Nnterhaltungsblatl des HorwSrts Nr. 91. Dienstag, den 14. Mai. 1907 (Nachdruck verbolen.Z 2] parpanefe. Von M. v. R e h m o n d. Die Sache wurde vertuscht. Man rechnete mir den Uni- stand zugute, daß mich der Auditor ohne Weisung gelassen hatte; dieser aber, ein ältlicher und schon etwas klapperiger Herr, nahm fast unmittelbar nach jenem Ereignis seinen Ab- schied. Parpanese lag sehr lange im Lazarett und wurde dann als Ganzinvalide mit Laufpaß entlassen. Die Kameraden mußten ihm wohl erzählt haben, auf welche Weise er damals um den grausamen Kontermarsch herumgekommen war, denn kurz nach seinem Abgang vom Regiment übergab mir mein Bursche eine recht kunstvoll aus Brotteig geknetete und bunt- bemalte Madonnenfigur, die ihm auf den unglaublichsten Um- wegen in die Hände gespielt worden war. Parpanese hatte sie auf seinem SchmerzenIlager verfertigt.............. Siebenzehn Jahre waren seither verstrichen. Der große Krieg von 1866 war beendet; Venetien , das bekanntlich von Oesterreich an den Kaiser Napoleon abgetreten worden war, sollte in den nächsten Tagen in den Besitz Italiens übergehen. Hier herrschten die merkwürdigsten Zustände. Die Oesterreicher hielten noch das Festungsviereck und Venedig besetzt, wo man an einer und derselben Mauer Plakate angeschlagen sah, von denen eines eine Proklamation des französischen Generals Lebveuf als Vertreter des derzeitigen Landesherrn ein zweites eine wohlgemeinte Mahnung des k. k. österreichischen Platz- kommandos zur Aufrechterhaltung der Ruhe und Ordnung, ein drittes die Bekanntniachung des demnächst bevorstehenden feierlichen Einzuges Viktor Emanuels enthielt. In dem zwischen dem Torre, Judrio und Jsonpo gelegenen Landwinkel, der zu dem an Italien fallenden Gebiete gehörte, standen eben- falls noch österreichische Truppen, die— rein pro forma— am Torre und unteren Jsonpo den Vorpostendienst versahen und sich um alles weitere ebensowenig bekümmerten als die in dem aufgegebenen Lande noch vorhandenen österreichischen Behörden und Sicherheitsorgane. Zu allem Ueberfluß herrschte auch noch die Cholera, und der Eisenbahnverkehr war streckenweise unterbrochen. Unter diesen wenig einladenden Verhältnissen reiste ich mit meiner kleinen Familie durch Oberitalien noch der Schweiz . Von Trieft bis Cormont hatte ich die Bahn benutzt, dann aber vorgezogen, ein Fuhrwerk zu mieten, das uns zunächst nach Udine bringen sollte. Der Vetturino(Kutscher ) war ein äußerst gesprächiger Bursche, der alles Mögliche zu be- richten wußte und alles Mögliche wissen wollte. Natürlich drehte sich die Unterhaltung hauptsächlich um den eben ausge- fochtenen Krieg, und dieses Thema interessierte den Fuhrmann so lebhaft, daß er darüber gänzlich vergaß, auf sein Gespann zu achten. Dicht vor dem alten, romantisch an den epheu- umsponnenen Felsufern des Natisone gelegenen Friauler- städtchen Cividale rumpelte das wohl schon etwas alters- schwache, mit vier erwachsenen Personen, zwei Kindern und reichlichem Gepäck beladene Fuhrwerk gegen einen Stein an und brach zusammen. Hülfe war glücklicherweise rasch zur Hand, und de» herbeigerufene Schmied erklärte, den Schaden zur Not wieder ausflicken zu können; doch werde die Weiter- fahrt nach Udine erst gegen Abend angetreten werden können. Ich mußte mich also wohl oder übel bequemen, im nächsten Albergo Quartier zu nehmen. Dorthin wurde auch das Ge- päck geschafft. Der Vetturino schob jetzt natürlich alle Schuld auf seine armen Pferde, denen er eine schier endlose, mit den greulichsten Fluch- und Schimpfworten getoiirzte Straf- predigt hielt, und auf die Ueberlastung des Wagens, für die er mich verantwortlich zu machen versuchte. Nachdem ich ihm aber, das Mißliche meiner Lage wohl erkennend, die beruhigende Versicherung gegeben hatte, daß ich die Hälfte der Reparaturkosten auf mich nehmen und wegen der anderen Hälfte nach glücklicher Ankunft in Udine noch mit mir reden lassen wolle, schlug seine Stimmung wieder um, und mit epischem Schwünge pries er jetzt die Madonna und alle Heiligen dafür, daß sie ihm einen so großmütigen Passagier zugewendet hatten. Inzwischen hatte sich allerhand müßiges Volk, darunter etliche recht verdächtig aussehende Gestalten, um uns angesammelt, um sich an der Wegschaffung des Ge> päckes und des Fuhrwerkes hlllfreich zu beteiligen. Alle diese Leute beanspruchten nun Belohnung für ihre Mühe- waltung, und mein Kleingeld fand reißenden Absatz. Endlich war auch das überstanden, und der Vetturino zog mit seinem Wrack nach der Schmiede ab, gefolgt von einem Häuflein besonders Neugieriger, denen er nun das große Ereignis mit breitester Umständlichkeit und in phantasivollster Aus- schmückung nochmals auseinandersetzte. Glücklicherweise hatten weder meine Frau noch die beiden Kinder und ihre Bonne bei dem Unfälle irgendwie Schaden genommen; um so lebhafter machte sich aber jetzt das Be- dürfnis nach einer kräftigen Mahlzeit geltend. Ein guter Tropfen„Nostrano", ein Teller Risotto, ein schmackhaftes Perlhuhn und zum Schluß ein aus frischen Feigen, Wein- trauben, Pfirsichen und köstlichem Mailänder Stracchino zu- sammengesetztes„Giardinetto" findet sich in diesem gesegneten Lande selbst in der einfachsten Baucrnschänke, geschweige denn in einem am Saume eines städtischen Weichbildes ge- legenen Albergo; in kulinarischer Beziehung hatten wir also durchaus keinen Mangel zu leiden. Um den herrlichen Herbsttag und den Ausblick auf die malerische Maggiore- Gruppe zu genießen, die sich im Hintergrunde der einstigen langobardischen Herzogsstadt erhob, ließ ich in einem an das Haus anstoßenden Gärtchen den Tisch für uns decken. Dort wollte ich auch Siesta halten, während Frau und Kinder Erholung von den Anstrengungen und Aufregungen des Tages und neue Kräftigung für die weitere Reise in einem aus- giebigen Nachmittagsschlafe finden sollten. Eben hatte ich mir eine Virginia angezündet, um mit ihrem feinen blauen Wölkchen meine Gedanken in die sonnige Luft hinaus schweifen zu lassen, als ein Mann, der sich unbemerkt in den Garten eingeschlichen hatte, mit einer sehr respektvollen, aber keines- wegs unterwürfigen Verbeugung an mich herantrat und um die Erlaubnis bat, mir einige Kunststücke vorführen zu dürfen. Diese Art verschämten Bettels war mir bereits von meinem früheren Aufenthalt in Italien her bekannt; ich wollte aber den armen Teufel nicht abweisen, weil er mein Mitleid erregte. Es war einer jener Proletariertypen, denen man in Italien nicht selten begegnet: ein Gentilnomo in Lumpen. Das von einem langen, grauen Vollbart um- rahmte Gesicht zeigte edle Formen, zugleich aber auch tiefe Spuren des Elendes und der Verkommenheit; die hohe Ge- stalt war schlotterig und ausgemergelt, Haltung und Manieren hatten etwas natürlich vornehmes, das aber in grausam höhn- vollem Widerspruch zu dem verwahrlosten Zustande der äußeren Erscheinung stand. Ich glaubte den Mann schon früher unter den Leuten bemerkt zu haben, die meinen zu- sammengebrochenen Wagen umstanden hatten; unter denen, die sich zuletzt ein Trinkgeld erbettelt hatten, war er jedoch nicht gewesen. Auch jetzt wollte er sich nicht mit einem Almosen abfertigen lassen; das Geldstück, das ich ihm hin- schob, ließ er unberührt, zog dagegen ein Brettchen und ein spitzes Messer hervor und begann mit der Vorstellung. Die Linke legte er mit ausgespreizten Fingern auf das Brett, mit der Rechten ergriff er das Messer und stieß dieses, mit unheimlicher Geschwindigkeit von Spalte zu Spalte hüpfend, in die von den Fingern nicht bedeckten Zwischenräume. Dieses nervenergreifende Schauspiel war für mich die reine Höllenqual; aber ich wagte es nicht, dem Künstler Einhalt zu gebieten, aus Furcht, ihn unsicher zu machen. Dagegen kam mir von anderer Seite Hülfe: der Wirt hatte vom Hause her den Einschleichcr bemerkt und kam nun mit geballten Fäusten angerannt um ihn zu verscheuchen.„Olä, Parpanese... fiol d'uncane!" brüllte er schon von weitem dem armen Kerl zu, der Brett und Messer schleunigst in seinen Taschen verschwinden ließ;„Hab' ich Dir nicht ver- boten, mein Haus zu betreten? Mach, daß Du fortkommst, oder....." Eine Flut von Scheltworten ergoß sich über den Ein- dringling. In meinen Ohren hallte aber nur ein einziges Wort wieder: Parpanesel Und wie ich nun den Mann schärfer ins Auge faßte, wie ich ihn da vor mir stehen sah, das verfallene Gesicht von jäh entflammter Zornsröte durch- glüht, die hohe Gestalt in lauerndem Trotze gleich einer sprungbereiten Katze sich zusammenkrümmend, da zweifelte
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24 (14.5.1907) 91
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