den Realismus, den die Holländer noch unter der Maske einer über- triebenen Lustigkeit und oft tölpelhaften Erscheinung pflegten, näher an daS Leben heran. Er steht schon mitten drin. Und indem er das Realistische so entschieden und rücksichtslos betont, gibt er seinen Zeichnungen beinahe etwas Phantastisches. Sie sind befreit von dem Ballast der allzu irdischen Nachahmung. Aus Schnörkeln, Klecksen und Punkten setzen sich phantastische Erscheinungen zu- sammen, deren sichere Wirkung verblüfft. Mt den einfachsten Mitteln operiert der Künstler und diese Einfachheit zeugt von seiner Erfindungskraft. Man darf aber nun nicht etwa annehmen, als sei dem Künstler diese stilistische Uebertragung in die karikaturistische, zeichnerische Formel so spielend leicht geworden. Freilich, diese gewandten Skizzen sehen so selbstverständlich aus. als hätte sie der Künsiler nur so herunter geschrieben. Das ist allerdings die höchste Kunst, die uns die Arbeit vergessen macht. Wüßten wir nicht aus der Erfahrung, daß gerade die Einfachheit in der Kunst am schwierigsten ist, so würden uns die zahlreichen Skizzen eines Besieren belehren. Wir ersehen daraus, mit welcher Geduld Busch immer wieder zeichnete und zeichnete, getreu nach der Natur, um endlich nach langer Mühe das Bleibende, Charakteristische zu finden. Dabei erlahmt aber nicht das Auge oder die Hand. Der Eindruck der Frische bleibt erhalten und so gibt uns der Künstler in seinem Werk den Anfang einer impressionistischen Karikatur, wie sie seitdem nicht wieder übertroffen wurde. Freilich-- wir leben heute in einer anderen Zeit. Die Ver- Hältnisse haben sich mehr zugespitzt und zuweilen erscheint uns der Humor, den Busch hat, altväterisch und altmodisch. Der .Simplicissimus' hat das Erbe angetreten. Er ist inhaltlich schärfer und statt des Humors begegnen wir der Satire. Im Künstlerischen aber nimmt Wilhelm Busch den Wettkampf ruhig auf. Die Schöpfungen seiner genialen Begabung hoben internationale Geltung; seine Werke sind in alle Sprachen übersetzt. Es ist bei ihm der seltene Fall eingetreten, daß ein Künstler sein Publikum längst erobert hat und die Kritik kami nachher nur das Urteil be- stätigen. Aber jene Zeit schätzte daS Künstlerische in diesen Arbeiten nicht so bewußt ein. Sie ergötzte sich an den humorvollen und sattrischen Szenen. Das Eigenarttge, Selbständige und Groß« versteht erst unsere Zeit, die speziell auf dem Gebiet der Illustration, der Graphik sich so viel- seitig entwickelt hat. Frei von aller Pedanterie, von aller Deutsch- tümelei steht Busch an der Schwelle einer neuen Zeit, die erst nach ihm kam, die er ahnte. Gelassen wartete er sie ab. Und als sie kam, hatte er sich schon längst bescheiden beiseite gestellt. Von offizieller Stelle hat er nie Anerkennung erhalten; auch sind ihm keine akademischen Auszeichnungen zu teil geworden. Schon vor zwanzig Jahren begannen die Jubiläumsartikel zu seinem SS. Ge- burtstag mit dem ständigen Ausdruck der Verwunderung, Wilhelm Busch sei eigentlich schon seit Jahren totgesagt und totgeglaubt. Man sieht, Wilhelm Busch ist in der deutschen Kunstgeschichte des neunzehnten Jahrhunderts ein ganz eigenes Kapitel. kleines Feuilleton. Der Rabbi von Jaworow.<N ach druck verboten.) Der Rabbi von Jaworow fuhr in einer Budka über Land auf den Markt nach PrzemhSl. Er hatte in Mosciska einen Bruder, darum fuhr er über MoSciSka und wollte dort nächtigen. Das ist leicht ge- sagt. Wenn aber Markt in PrzemhSl ist, fahren alle Juden hin, und wenn sie hinfahren, nächtigen sie bei des Rabbis Bruder in MoSciska. Als es der Rabbi auch so machen wollte, zeigte sich, daß kein Plätzchen in, Hause mehr unbesetzt war, und es blieb nichts übrig, als: auf dem Wagen in der Scheune schlafen. Und so geschah's. Moische Bandwurm, der Kutscher, zog die Budka in die Scheune, band die Pferde verkehrt an die Deichsel, damit sie aus dein Vorderschragel fresien konnten, machte für den Rabbi ein Lager im Wagen zurecht, sich eins unterm Wagen und schon war'S finster. Als der Rabbi gebetet hatte, sprach er:»Maische Bandwurm, hast du gebetet, daß uns de Pferd' nix sollen gestohlen wer'n?* .Nein, Rebbeleben l' So bet' und bind sie außerdem fest an.' Moische tat, wie ihm geheißen worden. Als er fertig war, begann der Rabbi wieder:»Moische Band- wurm wenn du gebetest hast und die Pferd' fest angebunden hast und du auch noch wachendig bleibst, und acht gebst is es trotz dem Marttgewihl meeglich, daß uns de Pferd' nix gestohlen werden." Ich wer' wachendig bleiben und acht geben", sagte Moische . Der Rabbi legte ihm beide Hände aus den Kopf, murmelte einen Segen und stieg langsam in die Budka. »He, Moische," rief der Rabbi , als er mitten in der Nacht durch Hundcgcbell aus dem Halbschluinmer des unbequemen Lagers ge- schreckt ward.He, Moische!" »Was wollt ihr, Nebbelcben?" »Schloifst du, Moische?" »Nein, Rcbbcleben." Was machst du denn?" »Ich denk' nach. Revbeleben!' Ueber wos denkst du nach, Moische Bandwurm?' »Ich denk' nach, ich denk' nach.... wo der Uuschlitt hinkommt, Wenn eine Kerze brennt." als du so gescheite Sacher, nachdenkst, wirst du doch nix einschlafen," rief der Rabbi beruhigt und wandte sich auf die rechte Seite. Ein kühler Luftzug ging durch die Fugen im Scheunentor, da erwachte der Rabbi wieder. »He, Moische I" rief er. Was wollt ihr. Rebbeleben?" »Schloifst du, Moische?" »Nein, Rebbeleben I" »Was machst du denn?" »Ich denk' nach, Rebbeleben l" »Ueber wos denkst du nach. Moische Bandwurm?" Ich denk' nach ich denk' nach: wo kommt das Holz hin, wenn man'en Nagel in'en Brett'ereinschlagt?" als du so gescheite Sachen nachdenkst, wirst du doch nix einschlafen," sagte der Rabbi und wandte sich erleichtert nach links um. Die Sterne verblaßten. Da krähte ein Hahn und weckte den Rabbi aus dem Schlummer. He, Moische", sagte der fromme Mann. »Was wollt ihr. Rebbeleben?" »Schloifst du. Moische?" »Nein, Rebbeleben I" »Was machst du denn?" »Ich denk' nach. Rebbeleben l" »Ueber wos denkst du nach, Moische Bandwurm?" . Rebbeleben aufrichtig gesagt ich denk' nach-» ich denk' nach...: die Tore seind zu, gerührt hat sich nix wo seind aber ünsere Pferd'?" Roda Roda . Physiologisches. Wann ist der Mensch am k rüstig sten? Ein wesentliches Kennzeichen des lebenden Wesens ist seine Ver- ändcrlichkeit. Ein Stein kann Jahrtausende hindurch an derselben Stelle liegen, und wenn nicht von außen die Einflüsse des Wetters eine Zersetzung, eine Verwitterung hervorrufen von innen her- aus findet keine Zustandsänderung an ihm statt. Das Lebewesen dagegen ist in einem beständigen Wachsen und Vergehen begriffen, das sich nach den verschiedensten Richtungen hin äußert, auch nach der Seite der Kraftveränderung. So wird auch der Mensch als schwaches, äußerst hinfälliges Wesen geboren, nur ganz allmählich nimmt er an Stärke und Widerstandsfähigkeit zu, bis er in einem gewissen Lebensalter das Höchstmaß seiner Kraft erreicht, um all- mählich wieder schwächer zu werden, bis zur Hülfs- und Kraft-. losigkcit des erschöpften Greisenalters. So ähnelt also i das Menschenleben dem Kreislauf des Jahres, in dem Nach der Zu- nähme der Wärme im Frühling und Sommer eine Abnahme im Herbst erfolgt, bis zur Erstarrung des Winters. Aber wie neben dem Jahrdskreis auch ein Tageskreis der Zu- und Abnahme der Wärme besteht, so läßt auch der Mensch neben der auf ein ganzes Leben sich erstreckenden Zu- und Abnahme der Kräfte auch eine tägliche regelmäßige Veränderung seiner Stärke erkennen, und die Frage ist nur, wie sich diese Veränderung auf einen einzigen Tag verteilt.. Man ist wohl im allgemeinen.der Meinung, daß der Mensch am Morgen, unmittelbar nach dem Aufwachen am kräftigsten ist, oder, wie der moderne Sportausdruck es bezeichnet, sich am besten in Form befindet. Aber nicht immer ist die all- gemeine Meinung auch die richtige. Man hat Instrumente kon- struicrt, mit denen man ganz genau mißt, welche Arbeitsleistung ein Mensch vollbringen kann, und mit diesen Instrumenten Dynamometer oder Kraftmesser nennt man sie hat man auch bestimmen können, zu welcher Tageszeit der Mensch am kräftigsten ist, und mittels des Dynamometers hat man festgestellt, daß das tägliche Kraftmaximum des Menschen durchaus nicht unmittelbar nach dem Erwachen besteht, sondern daß seine Muskeln gerade zu dieser Zeit am schwächsten sind. Dann steigert sich die Muskelkraft schon nach dem Frühstück und nimmt auch nachher noch weiter zu während man vielleicht zu der Annahme geneigt war, daß die tägliche Arbeitsleistung zu einer Schwächung der Muskeln führe. Ihr wahres Maximum erreichen deren Kraft nach dem Mittagessen; von da an nimmt sie allmählich ab, hebt sich gegen Abend nochmals, aber nur um einen geringen Betrag, um von da an regelmäßig bis zum Minimum zu sinken, das sie eben am Morgen erreicht. Die interessanten Messungen erstreckte» sich auch auf die Bestimmung, wie die Arbeit selbst die Kraft de.. Menschen beeinflußt, und hierbei ergab sich, daß Trägheit und Ucberanstrengung die größten Feinde der Mcnschenkraft sind. während eine mäßige' Anstrengung sie in den besten Zustai) versetzen; also auch hier ist die goldene Mittelstraße das Richtige. Für die praktische Nutzanwendung ergeben die physiologischen Messungen, daß man nicht gut tut, unmittelbar nach dem Auf- stehen körperliche Hebungen vorzunehmen, wie es so vielfach ge- schieht, sondern daß man sie verschieben soll, bis man die erste Nahrung zu sich genommen hat; Morgenstunde hat gewiß Gold im Munde, aber nicht vor dem Frühstück.