Nnterhaltimgsblatt des HorwärtsNr. 71.Freitag, den 12. April.190728](Nachdruck verboten.)Im k�ampf für R>iilMancls f reiheitEs war gegen neun Uhr abends, Anna Michailowna saßam Tisch und unterhielt sich mit ihrer Schwester, der Arzt lasund beteiligte sich ab und zu an unseren Scherzen. Ich hatteden Korb mit den Drucksachen in ein anderes Zimmer ge-tragen und einen großen Koffer herangeschleift. Da öffnetesich die Tür ei» wenig, und die Köchin sagte zum Arzte:„Herr, es wird nach Ihnen gefragt."Sie hatte noch nicht geendet, als ein Gendarm erschienund sagte:„Bitte, bleiben Sie alle ruhig sitzen.' Sofort erscheint der Offizier."Mit schnellen Schritten trat ein ganz blutjunger Gen-darmerieoffizier herein, schaute uns alle an, ging auf AnnaMichailowna zu und sagte:„Sie sind Anna Michailowna. Nicht wahr? Wie istIhr Familienname?"Sie antwortete ruhig:„Ich heiße Sokolowa."„Ist das Ihre Photographie?" fragte er und zeigte ihrein Bild.„Ja", antwortete sie.Es war ganz still. Keiner von uns hatte sich nach demErscheinen des Gendarmen gerührt. Ich stand am Koffer,Abramoff lehnte an der Tür zum anderen Zimmer, der Ärztschaute erschreckt von seinem Buche auf und sprang dannplötzlich auf. Die Schwester Anna Michailownas war bleichund zitterte. Nur meine Freundin war gefaßt und ruhig.Sie lächelte sogar.„Wem gehört diese Wohnung?"„Afir", antwortete der Arzt.„Sie heißen Nikolajeff und sind hier am Semsttvo alsArzt angestellt?"—„Ja", kam es zitternd heraus.„Haben Sie einen Bruder, Vetter oder Verwandten, derIwan Petrowitsch oder Nikolai Michailowitsch heißt?"„Nein", antwortete unser Wirt.„So. Danke."„Ich erkläre Sie für verhaftet!" wandte sich der Offizieran Anna Michailowna.„Jetzt habe ich eine Haussuchungvorzunehmen und bitte Sie, Herr Doktor, mir die Sachen.die Ihrer Schwägerin gehören, zu zeigen."Wir alle folgten dem Offizier, der in Begleitung vonzwei Gendarmen in das andere Zimmer ging.Einen Moment blieb er vor dem Korbe, wo die Druck-fachen lagen, stehen. Ueber den Broschüren lagen zwei PaarBeinkleider von mir.„Wem gehört dieser Korb?", fragte der O fizier.Ich antwortete ruhig, daß er mein Eigentum sei.„Entschuldigen Sie. Da brauche ich nicht nachzuschauen."Und er ging weiter. Die Haussuchung dauerte überanderhalb Stunden. Unter den Sachen von Anna Michai-lowna wurden noch einige gedruckte Broschüren und Manu-skripte vorgefunden: das alles wurde ins Wohnzimmer ge-bracht.Der Gendarmerieoffizier setzte sich hin und schrieb dasProtokoll. Abramoff und ich versuchten ein paarmal mitAnna Michailowna zu sprechen. Jedesmal wurden wir vondem Offizier unterbrochen.„Ich verbiete Ihnen, mit der Verhasteten zu reden.Mitte, meine Herren, ziehen Sie sich zurück!"Als das Protokoll geschrieben war, sagte der Offizier:„Ich bitte alle, zu unterschreiben."Ich war im Moment unschlüssig, mit welchem Namen ichunterzeichnen sollte. In meiner Seitentasche hatte ich zweiPässe. Der Offizier konnte ja verlangen, daß ich ihm denPaß vorzeigte. Welchen sollte ich benutzen? Hinausgehendurfte ich nicht, so setzte ich auf gut Glück einen der beidenNamen darunter.„Von wo ist der Herr?" fragte der Offizier den Arzt.„Der Herr,— der— Herr— ist aus— Kasan,..er studiert dort", gab der Arzt stotternd zur Antwort.„So", meinte der Offizier.Ahramofs mußte gleich nach mit das Protokoll unter-schreiben, und was wir gefürchtet hatten, trat ein— er unterschrieb Iwan Petrowitsch Abramoff.Als die ersten zwei Namen auf dem Papier standen,stutzte der Offizier einen Moment und fragte den Arzt:„Woher ist dieser Herr?"„Er ist aus Kasan. Er ist Mediziner, und ich habe ihnals meinen Assistenten für die Sommerferien engagiert."„Hm! Aus Kasan ist er, sagen Sie. Dann stimmt esnicht mit meiner Ordre. Ich glaubte, er wäre aus demSüden.— Sind die Pferde fertig?" fragte der Offizier denGendarmen.Totenstill war es im Zimmer. Der Offizier zog einEtuis heraus, steckte sich eine Zigarette an, drehte sich auf demAbsatz um und schaute jeden einzelnen an.„Ich verstehe, wie unangenehm die Angelegenheit Ihnensein muß", wandte er sich an den Arzt.„Sie können ja nichtsdafür, daß Ihre Schwägerin sich mit Sachen abgibt, die füreine Dame absolut nicht passen."„Herr Offizier, ich verbitte mir Moralpredigten!" sagteAnna Michailowna.„Sie haben mich verhaftet, haben aberkein Recht, mir direkt oder indirekt Vorwürfe zu machen. Ichweiß selbst, was ich zu tun habe."„Pardon, so habe ich es ja auch gar nicht gemeint", er-widerte der Offizier und errötete. Der Gendarm erschien undmeldete, die Pferde ständen bereit.„Bitte, mein Fräulein",wandte sich der Offizier an Anna Michailowna.„Ziehen Siesich an, die Gendarmen werden Ihnen helfen."„Kann ich denn nicht wenigstens Abschied von meinerSchwester nehmen?" fragte die Frau des Arztes.„Ja, aberSie dürfen ihr nichts zustecken." Unter den scharf be-obachtenden Blicken der beiden Soldaten und des Offiziersnahmen die Schwestern von einander Abschied. Der Offiziermachte eine Verbeugung. Der Arzt begleitete ihn noch auf dieTreppe hinaus. Wir hörten, wie die Schellen der Pferdeklirrten: als wir hinaus kamen, sahen wir nichts mehr.Abramoff stürzte plötzlich davon, ohne ein Wort zu sagen.Ich kehrte in das Zimmer zurück, der Arzt lief aufgeregt aufund ab und räsonnierte.„Diese Schande! Diese Leute! Was man alleS erlebenmuß! Siehst Du, so ist Deine Schwester. Beinahe wärenwir selbst arretiert worden."„Beruhigen Sie sich", sagte ich zu ihm.„Wir reisenspätestens morgen früh, vielleicht gelingt es uns, sogar gleichPferde zu erhalten. Wir haben Ihnen nicht absichtlich Un-annehmlichkeiten bereitet. Das ist ein Unglück, das jedenvon uns treffen kann."Abramoff kehrte zurück und sagte aufgeregt:„Ich warbei dem Bauern und habe ihm gesagt, er solle sofort an-spannen. Wir müssen gleich reisen."Ich beruhigte ihn. Wir packten schnell ein paar Sachenzusammen. Der Arzt fragte:„Was soll ich denn mit diesemSchund, diesen Drucksachen, machen?"„Was Sie wollen".antworteten wir.Auf einmal trat Abramoff dicht an den Arzt heran undsagte zu ihm:„Sie haben sich wie ein ganz gemeiner Feiglingbenommen! Sie haben vor dem Gendarmen gezittert, wieein Hund. Wenn Sie nicht Angst gehabt hätten, ich würdeIhnen eine Kugel durch den Kopf jagen, so hätten Sie unswomöglich noch verraten."Der Arzt antwortete ruhig:„Ich habe Sie aber doch ge-rettet, indem ich iagte, Sie beide wären aus Kasan. Das ließin dem Offizier keinen Verdacht aufsteigen."„Ach was! Reden Sie nicht", antwortete Abramoff.Er murmelte noch etwas Unverständliches, ging ins andereZimmer und trug einen Koffer auf den Flur hinaus. Ichging ihm nach und sah, wie er in die Dunkelheit hinaus-spähte.„Die Pferde werden schon kommen", sagte ich zu ihm.„Beruhigen Sie sich, lieber Freund."„Ach, beruhigen! Beruhigen", erwiderte er,„Ich kannmich nicht beruhigen!"—Er nahm meine Hand und preßte sie an sein Gesicht.— er weinte. Wir standen eine Weile still da, und ichstreichelte ihm sanft den Kopf.Der Wagen fuhr vor, und wir luden unser Gepäck auf.verabschiedeten uns herzlich von der Schwester von Anna