ihr lag, sich in Beziehung zu Gottlieb wieder zuruckzurufen. Ihre kleineu Freuden wurden wieder lebendig, aber auch der Kummer, die Entbehrungen. Es wurde ihr jetzt deutlich, wie trüb und öde ihr ganzes bisheriges Leben gewesen, allein es inachte sie nicht traurig. Sie hatte ein Gefühl, als ob es gar nicht ihr eigenes Leben sei, welches sie beschäftigte, und sie be- fchäftigte sich ja auch nur damit, weil Gottlieb es zu kennen wünschte. Aber sie fühlte zugleich, daß sie dein jungen Gc- fallen nichts würde erzählen können. Sie wußte nicht, wie sie es anstellen sollte, dasjenige auszusprechen, was solange wort- los in ihrer Seele gelegen hatte. Und würde er sie nicht wegen manchem auslachen, was ihr seinerzeit so wichtig gc- Wesen war, sei es in Freude, sei es in Leid? Nein, sie würde sich nie ein Herz zu diesen Mitteilungen fassen können, und sie schämte sich vor ihm, daß sie so dumm sei. Aber sie erzählte dem jungen Gesellen doch vieles und mehr und mehr, ohne daß sie sich dessen im Augenblick bewußt war. Er kam jetzt wieder täglich in denblauen Engel" hinauf, zum Verdruß Reginens. Nehring vermochte ihr nicht das beleidigende Wort zu vergessen, und wenn sie ihm in den Weg kam, so ging er mit stolzen, nichtachtenden Blicken an ihr vorüber. Er grüßte sie nie. Negine versuchte in ihrem Aerger darüber, ihn aus dem blauen Engel" zu vertreiben. Sie drang in ihren Vater, Nehring sein Haus zu verbieten. Du wirst sehen, sagte sie, daß uns der anrüchige Mensch noch alle anständigen Gäste vcr- scheucht. Der Vater verwies ihr solche Reden. Der Nehring fei ein ehrlicher Kerl, seine Kreuzer seien so gut wie die der anderen Leute, und tvem's nicht in demselben Garten mit ihm schmeckte, der könnte es anderwärts versuchen. (Fortsetzung folgt.) lNnchdruck v erboten.) Der Stieglitz  . Skizze vonJlseFrapan-Akunian(Genf  ) l. Die Wiese stand schon hoch, wenn der leichte Westwind vom ivolkenanzichcndcn Waldgebirge, dem blauen Jura, hcrblies, dann schlug das GraS sanfte Wellen gegen die Stämme der Obstbäume. Und zwischen den silbrigen Wellen standen rund und unbeweglich die kleinen Sonnen des goldgelben Bockbarts und blauer als der Frühlingshimmel der hohe bienenumflogene Salbei. Großmutter, die Kirschen sind rot geworden, die Kirschbäume fitzen   schon voll von Spatzen, die Amseln möchten auch gern heran. nicht eine einzige Kirsche wird ungcpickt bleiben, wenn wir sie nicht pflücken," sagt Toto. Sehr besorgt ist Toto wegen der Kirschen. Mit seinen bron- zencn nackten Beinen, die lang unter der faltigen blauen Kattun- schürze hervorlugen, möchte er gern auf die Kirschbäume steigen, mit den reifsten den Magen füllen, aber die Wiese steht schon zu hoch, man darf nicht mehr in das Gras hinein, denn das Gras ist an die Meierei verkauft, und wenn nur ein Halm gelnickt ist, so macht der Käufer Bemerkungen. Und die Großmutter hat solche Bemerkungen nicht gern. Genau mutz man sein, jedem das Seine geben, und dem Meier das Gras, ohne vorher ein Hälmchcn zu knicken. Er gibt ja gutes Geld dafür, ist nicht ein schlechter Ccn- time dabei, bald vielleicht wird der Meier kommen, dann gibt es fröhliches Sensengcdengcl, in zwei Tagen wird alles gemäht, so diele braune Arme schickt er. Dann wird das große Portal aufge- macht, und herein fahren die leeren Wagen, um voll von der ge- schorenen Wiese zurückzukehren. Cider   wird ihnen Großmutter an- bieten, denn die Arbeit ist heiß und macht durstig, und wenn der Meier selber kommt, um daß Geld zu bringen, dann liegen im breiten Brunnenbccken die Flaschen bereit mit dem Eigengetvächs, dem dunklen Rotwein, der zu beiden Seiten der Kampagne in den sonnige» Weingärten gedeiht. Geld ist nicht nur Geld, und ein Geschäft muß mit einem Trunk besiegelt werden. Aber die Kirschen? Bis die Wiese gemäht wird, sind die Spatzen und Amseln länost Meister geworden," denkt nun auch die Großmutter bei sich.Toto hat recht, wir müssen Maitre Ga- vard fragen, ob er nicht Rat weiß. Morgen wird er ohnehin kommen, es ist hohe Zeit, die Reben zu bespritzen, bei der Hitze hätte der Mehltau gar leichtes Spiel." Gleich nach der Schule lauf ich zum Maitre Gabard, daß er nur ja nicht das Kommen vergißt," sagt Toto. ES ist auch nett, auf den Hügel zu gehen, in das grüne Chalet unter den hohen dichten Bäumen, wo Maitre Gavard wohnt. Ganz allein wohnt der alte Weingärtner in dem grünen Chalet, das nichts als erne schmale Beranda und«ine Stube ist. Auf dem Ocfchcn kocht er sich felber sein Essen, in alle drei Fcnsterchcn rauschen die Bäume herein, gründämmerig ist es da drinnen, als wär' man im Wald, und auf der Schwelle der Keinen Veranda hüpfen die Vögel ohne Scheu und gucken mit ihren schwarzen Persenaugen in die.Stube hinein. Winters aber werde- 1 sie dreister, laut klopfen die Meisen- schnäblcin an die staubigen Scheiben, bis ihnen Maitre Gabard da> Tischchen deckt. Das ganze Jahr singt es und zwitschert ums HauS, und wenn drinnen die Gläser aneinanderklingen, denn Maitre Ga» vard hat stets einen guten Tropfen für seine Freunde bereits dann fehlt es ihm nie an Taselmusikantcn. II Maitre Gabard war nicht daheim, aber lange konnte er noch nicht fort sein, denn Toto bemerkte, daß eine gefüllte Gießkanne auf dem Fensterbrett stand, die große Gießkanne, in der sich Maitre Gavard das Wasser zur Abendsuppe aus der tiefer unten gelegenen Campagnc holte. Toto legte die Hand über die Augen und blickte von der aus dem Wäldchen hervortretenden Veranda nach dem Weingärtner aus. Von da oben konnte man herrlich weit sehen; fern, zwischen dem langen Felsenlcibe des großen Saleve und seinem kleinen zuckerhutförmigen Namensbruder leuchtete starr und weiß der Montblanc  ; die roten Dächer der Dörfer um Genf   lagen wie kleines Spielzeug im Grün, die vielen Pappeln streckten sich luftig, und gleich da unten, auf der weißen Straße und über die kleine Brücke der Aire sausten drei Töfftöffs hintereinander. Unter der Brücke aber kam in diesem Augenblicke Maitre Gavard selber hervor, sprang in der übervollen grünen Aire von einem Stein auf den anderen und angelte mit einem langen Bohnenstecken nach einem abwärts schwimmenden Gegenstand. Unter der Brücke am Ufer heulte ein Dorfbub aus allen Kräften und ein Dutzend Zuschauer hingen mit halbem Leibe über das steinerne Brückengeländer. Toto wollte natürlich auch sehen, was dort vor sich gehe, und in langen Sprüngen kam er hinunter. Gerade gelang es Maitre, den Gegen- stand mit dem Stecken zu spießen. Es war ein Tragkorb, und die uschauer klatschten Beifall und riefen und schrien. Der heulende ub wischte sich die Tränen ab und reckte sich Maitre Gavard so stürmisch entgegen, daß die Zuschauer ein Warnungsgcschrei aus- stießen, denn gerade dort war das Flüßchcn am tiefsten; am jen- scitigen Ufer jedoch lief ganz allein ein Mann mit geballten Fäusten hin und her, indem er von Zeit zu Zeit wie ein böses Tier gegen den heulenden Buben und gegen Maitre Gavard aufbrüllte. Einige Minuten später hatte Maitre Gavard den kleinen An- tonio, den Sohn des italienischen Maurers, erreicht und ihm den Tragkorb zurückgegeben, und nun stieg er, naß bis zum Gürtel, neben Toto wieder bergan. Das ist eine traurige Sache, wenn der Mcusch krank ist!" sagte der Weingärtner,ist noch immer wütend, der Nachbar da drüben." Was hat denn der Antonio getan, und wie ist sein Korb in die Aire gefallen?" Der arme Kleine? Den ganzen Nachmittag hatte er Löwenzahn zum Salat gesammelt, in einen Korb, der nicht ihm gehört, leiderl in einem GraSgarten, der noch weniger fein ist!" Hat er in des Nachbars GraSgarten gesammelt, Maitre Gavard?" Leider? Aber der Mann ist krank. Hat dem Kleinen den. Korb weggerissen, alles, was er gesammelt, ins Wasser geworfen und den Korb hinterdrein I Einen Karb, der nicht sein ist! Kann ein Mensch noch kränker sein?" Ja, sagt Toto und drückt die Brust hcrauS,das GraS ist schon zu hoch, man darf nicht mehr hinein, bei uns ist es auch ein wahres Elend. Denn wiß'cn Sie, Maitre Gavard, die Spatzen sind dieses Jahr so besonders schrecklich frech? Ich stehe und mache sooo mit der Hand, und manchmal klatsch' ich sogar in die Hände, aber es hilft nicht, sie gucken nicht einmal her, Maitre Gavard. und Großmutter sagt, es sind Leckermäuler, wir werden nicht eine Kirsche bekommen!" Die Vögelchcn wollen auch essen." sagt Maitre Gavard. ohne eine Miene zu verziehen. Toto sieht ihn schnell an, aber er weiß schon, Maitre Gavard macht niemals Spaß wie die anderen. Sein langes, hageres Gc- ficht mit dem spärlichen, rötlichen Bart ist immer ruhig, nie hat ihn jemand böse gesehen. Toto schiebt leise seine kleine Hand in die herabhängende bornige Faust des WeingärtnerS. Die großen Finger schließen sich warm um die kleinen. Der Parrain sagt, Sic arbeiten wie ein Neger, aber Sie find doch gar nicht schwarz?" Maitre Gavard lächelt geduldig, wie Toto seine große Faust hochhebt und besieh. Dann legt er dem Jungen die Hand auf den Kopf.Nun, Kleiner, was für eine Bestellung bringen Sie mir von der Frau Großmutter?" Toto schüttet sein Herz aus.Auch die Amseln sind so enk- schlich frech dieses Jahr, sie haben es von den Spatzen gelernt. Mit dem Schnabel piek? in jede Kirsche hinein und abgerissen und weggeschmissen. Es ist schade, sagt Großmama! Denn Großmama ißt die Kirschen sehr gern, und Parrain sagt, man wird sie nachher aufsammeln, wenn das Gras gemäht ist, dann find sie trocken wie kleine Steine, ist dos nicht abscheulich? Auf diese Meierei ist gar kein Verlaß, sa�t Großmama, das GraS ist so hoch, daS könnte man schon jetzt abmähen, denn wozu ist die Wiese? sagt Großmama! Auf einer Wiese möchte man laufen und Purzel- bauin schlagen! sagt Großmama." Maitre Gavard hört geduldig zu; seine blauen, ein wenig ge- trübten Augen lächeln voll Freundlichkeit. Und eine Auskunft hat er sogleich, die Toto unbeschreiblich gut gefällt, so gut. daß er bald glaubt, er habe sie selber ausgedacht. Ein ganz schmales Fuß»