ölS sei sie wirklich ganz glücklich, wie sie versicherte. Nursprach sie leiser als gewöhnlich und in dem Klang ihrerMimme war ein tieferer Ton der Liebe.Gottlieb bewunderte in der Stille ihren Mut. Er flößteshm Achtung ein. Aber er hatte schwer an der Entdeckungzu tragen. Auch er dachte viel darüber nach, was denn füreine besondere Kraft in den Worten stecken könne, die derPrediger bei der Trauung ablese. Wenn wirklich das Glückvon ihnen abhing, wie kam es denn, daß er und Marie soeinträchtig miteinander lebten, während es unter den meistenEheleuten, die er kannte, des Haders und Streites soViel gab?Eines Mittags brachte ihm Marie die Nachricht auf dieBaustelle, daß der Amtsbote dagewesen sei und sie zum fol-tzenden Morgen auf das Amt bestellt habe.„Herr Gott, was gibts denn?" fragte Gottlieb erschrocken.»,Tu hast ja nichts getan."(Fortsetzung folgt.)(Nachdruck verboten.)Das Orakel.In einer der kühlen, engen Straßen von Como liegt derLaden des Antiquitätenhändlers Duvia Domingo. Dieser ist einkleiner, schwarzer Italiener, mit verbindlichen Manieren undeinem nie versiegenden Konversationstalent. Er spricht nicht nurmit dem Mund, sondern auch mit den Augen, den Händen und bis-toeilen sogar mit dem ganzen Körper. Aber am meisten sprudeltes unter dem schwarzen Schnurrbart hervor und am lebhaftestenbewegt seine gelben, dürren Finger, wenn er von dem großenSchatz seiner Antiquitätenhandlung, seinem„oraklo", spricht.Dann gerät er vollständig ins Feuer. Ins Feuer der Begeisterungüber die Schönheit des Stückes und ins Feuer der Wut gegen die-jenigcn Gelehrten, welche den köstlichen Fund des Duvia Domingozwar für eine wunderschöne griechische Bildhauerarbeit, aber füroraklo halten.„Ha," sagt der gelbe, kleine Mann.„Questi asini!"Diese Esel! Und er spuckt zum Zeichen der Verachtung vor solchmangelhafter Gelehrsamkeit aus. Zum Tröste zitiert er gleichdarauf die Namen aller Gelehrten, welche das Marmorbild für einWirkliches Orakel halten.Während aller dieser leidenschaftlichen Reden steht das Orakel,ÖN einen Ladentisch gelehnt, in steinerner Ruhe da. Es ist eineschwere, rechteckige Marmorplatte so hoch, daß Duvia Domingogerade seinen wagerecht ausgestreckten Arm darauf legen kann,rn welcher Pose er sich beim Reden zur Abwechselung sehr gefällt.Die ganze Oberfläche der Platte wird von einem Hochrelief ein-genommen, das den Kopf einer Gottheit darstellt. Halb ZeuS,halb Faun, schein das Götterantlitz mit offenem Munde zu sprechen.Die Höhlung des Mundes ist ganz durch die dicke MarmorplatteIjindurchgemeitzclt, desgleichen die weiten HLrgänge der Ohren.Es liegt etwas von der wissenden Stille des Waldes und von dertiefen Weisheit der Natur selbst auf dem starren Antlitz. Heiligund würdig ist der Zug um den sprechenden Mund mit demwallenden Bart; aber in den feinen Falten um die tiefliegendenAugen spielt ein ironisches Lächeln. Man überhört die Reden desSignore Domingo, der immer wieder von vorne anfängt, und siehtnur, daß dieses Orakel, anstatt Antworten zu geben, Rätsel auf-gibt. Immer wieder statt neuer Antworten neue Fragen. Istdas nicht die ewige Natur selbst? Und der Künstler, der aus demweißen Gestein dieses derbsinnliche und doch zugleich unsagbar tief-finnige, unergründliche Gött'ergesicht hcrnusgDmeißelt hat, mußer nicht selber ein tieffinnender Mensch gewesen sein und einFreund einsamer Spaziergänge durch die Wälder und Haine mitjhrem ewigen Flüstern?Da spricht der Antiquitätenhändler gerade von dem Fundortdes oraklo. In.Lenno, einem kleinen Dorf am Comersee, wurdees mit einigen griechischen Säulen zusammen im See gefundenund hatte dann, unerkannt in seinem Wert, jahrelang hinten imHofe gestanden. Ueberhaupt sei in Lenno viel zu sehen. Uebcr-rcste von griechischen und römischen Tempeln seien dort undPlinius der jüngere, auf den die Comenscr sehr stolz sind/ weiler aus der Stadt gebürtig ist, habe dort eine Villa-gehabt.»Am anderen Tage war ich in Lenno. Hier ist noch dasParadies der Trimezza, wo sich der See in drei Arme teilt und überweißschimmernden Palästen und duftenden Gärten der blaueHimmel wölbt. Es ist nur ein Tor zum Paradies, in das manhineinsieht. Dort Bellagio, das wie eine Märcheninsel aus denFluten steigt, dort Tremezzo mit seinen von Rosen umranktenPalmen und seinen von Glrzynien eingesponncnen Landhäusern.Lenno liegt bescheiden in einer kleinen Bucht an kastanicnbcwaldetenHügeln. Draußen vor dem Dorf steht eine kleine Herberge, dasRistorante Plinio, in besten kühlem, steingcpflastertem Zimmerman träumen und zurücktauchen kann in die schlafende Vergangen-heit, die über diesen Ufern lebt. Dort sank ich in den Fluten derLest durch die Jahrhunderte zurück, bis ich nicht einmal mehr diekreischende Stimme der Wirtin hörte, die in der Küche mit ihrerSchwiegermutter fortwährende Wortgefechte hatte. Die kleinen,frohen Häuser von Lenno verschwanden und auf einmal stand ander kleinen Bucht unter hohen Zypressen ein weißer Marmor-tempel. Es ist ums Jahr 200 vor Christus und aus dem heiligenHain kommt gerade eine Jungfrau von drüben aus den griechischenKolonien. Sie geht dem Tempel zu, steigt die Stufen hinan undsteht plötzlich voller Ehrfurcht vor dem oraklo des Signore Domingo,das jetzt in einer Wand der inneren Säulenhalle eingemauert ist.Schüchtern naht sich das Mädchen in den weißen, wallenden Kleiderndem sie starr anlächelnden Götterantlitz. Sie wirft die Münzen,die sie in der Hand getragen, in den offenen Mund und sprichtin das Ohr eine zitternde, leise Frage. Aber die Frage ist lautgenug, um von dem unten in einer unterirdischen Marmorkammersitzenden Priester, dem das Geld durch einen vom Mund desOrakels zu ihm hinabführenden Kanal schon in die Hand gerutschtist, verstanden zu werden. Er überzählt rasch das Honorar. Esist reichlich und die Antwort darf daher nicht ungünstig sein. Erlegt die Hände hohl an den Mund und ruft hinauf: Wenn dieFeigen wieder schwellen und die Tauben girren, dann wird derdein sein, den du liebst.— Wie eine tiefe Stimme aus der Ewig-keit kommt die schaurig-süße Antwort aus dem unbeweglichen Munddes Orakels. Mit einem hüpfenden Herzen unter dem jungenBusen kehrt das Mädchen heim, glückselig.Das Rad der Zeit dreht sich. Die Römer kommen. Cäsarschickt seine im gallischen Kriege marode gewordenen Offiziere nachLenno. Am Ufer sitzend und spielend heilen sie ihre Wunden.Kleine, niedliche Kurtisanen gehen vorüber. Drüben aus seinerVilla steht Plinius heraus, der gerade an einem Liebesgedicht ge-feilt hat. Im Tempel ersetzen römische Priester die griechischen,und anstatt der jungen Griechinnen kommen junge Römerinnen.Sonst ist alles dasselbe.Und wieder steigen neue Jahrhunderte auf. Die Christensind über die See gefahren, zerschlagen die heidnischen Tempelund werfen den schönen Sündenkrempel in die See. In die unter-irdischen Schwindelkammern malen sie in byzantinisch steiferLinienführung den heiligen Johannes den Täufer und Jesus.Neben dem niedergerissenen Heidentempel bauen sie eine acht-ckige Tauftapelle, ein Baptisterium, durch deren enge Fenster dasLicht der Sonne kaum hereinscheint und dessen schwere Steinmassenalles Leben zu erdrücken scheinen. Aber das Leben bleibt doch.Die Mädchen haben zwar kein Orakel mehr, aber im Geheimenbefragen sie die blühenden Blumen und die schießenden Sterneund kommen auch so immer auf ihre Rechnung. Es ist dasselbe.Wieder rollen neue Jahrhunderte heran und die Vergangenheitspeit mich wieder aus in die Gegenwart. Drunten in der Küchekreischt die Wirtin, bis ich die Flucht ergreife. Anstatt in Büchernsuche ich Zeugnis aus lebendigem Mund. Mein Wirt, der früherMaurer in Zürich war, und sein Schweizerdeutsch meinemItalienisch vorzieht, sagt mir auf Befragen, weshalb er seinRistoranto auf den Namen Plinio getauft:„O, hie alles heißtPlinio. Jsch so ein paganischer Professor gsi un viel hie umcnaudgreift! Jsch scho lang her! Mindestens hundert Johrl"--Der Mann schien mangelhafte Kenntnisse zu haben und keinezuverlässige Quelle zu sein. Da ging ich zum Pfarrer. Der warein alter Herr mit einem mageren, pfiffigen Gesicht. Er holte einpaar gewaltige Schlüssel und ging mit mir in die Kirche. Dorthob er eine eiserne Falltüre auf und zeigte mir in den kalten.unterirdischen Krypten den lebendigen Kalender der Jahrhundertean den feuchten Steinwändcn. Den Kanal von Hohlziegeln, derzum Munde des Orakels führte, die römischen Inschriften, diebyzantinischen Wandgemälde, das Baptisterium und zum Schlußseine katholische Kirche, die über all dem griechisch-römisch-christ-lichen Schutt gebaut ist und auch einst Schutt sein wird.Der Pfarrer war ein sehr unterrichteter Kustode, der gutwußte, daß er Beschließer der Heiligtümer von zwei Jahr-taufenden war. Als ich ihm für seine Kasse zu Erhaltung derKrypten einen kleinen Beitrag gab, sagte er mit einem sanftenLächeln, das verriet, wie glücklich er war, nicht mehr in heidnischenZeiten mit ihrem Aberglauben leben zu müssen:„Die Zeiten derOrakel sind vorüber."Da kamen junge Mädchen zur Kirche herein. Der Pfarrerbedeutete mir, daß er unendlich bedauere, mich jetzt allein lassenzu müssen, da die Pflicht ihn rufe. In der Ecke der Kirche standim Rokokostil ein alter, brauner Kasten mit kleinen Vorhängen,ein Beichtstuhl. Da ging der Pfarrer hinein, nachdem er sich zuvorin der Sakristei ein weißes Chorhemd und eine violette Stola um-gehängt hatte. Die Mädchen mit ihren braunen Gesichtern undihrem schwarzen Haargelock knieten mit gesenktem Kopfe in denBänken. Lange regte sich keine. Da hustete es energisch im Beicht-stuhle. Endlich stand eine auf und kniete an das kleine Gitter imBeichtstuhl, an das der Pfarrer sein Ohr gelegt hatte. ZehnMinuten lang hörte man ein Zischeln und Flüstern. Es klang wieeine Strafpredigt. Und dann kam das� Mädchen mit einem frohenGesicht und einem erleichterten Herzen aus dem alten Kastenheraus und kniete sich in eine Bank nebenan. Aber ihr Kopf warnicht mehr gesenkt; und jetzt erst sah ich, wie schön sie war.*Auf der Rückreise von Lenno besuchte ich noch einmal denSignore Duvia Domingo. Das Orakel lächelte mich mit seinem