Anterhaltungsblatt des Vorwärts
Nr. 99.
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Verloren.
Sonnabend, den 25. Mai.
( Nachdrud verboten.)
1907
die Angeklagten verstärkt hätte, und so wurden sie endlich ihres Haft entlassen.
Den wahren Schuldigen sollte die Gerechtigkeit nie ers eilen. Er schiffte der Küste Nordameritas entgegen, während Nehring und Abel im Gefängnis saßen. Es war ein Schlossergeselle aus Altenbach, der längst seine Absicht ausgesprochen derselbe während der Untersuchung seine Reise über das Welt. hatte, auszuwandern, und so war es niemand aufgefallen, als
Mehring fam auf seiner Wanderschaft nicht sehr weit. In Altenbach war eben eine große Feuersbrunst gewesen. Gott- meer antrat. lieb hörte unterwegs davon und lenkte seine Schritte nach dem Städtchen. Er fand Arbeit in Fülle.
Abel schnürte sein Felleisen, sobald er frei war. Gr suchte Nehring zum Mitwandern zu bewegen.
Der
Eines Tages wurde er und ein anderer Geselle, namens Abel, von dem Meister nach dem Amtshause geschickt, wo an nichts gegen uns herausgestellt hat," hielt er seinem KameIns Wanderbuch können sie uns nichts schreiben, da sich dem Kassengewölbe eine Ausbesserung nötig war. Einige raden vor. In der nächsten Stadt weiß kein Mensch etwas Wochen nach vollendeter Arbeit wurde an der Amtskasse, die fich in jenem Gewölbe befand, ein Diebstahl entdeckt. Die von der Geschichte, und es ist so gut, als ob wir nie in dem Turme gesteckt hätten. Art und Weise seiner Ausführung ließ auf die genaueste Wären wir wegen Fechtens ein. Kenntnis der Dertlichkeit von seiten des Täters schließen. gepfeffert worden, dann wär's freilich schlimm." Der Verdacht fiel deshalb auf die beiden Gesellen. Sie wie sie am ersten Meilenstein auf der Landstraße standen, Nehring blieb und beide schieden auf Nimmerwiedersehen. wurden gefänglich eingezogen; Nehring tobte wie ein Rasen- bersuchte Abel seine Ueberredungskunst noch einmal. der im Gefängnis, während Abel die größte Gemütsruhe an Turm des Amtshauses schaute über die verfallene Stadtden Tag legte. Abel war wie Nehring auf seiner Wanderschaft nach mauer herüber, auf der die Sträuche im ersten Frühlings Altenbach gekommen. Er hatte an seinem Knotenstock ein gut schmuck prangten. Teil der deutschen Vaterländer abgemessen und das vielfach gestaltete Schicksal, welches von einem Wanderbuche unzertrennlich ist, hatte ihn mürbe gemacht. Gott sänftigt die Winde für das geschorene Ramm, aber ein wandernder Handwerksbursche wird zu allen Jahreszeiten geschoren. „ Du machst durch Dein Toben die Sache mur ärger," sagte Abel zu seinem Leidensgefährten. Wenn Du unschuldig bist wie ich, so muß man uns eines Tages doch wieder loslassen. Er war sehr demütig gegen den Gefängniswärter, noch Semütiger gegen den Herrn Amtsrichter.
Der Tag der Freiheit ließ indessen lange auf sich warten. Es ist zwar ein schöner Rechtsgrundsaß, daß man den Angeflagten so lange für unschuldig halten soll, als bis das Gegenteil erwiesen ist. Allein ein Untersuchungsrichter soll die Schuld oder Unschuld aus dem Verdächtigen herausberhören, und gerade er hat die weiteste Gelegenheit zu der traurigen Erfahrung, wie erfinderisch die Schuld in ihren Masten und Rollen ist. Daher ist es kaum ein Wunder, wenn ein Untersuchungsrichter in seiner Kenntnis der Proteusnatur der Verbrecher von der Voraussetzung der Schuld des Verdächtigen ausgeht.
Herr Mayhofer tat dasselbe und er war überzeugt, daß er seine Pflicht tat. Ob ein Gesetz human oder unhuman sei, ob es mit dem Geifte der Zeit übereinstimme oder nicht, war nach seiner Ansicht nicht Sache des Richters. Der Richter hatte nur dem Buchstaben des Gesetzes Leben einzuhauchen. War er nach bestem Gewissen dem Buchstaben des Gesetzes nachgekommen, so fonnte er, wie Pilatus, feine Hände in Unschuld waschen. Herr Mayhofer gestattete seinen Amtsgedanken nicht, ihm aus der Amtsstube nachzufolgen. War die Amtsstube hinter ihm in das Schloß gefallen, so war er ein Mensch", und er war es gern mit den Menschen, sei es am Startentische, sei es bei der schlanghalsigen Flasche. Er war ein angenehmer Gesellschafter, und wenn er die guten Dinge dieser Erde ein wenig liebte, so nahm man in einem Orte wie Altenbach, wo geistige Interessen die lekte Rolle spielten, daran wahrlich keinen Anstoß. Ein Feinschmecker zu fein, galt im Gegenteil für einen Ruhm.
fagte Abel, indem er das Felleisen, welches ihm Nehring bis " Ich könnte den Turm nicht immer vor Augen haben," hierher getragen hatte, auf den Rüden nahm. Ich hätte keine frohe Stunde mehr in Altenbach. Komm mit!"
" Was fümmert mich der Zurm?" versette Nehring finster. Ich will den Leuten zeigen, daß ich ihnen noch ins Auge schauen kann, daß ich kein Spitzbube bin."
Es bleibt doch was an Dir hängen, bis sie den Wahren am Kragen friegen," fopfschüttelte Abel, tat seinem Leidens gefährten noch einmal aus der mit einem bunten Taschentuche geschmückten Geleitsflasche Bescheid und humpelte in die blühende Welt hinaus.
Nehring hatte von der Soldatenzeit her eine aufrechte Haltung. Nun trug er sie noch stolzer. Es wäre keinem zu raten gewesen, ihn an den Turm zu erinnern. Es wagte auch niemand. Und nun, nachdem Monate seit seiner unverschuldeten Haft hingegangen waren, mußte er aus Reginens Munde nicht nur hören, daß seine schwere Prüfung keineswegs bergessen war, sondern daß man ihn auch für schuldig hielt. Einen Dieb hatte Regine ihn gegen Marie gescholten.
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Was hätte er in jenem Augenblicke darum gegeben, wenn Regine kein Weib gewesen wäre! Daß Marie die Beschuldi gung zurückwies hörte er nicht mehr. Es wäre ein Tropfen Balsam für ihn gewesen und er wäre gewiß am Sonntag nach dem„ blauen Engel" gekommen. Nun hielt er sich trotz des schönen Wetters den ganzen Tag über in seiner Kammer ber schlossen und wühlte in der Wunde seines franken Ehrgefühls. Nicht einmal zu lesen vermochte er, was er sonst am Sonntag so gern tat. Er öffnete zwar eins von den Büchern, die ihm der alte Lampe geliehen hatte es war ein furzer Abriß der Weltgeschichte allein die gedruckten Worte hatte keinen Sinn für ihn. Erst mit Sonnenuntergang ging er ins Freie, auf dem Wege, den Abel fortgegangen war. Er bereute jett, daß er nicht mit ihm weggewandert war. Es hatte ihm ja nichts genutzt, daß er den Leuten durch sein Bleiben sein gutes Gewissen zu beweisen gesucht hatte. Was nußt es unsereinem überhaupt," rief er zähneknirschend,„ daß er ein ehrlicher Kerl ist?" Er war als Soldat nie bestraft worden, ob Im Amte machte Herr Mayhofer zwar eine etwas barsche gleich sein Hauptmann zu den Offizieren gehörte, die sich im Miene, er war unbeugsam in bezug auf das Gesez, aber er Dienste bei jeder Gelegenheit in den Zorn hineinreden und war durchaus keine grausame Natur. So hielt er sich auch ihre Philippika mit den Worten pomphaft zu beschließen in der Untersuchung gegen Nehring und Abel streng innerhalb pflegen: Feldwebel, geben Sie dem Mann drei Tage Mittelder Schranken des Gesetzes. Allein er sah auch nicht ein, arrest!" Gottlieb hatte nie zu solchen Redeübungen herhalten warum er von den Befugnissen, die das Gesetz dem Richter müssen, er hatte sich mit den besten Führungszeugnissen aus einräumt, nicht gegen die hartgefottenen Spizbuben", wie dem bunten Rode entpuppt, sein Wanderbuch war ohne Beer Nehring und Abel wohl am Sonnabend nachmittag beim merkungen geblieben, und dennoch war er des Diebstahls verGlase nannte, Gebrauch machen sollte, um sie zum Geständnis dächtig geworden! Er war von diesem Verdachte freigesprochen zu bringen. Tat er es auch ohne persönliche Leidenschaft, so worden, und doch hielt man ihn für schuldig! Ja, warum empfanden die beiden Gesellen, darum seine Macht doch schwer hatte er nicht mit Abel zugleich den Staub von seinen Füßen genug und ihre Gesinnungen gegen den Amtsrichter nahmen geschüttelt? Und es war doch ein trauriges Leben gewesen, das eben feine freundliche Färbung an. Indessen stellte sich im er seitdem geführt hatte! Die Empfindlichkeit seines EhrLaufe der Untersuchung nichts heraus, was den Verdacht geoen laefühls hatte feine Kameraden von ihm fernaehalten und fein