sehen, wir müssen auf alles ehrlich und wahr antworten. Müssen die ganze Wahrheit, alle Falschheit kennen lernen.. Der Kleinrusse hörte zu uud wiegte im Takte zu ihren Worten seinen Kopf hin und her. Wjessowschtschikow, der Rothaarige und der andere Fabrikarbeiter, dm Pawel mit­gebracht, standen alle drei in einer dichten Gruppe bei- tammen. Das gefiel der Mutter nicht. Als Natascha schwieg, stand Pawel aus und fragte ruhig: Wollen wir denn nur satt werden?" Nein!" antwortete er selbst und blickte unverwandt zur Seite nach den dreien hin.Wir wollen Menschen sein! Wir müssen denen zeigen, die an unserem Halse hängen und uns die Augen verschließen, daß wir alles sehen. Wir sind nicht dumm, sind keine Tiere und wollen nicht nur essen, wir wollen leben, menschenwürdig leben! Wir müssen unseren Feinden zeigen, daß unser Sträflingsleben, das sie uns ausgebürdet haben, uns nicht hindert, ihnen an Verstand ebenbürtig, an Gemüt über zu sein..." Die Mutter hörte seine Worte, und in ihrer Brust regte sich Stolz über ihren Sohn wie fließend verstand er doch zu reden!- Satte Leute gibt es schon ehrenhafte aber nicht!" sagte der Kleinrusse.Wir müssen eine Brücke über den Sumpf dieses faulen Lebens zum zukünftigen Reich der Herzensgüte schlagen, das ist unsere Aufgabe, Genossen!" Jetzt müssen wir dreinschlagen: Wunden zu heilen, ist keine Zeit mehr!" erwiderte Wjessowschtschikow dumpf. Man wird uns schon die Knochen zerbrechen, bevor der Tanz losgeht!" rief der Kleinrusse lustig. Es war bereits nach Mitternacht , als man sich zu trennen begann. Zuerst gingen Wjessowschtschikow und der Rot- haarige, das gefiel der Mutter wieder nicht. Die haben ja große Eile!" dachte sie un.? verneigte sich wenig freundlich vor ihnen. Sie begleiten mich wohl, Nachodka ?" fragte Natascha. Selbstverständlich!" antwortete der Kleinrusse (Fortsetzung folgt.) (Nachdruck verboten.) Oer Sieger. Von Clara Bohtn-Schuch Lappenstoffel" war tot und sollte heute begraben Wersen. Es war ein heißer Juli-Nachmittag; gerade die Zeit zwischen dem Ende der ersten Heuernte und dem Beginn der Roggencrnte. Das sind ein paar Wochen so zwei, drei, wo man auf dem Lande ein klein wenig Atem schöpfen kann. Zu tun ist auch dann noch genug, aber wenn es gern sein soll, darf man mal einen halben Tag seinem Vergnügen opfern. Das geht in der übrigen Zeit zwischen dem 15. April und dem 15. Oktober nicht. Dann hat man auch zum Sterben keine Zeit. Just darum hatte es wohl Lappenstoffel so eingerichtet; er hatte den Leuten stets Gutes getan und wollte ihnen auch das Vergnügen seines Begräbnisses nicht vorenthalten. Und sie kamen in hellen Haufen; mit ihren Kutschwagen kamen sie ins Dorf gefahren, und nachmittags am drei rum waren sovielAuswärtige" da, daß fast jedes Haus Logierbesuch hatte, ja sogar der Gasthof war besetzt. Und das Sonderbare war, sie kamen alle so von ungefähr bei ihren Freunden zum Besuch. Die letzte Ehre wollte man Lappcnstoffel nicht etwa erweisen, aber man würde natürlich auf den Kirchhof gehen und sich die Sache ansehen. Ja,Lappenstoffel" war ein berühmter Mann gewesen, und er hatte vor anderen berühmten Männern voraus, es schon bei seinen Lebzeiten zu sein. Und er hatte noch mehr voraus; nämlich, er konnte von seiner Kunst und seinem Ruhm leben. Ohne Ackerbau und Viehzucht treiben zu müssen, hatte er bei einem honetten Leben noch ein dito Sümmchen Barvermögen, als er starb, und aus diesem Grunde hatte er auch ein ganz Teil Verwandte, die ihm die letzte Ehre wirklich gaben. Im Kirchenbuch war er mit seinem gewöhnlichen Namen Christoph Wilke" eingetragen, aber der Name war in der Gegend das Eigentum vieler, die außer ihm nichts ihr eigen nannten, und ein solcher Name schickt sich nicht zum Berühmtwerden, es kommen dann zu leicht Verwechselungen vor. Darum nannten ihn die Bauern einfachLappenstoffel", und so war das auch nur der Name, der seinen Ruhm ausmachte. Den gut staatsbürgerlichen Namen wußten nicht allzuviele. Und seine Kunst war die Hexen- bändigerei. Er verstand die Kunst, das mußte ihm jeder noch im Tode nachsagen. Da war keine Kuh, die, von Satanas besessen, ein schlimmes Euter bekam, bei der er nicht den Teufel ausgetrieben und das Euter kuriert hätte; und da war kein Pferd, dem Beelzebub das Anziehen verleidet hatte, das er nicht in kurzer Zeitgereinigt" hätte. Und jedes Schwein und jedes Schaf Wd jede Ziege, welche von den bösen Geistern oder Nachbarn verhext worden war und darum nicht fressen oder tragend werden wollte, heilte er von dem höllischen Bann. Und das wunderbarste war, nicht nur beim Vieh, sondern auch bei den Menschen wirkten seine Kuren. Da war ein Bauer, dessen Frau litt viel am Magen und lag viel zu Bett. Sie war sehr stark und sehr müde, und wurde immer müder von Tag zu Tag, so daß sie, ais es so recht zur Arbeit hin kam, am meisten liegen und schlafen mußte. Die Sache wäre ja nun noch gegangen, denn es waren zwei tüchtige Mädchen auf dem Hofe, aber, wenn auch die Hand der Frau fehlte, so fehlte doch ihr Mundwerk nicht. Und das war es, was den Zustand des armen Weibes unerträglich machte für die anderen. Eines Tages erklärten beide Mädchen, daß sie ziehen würden, wenn ihr Jahr um sei, da sie in solcher Wirtschaft nicht bleiben wollten, wo die Frau nichts könnte als essen, trinken, schimpfen und schlafen. Da ging der Bauer in sich und fuhr zum Arzt. Der kam, sah sich die Kranke an, schüttelte den Kopf und verschrieb eine Medizin. Aber sie half nichts, und ein Doktorbesuch kostete 12 Mark, weil'süber Land" war. Die Krankheit der Frau wurde immer schlimmer, d. h. sie schimpfte immer mehr, denn sie glaubte bemerkt zu haben, daß der Bauer von der Tüchtigkeit der Großmagd allzuviel Aufhebens machte. Da wurde es nicht mehr zum Ertragen, und der arme Mann ging zu Lappenstoffel. Als er dem die Krankhcitsfymptome geschildert hatte, sagte der ruhig: Na, dann will ich man morgen kommen, da is der Böse mit ins Spiel, aber vor mir weicht er." Und am anderen Tage kam er. Er sah die Kranke auf- merksam an, fühlte den Puls und sagte:Ja, das is ne schlimme Sache. Sie is jung, aber der Böse is schon durch's ganze Blut. Sie is sehr, sehr krank. Es könnte ans Sterben geh'n. Sie is zu dick. Schlechte Menschen habend getan, das is gewiß, aber des Bösen Reich nach dem Tode is die Hölle...." Weiter kam er vorläufig nicht. Die Bäuerin unterbrach ihn mit einem wilden Schrei und der Bauer faßte Lappenstoffels Hände:Das is zu viel. Du hast gesagt, Du wirst das arme Weib retten. Das geht nich, daß auf den leiblichen Tod der ewige folgt, das will ich nich." Lappenstoffel machte sich sanft los.Es is sehr schlimm, sehr schlimm, habe ich gesagt, aber wenn die Kranke allens tun will, kann's vielleicht noch wieder wcrd'n. Und nu seid mal still." Dann befahl er, daß 4 Personen sich am Bett aufstellen sollten, an jeder Längsseite zwei, und so wurden der Knecht und die beiden Mädchen gerufen. Die Großmagd wurde neben dem Bauer auf die rechte Seite gestellt und der Knecht mit der Zweitmagd auf die linke. Lappenstoffel stellte sich am Fußende auf, befahl, daß die Kranke weder rechts noch links, sondern nur geradeaus auf ihn schaue. Dann zog er um sich einen weiten Kreis mit dem Kreuz- dornstock, den er bei sich hatte, holte sein Buch aus der Tasche und die Geisterbeschwörung begann. Er betete, schilderte die Qualen der Hölle und die Seligkeiten des Himmels, befahl im Gebet dem bösen Geiste auszuziehen und beschwor den guten einzuziehen. Er verwünschte alle Hexen, die ihre schwarzen Künste an dem armen Weibe ausgeübt hatten. Und das so eine Stunde lang. Die Kranke lag da mit bleichem Gesicht und zitterte furchtbar. und die Wächter konnten sich vor Grauen und Furcht kaum noch aufrecht erhalten. Aber sie hörten jedes Wort, das er sagte und falteten immer krampfhafter die Hände ineinander. Gewiß und wahrhaftig war es schlinim mit der armen Frau, denn man spürte ja den Atem des bösen Geistes richtig, wie er durch die Stube fegte. So wehrte er sich gegen die Austreibung. Endlich war die Stunde um. Lappenstoffel legte aufatmend das Buch aus der Hand, trat aus dem Kreis und wischte sich den hellen Schweiß von der Stirn. Die Wächter sanken ermattet auf die Stühle nieder. Eine Weile war es so still in der Stube, als wären nur Tote darin. Dann sagte Lappenstoffel:Wenn nicht alle Zeichen trügen, is noch Hülfe möglich. Zuerst müssen wir jetzt das Ucbel aus dem Magen vertreiben, sonst wird die Kranke am Ende schlapp. Hier is ein Tee, den kocht in eine Tasse auf, un so wie ich aus dem Hofe bin, gebt ihn ihr. Aber wenn er wirkt, muß die Frau über den Hof gehen, wenn sie zu matt is» bringt sie hin. Morgen komm' ich wieder." Nach einer Stunde setzte die Magcnreinigung ein und die Kranke kam erst um 10 Uhr abends ins Bett. Aber die andere Kur hatte auch schon gewirkt, das war gewiß» lich und wahrhaftig, denn so fest und ruhig hatte der Bauer seit langer Zeit nicht geschlafen, und als er früh aufstand, lag die Frau noch immer und schlief fest, und den ganzen Vormittag hörte man ihre Stimme nicht. Da atmeten alle wieder etwas freier, -nun war sie am Ende doch noch vor dem höllischen Feuer zu retten. Nachmittags kam Lappcnstoffel wieder und horchte mit ernstem Kopfnicken den Bericht über den Erfolg der ersten Kur an. Dann kam wieder die Geisterbeschwörung, und dann sagte er: So, nun muß die Frau morgen früh, wenn die Sonne auf- geht, so um viere rum, stillschweigend nach dem Kreuzweg geh'n, der über Dein und Nachbar Klecssens Feld läuft, und muß sich drei- mal stillschweigend im Kreise umdreh'n. Dann geht sie wieder nach Hause und geht stillschweigend in den Stall und melkt die