Einige stürzten sich auf die Tür, andere versuchten dieFensterladen loszureißen. Wir standen machtlos da.—Mazimoff flüsterte mir zu:„Wir haben alle Flaschen zertrümmert, die ganze Budeschwimmt in Spiritus und Branntwein. Sie können sich sowenigstens nicht betrinken."Die Tür gab nach,— ein Dutzend Menschen stürztenhinein. Irgendwoher wurde eine Laterne gereicht� denn indem Laden war alles dunkel.„Dieser verfluchte Hund von Verkäufer I Er hat alleFlaschen zerschlagen, keine einzige ist mehr dal" rief ein Mannder Menge zu.„Gebt einen Eimer her. Auf dem Bodenfließt der Branntwein,— wir wollen versuchen, ihn auf-zuschöpfen."Ein widerwärtiger Anblick. Viele lagen auf den Knienund schlürften den Branntwein auf.Maximoff sagte leise zu mir:„Wenn ich nicht irre, gibtes in der Stadt drei Läden für Einzelverkauf. Wir wollenschnell zu dem dritten Laden eilen, ehe die Leute sich auf ihnbesinnen. Das Depot können wir nicht unschädlich machen,da muß die Akziseverwaltung für sich sorgen."Wir drängten uns durch die Menge durch und liefen dieStraßen hinunter.„Sonderbar, daß die Polizei nicht zu sehen ist", sagteAndreeff.„Wahrscheinlich haben sie alle Schutzleute zumDepot abkommandiert".Als wir bei dem dritten Laden ankamen, war nochniemand da. Die Tür und die Fensterläden waren dicht der-schloffen: durch einen Spalt konnte man aber Licht sehen.Maximoff sagte:„Kinder, wir müssen von der Hintertür inden Laden eindringen".Auf unser Klopfen öffnete uns eine Frau, wir stießen siezur Seite, gingen durch ein Wohnzimmer und kamen durcheinen Korridor in den Laden. Der Verkäufer stand an derKasie und wollte, wie es schien, das Geld retten.»Ah, Ihr seid schon dal" rief er uns zu. Wahrscheinlichhatte er von der Plünderung der anderen Läden schon gehört.„Na, mit mir könnt Ihr nicht so scherzen I" Und erstürzte sich auf Maximoff. Andreeff packte ihn von hinten,warf ihn zu Boden und rief ihm zu:„Dummer Kerl, wir kommen nicht, um zu rauben. Wirwollen nicht, daß die Menge sich besäust, und darum wollenwir alle Flaschen zerschlagen, damit sie keinen Branntweinerhalten".„Das ist Staatsgut, und ich darf nicht erlauben, daß Ihres vernichtet. Um es zu schützen, ist die Polizei da und nichthergelaufene Menschen".Andreeff rief Maximoff zu:„Geben Sie mir einenStrick? Ich will den Kerl binden, und wir tragen ihn dannins andere Zimmer. Wir haben nicht viel Zeit zu verlieren!"„Hier!" rief er der Frau m die in der Tür stand,«nehmen Sie die Kasse".—lFortsetzung folgt.)JMontz fJartmann.Von Ernst Kreowski.Mit der deutschen Literaturgeschichtsschreibung ist'S traurig de-stellt. Die meisten dieser Machwerke find für das liebe Pfahl-bürgertuin berechnet. Wohin diese Verödung führen muß, soll erstaar nicht erörtert werden. Es sei nur festgestellt, daß alle Poeten,deren Schöpfungen irgendwie von Volks freiheitlichen lind oppositionellenGedanken durchsetzt erscheinen, meistens schon bei Lebzeiten demVergeffen überantwortet wurden. Es soll uns nicht wundern, wennz. B. das ansetzt bloß noch höchst widerwillig mitgeschleppte, obschonbis zur Unkenntlichkeit verhunzte Kapitel: Die vormärzlicheund die politische Lyrik zwischen 1840—1850 aus denGarküchen der Leixner, Eduard Engel und ähnlicher Literaturköcheganz und gar beseitigt sein wird. Glücklicherweise sorgen die einerernsten Kunstpflege zugewandten Bestrebungen in umeren Reihen.daß den Gelüsten solcher Literaturverwüster ein kräftiger Riegelvorgeschoben bleibt. Die Sozialdemokratie ist dem deutschen Volkeals Hüterin und Pflegerin seiner Literatur gesetzt. So ist beimbereits von so mancher Poetengrust der allzu voreilig darüber ge-breitete Totenstein weggerückt und so numche verschüttete Harfe aufSneue zu rauschenden Tönen gebracht. Denn was find im Grundegenommen die meisten„Literaturhistoriker" gewesen? Eine Zunftvon bornierten oder böswilligen Totengräbern? Und fie hatten esimmer eilig mit dem Begraben, wenn eö sich um revoltterendeSänger handelte I Alfred Meißner ruft einmal wehmütta aus:»Wie wenige von denjenigen, die jetzt in voller Tättgkeit begriffenfind, überdauern eine kurze Zeit I Wie diele müssen nochbei Lebzeiten das Grab ihres Glanzes sehen! Was Bietetnach fünfzig oder gar nach hundert Jahren an Erinne-rungen sogar von denjenigen übrig, die nicht gemeineKrieger, sondern Hauptleute waren und aus ihrem Haupts eine»wallenden Federbusch trugen?" Nun, Heine, Freiligrath, Herwegh,Pfau, Meißner, Beck, Anastasius Grün haben einen wallenden Feder-busch als Zeichen echten Rittertums der Poesie aus ihren Helmengetragen! Und neben ihnen auch Moritz Hartmann!In unserer Mitte ist der revolutionäre Sänger zwar nicht inVergessenheit geraten. Total ftemd ist er aber wohl dem reichs-deutschen und österreichischen Bürgertum, zumal der nach 1370 er-standenen Generation. Obendrem haben fich nur wenige Aesthetikermit Hartmann befaßt: es find da allenfalls Lorm, Gottschall undStern zu nennen. Ein ästhettscher Essay von Ernst Ziel im erstenBande seiner„Literarischen Reliefs" vertnent besonderer Erwähnung.Er gilt dem Lyriker. Als Novellist und Romanschriftsteller läßtHartmann nicht selten Originalität der geschilderten Charaktere, lln»mittelbarkeit der Darstellung und technisch einheilliche Komposition ver-missen. Gerade dieser Mangel tritt oft in peinlicher Weise hervor. Einendauernden Ehrenplatz in der Literatur weist Ziel jedoch zweienseiner Romane zu. Das find:„Von Frühling zu Frühling" und„Der Krieg um den Wald", eine umfangreiche Erzählung, in welcherHartmann die Zustände seines Heimatdorfes eindrucksvoll darstelltund die sich durch die große Lebenswahrheit ihrer böhmischen Lokal-schilderungen und durch den grandiosen epischen Wurf der Komposttionauszeichnet.Ueberblicken wir die deutsch-böhmische Dichtung letzten sechsJahrzehnte, so find und bleiben Alfred Meißner und Moritz Hart»mann deren eigentliche Repräsentanten. Jener wie dieser stehennicht nur auf dem gleichen nattonalen und geistigen Mutterboden,fie find auch von Hause aus verwandte Naturen. Beiden— sagtZiel— ist ein mächtig in die Saiten greifendes Pathos, beiden einunbegrenzter Trieb nach Freiheit, beiden eine warmblütige Begeisterung für Menschheit und Vaterland, eine rastlos schaffende, sichin immer neuen Gestalten ausgebende Phantasie eigen. Als Lyrikerund Epiker von wundervoller Pracht und kosmischer Gedankenfüllezeigt sich Hartmaim in„Zeitlosen" mrd„Schatten". In„Reich und Schwert' und den„Neueren Gedichten'propagiert der Dichter als kecker Tribun die Ideen der polttischenund menschlichen Freiheit und tritt in begeisterter Ver-herrlichung ein für die Großtaten der böhmischen Nationalhelden,ohne dabei die deutsch-feindliche Sache der Tschechen zu seiner eigenenSache zu machen. Die meisten Gedichte in diesen beiden Sammlungensind geisttge Niederschläge der Zeitatmosphäre der mittleren vierzigerJahre, Kinder der politischen Schwüle jener Tage; fie halfen dieWolken am politischen Zeithimmel zusammenballen, die dann daSGewitter von 1848 aus ihrem Schöße gebaren. Insofern könnteman fie„Sturmvögel der Revolution" nennen; dennoch paßt dieBezeichnung„Frühlingsvögel der Freiheit" viel treffender auf fie.Als glanzvoller Zeitsatiriker offenbarte fich Hartmannjedoch in seiner 1849 veröffentlichten„Reimchronik desPfaffen Maurizius". In dieser eigenartigen Dichtung, diedie Frankfurter Rationalversammlung von 1848, der Hartmann jaals Vertreter seiner engeren Heimat angehörte, zum Gegenstandeder Abschilderung genomnien hat. besitzen wir eine polittsche Satirevoll Witz und Geist, voll Humor und Ernst, welche ihrer Zeit mitenergischem Griff nach dem Puls fühlt und mit schonungsloser Schärfealle jene Mißstände und Verkehrtheiten geißelt, an welchen die acht-undvierziger Besttebungen des deutschen Bürgertum« zur Einigungund ipolitischen Befreiung Deutschlands so kläglich scheiterten. Mitscharfer Aetze übergießt Hartmann die halben Politiker und falschenStaatsmänner, die unklaren Schwarmgeister, welche unter denMännern der Paulskirche ihre Dilettantenstimme erhoben, und machtgegen manche der gefeiertesten und hervorragendsten Führer desParlaments in freimütiger, wenn auch nicht gerade immer Partei-loser und vorurteilsfreier Weise Front. Es ist kaum ein einzigerleitender Gedanke der Volksbewegung von 1343, der nicht in der„Reimchronik' seine dichterische Resonnanz gefunden hätte. Kaumeine angesehene Person jener Zeit, die hier nicht zu ihrer Ehre oderSchande porttätiert worden wäre! So darf denn daS tresslicheBuch als einer der interessantesten poetischen Beiträge zur Geschichtedes„roten" Jahres betrachtet werden, trotzdem oder gerade weilsich unterdessen die gesaniten polittschen Zustände und Verhältnissein vieler Hinsicht vollständig verschoben und verändert haben.lieber des Dichters und revolutionären Parteigängers Leben,künstlerische Entwickelung und Schicksale, insbesondere über sein Ver-HSItniS zu den Vorgängen und Ereignissen, sowie seinen Beziehimgenzu den Schriftstellern seiner Zeit fehlte eS bisher noch immer aneiner Darstellung auf dem breiten Boden der Geschichte.Endlich hat mm auch Moritz Hartmann in Dr. Otto Wittnerseinen Biographen gefunden. Kürzlich ließ dieser in der im Auf-trage der„Gesellschaft zur Förderung deutscher Wissenschast, Kunstund Literatur in Böhmen" herausgegebenen Bibliothek deutscherSchriftsteller dort den ersten Band seiner Arbeit unter dem Titel:„Moritz HartmannS Leben und Werke. Ein Beitragzur politischen und literarischen Geschichte Deutschlands im 19. Jahr-hundert" erscheinen.*)*) Prag 1906. I. G. Calvesche k. u. k. Hof- und UniverfltätS-Buchhandlung(Josef Koch).