Mißtrauen in allem> was sie taten, einen Stachel für sein Kerz gefunden. Auch derblaue Engel" war ihm jetzt verleidet. Er War kein Wirtshausläufer. Statt nach vollbrachtem Tagewerk in der Kneipe zu sitzen, las er lieber ein Buch, wenn er eines hatte, oder er schrieb und rechnete für den Meister, und das Geld, was er auf diese Weise sparte, verwandte er darauf, sich in seiner Kleidung eigen zu halten. Seit seiner Gefangen- schaft mochte er vollends nicht die Orte besuchen, wo die Ge- sellen beisammen zu sitzen Pflegten. Der Durst hatte ihn eines Tages von dem Brückenbau nach demblauen Engel" hinauf- geführt. Der Blick von droben in das Tal und auf die Berge gefiel ihm. Es war hier oben an den Wochentagen abends so still, die anderen Gesellen wanderten nach beendeter Arbeit in die Stadt zurück, und so war er am nächsten Tage mit seinem einfachen Abendbrot in der Tasche wieder hinaufgestiegen und so an jedem folgenden Tage, sobald der langgezogene Ruf den Feierabend verkündete. Run war ihm da? Schlimmste gerade in demblauen (?ngel" begegnet, wo ihm immer so wohl gewesen war! Als ob er den Sonntag im Rausch beschlossen, so schwer- fällig fühlte er sich anderen Tages bei der Arbeit. Stumm und verdrossen führte er Hammer und Kelle. Um die Vesper- geit kam der alte Lampe an den Strom herunter. Rehring saß, den Kopf in die Hand gestützt, in den Schatten eines Fels- stückes. Er ließ die Erkundigung des Alten, warum er gestern nicht in denblauen Engel" gekommen sei, unbeantwortet. Statt dessen fragte er plötzlich: Glaubt Ihr, daß es eine Gerechtigkeit auf Erden gibt?" Ja, wie kommt Ihr darauf?" rief Lampe  , über den finsteren Blick des jungen Gesellen betroffen.Hat Euch wer Unrecht getan?" Hat Euch nie wer Unrecht getan?" entgegnete Nehring. ;,Oder war's recht, daß sie Euch aus dem Amt setzten? Ich denk', Ihr seid noch heute rüstig genug." Der alte Schulmeister schüttelte seufzend den Kopf. ,, Heute ging's freilich nicht mehr," sagte er.Manches Jährchen hätt' ich freilich noch lehren können, aber es war Gottes Wille, und es ist ja der Lauf der Welt, daß die Alten den Jungen Platz machen müssen." (Fortsetzung folgt.) 6roße und kleine Leute. Von Dr. I. Wiese. In den Märchen unserer Kindertage spielen Erzählungen von Riesen und Zwergen eine wichtige Rolle. In einer großen Anzahl von Büchern der Jugendliteratur begegnen wir vielfach jenen großen und kleinen Wesen von unnatürlichem Wüchse und un- proportioniertem Körper in künstlerischer Darstellung und als Ob- jekt so mancher Wundersage, die die kindliche Phantasie mächtig anregt und in ferne Länder und ferne Zeiten versetzt. Auf den Eindruck jener Lektüre in unserer Jugend ist vielleicht die Vor- stellung zurückzuführen, daß einstmals und in anderen Ländern das Menschengeschlecht an Körperwuchs und Größenmaß von dem unsrigen ganz verschieden gewesen und daß wir besonders durch Degeneration der Rasse den angeblichen Riesen früherer Zeiten gegenüber gewissermaßen zum Pygmäen herabgesunken seien. Nichts ist falscher als eine solche Annahme, wie die nachstehenden Ausführungen zu beweisen versuchen sollen. Welches sind nun zunächst die Grenzen, zwischen denen der normale Wuchs der Menschen variiert? Gewöhnlich teilt man die verschiedenen menschlichen Rassen ein: in kleine Rassen unter 1,60 Meter, in mittlere zwischen 1.60 und 1,70 Meter und in große über 1,70 Meter. Die kleinsten Rassen sind: die Eskimos (1,S8), die Lappen(1,53), die Negritos der Philippinen  (1,50) und endlich die Akkas des südlichen Afrika  (1,42 Meter). Die Be- wohner Südschwedens, Polens  , Livlands  , der Ukraine  , Sachsens  , Preußens, Englands und Nordamerikas   können unter die großen Nassen gezählt werden. Schließlich sind auch die Patagonier durch ihren hohen Wuchs bekannt. Wenn nun Legende und Tradition von Rassen erzählen, deren gigantischer Wuchs alles übertreffen würde, was unsere Phantasie sich vorzustellen vermag, so gehören alle jene Niesen der Fabel und nicht der Geschichte an. Noch im Jahre 1718 versicherte ein Akademiker Henrion ganz ernsthaft, daß Adam mindestens 41,60 Meter, Eva 40, Abraham 6,60, Moses   4,70 und Goliath 4 Meter gemessen haben. Taufende von menschlichen Skeletten find aber cm den verschiedensten Punkten der Erde ausgegraben worden, und die Anthropologen haben nach ihnen den Beweis geführt, daß in prähistorischen Zeiten der Mensch seinen heutigen Wuchs nicht übertraf. Wenn man bisweilen aufgefundene Knochen alten Riesen zuschrieb, so hat stets eine genaue Prüfung die Haltlosigkeit dieser Annahme dargetan. So glaubte man eineS Tages das Grab des Cimbernkönigs Teuwbochus, der durch Marius eine Niederlage erlitt, gefunden zu haben, und nach dem Knochen» gerüst wäre jener mindestens 30 Fuß hoch gewesen. Allein bei näherem Zusehen fand sich, daß die Knochen allerdings einem Riesen, aber einem Riesen der Elefantenart, einem Mammut, gehörten. Auf der anderen Seite könnte man nach den in den Museen aufbewahrten Rüstungen zu der Annahme kommen, daß unsere Vorfahren, ohne Riesen zu sein, doch viel größer gewesen sind als wir. Gewiß haben in jener Zeit viele Menschen von hoher Gestalt gelebt, aber die Rasse in ihrer Gesamtheit war nicht größer als heute. Auch dafür liegen massenhafte Beweise in den Ausgrabungen von Skeletten bor. Wir können also in dieser Beziehung beruhigt sein, wir würden unseren Vorfahren nicht als ein Geschlecht von Zwergen gelten.Nein", sagt der Franzose Isidor Geoffroh Saint-Hilaire,nein, der Mensch ist nicht kleiner geworden unter der Wirkung der Zivilisation; er ist nicht schwächer geworden, indem er klüger wurde; er hat nichts von seiner wirk- lichen Kraft und seiner ersten Größe verloren, indem er sich durch Geschicklichkeit und Industrie vervielfältigte." Wenn also wirkliche Rassen von Riesen nicht existiert haben, so finden sich doch im Laufe der Zeiten Menschen, die sichtlich den Wuchs ihrer Mitmenschen überragen: haben doch einzelne von ihnen fast 3 Meter Höhe erreicht. Wir erinnern an Maximilian Müller, geboren 1674 in Leipzig  , der 2,74 Meter maß, an einen Riesen, den man 1755 in Rouen   sah und dessen Wuchs 2,59 Meter erreichte, einen schwedischen Bauer und einen Finnländer, von denen Buffon erzählt, daß sie 2,60 Meter groß gewesen seien. Man kann noch im Museum zu München   das Skelett eines Riesen von 2,45 Meter sehen, und in Erinnerung werden noch sein der Chinese Chang, der sich 1878 in Europa   sehen ließ und 2,49 Meter hatte, und der Oesterreicher Franz Winkler  , der 1887 im Alter von 21 Jahren mehr als 2,60 Meter aufwies. Bei den Riesenfrauen ist der Wuchs gewöhnlichkleiner" als bei den Männern. Die größte bekannte Frau scheint eine Deutsche, namens Marianne, gewesen zu sein, die 1885 im Alter von 17 Jahren in London   in einem Stücke als Königin der Amazonen auftrat. Sie starb sehr jung. Katharina Brockner, eine andere Riesin,, war eine sehr hübsche Schweizerin, die im Alter von 23 Jahren 2,15 Meter Höhe erreicht hatte. Endlich besitzt die Sammlung des Museums von Stockholm   das Skelett einer Lappin, die 2,03 Meter maß, was um so auffälliger ist, als sie zu einer sehr kleinen Rasse gehörte. Die Liste der bekannten Riefen ist lang und bis auf den Riesen Machnow noch durch manches Exemplar zu erweitern. Aber sind alle diese Menschen von sehr hohem Wüchse wirkliche Riesen? Mit anderen Worten: zeigen sie sich so, daß die Harmonie des Baues ihrer verschiedenen Organe offenbar normal ist trotz der außerordentlichen Entwicklung ihres Wuchses? Sind ihre phy- fische Kraft und ihre Widerstandsfähigkeit proportional dieser un- gewöhnlichen Entwicklung? Die medizinische Wissenschaft ant- wortet darauf von einigen Ausnahmen abgesehen mit einem entschiedenen Nein. Erfahrungsgemäß sterben sie meistens jung, oft an der Schwindsucht nach einer Periode frühzeitiger Senilität. Die medizinische Wissenschaft betrachtet denGigantismus" als eine Krankheit, und besonders die durch die Untersuchungen des englischen Arztes Dana gewonnenen Resultate lassen es nicht be- dauern, daß eine Rasse von Riesen nicht aufgekommen ist und aufkommen wird. Wenn nun gewisse Individuen sichtlich die mittlere Statur ihrer Mitmenschen übersteigen, so finden sich dagegen andere, die durch ihren außerordentlich kleinen Wuchs sichbemerkbar" zu machen wissen: das sind die Zwerge. Die Geschichte hat uns die Erinnerung an zahlreiche Zwerge überliefert. So fand man solche häufig in der Umgebung- mischer Kaiser. Augustus und Tiberius   hatten ihre Zwerge, die sie sehr verzogen, und Domitian   ließ sie in Zirkuskämpfen auf- treten und amüsierte sich, sie mit Frauen von großer plastischer Schönheit kämpfen zu sehen, die eigentünilich mit der Häßlichkeit ihrer Gegner kontrastierte. Die Orientalen hatten die Griechen und Römer dieKunst" gelehrt, das Wachstum aufzuhalten, und manschuf" nunmehr Zwerge. Bald hatte jede römische Dame ihrkleines Ungeheuer". Es wurde dies zu einer wirklichen Mode, allerdings einer bizarren und unmenschlichen, da sie die Umbildung in elende Wesen bei Individuen begünstigte, die normal hätten sein können. Bis ins Mittelalter findet sich in Italien   diese Mode. Karl V.   hatte an seinem Hofe einen berühmt gewordenen Zwerg, Kornelius von Lithcruen, der bei einem großen Turnier in Brüssel  im Jahre 1545 einen Preis wegen seiner Anmut und Geschicklich- keit errang. Auch in Frankreich   gab es lange Zeit hindurch Hof. zhierge, und Franz I.   hatte außer seinem überaus häßlichen Narren Triboule mehrere Zwerge, die ihn zerstreuen mußten. Die größte Vereinigung von Zwergen scheint rn Moskau   von der Prinzessin Nathalie, der Schwester des Zaren Peter l. veranlaßt zu sein. Ein großes Fest wurde zu deren Ehren gegeben. Etwa 60 Zwerge kamen aus den verschiedensten Gegenden des russischen Reiches zu» sammen; man führte sie in 15 kleinen Wagen umher, die von je 6 winzigen Pferden gezogen wurden. In der ersten Kutsche war ein Zwergenbrautpaar mit Ehrenherren und Ehrendamen, in einer anderen befanden sich Zwergmusiker. Dieser eigentümliche Zug wurde durch ein Regiment Dragoner von hohem Wüchse eskortiert,