Nnna Michailownci, zu sehen. Smirnoff hatte recht gehabt: sie waren nur hierher gekommen, um ihre Spur zu verwischen, und wollten nach ein paar Tagen nach dem Kaukasus , wo sie gute Verbindungen hatten, reisen, um dort weiter zu arbeiten. Mit Mühe und Not waren si.-! einer Verhaftung entgangen. Ich habe selten einen so scharfen Kontrast gesehen, wie es in der äußeren Erscheinung dieses Ehepaares zutage trat. Abra- moff war von hohen: Wuchs, hatte ein scharfgeschnittenes Ge- ficht mit unregelmäßigen Zügen, einen struppigen blonden Schnurrbart: er saß meistens still da und wurde nur lebhaft bei Diskussionen, namentlich bei einen: seiner Lieblings- gedanken, über den Einfluß der wirtschaftlichen Verhältnisse auf die Philosophie und die Rechtsbegriffe. Anna Michai- lowna dagegen war eine kleine, zarte Gestalt, lebhaft und energisch, und das eigentümliche war, daß ihr Gesicht einen sehr bestimmten Ausdruck erhielt, wenn die Rede auf die ge- Heime Propaganda kam; die blauen Augen wurden dann dunkel und drohend. Anna Michailowna fand, daß ich alles sehr gut eingerichtet hätte, und überzeugte scheinbar auch den Skeptiker Smirnoff davon. „Was wollen Sie mehr?" sagte sie zu ihm.„Michailoff lebt ganz in der Nähe eines großen Fabrikdorfes, hat gute Verbindungen, steht auf gutem Fuße mit den Vehörden. Man kann hier eine ganze Drr:ckere' errichten, und kein Hund wird ahnen, daß von hier die Proklamationen ausgehen!" Die paar Tage, die Abramoff und Anna Michailowna hei mir blieben, brachten uns einander sehr nahe. „Schade", meinte sie,„daß Sie nicht mit uns reisen können! Wir können nicht hierbleiben und brauchen doch so notwendig einen tüchtigen Helfer, dessen Renommee nach außen hin tadellos ist." „Wer weiß," antwortete ich,„vielleicht kommen wir doch noch einmal zusammen. Sehen Sie sich erst einmal alles in Ihrem neuen Wohnort an, und wenn Sie es für nötig halten, daß ich hinkon:me, so schreiben Sie mir. Und wie wäre es, wenn ich gleichzeitig hier Versicherungsagent wäre und später in Rostoff ein anderes Geschäft übernähme? Ich habe doch einmal den Ruf eines guten Geschäftsmannes, und den könnte Man ja ganz gut ausnutzen." „Ich sehe schon," warf Abramoff dazwischen,„daß meine Frau und Sie vortrefflich zusammen passen. Jetzt kann sie wieder ihre Pläne schmieden!" Um meinem Besuch, den: Ehepaar, alles Geheimnisvolle zu nehmen, hatte ich den Pri'taw und den Postmeister, sowie ein paar Ingenieure zu einem kleinen Abendessen eingeladen. hatte Abramoff und Anna Michailowna dies mitgeteilt und ihnen gesagt, daß ich sie als Vetter und Cousine vorstellen würde. Tie Sache machte sich sehr gut. Der Pristaw war Wieder bald betrunken und machte meiner„Cousine" den Hof, während der Postmeister sich lebhaft mit Abramoff unterhielt. Ich hatte so nebenbei gesagt, aaß mein Vetter Bergingenieur sei und jetzt nach Sibirien reise, um dort für eigene Rechnung Gold zu graben, und der Postmeister erkundigte sich nun genau danach, wie und wo mein �Vetter das Bergwerk kaufen wolle. Abramoff spielte seine Rolle sehr geschickt. Alles, was er auch nur ahnte oder zufälligerweise kannte, wußte er zu verwenden. Leider reiste das Ehepacr dann bald wieder ab. (Fortsetzung folgt.)
Pariser ÜKeater. Von Otto Pohl (Paris ). Wenn man so ein, zwei Jahre von der Theaterloelr Deutsch- lands ferngehalten worden ist und dann ein paar Schritte in die französische versucht, wird man an die Stimmung jene- verlassenen Kreise- nicht ohne eine leise Heiterkeit zurückdenken. DaS kräftige französische LebenSgeffchl, mit seinem«ich von periodische,» Dekadenz- moden unerschütterlichen GleichgewichtSinstinkt, läßt die theatralischen Dinge nicht so schrecklich ernst nehmen, wie das der deutiche„Geist der Schwere" oder öfter noch eine leere, gespielte Gewichtigkeit bei un? vorschreiben. In Deutschland sitzt nich: nur der Kritiker, jeder Zoll ein Lessing, vom Bewußtsein der erhabenen Mission erfüllt, unter dem Strich zwischen Mordgeschichten und Marktberichten EwigtdtS- werte künden zu müssen, im!! arkeit, sondern auch da? Publikum fühlt sich durch den ästhetischen Kodex verpflichtet, dem Thcaterantor Herz und Nieren zu prüfen und ihn in die Wolfsschlucht zu werfen, wenn er nicht das bunte Leben der Bühne der Hebbelschen Formel gemäß mit der elvig waltenden„Idee" in Beziehung zu setzen verstanden bat. Der deutsche Idealismus hat sich in: Hause deS Lebens aus allen Türen werfen lassen, im
Austragsftübchen der Komödie spielt er sich selbst eine Königs- komödie vor. Da aber aus der Kunst nichts herauskommen kann, waS nicht irgendwie inZ Leben hineingekommen ist, entspringt aus diesem unvermeidlichen, innner mehr gesteigerten Mißverhältnis zwischen Forderung und Erfüllung eine Katerstimmung, die manchem Autor grausam die allgemeine Schuld als persönliches Versagen anrechnen mag. In Frankreich haben eS die Autoren, die Direktoren, die Kritiker und da? Publikum besser. Noch immer genügt es hier auf dem Theater, spannend, interessant, farbig oder geistreich zu sein, un- befchadet der ästhetischen Prinzipien. Für die Billigkeit der Ansprüche, die hier an das Theater ge- stellt werden, ist der Erfolg bezeichnend, den die dramatischen Be- arbeitungcn berühmter Erzählungen auch an Bühnen ersten NaugeS haben. Deutsche Theaterdirektoren würden die Vernichlungökritiken fürchten, die das Publikum sofort daran niahnen würden, ein etwa aufsteigendes Wohlgefallen als intellektuelle Barbarei unverzüglich zu unterdrücken und der großen Wahrheit eingedenk zu sein, daß es m der Kunst nicht auf das WaS, sondern auf das Wie ankomme. Hier km, nie im vorigen Jahre der Leiter einer ersten Bühne ungcscheut auf einen, großen Plakat dem Straßenpublikum den Inhalt eines aus Balzacs„Cousine Bette" zusammen- geflikten Theaterstücks zur Anlockung mitteilen. Der in Deutschland durch Fürstenhuld legitimierte dramatische Bastard„Sherlock Holines" hat auf dem französischen Theater Schicksalsgenossen aus vornehmstem literarischen Blnt. Das jetzt von dem kundigen Tbeatermann Gümier geleitete Theatre Antoine hat feine Saison mit zwei dramatisierten Romanen glücklich überstanden. Das erste dieser Stücke war allerdings eine recht läßliche künstlerische Sünde, da das epische Original selbst nicht als Dichtimg, sondern als Dokument und Pamphlet gelten wollte. DaS nach dem gleichnamigen Roman zurechtgeschnittene Drama„ B i r i b i" hat der Aktion gegen das System der afrikanischen Strassompagnien. wohin„ungeberdige" Soldaten im Disziplinarverfahren verschickt werden, entscheidende Antriebe gegeben und so mag mit den Autoren wegen des grellen Bilderbogenstils nicht gerechter werden. Ihnen wird viel vergeben, denn sie haben viel gehaßt. Bedenklicher steht die Sache allerdings mit der„Anna K a r e n i n a" des Herrn Edmond Guiraud , der aus den, herrlichen Roman TolstojS alles zarte seelische Gewebe weggeätzt und seinen ganzen Bau in Trümmer geschlagen hat, um die:e mit ordinären Handwerkspfiffen zu brutalen Effekten zu gruppieren. Aber der dekorative Rahmen und das vorzügliche Zusammenspiel machen in Verbindimg mit dem exotischen Reiz deS Stoffes den anhaltenden Erfolg begreiflich, lind dann gibt Madame Andres M s g a r d die Hauptrolle, eine der anmutigsten, begabtesten und liebenswürdigsten unter den jungen Pariser Schauspielerinnen. Vom Theater Antoine führt die natürlichste �Gedanken- assoziation zu Antoine selbst, der seine erste Saison am O d ä o n, dem zweiten nationalen Schauspielhause, nun bald hinter sich haben wird, Sie war nicht glücklich, weder unter den, künstlerischen, noch, wenn man den Eingeweihte!, des Theater- kapitalismus glauben darf, unter dem materiellen Gesichtspunkl, Mit Antoine, dem Gründer der Pariser freien Bühne, scheint sich so der Wiener „Fall Schlenthcr" zu widerholen, daß Erfolg und offizielle Macht der künstlerischen Ueberzeugung die Schwingen brechen. Freilich, beim Pariser Importeur von„Alt-Heidelberg" war diese „Entwickelnng" schon weit vorgeschritten. Der Nordsturm der Literatur hat in Frankreich schon lange ausgetobt und die für die neue Wahrheit entflanimlen Sturmgesellen von damals find in die Sorgen- und Nüchternheitsjahre gekommen, wo es nur mehr den Ivahren Meistern gelingen will,„em schönes Lied zu fingen". Der ansehnlichste Versuch AntoineS im verflossenen Jahre galt dem Shakespeareschen„Julius Cäsar ", der in einer korrekten. sich dem Original ziemlich anschließenden Nebersetzung bei der Kritik höfliche Komplimente, beim Publikum eine vernichtende Gleichgültig- keit fand. Die Jnszellierung auf der kleinen Odeon bot sehr mäßige, hinter den alten von Meiningen zurückstehende Künste, der kokette Virtuose de Max war ein gerade wegen seiner Bemühungen, interessant zu sein, uninteressanter Antonius, mehr Rumäne als Römer.... Die folgenden Bemühungen AutoineS waren nicht erfolgreicher. Das Publikum ließ sich auch die„I u n g fr a u v o n Arila", eine in unzählige Verse gegossene heilige Therese deS allmächtigen Thcaterkritikcrs Catulle Mendes von den Kritiker- lollegcn, die ja so ziemlich auch alle Dichterkollegen find, nicht auf- schwatzen. Jetzt wird in, Theater Antoine des Komponisten Bruneau lyrisches Drama„Die Sünde des Abbb Mouret" gegeben, eine auS Zolas Roman gezogene Szenenreihe mit nmsikalischer Begleitung und Chören. D:e Kritik verbeugt sich höflich aber kühl, das Publikum gähnte unverhohlen. Das klassffche Theater hat unstreitig in den letzten Jahren an Zlnziehmrgslraft gewonnen, und zwar besonders auch das antike Theater, da-Z mau uns in seiner machtvollen Lebendigkeit, befreit von dem Schnürleib de? französischen Klassizismus, würdigen ge- lernt hat. DaS große Publikum findet sich sogar mit ehrlicherer Er- griffenheit und Rührung in daS ungehemmte Spiel der ewigen Triebe, wie sie das auf die volkstümliche Wirkung berechnete attische Drama ausübt, als in die Hostragödie de? 17. Jahrhunderts, dereu verkünstelte Schönheit eigentlich artistische, in einer Kultur der gebrochenen und verschleierten Leidenschaften hennische Genießer ver- lanat. Natürlich stellt der Geist der französischeu Sprache auch an die