flcgte doch, und schließlich sah ich in ihm nur daS unglückliche Geschöpf unserer ungesunden sozialen Verhältnisse.. Der Arzt hatte recht; mit Harlamoff ging es zu Ende. Am Tage seines Todes war er sehr lebhaft und sprach von seiner Zukunft; seine Augen glänzten fieberhaft, seine mageren Hände gestikulierten, auf den bleichen Wangen brannte die tückische Nöte. Da er draußen nicht liegen konnte, hatte ich die Chaiselongue ans Fenster gerückt und ihn dort auf höhere Kissen gebettet. So konnte er den wunderbar klaren Himmel und in der Ferne das Meer sehen. Da, mitten in einen» Satze, der von seinen Zukunftshoffnungen sprach, überfiel ihn ein Blutfturz, und er lvar tot. Ich ließ ihn unter dem Namen, den ich selbst noch vor ein paar Monaten getragen hatte, beerdigen. lFortsetzung folgt.) (Nachdruck oerboteirj Me es einmal Ostern tvuräe. Meine Heimatsstadt war immer ein sehr lustiges Faftnachts- ncst gewesen, und vom Tag der Drei-Könige an haben die Bürger immer alles getan, um die Fastenzeit als etwas keineswegs Ueber- {lüssiges erscheinen zu lasten. Da hat eS denn auf meine Knaben- eele immer einen tiefen Eindruck gemacht, wenn ich. den Kopf voll von Bildern aus dem farbigen Narrenleben des Faftnachts- dienstags, am Aschermittwoch Morgen plötzlich in einer ganz anderen Welt aufwachte. Alles schien nüchtern und grau und mir war, als wäre mir jetzt gerade das Glück aus der Hand geflogen, datz ich schon zu halten gehofft. Glücklicherweise begann der Tag damit, daß wir Schulkinder, anstatt gleich in die dumpfen Schul- puben, in die Kirche zu gehen hatten, wo wir in langen Reihen an einer Bank vor dem Altar knieend Asche auf den Kopf gestreut erhielten. Was ein Sündenleben war, das wußten ich und meine Kameraden so wenig als, was der Tod war. an den wir durch diese Zeremonie hätten erinnert werden sollen. Vor uns stano das junge knospende Leben und so war für die meisten das Aschen- streuen am Aschermittwoch eine kleine Nachfeier der Fastnacht. Nur einige Musterknaben benahmen sich ganz würdig und hüteten während des ganzen Tages die Asche auf ihren Haaren wie einen Schatz. Die Mehrzahl aber von uns frohen Taugenichtsen hatte fürsorglich kleine Kämme bei sich, und kaum waren wir drautzen aus der Kirche, so rannten wir hinter den Oelberg und kämmten uns dort das Symbol der Vergänglichkeit von unseren jungen Köpfen. Der Oelberg war eine von einer Kapelle überbaute Sand- üeingruppe, welche den Ueberfall von Christus im Garten Geth- femane darstellte. Dieser Oelberg schützte uns vor den Blicken der Pfarrer wie auch der Lehrer in der der Kirche gegenüber- liegenden Schule. Kleine Baumanlagen zierten das alte naive Kunstdenkmal und an der Mauer, welche ein Stück der alten Stadt- mauer war, erinnerten merkwürdige Grabsteine daran, dah früher hier der Kirchhof gewesen. Ueber die Stadtmauer hinaus aber fah man in die Rheincbene und auf die schneebedeckten Vogesen. Auf diesem Oelberg wurde nach dem Aschenstreuen eine andere uns sehr belustigende Zeremonie abgehalten, die uns einigermaßen dafür entschädigte, daß Fastnacht nun vorbei war. Auf einer Steinbank wurde dort vom Meßner„der ewige Jude " verbrannt. Dieser ewige Jude bestand aus einigen Händen voll weißer Watte, mit welcher den Sterbenden bei der letzten Oelung das Oel von der Stirne abgewischt wurde, was etwa zuviel darauf gekommen war. Die Unmasse von Sünden, welche bei diesem ernsten Ab- schicdsbrauch bei Sterbenden in die Watte hineingeschlüpft war, verdichtete sich in der Phantasie des katholischen Volkes zum Bild des ewigen Juden, der alljährlich am Aschermittwoch den Feuertod hinter dem Oelberg erlitt. Aber so richtig wurde ich an die Vergänglichkeit aller Freuden erst erinnert, wenn ich mit der Schultasche aus dem Rücken mittags nach Hause kaist. Da roch eS jedesmal am Aschermittwoch nach Stockfisch und Sauerkraut, was mir immer einen weit tieferen Eindruck machte, als die Asche und der ewige Jude zusammen. Uebcrhaupt hatte ich nicht nur für den ewigen Juden, sondern auch für die Juden in unserem Städtchen eine besondere Vorliebe. Inwieweit dies damit zusammenhing, daß mir in den Tagen der Fastenzeit meine jüdischen Mitschüler immer die Taschen voll .Matzen" steckten, vermag ich jetzt nicht mehr zu sagen. Auf alle Fälle schmeckte mir der ungesäuerte feine Fastenkuchcn der Juden weit besser, als die katholische Fastenkost von Stockfisch und Sauerkraut. Am Anfang der Fastenzeit suchten meine Kameraden und ich nnZ durch Pläne auf die nächste Fastnacht noch ein wenig über den Ernst des Lebens zu täuschen. Aber schon nach einer Woche schliefen diese Pläne ein,J)ie bunten Flittergedanken verschwanden aus unseren Köpfen, die Schrecken des Lsterzeugnisses warfen schon ihre Schatten, und als nach den trüben regnerische» Märztagen die Karwoche kam, da unterlagen wir alle dem Druck, der vor Ostern über alle Menschen der katholischen Christenheit lastet. Wie geschickt die Kirche baS Ratureinp finden in religiöse Formen umzugießen weiß, und wie glücklich sie heidnische Gebräuche über- nömmen hat, um damit christlichen Gedanken Formen zu geben, das ist bekannt. Nirgends scheint sie mir aber dabei eine geschick- tere Hand gehabt zu haben, als bei den Zeremonien der Kar- Woche mit der als Erlösung darauf folgenden Osterfeier. Selbst die Leichtfertigsten unter uns Knaben duckten sich, wenn sie von» Gründonnerstag an in die mit schwarzen Tüchern ausgeschlagene Kirche kamen. Wie eine drückende Wucht legte sich das Gefühl auf uns, daß einmal etwas ungeheuer Entsetzliches und Furcht- bares in der Welt geschehen sein»nüffe, daß man jetzt noch mit so viel Trauer daran denke. Aber am meisten beschwerte dieser Alp meine kindliche Seele, wenn die Glocken nicht mehr läuteten, sondern oben vom Turm herab ein unheimliches, dumpfes Ge- trommel anstatt des Glockengeläutes ertönte. Diese schauerliche Musik wurde hervorgebracht durch ein Instrument, von dem ich mir die abenteuerlichste Vorstellung machte. Einmal genoß ich aber die Auszeichnung, mit dem Meßner und den Ministranten auf den Turm gehen zu dürfen. Aus einer rund um den Turn, laufenden Galerie stand die„große Ratsch," wie das Trommelinstrument bei uns Knaben hieß. Es war eine einfache Kiste, mit einer Kurbel und Hämmern. Ein Mann kniete darauf und drehte mit großer Gewalt die Kurbel. Es war eine schwere Arbeit, denn schon nach einer Minute löste ihn der stärkste der Ministranten ab. Das Getöse war in der Nähe ganz furchtbar. Aber wie eigentümlich! Jetzt, wo ich die abscheuliche Trommelkiste in der Nähe sah und ihren dumpfen Ton nicht nur vom Turm herab hörte, hatte sie auf einmal allen ihren Schreck für mich verloren. Und zum erstenmal sah ich vom Turm herab meine Heimatsstadt, wie ich sie noch nie gesehen hatte. Die steilen Giebel stiegen aus dem dunkeln Häusergcwirr in die milchblaue Frühlingsluft, aber lange nicht so hoch, als ich stand. In das Storchennest auf dem Rathausturm, das ich immer nur von unten gesehen, konnte ich jetzt bequem hineinschauen. Die Störchin saß darin und das Männchen brachte ihr gerade etwas Zappelndes in seinem roten Schnabel. Um die Stadt herum lagen die schon grünenden Matten und es schien mir, als sei die ganze Welt anders geworden. Am andern Tag war Ostersonntag. Der Himmel war blau, die Sonne strahlte, die Luft war warm, und ich trug mit Stolz ein Paar neue Hosen. An einer Straßenecke stand eine alte Frau mit einem Korb voll gelber Primelsträußchen. Ich kaufte mir eines für fünf Pfennige und war unbeschreiblich glücklich. Es war wie eine Erlösung über mein Knabenherz gekommen. Und daran war nur schuld, daß ich die große Karfreitagstrommel nun auch einmal gesehen hatte. Anton F e n d r i ch. kleines feuilleton. Kunst. 0. s. Aus den Berliner Knustsalons. Von der französischen Karikatur sind entscheidende Anregungen ausgegangen. Der „SimplicissimuS" ist ohne sie nndenlbar. Und die ganze, lebhaftere Physiognomie der modernen Zeichmmg ist auf die Belebung zurück- zuführen, die französische Künstler brachten. Diese entnahmen ihre Stoffe keck dein Lebe ». Sie kümmerten sich nicht um eine akademische Schablone; alle». waS ihnen begegnete, gestalteten sie mit künstleri- schen Mitteln zn einem überzeugenden, lebenswahren Eindruck. Die Witzblätter sind voll von solchen bald lustigen, bald traurigen, bald anklagenden Zeichnungen und die moderne,� große Kunst hat von ihnen profitiert. Toulouse-Lautrec ist eine der markanten Erscheinungen auf dem Gebiet der Gesellschaslssatire. Er durchstreifte Paris , schilderte die elegante Welt, das Leben des Bürgers und das Dasein der Dirne. Immer mit einem scharf satirischen Einschlag, der dem gesehenen und festgehaltenen Moment etwas Typisches gibt mid ans dem Charakteristischen die Karikatur entnimmt. Die faulen, dicken Gesichter der Bürger, die frechen Physiognomien der Dirnen, die beinah gespenstisch wirkenden, verzerrten Züge des Kavaliers— er hat sie treffend und mit dia- bolischer Lust und mit ätzendem Hohn geschildert. ES ist eine herbe, soziale Kritik in seiner Kunst, Lautrec zeigt damit, wie soziale Satire sckärffter Art und feinste, künstlerische Be- Handlung Hand»n Hand gehen können. Es liege» viel Anregungen bei ihm versteckt. die späterhin bei anderen Künstlern zur Entwickelung gekommen sind. Wene daher auch die Ausstellung im Kunstsalon Gurlitt etwas verspätet kommt und nichts Neues bringt, so frischt man doch die Erinnerimg auf, die Bekanntschaft mit einem resoluten, ernsten Künstler. Und deutsche Künstler, die allzu leicht der Darstellung der Idylle verfallen, könnten hiervon lernen, wie der Künstler den neuen Ideen seiner Zeit liinstlerische Gestaltung verleihen kann. Die künstlerische Satire köimte noch viel tiesgreifender bei uns gepflegt werde», und unsere Kunst hätte ein interessanteres Aussehen, wenn die ruhige Behaglichkeit und daS Strebertum nicht solche festeingewurzelte Geltung auch unter unter Künstlern� hätte. Ei» beachtenswerter Künstler ist Paul T h i e m, der zum erstenmal ausstellt. Er Iveiß in Landschaften den» Unscheinbaren einen feiiisn Reiz zu aeben. Alte Städtchen in Bayern und Franken haben.es
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24 (27.3.1907) 61
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