie er eshier getan. In diesem seinem letzten Werke behandelt Ehth denam 28. September 1771 zu Ulm geborenen Schneider LudwigAlbrecht Berblinger. Es ist das derselbe„närrische Kerl", der sichum die Erfindung eines lenkbaren Luftballons bemühte und nacheinem Leben voller herbster Enttäuschungen ein trauriges Endenahm. Hier trifft sich's obendrein günstig, daß ein Schwabe über einenSchwaben schreibt. Nicht, als ob Eyth auf eine dokumentarischeLebensschilderung feines unglücklichen Landsmannes versessen war.Sondern er verfahrt mit den, Stoff, wie ein echter Dichter immer.Er macht von dem Recht der Anwendung poetischerLizenzen reichlich Gebrauch. Aber auf diese Weise hater ein wirkliches Kunslprodukt zustand« gebracht. Außerdemliefert er einen wahrhaft kulturellen Roman vondeutung. Eyth kennt sein Heimatland- und Volk am besten.Er ist aber auch zugleich ein gründlicher Kenner der württembergischenGeschichte. So sehen wir in die politischen, wie volklichen Zuständeseines Geburtslandes um das Ende des 18. und den Anfang desIS. Jahrhunderts klar hinein. Die lebendige Zeichnung der Personen,gehoben durch eine von köstlichem Humor wechselweise umwobenegemütvolle Darstellimg stempeln das Werk zu einem der besten ausder neueren Volksbücherei.Friedrich Werner van Oe stören:„Christusnicht Jesus"(Egon Fleische! u. Ko., Berlin 1908). Die nichtbloß in der Wiffenschast, sondern auch in der modernen Literaturerzählender Gattung hervorgetretene Differenzierung des Stoff-gebietes hat, wie den«Stände"-Roman überhaupt, so auch denPfaffenroman hervorgebracht. Er bewegt sich naturgemäß in zweiLagern: der protestantischen und der katholischen Konfession eilt-sprechend. Die Konflikte entspringen aus dem Widerstreit der mensch-lichen Natur und dem dogmatischen Zwange. Unter den katholischenPriesterromanen, die bis jetzt erschienen find, nimmt„Christus nichtJesus" eine Ausnahmestellung ein. Es ist ein österreichischer„Jesuiten-Romnn". Bekanntlich spielt dort der Jesuitenorden im so-zialen, wie politischen Leben eine große Rolle. Auf diese staatlichePestbeule drückt van Oesteren den Finger. Im erstenBande entrollt er ein plastisches Bild von der jesuitischenMoral in einem adeligen Erziehungsstift. Eine ganze Galeriepfäffifcher Charakterköpfe führt er da vor. Wir lernen diese Kirchen-stützen in ihrer ganzen Moral kennen. Oberster Grundsatz: derZweck heiligt �die Mittel. Der Name Jesu dient lediglich als Aus-Hängefchild� für allerlei geld- und gewinnbringende Geschäfte derverwerflichsten Art. Christ ist keiner. Oder, wer einer sen» muß,weil er nicht anders kann, der sprengt die jesuitische ZwNgsjackeund versucht fortan als freier Mensch zu leben und sich nützlich zuerweisen. Die Handlung des Romans erscheint ein bißchen breitauf zwei umfangreiche Bände ausgesponnen. Namentlich wird denjesuitischen Pädagogen im Stift ein breiter Raum gewährt. Jedenfallshaben diese Schilderungen Anspruch darauf, dokumentarische Er-lebnisse zu sein: denn der Versaffer selber wurde, wie mir bekanntist, in einem österreichischen Jesuitenstift erzogen. Er schildert alsoWohl Vorgänge, die sich tatsächlich begeben haben. Luch die Welt-lichen Personen des Romans: Offiziersfamilien, Grafen, Barone,Erzherzöge. Prinzen, Theaterdamen usw., sowie alles was drum unddran hängt, scheinen keine Phantafiegebilde zu sein. Daß der Autor«in trefflicher Erzähler ist, der auch zugleich feinkünstlerische Be-gavnng besitzt, verrät er neuerdings durch diesen Roman.Freiherr von Schlicht:„Mobil".(Albert Langen»München.) In diesem neuesten Militärroman des leichtflüsfig unterhaltend schreibenden Autors sind sämtliche Bestandteile gemischt, diedas landesübliche Soldatenhandwerk auszumachen pflegen, als dafind: Drill im Kasernenhos, Felddienstübungen, Paraden und wasdergleichen mehr. Die Handlung spielt selbstverständlich im Kreiseder Regimentsoffiziere und der sogenannten„Gesellschaft" derGarnison. Flirtende Leutnants, die mit kommerzienrätlichen Töchternund anderen reichen Erbinnen liebäugeln und nach ihnen angeln,teils der Liebe, zum größten Teil aber Schulden halber, um durcheine Geldheirat aus allen Klemmen herauszukommen. Manist fortwährend von seiner besonderen„Ehre" als Offizierüberzeugt, pumpt aber jeden an, der einem in den Weg läuft. ImKasino gehts dann wieder als Bruder Lustig her. Mehr als ge-pumpten Sekt trinken, blödsinniges Zeug quatschen, tanzen, Kanonen-rausche ausschlafen, reiche Goldfische ms Garn jagen,„Ehren-schulden" machen,„schneidig" auf Visiten gehen, zuweilen einen...oraliichen Katzenjammer herumtragen, im übrigen ein kompletterHohlschädel sein:— nun, mehr Tugenden wird kein vernünftigerMensch von einem Leuwant erwarten. Und solche Gattung„Mensch"bramarbasiert mit ihrem„Heldentum", den man auf dem nächstenKriegsschauplatze bewäbren werde..... Die Klingen heraus unddem Feinde entgegen I" Im Grunde aber ist's mit all'dem gemnnten„Heldenmute" nicht gar so wert her.„MitGott für König und Vaterland" wird man ja wohl inden„heiligen" Krieg ziehen, wemi's denn schon nicht anders geht.Lieber bliebe man doch zu Hanse, Neße sich vom reichen Schwieger-vapa Kommerzienrat„standesgemäß" unterhalten und trüge dieUniform, weil man, so lang sie einem nicht vorzeitig ausgezogenwird, doch immer vor dem dämlichen Zivilpack mindestens zehnPferdelängen voraus hat. Der Autor kennt ja als ehemaliger Offizierseine Kaste zu genau. Deshalb läßt er's nach allem Aufschneidenzu keinem Krieg kommen. So kann er denn am Schluß aus mehrereglücklich verlobte Paare hinweifen. MarS und Mammon gehen eineEhe ein. Verschiedene Leutnants find gerettet und die„Ehre" nebstBater„Staat" hoffeMlich auch. Der Autor ist ein flotter Erzähler.Mehr aber als seichte Unterhaltungslektüre bietet er nicht. Und alseine Sanre auf den preußischen Offiziersftand wird Freiherr v. Schlichtseinen Roman„Mobil" doch schwerlich verdächtigt wissen wollen.Gustav Naumann:„Vom Lärm auf dunklenGassen'(S. Fischer Verlag, Berlin 1907). Ein moderner Lehrer-und Erziehungsroman ist dies Buch. Daß seine stille Handlung aufschweizerischem Boden spielt, ist nebensächlich— oder auch nicht. Imdeutschen Flachlande wäre manches midenkbar. Hier aber kommt dieAbgeschlosienheit der Bergdörfler hinzu und die großartige GebirgS-natur. Dann die Eigenheit örtlicher Verhältnisse. Die Leute inOberdorf find wohlhabend, ohne daß ihr Wohlstand vom Landbau.oder von Handel und Gewerbstätigkeit herkommt. Aber in jungenJahren ziehen sie in die Fremde hinaus: und wenn sie dort genugVermögen gesamiiielt haben, kehren sie heim, um eS hier nutzbringend anzulegen. So klein diese Gemeinde ist, sie hat ihr Schul-haus. Seit den letzten drei Monaten ist kein Lehrer da. Derletzte steckt im Irrenhaus. Das kam so: Man wollte Beweisehaben, daß er's mit einigen seiner Schuljungen getrieben hätte, daßer sich gewisier Siräflichkeiten schuldig gemacht, kurz, daß er jeden-falls eine krankhafte Natur— ein Homosexueller gewesen. SlS dieSache ziemlich reif war, blieb ihm nur die Wahl zwischen Gefängnisoder Irrenanstalt. Freiwillig wählte er diesen letzteren Aufenthalt.Nun stand die Schulstelle offen. Ehe die. stolzen Bergl'afien einennähmen, der ihnen, ohne daß er einen Berecbttgungsschein besaß.vom Pfarrer präsentiert würde, wählten sie lieber keinen. Ron istFritz Weber nach Oberdorf gekommen. Eigentlich ist er LandschastS-maier, also Künstler von Beruf, lebte in Paris und Rom und reistevon dort her nach Norden. Hier bei Oberdorf erlitt der Postwageneinen Schaden, der ausgebcffert werden mußte. Dieser nn-fteiwillige Aufenthalt wurde für Fritz entscheidend. Da er zuvorseine Vorbildung durch Gymnasium und Hochschitle genosienund auch die Prüfung fürs höhere Lehrfach gemachthatte, so mochte ihm nun der Lehrerberuf verlockend ericheinen. Ererbot sich freiwillig für den Unterricht. Erst waren eS drei Schüler.Er fand Gefallen an dieser Tättgleit, denn er sah einen Erfolg—endlich einmal einen Erfolg, der ihm als Künstler versagt gebliebenwar. Der Ammann wünscht, Fritz möge sich um den vakantenLehrerposten bewerben. Fritz bittet sich Bedenkzeit aus und sprichtmit dem Kirchspielspfarrer. Der beredet ihn, d,e Stelle anzunehmen.Oberndopf zählt 29 schulpflichtige Kinder, meistens Knaben. DieOrtsinsassen wählen ihn, zunächst auf ein Probejahr. So bleibt er.Seine Unterrichtsmethode ist eigentlich mehr künstle risch-ftei, alsschulmeisterlich-pedantisch. Alles läuft dabei auf das eine Ziel hin-aus, an der Hinleilung der Kinder zu modernem Menschentum dieWirkung auf fich selbst zu erproben. Daß diese Methode nicht durch-zuführen sei, ohne daß Fritz in Konflikte mit den Jnsafien gerät.st wohl selbstverständlich. Und die Konflikte bleiben nicht auS. Siesind so seltsam, wie daS ganze Problem an fich. Zwischen Fritzund Ilse, der Tochter de« Pfarrers entspinnt fich eine stille Liebe»-Neigung. Ein benachbarter HülfSlehrer entbrennt in Eifersucht. Erpaßt dem Kollegen auf. wo und wie er nur vermag, denunziert ihnauch, ja er verdächttgt ihn sogar der Knabenliebe. Kurt, ein Jugend-reund und Studicngcnosse Fritz Webers, der irgendwo als Lehreramtet, wirbt um JlseS Hand. Er weiß nicht, wie die beiden zu einanderstehen. Sie gibt ihm nicht gleich ihr Jawort, weil fle noch immer