Ter Nmssrichter Meyyofer, lvelcher w��rend der schonenJahreszeit an jedem Sonnabendnachmittag zum Felsenkellerdes blauen JJngel hinaufstieg war aber nur eben in denGarten getreten. Der stattliche, etwas beleibte Mann trock-nete sich noch den Schwe'ch von der Stirn, als ihm Regineschon mit einem etwas gezierten Knix den schäumenden Krughinsetzte.„Ei, ei, Sie selbst bedienen mich heute, Fräulein Negine?"sagte der Amtsrichter artig, und sie entgegnete, indem sie einwenig beiseite trat, so daß sie den Tisch übersehen konnte,an dem die Studenten becherten:„Kann leider nicht immer die Ehr' haben, Herr Amts-richter. Es gibt so viel im Haus zu tun, und Sie wissen,die Mutter ist zu nichts mehr gut."Ter Amtsrichter fuhr sich noch einmal mit seinem rot-seidenen Taschentuch über die Stirn und das im Staats-dienst kahl gewordene Haupt und griff dann nach dem Kruge.„Ach, vortrefflich," murmelte er nach einigen Sekunden,indem er den Deckel seines Glases bedächtig schloß,„das tutwohl!"(Fortsetzung folgt.)�orit2 Lazarus:„I�ebensermnerungen".Von Ernst KreowSki..Das Andenken der Männer, in denen sich die Menschenhoheitlebendig geoffenbart hat, ist das beste Erbe, das wir aus der Ver-gangenheit und der Geschichte überkommen." Mit diesem Satzevon Berthold Auerbach schließt Alfred Leicht das Vorwort zuMoritz Lazarus' Lebenserinnerunge n.")Wenn man diesen gewichtigen Großoktavband von 620 Druck-feiten mit dem Notizstift in der Hand gelesen hat, so weiß man,welch ein bedeutender und herrlicher Mensch Lazarus gewesen seinmüsie, auch wenn einem seine Schriften unbekannt geblieben wären.Denn der sicherste Gradmesser hierfür ist doch allemal: in welchemLebensumtrieb jemand gestanden, in welchem Maße sein Geist,seine gesamte Persönlichkeit in die Weite gewirkt, der Wissenschaftneue Wegstrecken erschlossen, die Mitlebenden angezogen und be-feuert hat. Ein solcher Mensch spiegelt sich in dem Kreise seinerFreunde und Feinde. Es genügt zu erfahren, wer und welcher Artsie waren, um zu wissen, welche Größe dem beizumessen ist, derihren Mittelpunkt gebildet hat. Ein wirkliches Kunst- undForschergenie gleicht einem Riesenmagneten, der die schwerstenKörper anzieht und festhält. Diese ihm innewohnende Kraft be-dient sich wohl zuweilen auch äußerlicher Mittel, um zu rascherHerrschaft zu gelangen. Indessen wird sie noch weit öfter mißver-standen und angefeindet. Dies fatale Los ist noch keinem wahrhaftschöpferischen Geiste erspart geblieben. Ich brauche Beispiele hier-für nicht weit her zu holen. Die deutsche Kunst und Wissenschaftbietet weitaus mehr Belege, als die einer anderen Nation. Aufdem Jahrhunderte langen Wege ihrer Entwickelung zeigt sieMarterl an Marterl. Ein durchweg glückbesonntcS Dasein ist denallerwenigsten beschieden gewesen; und Moritz Lazarus gehörtnicht zu ihnen. Um zu dieser Erkenntnis zu kommen, wird es not-wendig sein, den Entwickelungsgang und Verlauf dieses anWirkungen so unvergleichlich reichen GelehrtenlebenS zu ver»folgen.Lazarus wurde als Kind jüdischer Eltern zu Filehne(Posen)am lb. September 1824 geboren. Er konnte erst spät das Ghm-nasium besuchen, absolvierte dann aber in eindreiviertel Jahrendie vier obersten Klassen. Die Klarheit, die hernach in allen seinenSchriften und Reden zutage tritt, wurde von ihm mit Recht alsein Erfolg der Klarheit, mit der er den ihm gebotenen Lernstofferfaßte, bezeichnet. Die Gefahren des zu frühen Unterrichts hater oft genug 4n seinen Vorlesungen hervorgehoben.„Wer reiferist für das, was er lernt, wird, alle» übrige gleich gesetzt, der be-deutendere Mensch werden. Wer mit sieben Jahren etwas auf-nehmen soll, wozu die Reife von neun Jahren erforderlich ist, wirdnie reif werden, wenn sich dies Verhältnis durch seine ganze Lehr-zeit zieht; er wird den Schaden der ganzen Art, wie er seine Funk-tioncn vollzogen, nie wieder ausgleichen können." Nach Absol-Vierung des Gymnasiums bezog Lazarus die Berliner Universität,um Philosophie und Sprachen zu studieren. Es war kein schönesStudentenlebcn. Im Sommer 1848 ist er Redakteur der Bürger-Wehrzeitung, er unterrichtet Erwachsene und Kinder: AbrahamH o ch m u t h, einen der hervorragendsten Rabbiner Ungarns, imLateinischen und Griechischen, den Vater der bekannten BerlinerPorträtmalerin Betty Wolff im Französischen. DieS geht nebenfeinen weitverzweigten Studien her. Täglich z. B. widmete er sichmit seinem Bruder hebräischen Studien und ebenso regelmäßiglas er jahrelang täglich im Plato. Aber das ist noch nicht alles.Denn schon im ersten Semester hält er fleißig öffentliche Vor-träge. Er wählte die verschiedensten Themata und bereitete sich auf•) Berlin, Georg Reimer, 1006.dieselben eifrig und ernsthaft vor. Zunächst kam hierfür der Hut,verein in Frage. Was es mit diesem Verein für eine Be,wandtnis hatte, erfahren wir von Lazarus.„Anfang der vierziger Jahre, als die Hoffnungen der Berliner,der neue König Friedrich Wilhelm IV. werde endlich die heiß er,sehnte und längst versprochene Verfassung geben, grausam ent»täuscht worden, machte sich in der Bürgerschaft allerlei Strebenkund, durch persönliches freies Auftreten zu demonstrieren undsich gegen altgebräuchliche behördliche Bevormundung und Polizei»liche Einengung aufzulehnen. Diese Opposition hatte etwas An-steckendes, sonst ganz sanfte und gesittete Untertanenseelen begannenzu rebellieren, man konnte es an allen Ecken und Enden beob-achten. So war eines Tages im großen Kaffeesaal bei Kroll eineGruppe junger Leute, die, unter den vielen Versammelten an einemTisch beisammen, alle— ob durch Zufall oder Verabredung— denH u t auf dem Kopfe behielten. Andere Gäste remonstrierten gegendiese Neuerung und wollten sie nicht dulden. Es gab einen scharfenStreit, doch blieb es bei einem bloßen Wortgefecht. Ein Teil derAnwesenden hatte indeß für die Hut-Helden Partei genommen,und kurz entschlossen fand man sich sofort zusammen zur Gründungeines„H u t v e r e i n s"... Der junge Verein gedieh und gewannzahlreiche und begeisterte Anhänger; bald aber erkannte man, daßdieser lediglich oppositionelle Zweck zu eng sei, und der Vereinmachte politische und literarische Belehrung zu seiner Aufgabe."Um diese Zeit trat auch Lazarus ihm näher. Der Hutverein ver-sammelte sich in einem hübschen Gartcnsaal des Friedrich-Wilhelm-städtischen Theaters etwa zweimal in der Woche und ließ vonjedem, der die Lust und das Zeug dazu hatte, Vorträge halten.Einer der meist begehrten Redner war der Studiosus phil. MoritzLazarus. Zur Seite des Hutvereins bildete sich dann mit ernster,überwiegend politischer Tendenz der„Verein der Frei»m ü t i g e n". Während der elftere bei der nun wirklich ernsthasteintretenden politischen Bewegung von 1848 von der Bildfläche ver»schwand, geriet der letztere, dessen Name und ursprüngliche Tendenzmanche Hoffnungen erweckte, allmählich immer mehr in das unge-fährliche Fahrwasser eines rein literarischen und geselligen Amü,sements."Als den liebsten seiner Lehrer bezeichnete Lazarus AugustB o c ck h, den berühmten Philologen, der damals an der BerlinerHochschule wirkte. Von ihm erzählt er eine charakteristische Anek-dote. Einmal wollte Lazarus mitten aus seinen Studien herausBerlin plötzlich verlassen und eine Hauslehrerstelle in Oppeln an-nehmen, um das Geld zum Wiederaufbau des im Hause seinerEltern in Filehne eingestürzten— Schorn st eins zu verdienen.Er trug Boeckh, der gerade Dekan war, die Sache vor und fragte.was zu tun sei, um die sechs Taler zu ersparen, welche die Ex-matrikulation und später die neue Immatrikulation erforderten.Der alte Gelehrte ging erst eine Weile schweigend mit seinemPfeifchen im Zimmer auf und ab und sann über den Kasus nach.Endlich stellte er sich vor den bescheiden Harrenden hin undschnauzte ihn an:„Gehen Sie doch bloß in die Ferien!— Daß Siegleich ein halbes Jahr wegbleiben wollen, brauchen Sie uns janicht auf die Nase zu binden!"—Lazarus war von Anfang her„leidenschaftlich und doch äußerstbesonnen" bestrebt gewesen, sich eine universale Bildung eigen zumachen. In den ersten zehn Jahren, seit er ausstudiert hatte, be-kleidete er kein Amt und keine Stellung. Die so gewonnene Zeitund Muße benutzte er, sich täglich nach seinem Ermessen in allerleiLiteraturen umzutun. Sein ganzes Streben war auf Ausbildungund Ausgestaltung des völkerpsychologischen Gedankensgerichtet. Dies Streben machte zugleich den vielseitigsten Umblicküber alles Menschliche ebenso notwendig, wie die literarischeRichtung auf Psychologie die analytische Forschung erheischte.In diese Vorbereitungsjahre fällt sein für-die Erforschung deseistigcn Lebens der Gesamtheit grundlegendes Werk:„Lebener Seele in Monographien", das mehrfach aufgelegt, indrei starken Bänden erschienen ist. Lazarus rechnet sich mit Vor»liebe zu den Herbartiancrn. Auch Herbart betrachtete als Kernund Mittelpunkt aller philosophischen Arbeit die Psychologie.wie er denn der Begründer einer wissenschaftlichen Psychologie ge-Wesen ist. Allein wie Herbart an Fichte, so hat Lazarus— sagtsein ihm befreundeter Schüler Alfred Leicht— auch bereits alsStudent an den Grundprinzipien der Herbartschen Psychologie einefast durchgehcnds negative Kritik geübt. Er ist Herbartiancr, ähn»lich wie sich Hcrbart selbst als Kautianer bezeichnet hat, und dieArt seiner Kritik ist zugleich ein schönes Denkmal, das er demMeister errichtet. Für Herbart feine Verehrung zu bezeugen, istLazarus nicht müde geworden. Und als es sich darum handelte.dem ausgezeichneten Philosophen und Pädagogen zur hundert-jährigen Wiederkehr seines Geburtstages(4. Mai 1876) in seinerGeburtsstadt Oldenburg ein Denkmal zu setzen, nahm Lazarus deninnigsten Anteil an der Ausführung dieses Planes. Er war eSauch, der als Würdigster befunden wurde, die Gedächtnisrede zuhalten. Seinem Werke„Leben der Seele" ist es nach dem AusspruchE. von Sallwürks, eines der berufensten Herbartianer, zu dankengewesen, daß eS der Psychologie Herbarts, die man schon zu ver-gessen angefangen hatte, und damit auch seiner Pädagogik, die ebendamals wieder praktisch geworden war, eine erneute Beachtungverschaffte.Will man wissen, welch eminenten Einfluß dieses Werk de?Philosophen auf die Vertiefung und Verwertung psychologischerProbleme in Schöpfungen der zeitgenössischen deutschen Dichtung