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" Ich bedaure Dich, oder wenn Du wirst, ich beneide Dich um Deinen Glauben! Wie schön Du das fast: Der Tod verwischt jeden Unterschied; er kennt weder arm noch reich, weder vornehm noch gering, weder Fürst noch Bettelmann!"

Ich hatte mich warm geredet. Als ich schwieg, lachte Karl Kammerfänger. Szenen, beren burleste, Tragisches und Hagemann bitter auf. Komisches frappierend durcheinander wirbelnden Einfälle den Leser bis zum Ende in Spannung halten, verloren, so bitter ernst wie der Autor den von der Ueberfülle weiblicher Verehrung hart be­drängten Helden gab, vollständig ihren prickelnden Reiz. Das Stückchen, das doch wohl eine Perfiflage auf Komödiantenart und -Schicksale vergötterter Zenöre sein will und hierfür so ergöhlich überraschende Pointen findet, verlangt vom Darsteller als erste Vorbedingung, daß ihm das Charakteristische der Komödiantengeste zu Gebote stehe, daß in seinem Spiele durch alle scheinbar ber­ständigen Bemerkungen ein Grundzug naiver, bom Erfolg zu majestätisch würdevollem Selbstbewußtsein emporgetriebener Eitel­keit hindurchschimmere. Wedekinds Sänger hatte davon keine Spur, nichts deutete auf den Beruf und das Temperament des typischen Theatermenschen hin, ein Mangel, der von vornherein den Nerv des Komischen, Stil und Bedeutung der Komödie zerstören mußte. Was blieb, war ein doktrinäres Räsonnement; der Tenor bers wandelte sich, dem Hetmann ähnlich, in einen Herrn, der zu dem jungen, zudringlichen Mädchen, zum Komponisten, der ihn mit Partituren, der verheirateten Dame, die ihn mit hysterischen Liebes­ergüssen aufhält und schließlich eine Revolverknallerei verübt, Worte der Weisheit redet. Es kam hinzu, daß der Dichter als Regisseur die dringend notwendigen Kürzungen, namentlich in der Szene mit dem grauhaarigen Komponisten, unterlassen hatte. Auch Lichos fluge, nuancenreiche Darstellung des alten Kunstenthusiasten half über die Breiten dieser Stelle nicht hinweg. Frau Newes Wedekind vermochte mit der freilich recht undankbaren Gestalt der schießenden Dame wenig anzufangen.

Er starrte finster vor sich hin. Dann fuhr er fort: Da hinten im Polnischen bin ich geboren. Vier Jungens waren wir, ich der älteste. Der Vater ein Gewohnheitssäufer, die Mutter eine bergrämte und verarbeitete Frau; eine von den Pro­Tetarierfrauen, die mit dreißig Jahren aussehen, als ob schon ein halbes Jahrhundert ihre Schultern drückt. Meine Mutter, deren Andenken mir noch heute teuer ist, war von früh bis spät in die Nacht hinein auf den Beinen, um das nötige Brot für die vier Hungrigen Mäuler herbeizuschaffen. Der Vater, ein wegen seiner Trunksucht entlassener Polizist, war fast immer betrunken. Dann mißhandelte er Frau und Kinder. Ein leider immer noch alltäg­liches Bild, wirst Du sagen! Gewiß! Doch meine Mutter war eine von den Frauen, die nicht flagen und jammern, sondern still ihre Pflicht tun, ohne dabei nach rechts oder links zu blicken. Als dann eines Tages der Mann verschwand, der uns wohl in die Welt gesetzt hatte, die Ernährung aber einer schwachen Frau überließ, da atmete nicht nur unsere Mutter auf, sondern auch uns Kindern wurde es freier ums Herz.

Wir Jungens wurden größer und halfen mit unseren schwachen Kräften redlich mit, das tägliche Brot herbeizuschaffen. Wir hofften jeht auf eine bessere Zeit. Bald aber warf ein Lungenleiden meine Mutter auf das Krankenlager und das graue Elend hielt bei uns feinen Einzug. Dann kam der Pastor des Ortes öfters zu uns. Er predigte mit salbungsvollen Worten uns Ergebung in den Willen Gottes. O, er hatte gut reden; saß er doch im vollen. Ihm war die Ergebung in Gottes Willen leicht gemacht. Wen der Herr liebt, den züchtigt er", so pflegte er öfters zu sagen. Doch meine Mutter schüttelte den Kopf. Sie kannte den Gott nicht mehr, von dem der Pfarrer sprach. Sie hatte verlernt, auf Gottes Hülfe zu warten und dabei halb zu verhungern. Das Glend hatte ihren Blick geschärft und sie trokig gemacht.

So fräntelte meine Mutter lange Zeit. Bald schien c3 besser zu gehen, bald war es wieder schlimmer. Die Sorge um uns und der Hunger ließen sie nicht lange im Bett; sie mußte wieder hinaus in die Tretmühle des Lebens. Dann kam der Tag, wo ich froh­gemut aus der Schule kam und munter pfeifend unsere Stube be­frat. Ich hatte Grund zur Freude, schien doch meine Mutter jetzt wieder vollständig gesund zu sein. Und als ich dann die Tür ge­öffnet, da sah ich sie liegen, blutüberströmt und kalt und starr. Sie tvar einem Blutsturz erlegen.

Eine Armenleiche! Da wird nicht viel mit hergemacht. Der Sarg: vier Bretter zu einer Kiste zusammengenagelt. Ich hatte die Rechnung gesehen. Sechs Mark waren quittiert.

An einem Sonntag im Januar war die Beerdigung. Nachts war viel Schnee gefallen, am Tage eine bittere Stälte gefolgt. In unseren notdürftig zusammengeflicten Lumpen zitterten wir vor Frost wie Espenlaub. Bald standen wir am Grabe.

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Weißt Du, daß Beerdigungen nach Klassen erfolgen? Armen­Leiche letzte Klasse. Der Pastor hatte es sehr eilig. Eine Armen­Teiche und noch dazu die grimmige Kälte! Da hieß es schnell wieder heim an den warmen Ofen! Von seinen schnell heruntergehaspelten Worten habe ich nichts verstanden. Was fonnte er uns für einen Trost bieten? Als sie dann meine liebe, gute Mutter hinabließen in die halbverschneite Grube, da konnte ich mich nicht länger halten; Iaut fchluchte ich auf. Und dann geschah das Schredliche, das eben nur bei einer Armenteiche vorkommen fann und das ich mein Leben lang nicht vergessen werde. Die eine der Leinen, womit der Sarg hinabgelassen wird, riß, und laut polternd stürzte der Sarg in die Grube. Erschredt trat ich einen Schritt näher. Da bot sich mir a Anblick, der mir noch heute das Blut schneller durch die Adern jagt, wenn ich daran zurückdente. Die eine Seite des Sarges hatte fich durch den Fall gelöst und die Leiche lag daneben in der Grube. Das eine Auge der teuren Verstorbenen aber war offen und sah mit einem unsagbar starren Blick nach oben. Ich wußte nicht, wie mir geschah! Mir schwanden die Sinne, in Krämpfen wälzte ich mich am Boden. Man schaffte mich weg. Als ich wieder zu mir tam, war ich im Waisenhaus!"

Nassen Auges hatte er geendet.

Jch aber drückte ihm stumm die Hand und ging.

Theater.

F. Th.

Den Abschluß bildete der Wedekindsche Dialog Rabbi Esra", in dem ein greiser Jude, um den Sohn vor einer nur auf geistige Sympathien gegründeten Ehe zu warnen, erzählt, wie ihn selber nach langem Elend erst die Stimme des Blutes zu einem glücklichen Bunde führte. Der Dichter ist in dieser Rolle schon früher aufgetreten. Seine Maste war wirkungsvoll, aber eine ihm sonst ganz fremde Undeutlichkeit der Stimme ließ vieles un­gehört verhallen. Die nach Maupassant   gearbeitete, von Ploeder­Edard übersetzte Szene Der Friede des Hauses", die den Abend einleitete, mit ihren maniriert erklügelten ehelichen Auseinandersetzungen, blieb ganz wirkungslos.

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Humoristisches.

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Bon Polizei wegen. Warum ist denn der Roman In Windeseile" tonfisziert worden?" Weil der Held darin, ein Autler, immer mit hundert Kilometer Geschwindigkeit herum­fährt."

- Individuell. Was sagte denn Herr Goldbaum, als Du ihm vorwarfit, er wechsle seine Gesinnungen wie das Hemd?" ,, Nichts, er lächelte geschmeichelt."

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Devot. Förster( nach der Treibjagd des Hofes): No, Hias, Du hintit ja wie net g'icheit!" Treiber: Na woaßt, Förschta, i' hab' heut' a paar allerhöchste Schrot' friegt!" ( Meggendorfer Blätter.  ")

Notizen.

-Das 1. Juni- Heft der Kunstzeitschrift Die Mufit" veröffent licht an leitender Stelle einen Auffaz von Dr. Walter Niemann  über" Die soziale Lage des deutschen Musikschrift stellers". Die zumeist keineswegs sehr glänzenden sozialen Ver­hältnisse dieses Zweiges des Musiferstandes werden darin beleuchtet, die Ursachen dieser Zustände untersucht und Besserungsvorschläge zur Diskussion gestellt.

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Weiches Porzellan. Der Porzellanmanufaktur von Sèvres   ist es gelungen, die weiche Porzellanmafie( pâte tendre), deren Rezept seit dem Ausgange des 18. Jahrhunderts verloren gegangen war, wieder herzustellen. Man hofft jetzt, die alte Manier, deren Erzeugnisse wir in den Kunstgewerbemuseen bewundern, wieder auf­nehmen zu können.

-Ein kostspieliger Müdentrieg. 1400 000 art haben die Behörden des Staates New Jersey   in Amerika   für einen erbitterten Veritichtungskrieg gegen die Müden ausgesetzt, die fich zu einer unerträglichen Landplage entwickelt haben und der Be bölkerung auch schwere wirtschaftliche Schäden zufügen. Die Mücken bilden nicht nur eine ständige Gefahr für die öffentliche Gesundheit als Träger der Malaria, fie schädigen auch ohnedies durch ihre Kleines Theater: Gastspiel Fran! Wedekind. ständigen Belästigungen die schwächlichen und franken Personen, Wedekind. der bei der Aufführung seines Dramas Sidalla" im denen sie den Schlaf rauben. Außerdem wird die Viehzucht in ihrer Sleinen Theater den wunderlich utopistischen Doktor Hetmann Entwidelung gebemmt, da die Herden unaufhörlich von ganzen fpielte, und damals durch die fachlich- schmucklose, nüchtern- über- Wolfen von Müden umlagert sind. Das massenhafte Auftreten zeugte Art, in der er die verstiegenen Phantasien des Schönheits- dieser Insekten macht auch die Ernte einiger Fruchtarten vollständig schwärmers bortrug, so start interessierte, hat in anderen Rollen, unmöglich, so daß diese Kultur gänzlich aufgegeben werden muß. in seinem Marquis Keith, wie dem Molièreschen Tartüff, leider Wegen ihrer Anmut und ihrer klimatischen Bedingungen könnten enttäuscht. Jene fonzentrierte bewegungs- und humorlose Trocken- viele Teile des Staates New Jersey   die schönsten Sommerfrischen heit des Tones, die in der Hetmann- Figur ein Ausfluß seiner bieten. Die Müdenplage ist aber so groß und so allgemein ge­dichterischen Intentionen, feiner persönlichen Auffassungsweise er fürchtet, daß kein New Yorker sich in diese Gegend wagen würde. schien, erwies fich, immer wiederkehrend, als Naturanlage, deren Man hat berechnet, daß durch die Beseitigung dieser Mückenplage Schranken er auch bei ganz anders gestellten Aufgaben nicht durch die Grund- und Bodenwerte des Staates New Jersey   allein um gut brechen konnte. Das Gastspiel bestätigte diesen Eindruck. Seine 140 Millionen Mark erhöht werden könnten.

Berantwortl. Redakteur: Hans Weber, Berlin  . Drud u. Verlag: Borwärts Buchdruderei u.Berlagsanitalt Baul Singer& Co..Berlin   SW.