Vellen Ehen(der soziale Hintergrund wird nicht entschleiert), der Spott über die Lächerlichkeit der braven Haustiere wirkt nicht be« freiend, weil die positive Gegentendenz in gärender Unklarheit versinkt, weil der dozierende Brausekopf Ibsen— Falk versagt, wo er handeln müßte. Eine Disputation über Liebe und Ehe, die zu leinem Ende kommt. Oder doch zu einem sehr trivialen(Entsagung hier und Konvenienzehe dort). Was dem Drama fehlt: der starke LebenSpuls, kann ihm keine Aufführung geben. Aber sie kann durch eine besonder? gute Besetzung gesteigerte? Jntereffe wecken und manche? in neue Be- leuchtung rücken. Alle? das läßt fich diesem Kammerspiele indes vichl nachrühmen. Der Hrnipreindruck wird wohl die hübsche szenische Einrichtung, der blühende Frühling, gewesen sein, wobei nur anzumerken ist, daß der Dichter den Ausblick aufs Meer und nicht auf eine trostlose Gartenmauer vorschreibt. Dazu Biedermeier - kostüine und eine nette Stilisierung der Tanten und der unendlichen Kinderschar des Pastors. Die Besetzung litt unter mancherlei Zwischenfällen, so daß der Regisseur — Hermann Bahr — nicht für alle? verantwortlich zu machen ist. Die ruhige Klarheit de? lebenskundigen Groß« kausmanns Goldstadt kam durch Albert Steinrück überzeugend zur Geltung, Eduard v. Winterstein war ein guter Falk, wenn auch kein vollendeter. Sonst nichts von Belang. Arnold als Pastor viel zu süßlich(und nasalierend), die Schwanhild einer An- fängerin(Frl. K e m p n e r> wirklich nur ein Anfang. Man ging, wie man gekommen war, mit dem angenehmen Bewußtsein, einer literarhistorischen Uebung beigewohnt zu haben.— r. Mufft. Wohltätigkeitsvorstellungen find im allgemeinen begreiflicher- weise kein günstiger Gegenstand für Kritik. Wenn wir heute eine solche Veranstaltung besprechen, so geschieht es weniger ihrer selbst wegen, als um begleitender Umstände willen. Die Aufführung des OtatoriumS„Paulus " von F. v. Mendelssohn» Bartholdh gelang am Dienstag so gut, wie es in diesen Fällen von vornherein zu erwarten ist. Wir beschränken unS in dieser Beziehung darauf, den Dirigenten Carl Zimmer, deffen An- fange in Berlin wir seinerzeit freudig begrüßt haben, wiederum als den unsrigen, als Leiter deS„Berliner Sinfonie-Orchesters", zu begrüßen. Die Wahl des Werkes(das wir anfangs November LS03 gehört und besprochen hatten) erinnert uns an das neulich über Mendelssohn Gesagte. Obwohl seine beiden Oratorien, das alttestamcntliche„Elias " und das neutestamentliche„PauluS", ziemlich allgemein an die Spitze der Werke dieses Komponisten gestellt werden, und obwohl sie mit Recht als das Bedeutendste gelten, was seit unseren frühen Klassikern auf diesem Gebiete ge- leistet worden ist. scheint uus doch Mendelssohns Bedeutung nicht eigentlich in ihnen zu liegen. Sie war uns neulich an dem Abende des Berliner Volkschores weit besser hervorgetreten. Der Komponist hatte einen besonderen Ehrgeiz, sich in die ihm doch etwas fremde Welt der germanischen Behandlung des Biblischen hineinzuarbeiten. So echtes, wie seine Elsenmusik kommt dabei nicht zum Vorschein; die Arbeit bleibt epigonisch und nicht frei von künstlicher Mache. Trotzdem aber ist eS wirklich ganz merkwürdig, zu sehen, wie sich dieser Geist in jene Welt hineingearbeitet hat. wie er namentlich die Fortschritte der Melodik den älteren Formen hinzugefügt hat. Namentlich die Chöre, die auf irgend welche Wendepunkte hin ein- treten, sind oft verblüffend charakteristisch und oft in lieblichster Weise wohltönend. Dagegen versagt gerade bei den entscheidenden Wendepunkten die Kraft des Komponisten am ehesten. Eine Vor- dcutung deffen, was modernste Beispiele zeigen; eine Mahnung an die Künstler der Gegenwart, für sein persönliches Einleben in die dazu richtig gewählten Stoffe und Formen zu sorgen. Was uns aber noch mehr veranlaßt, jenem Abende einige Worte zu widmen, ist die Gelegenheit, auch einen neuen Konzert- saal Berlins anerkennend zu begrüßen. Es handelt sich um die Ausstellungshalle am Zoologischen Garten. Man kann wohl sagen, eS sei selten ein Konzertsaal vernünftiger gebaut worden. Seine Innenarchitektur ist geschmackvoll, wenigstens in der Vermeidung von Unvernünftigem in der Formensprache und Farbensprache. Uns interessiert hier vor allem seine„Akustik". Er ist trotz seiner enormen Größe, die freilich feinere Wirkungen schädigt, so gut akustisch angelegt, wie man eS in den Grundzügen und bei Rücksicht auf anspruchsvollen praktischen Bedarf kaum besser machen könnte. Vor allem ist die Längsform gewählt und sind Störungen durch allzugroße Pfeiler, Einbauten und dergleichen vermieden. Sodann zeigen die Wände und sonstigen Flächen eine zweckmäßige Rauhung. die Nischen, einschließlich der Orchester- nische. Verhängungen, und sogar das Netz an der Rückwand deS Saales fehlt nicht. Und diesen Vorkehrungen entspricht eben auch der gute akustische Erfolg.«. Hauswirtschaft. D i e Kartoffeln keimen. Das ist eine Mahnung zur »aorsicht. Wenn die Kartoffeln im dumpfen Keller ihre langen weißen Keime entwickeln, die der kleinsten Lichtspalte zustreben, entwickeln sie ein scharfes Gift, das Solanin, in solchem Maße, daß eS tödlich wirken kann. Deshalb sind die ausgekeimten Augen möglichst tief auszuschneiden. Die Keime selbst dürfen in keiner Weise— auch nicht als Viehfutter l— verwendet werden. An Solaninvergiftung ist im vergangenen Jahre erst wieder ein Lerantwortl. Redakteur: Hau? Weber, Berlin.— Druck u. Verlag: Chemiker gestorben. Die ganze Kartoffelstaude enthält diesen Gift- swff. In besonderer Menge findet er sich in den Samen und wie gesagt in den Keimen. Auch unreife Kartoffelknollen enthalten (in der grünen Schicht unter der Oberhaut!) Solanin, sind daher gleichfalls gefährlich, wenn nicht die Schale dick genug entfernt wird. Die Kartoffel gehört bekanntlich zu den Nachtschatten- gewachsen, die alle sehr giftig sind. Ihre nächsten Verwandten sind der schwarze Nachtschatten, deffen kleine gänzenden Beeren im Herbst den Kindern oft tödliche Gefahr bringen, der kletternde Halbstrauch Bittersüß, der außer Solanin noch Dulcamarin enthält, die Tollkirsche mit Atropin, einem Gift, das in der Augen- Heilkunde eine wichtige Rolle spielt, da es die Pupille erweitert, und Belladonnin, die Judenkirsche, der Bocksdorn oder Teufelszwirn und die Tomate, deren wohlschmeckende Frucht gern gegessen wird. Eine Solaninvergiftung äußert sich durch Lähmungserscheinungen, Müdigkeit in den Gelenken, Schmerz in den Eingeweiden, Er- brechen, Durchfall, Fieber usw. Werden nicht bald Gegenmittel gegeben, die eine völlige Entleerung deS Magens und der Gedärme herbeiführen, so ist es meist um den Vergifteten geschehen.« HttinoriftischeS. —„Hochzeit ist kein Entschuldigungsgrund'. Zeugin: Zum nächsten Termin kann ich nicht erscheinen, da muß ich zu meiner eigenen Hochzeit. Richter: Hochzett? lächerlich! Den Termin dürfen Sie nicht versäumen, und wenn Sie zu Ihrer eigenen Hinrichtung müßten! — Ein vorsorglicher Hausvater. Theaterdirektor: Sehen Sie, bei mir sind alle Rollen doppelt besetzt, mir kann nicht? passieren. Heute abend spiele ich zum Beispiel daS„Kätchen von Heilbronn". Wird mir nun die Titelheldin krank, so habe ich sofort ein Duplikätchen. — Der Deckeneinsturz in der Duma. Stolypin eilte an den Schauplatz der Katastrophe.„Und kein einziger Ab- geordneter erschlagen?" fragte er.„Rein," lautete die Antwort, „der Einsturz fand gerade zwischen zwei Sitzungen statt."„Es ist die alle Geschichte," meinte Stolypin ,„ein guter Einfall kommt mimer zu früh oder zu spät l"(„Lustige Blätter".) Notizen. —„Parsifal " von Richard Wagner in größeren Bruchstücken aus Dichtung und Musik wird als volksttimliche Veranstaltung am Karfreitag von der Volkskunstkommisfion in Charlotten- bürg aufgeführt werden. — Im Kunstsalon Paul Cassirer , Viktoriastraße, ist die gegenwärtige Ausstellung durch ein Porträt deS Dichters Paul Verlaine von Aman Jean bereichert worden. Das im Jahre 1392 gemalte Bild stellt den Dichter in der Tracht deS Pariser Hospitals Brouffais dar, da feine große Armut ihm ein anderes Krankenhaus nicht gestattete. — Die HoftheaterkrifiS in München wird durch die Flucht der Hauptangeklagten— Mottl und Speidel— in die Heimlichkeit des Disziplinarverfahrens nicht erledigt werden. Der „Bayer. Kur." bnngt erneute, mit Tatsachen belegte Angriffe und fordert eine Auseinandersetzung vor dem ordentlichen Richter. — Ein Bühnenexperiment. Die Londoner Literarische Bühnengescllschaft hat in Tcrry's Theater ein interessantes Bühnen- experiment gemacht. Man brachte„Die Perser " deS Aeschylos ohne szenische Ausstattung zur Darstellung. Statt aller Details griff man zur Anwendung einer einheitlichen Farbenabtönung, die den SttmmungSgehalt des WerkeS symbolisierte und zugleich daS Auge von allem Beiwerk ablenken sollte, um eine straffe Konzentration auf den dramatischen Kern der Handlung herbeizuführen. ES handelt fich hier um einen Versuch, den mißlichen Folgetvirkungen des modernen AusstattungswefenS zu begegnen, die darin begründet liegen, daß die minutiöse Ausgestaltung des Szenenbildes ein gut Teil der ästhettschen Aufnahntefähigkeit absorbiert und damit von der eigentlichen Handlung ableitet. An Stelle der Kulissen wallten lange, einfarbige Vorhänge in einem Halbkreis um die Bühne, von denen sich die Gewänder der Dar- steller, ihre Bewegungen mit allen Nuancen körperlicher Liniensprache scharf und eindringlich abheben sollten. Gewänder, Hintergrund, Beleuchtung und Lichtcffckte waren sorgsam zu ruhiger Harmonie abgestimmt. Die Beleuchtting wurde nur in zarter Dämpfung an- §ewandt. da— nach Ansicht der Veranstalter— helles Licht die llusion lähmt.— Die Bühne pendelt also wieder einmal nach dem anderen Pol. Es herrscht auf ihr daS Auf und Ab der Moden genau so, wie etwa bei der Kleidung. — GrafZeppelin hat im Lauf« deS WinterS an feinem Luftschiffe allerlei Verbesserungen borgenommen, u. a. hat er eS mit elektrischen Scheinwerfern und einein Aufnahmeapparat für drahtlose Telegraphie ausrüsten lassen. Die Versuchsfahrten auf dem Bodensee sollen wieder aufgenommen werden. — Eine zweit« Polar ex pedition plant der Herzog Philipp von Orleans in diesem Früjahr. Auf der„Belgica , mit der er die erste Expedition unternahm, will er von Norwegen au- zum Karischen Meer vordringen und weiter östlich die Küste Sibiriens erforschen. Vorwärts Buchdruckerei u.Verlagsanftalt Paul Singer chCo., Berlin LlV.
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24 (28.3.1907) 62
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