Anttthaltungsblatt des vorwärts Nr. 94. Freitag, den 17. Mai. 1907 2� Verloren. (Nachdruck verboten.) Eine Leidensgeschichte aus dem Volke. Von Robert Schweichs!. Ja. es ist ein warmer Tag." sagte Regine, immer nach den Studenten hinblickend, und dann ihre weiße Schürze glatt streichend.Soll ich Ihnen gleich noch ein Schüppchen bringen. Herr Amtsrichter?" Oho," lachte Herr Meyhofer,wo denken Sie hin? Sie meinen Wohl, ich könnte es noch mit den flotten Burschen drüben aufnehmen? Die Zeiten sind vorüber." Auch Regine lachte. Und warum sollte sie nicht lachen? Sie hatte hübsche weiße Zähne und einige von den Studenten hatten schon wiederholt nach ihr hingeschaut, mehr neugierig freilich als bewundernd. So übel war Regine indessen nicht, wenn auch der Flaum der Jugend, der Mariens schönster Reiz, von ihrer Gestalt bereits hinweggewischt war. Sie war ein wenig hager, aber ihre Haut sehr weiß, und sie besaß eine große Fülle blonden Haares, das in der So.nne wie rotes Gold glänzte. Ihr Gesicht hatte einen etwas strengen Ausdruck, wie ihn die Gewohnheit des Herrschens gibt, denn Regine führte das Regiment im Hause; ihre blauen Augen glichen einem kalten Winterhimmel. Gegenwärtig wurde das Gebieterische in ihren Zügen durch das Bewußtsein ge- mildert, daß sie von den Studenten nicht unbemerkt geblieben sei. und noch lachend und sich in den Hüften wiegend verließ sie den Tisch des Amtsrichters. Worüber lachen Sie denn, schönes Kind?" und der Arm eines bärtigen Musensohnes umschlang Regine. Regine galt in ganz Rotenburg , und wohl nicht mit Unrecht, für stolz, war sie doch das einzige Kind des blauen Engels, und Jeremias Petermann war reich. Die Kühnheit des Studenten schien sie aber diesmal nicht zum Bewußtsein ihres Stolzes gelangen zu lassen. Sie machte sich zwar mit Geziertheit frei, doch stand sie Rede und nicht nur dem kühnen Bärtigen. Dem Amtsrichter Meyhofer schien das muntere Treiben der Studenten große Teilnahme einzuflößen. Die Zeiten waren freilich schon lange vorüber, wo er selbst mit einer solchen dreifarbigen Mütze uncherstolziert war; allein die Erinnerung an die flotte Burschenzeit war nicht von ihm ge- wichen, wenn auch auf ihr ein zwanzigjähriger Akten- und Arntsstaub lagerte. Sie glich dem immer schwindenden Ge- dächtnis einer ersten Liebe und Herr Meyhofer war ein Junggeselle geblieben. Ja, der Herr Amtsrichter war einst ein flotter Bursche gewesen, wie nur je einer mit bunter Mütze, sporenklirrend und ziegenhainerstampfend die Mittel- steine in den Straßen der Universitätsstadt trotzig behauptet hatte. Ach, und hatte er nicht zwei Semester hindurch mit unumschränkter fürstlicher Gewalt den Bierstaat regiert? Obgleich es ein warmer Tag und das Bier vortrefflich war. so führte der Amtsrichter doch den Krug nicht zum zweiten Male zum Munde. Seine Erinnerungen an die fröhliche selige Universitätszeit waren wach geworden und er dachte an ein geheimes Schubfach seines Schreibtisches. In diesem Schubfach ruhten die Reliquien seiner Studienjahre: ein abgenutztes Liederbuch, dessen Blätter die Male manchen Gelages in ihren gelben und braunen Flecken wiesen, die vielfach durchstochene Mütze und das bunte mit Namen be- schriebene Band, welches des Burschen Brust umzogen hatte. Diese Mütze, dieses Band trugen dieselben drei Farben, welche die Musensöhne dort unter dem Apfelbaum schmückten. Herr Meyhofer leerte seinen Schoppen mit einiger Auf- regung; dann stand er auf und trat an den Tisch der Studenten. Ich grüße die Herren Kommilitonen," sagte er.Man vemißt die Farben nicht, die man selbst einmal getragen hat. Es mag wohl einige zwanzig Jahre her sein, daß ich die Ehre hatte, Senior Ihres Korps zu sein. Wenn Sie mit deren Annale» bekannt sind, so haben sie auch meinen Nomen in denselben gefunden. Ich heiße Meyhofer, ge- yannt Schrunrm." Da schnellten die Bursche von den Bänken aus. Hurra, der Schrumml" schrien sie durcheinander. Altes Haus! Tüß!" Tuß, der zweiundvierzigste Bierregent dieses Namens usw." ergänzte der Amtsrichter lächelnd. Bruderherz! Goldschrumm!" rief es dagegen. Ueber die Bänke und den Tisch sprangen sie, um dem ehemaligen Senior die Hand zu drücken, ihn zu umarmen und zu küssen. Sie waren gar stürmisch in ihrer Zärtlichkeit und dem beleibten Amtsrichter verging fast der Atem bei den Umarmungen und Küssen. Die Augen wurden ihm feucht darüber, daß sein Name noch in so lebhaftem Andenken bei der jungen Generation stand. Nun, er hatte auch während seines Trienniums redlich durch tolle Streiche dafür gesorgt, nicht sobald vergessen zu werden. Und nun bringen Sie mir noch ein Schöppchen, Fräulein Regine," sagte der Amtsrichter, indem er vergnügt unter den jungen Leuten Platz nahm, die sich um die Ehre stritten, zur Linken oder zur Rechten des. gloriosen Schrumm zu sitzen. Was, einen Schoppen?" rief einer.Tuß und einen Schoppen?" Eine Maß, eine Maß!" fielen andere ein.He, Wirts. haus, Engel, eine Maß!" Und Krüge, Fäuste, Stöcke trommelten auf den Tisch. Marie lief nach einem Maßkruge, während der Wirt durch den Lärm aus dem Keller herbeigezogen wurde. Da durebblitzte einen der Musensöhne ein glücklicher Gedanke, er sprang auf und schrie:Silentium!" Silentium, Silentium!" hallte es nach.Pipin will eine Rede halten!" Pipin, ein kleines Bürschchen, das wohl noch kein halbes Jahr an den Brüsten der Weisheit gesogen hatte, sprang auf die Bank, winkte mit seiner Mütze und rief: Kommilitonen! Keine Maß, denn unsere Freude ist ungeinessen. Ich proponiere zur Ehre des Tages ein Fäßchen! Dixi!" Ein Jubeln, ein Jauchzen, von dem das Tal widerhallte, lohnte den bündigen Redner. Ein Fäßchen war bald aufgelegt, und als die Krüge ringsum gefüllt waren, erhob der Amtsrichter den seinigen und rief: Ein Schmollis der Ganzen!" Fiducit," ging die Antwort um den Tisch herum, und nun stimmte der Amtsrichter mit tiefer, dröhnender Stimme an: Da? Jahr ist gut. das Bier ,st geraten." Einfielen die anderen mit Tenor und Baß im Chor. Wie das so mächtig brauste und klang! Der Gesang zog die Kinder und Weiber aus dem Dorf hinauf. Sie guckten über und durch den Gartenzaun und drängten sich neugierig, Augen und Mund weit offen, in der Gartenpforte. Wegen des Wirtes lvagten sie sich nicht weiter vor. Der stand mit seiner Tochter und Marie nicht weit vom Apfelbaum und blinzelte mit den Augen, als wollte er sagen:Schau, schau, wie's der gestrenge Herr Amtsrichter noch versteht." Ja, er verstand den Komment noch, als sei er noch Senior. Es ward auf seinen Vorschlag mancher Salamander gerieben für die Lebenden und die Toten; er kommandierte zum Bierduell auf die Mensur, diktierte Strafen, kurz, er benahm sich mit einer Unfehlbarkeit und Würde, als um- zirkelte sein Haupt noch die Krone des zweiundvierzigsten Tuß. Er hatte seinen Hut mit einer Burschennrütze ver- tauschen müssen und siehe, jetzt überreichte ihm auch eine Deputation den Hausorden des Bierstaates, der aus Korken bestand, die mit einer Schnur aneinander geknüpft waren. Die Ordenskettc wurde mit einer scherzhaft feierlichen Rede dem ehemaligen Senior um den Hals gehängt. Er dankte in geziemender Weise, doch wie humoristisch er es auch tat, man merkte es ihm an. daß er in seinem Innern gerührt war. gerührter, als hätte er von seiner Negierung einen Orden erhalten. Kinder, hol's der Teufel," rief er mit strahlenden Augen im Kreise umschauend,ich bin so fidel. Ach, man ist doch nur einmal Student." Drum, Brüdercherv ergo tribamus'I" scholl es von