Aber bleiben wir in Teutschland! Wir würden heute ein Paar nicht ernst nehmen, das noch an sozialen Rücksichten scheitern könnte. Kaum, wenn diese Rücksicht sich auf dritte Personen bezöge wie es denn bei Hamsun  , doch nur nebenher, geschieht. Natürlich kann auch ein Abstand, wo der Adel ganz aus dem Spiel bleibt und nur die.unteren" Stände in Be- ziehung gesetzt werden, keine überzeugende Tragik mit sich bringen. Gleichwohl versuchten derbere Dramatiker derartiges. Doch mutzte Bernsteins.Mali" scheitern, so gut wie vorher derRosenmontag" gescheitert war, dessen Held nicht leben kann, wenn er nicht Offizier ist! Derartige Stücke sund ihr Durchfall vom äutzeren Erfolg abgesehen) sind auch Symptome; aber durch ihre Absurdität, wie oben Sudermann durch seine Trivialität. WaS vor hundert Jahren noch Konflikt war, ist heute nicht mehr diskutabel. Die Trivialität eines Prinzips, einer Wahrheit bedeutet ihren endgültigen Sieg. Einst hatte sich der dritte Stand auf- geschwungen, heute der vierte und letzte, der damit aufhört, vierter, letzter überhauptStand" zu sein. Theoretisch hat man auf- geräumt mit den Ständen, und auf dem Papier sind sie sogar vor dem Gesetz alle gleich. Praktisch find überdies österreichische Herzöge und deutsche Prinzessinnen bemüht, wenigstens in der Liebe die Konsequenz zu ziehen. Die literarischen Symptome hierfür sind allerdings wenig literarisch. Aber datz etwa die durchsichtigen Bekenntnisse einer Prinzessin" überhaupt verkauft werden dürfen, ist doch auch ein Symptom. Man könnte fast glauben, Deutschland  sei nicht mehr in der Welt ganz hintenan. Gewitz sind die hier aufgezeigten sozialen Tendenzen nirgends in jenen Dichtungen �wenigstens nicht in den früheren) ausgesprochen, oft kaum bebsichtigt. Aber um so wichtiger ist ihr Vorhandensein als Zeichen jener Tage. Der Umstand, datz der Held meist ein Dichter ist(bei Goethe, Jean Paul  , Hümsun), oder ein Musiker sbei Heinse  ), oder ein Maler<bei Keller) hat zwei gute Gründe. Es handelt sich immer um autobiographische Romane, in denen, wenn nicht das Leben selbst des Autors, so doch sein Charakter und sein Erleben gestaltet werden. Das ist der innere Grund. Der äutzere ist oben schon angedeutet worden: der Beruf eines Künstlers führt am ehesten einen Verkehr mit Leuten aller Stände und Berufe herbei. Dieser Versuch soll zeigen, wie etwa die Beziehungen der Literaturgeschichte zur Kulturgeschichte aufgestellt werden könnten. Die soziale Frage und das Verhältnis der Geschlechter find die wichtigsten Probleme der Gegenwart, vielleicht des Lebens überhaupt.(Das hier betrachtete SpezialProblem zeigt beide vereinigt.) Die soziale Frage ist zu jung, um schon zahlreiche Reflexe in der Dichtung aufweisen zu können. Um so zahlloser sind die jener transcendcnten Mischung von Ich und Du, die man Liebe nennt. Die Leute, welche von Berufs wegen über die menschlichen Dinge nachzudenken haben, kümmern sich zu wenig um derlei Firlefanz. Die Verliebten aber, als welche doch Fachleute Wären, haben erst recht keine Zeit und Neigung, ihren Zustand vom erkenntnistheoretischen Standpunkte aus zu betrachten.(Es müßte denn schon einer jener Denker sich verlieben oder gar ein Ver- kiebter anfangen zu denken; beides aber pflegt vermutlich deswegen nicht zu geschehen, weil gemeiniglich der jeweilige neue Zustand den früheren aufhebt.) Dem Literarhistoriker nun liegen zur Unter- stützung der abstrakten Forschung die konkreten Dichtungen vor. Mag er hier einsetzen wenn er eS versteht, aus der Literatur und ihrer Geschichte kulturgeschichtliche Folgerungen zu ziehen. Liemes femUeton. Literarisches. Beamtete Sitilichkeitsschnüffelei. Vor etwa zwei Jahren erschien in einem Berliner Verlag(Hermann Krüger) ein im Brandcnburgischen Kanalnetz spielender sozialer Roman Kanalkinder" aus der Feder Marie Louise Beckers, der Witwe des unlängst verstorbenen Schriftstellers Wolfgang Kirch- bach. Das Buch wurde von der Kritik und vom Publikum auf das liebenswürdigste aufgenommen. Mit anderen Augen betrachtete es aber der Staatsanwalt: er lieh das Buch im letzten Sommer be- schlagnahmen. Erst jetzt hat das Gericht es freigegeben. Es ist nicht ohne Interesse, hiervon Notiz zu nehmen. Aus der An- klagcschrift, die vollständig abzudrucken ein gewagtes Spiel wäre, weil der Staatsanwalt nicht besonders wählerisch in seinen Aus- drücken ist, zitieren wir nur einiges, für einen eifrigen Leser der srs amandi" Charakteristisches: Es mag nun freilich der Verfasserin zugegeben werden, datz die Sinnlichkeit den schönsten Stoff unserer erotischen Literatur bildet, und datz die grötzten Schriftsteller aller Zeiten zu deren Sän- gern gehörten. Indes hier gilt der Satz: ,.duc> si faciunt ickem non est ickem"(Wenn zwei dasselbe tun, so ist es doch nicht dasselbe). Wenn z. B. Ovid in seinem Liebesbrief die Liebeständeleien des alten Rom   mehr als drastisch schildert, wenn Goethe z. B. in seinen Bajaderen und Philoncn Dirnen verherrlicht, und in seinen Ele- gicn den Text des Hexameters auf die weiblichen Formen abtastet, wenn Schlegel in seiner Lucinde geradezu die Wollust verherrlicht, dann müssen wir doch immer berücksichtigen, datz diese Schilderungen so viel Poesie und Aesthetik enthalten, datz wir darüber alles andere vergessen. Ebenso verzeihen wir auch dem Blumauer, Grimmeis- Hausen usw., datz ihr derber Witz oft in Zoten verfällt. Alle diese Gründe sprechen aber für diesen Roman nicht. Ob er ein Spiegelbild der Wirklichkeit gibt, mag dahingestellt bleiben. Wer den Drang dazu in sich spürt, es kennen zu lernen, macht seine Studien besser in praxi auf der Landstraße als in der Theorie an der Hand solcher Bücher, die ihn schließlich doch nur irre führt." Diesem Bekenntnis einer schönen Juristenseele setzte das Ge- richt folgendes Erkenntnis gegenüber: Bezüglich des RomansK a n a l k i n d e r", der überdies von angesehenen Zeitungen geradezu hervorragend gut kritisiert und, z. B. nicht aus Galanterie, sondern aus herzlicher Ueberzeugung als das stärkste, packendste Erzählungsbuch der letzten Jahre bezeichnet worden ist, gibt die Anklage selbst zu, datz er nicht ganz ohne sitt- lichen und künstlerischen Wert geschrieben ist. Es sind allerdings einige, speziell die in der Anklage bczcich- neten Stellen zum Teil stark realistisch gehalten, doch entspricht auch hier die Art der Tarstellung durchaus dem ganzen naturwahr, künstlerisch und packend geschilderten Milieu, auch ist die ganze Ausdrucksweise, soweit es die Situation zuläßt, durchaus matzvoll und in keiner Weise darauf angelegt oder geeignet, die Lüsternheit des Publikums zu erwecken. Jedenfalls können diese Stellen in keiner Weise die Tendenz des ganzen Romans, der in künstlerischer, ernster, naturwahrer Weise das Leben der Flötzerknechte am Finowkanal schildert, zu einer unsittlichen gestalten." So der Tenor des Gerichtsbeschlusics. Die Beschlagnahme des Romans erfolgte am. Mai v. I. Der Gerichtsbeschlutz datiert vom 29. September, und erst jetzt sind dieKanalkinder", nachdem der Staatsanwalt Revision eingelegt hatte, rechtskräftig frei ge- worden. Es hat also fast ein Jahr gedauert, bis der Verfasserin ihr Buch zurückgegeben wurde. Datz es nun in materieller Hin- ficht entwertet erscheint, wird jeder zugeben, der mit dem Buch- Handel vertraut ist. Solange es kein Gesetz gibt, nach welchem die Staatsanwaltschaft für jede nicht aufrecht zu erhaltende Beschlag- nähme eines Buches oder Kunstwerkes regreßpflichtig gemacht werden kann, werden sich die Schriftsteller solche Willkürlichkeiten gefallen lassen müssen. Kunst. o. s. Alte englische   Meister stellt der Knnstsalon Cassirer aus. Die Lehre, die diese gewählte Sammlung gibt, läßt sich dahin zusammenfassen, datz gute Malerei unabhängig ist von der Mode. Diese Bilder, die um 1899 entstanden sind, sind alle sehr dunkeltonig und braunsaucig und doch ist in ihnen eine reiche Schönheit der Farbe, ein lebhaftes Spiel des Lichts.   Die Engländer geben die gute, alte Tradition in der Malerei weiter. Auf zwei Gebieten find sie selbständig und eigen: im Porträt und in der Landschaft. Ihre Bildnisse sind malerisch fein gesehen, bis ins kleinste durchgearbeitet und äutzerst charakteristisch. Eine vollkommene Ruhe, ein bewußtes Können ist darin. Auch darin haben sie das Erbe, das die Kultur des 18. Jahrhunderts übermittelte, angetreten. In der Landschaft ist der Einfluß der Holländer deutlich zu spüren. Der Holländer, die im 17. Jahrhundert die Land- schaft in unserem Sinne erst schufen: Ruysdael  , Hobbema  . Die Engländer wählen ebenso wie diese die Flachlandschaft mit dem weiten Himmel, mit einem kleinen Dorf im Hintergrund, dessen Silhouette sich kaum gegen den Horizont abhebt. Das Schlichte, Einfache besticht von vornherein, und unwillkürlich findet das Auge malerische Feinheiten. Feinheiten des Lichts, der Luft und der Be- leuchtung. In dieser Beziehung stehen Turner und Constable an trster Stelle. Constable ist sanfter, stiller; Turner sprühender, effektvoller. Diese Tradition gaben die Engländer dann an Frank- reich weiter. Die Maler von Barbizon  (Millet, Corot  , Daubigny  ) übernahmen dieses tüchtige, ehrliche Arbeiten und so breitete sich die Geltung der modernen Landschaft immer umfassender aus. England ist darum bedeutend, weil.es diese Mittel- stellung einnahm. Es übernahm das Erbe Hollands   und gab es weiter an Frankreich  . Und es ist sehr interessant, zu sehen, wie sich aus der alten, dunkeltonizen Landschaft auf diese Weise immer klarer die moderne Landschaft entwickelt. Immer hellere Partien breiten sich auS, verdrängen die dunklen Töne und schließlich stehen wir vor modernen Licht- und Luftproblemen. Aber weil ihre Arbeit ehrlich, ihr Können groß war, haben sie in dieser alten Manier Werke geschaffen, die in ihrer echten Schönheit und Frische uns noch jetzt entzücken und durch die Reife der Technik, durch das bewutztc Können noch jetzt vorbildlich sein können. Nutzer der englischen Ausstellung interessiert eine Kollektion von Werken Emil O r l i k s. Orlik ist der Typus eines Künstlers, dem jede ursprüngliche Begabung fehlt, aber er ersetzt durch Intelligenz und Schulung, was ihm an Persönlichkeit abgeht. Man könnte schwer sagen: dies ist sein Wesen. Wohl aber sieht man deutlich die Einflüsse aufeinanderfolgen. Da kann man unter« scheiden wienerischen, französischen, japanischen Einfluß und hinzu- tritt jene charakteristische Farbenwahl, wie sie den Böhmen   und Polen   eigentümlich ist, jene Vorliebe für tiefe Farben. Das Wienerische merkt man am besten an einigen Porträts, die hell vor grünen Hintergrund gesetzt sind; man denkt an Klimt  . Eine ganze Kollektion kleiner, aparter Bildchen zeigt Erinnerungen an die Japanreise, ihre Stilisierung weist auf den japanischen Einfluß hin. An die Fran- zosen denkt man bei einigen malerischen Interieurs in weichen, grauen, matten ien, die mit das Feinste der Ausstellung dar-