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drei schwarzbunten Kühe. Dann fann fie fich am ersten Tage zwei Stunden schlafen legen, am zweiten eine Stunde und am britten eine halbe Stunde. Die Hauptsache is aber, daß sie das alles stillschweigend, ohne ein Wort zu sagen, verrichtet, sonst is jede Hülfe an der Kunst des Bösen vergeblich. Zu efsen darf sie loß friegen, was mit der Milch von den drei Kühen gefocht is, und zwar immer nur drei Liter den Tag, von jede Kuh also ein Liter. Und außerdem komm' ich jeden Tag rüber nachsehen." So ging es zwei Wochen. Da war das unnüße Fett ge schwunden, der Magen ganz in Ordnung, und die Frau konnte tundenlang arbeiten, ohne ein Wort zu sagen. Als die größte Arbeit kam, hatte der Bauer die tüchtigste Bäuerin, die jedem erzählte, der es hören wollte, wie gesund sie jetzt sei und was für ein langes Leben sie erhoffe. Aber sie stand auch jeden Morgen nit Sonnenaufgang auf und schlief nachts den Schlaf der Gerechten.

Einen Erzfeind nur hatte Lappenstoffel, und das war der Pfarrer. Solange sich die Kunst des Herenbändigers nur am Vieh bewährt hatte, sah er es ruhig mit an, ja, man erzählte sich, daß Lappenstoffel einmal mitten in der Nacht auf den Pfarrhof gerufen worden wäre, weil die Kuh krank geworden war. Er hatte ihr einen Trank gegeben, und am Morgen war wieder alles in Ordnung. Aber man erzählte das so heimlich, man wußte es nicht genau, und Lappenstoffel hielt auf Ordnung, er sprach nie über irgend eine Kur.

Aber als Lappenstoffel nun auch die Menschen von den Qualen des Leibes und der Seele zu erlösen anfing, kam der Pfarrer aus jeinem Gleichmut. Auf dem Gebiete war er die einzige Autorität. Böse zu vertreiben und Geelen zu retten war seine Sache. Und das schlimmste war, die Leute bezahlten Lappenstoffel freiwillig ein höchst unsinniges Geld obendrein für die tolle Rebellion. Da fing der Pfarrer an, von der Kanzel herunter gegen den Sünder zu wettern, aber da wurde die Kirche leerer und leerer; man hielt zu Lappenstoffel. Da drohte er mit dem Staatsanwalt. Aber es blieb bei der Drohung, denn er wußte zu genau, daß es doch nichts nüßen würde. Zudem forderte Lappenstoffel für alle Bemühungen nie ein Honorar, sondern überließ es stets dem guten Geifte in dem Gereinigten, zu geben, was ihm Leib und Seele wert erschien. Und darin läßt sich kein Bauer lumpen, er hat noch immer Seelen- und Leibeshelfer ehrlich bezahlt.

Nun war Lappenstoffel tot.

Der Pastor saß noch an seinem Studiertisch und arbeitete eifrig in seinem Gedächtnis. Es war ihm lieb, daß so viele Menschen gekommen waren. Er wollte heute eine Predigt halten, wie die Leute noch keine gehört hatten. Mit schneidenden Worten wollte er das Wahngebilde zerreißen, das den Toten so glänzend umhüllte. Er wollte es ihnen ans Herz legen, daß ein solcher Mann der ewigen Verdammnis anheimfallen müsse, und die an ihn glaubten, auch. Er wollte, es sollte ein Tag des Triumphes werden, des Glaubens über den Unglauben.

Es war doch ein stattlicher Zug, der dem Sarge folgte, und der ganze Kirchhof war voll von Menschen, Leidtragenden und Neu­gierigen. Die Gloden läuteten, die Kinder sangen, der Pastor stand im feierlichen Ornat an der Gruft, als der Sarg hinabgesenkt wurde, und die Frauen weinten. Es war ganz wie bei einem gut christ­lichen Begräbnis. Aber dann begann die Totenpredigt. Mit ge­waltiger Stimme tönte die Kritik über das unchristliche Leben des Entschlafenen über den Friedhof.

Und hatte Lappenstoffel die Höllenqualen so geschildert, daß vier Menschen das Gruseln lernten und einer gefund wurde, so ging es hier wie mit scharfen Schwertern der Marter und Angst durch Hunderte von Herzen. Der Paftor fühlte, er hatte gefiegt. Jeht im Tode war der Feind schadlos gemacht.

Und mitten in die tolle Tragödie hinein ging am westlichen Himmel eine große Feuerlohe empor. In dem Nachbardorfe brannte eine Scheune nieder. Da tam es wie ein wilder Wirbel über den Pastor; er hob die Arme hoch auf und über den sommer­lichen Totenader gellte seine Stimme:

Und ich sage Euch, meine Brüder, so wie die Feuerflammen dort am Himmel emporlohen, so loht jetzt die Seele dieses Ver­dammten auf im höllischen Feuer!"

Einen Moment herrschte Totenstille. Der Pastor war in seiner furchtbaren Erregung ganz nahe an die offene Gruft ge­treten und nun brachen unter seinen Füßen die Schollen fort. Ein furchtbarer Schrei des Entsetzens brach aus der Menge: Jett zieht ihn Lappenstoffel runter! Jezt zieht ihn Lappenstoffel runter!" Und aus der Gruft reckten sich die priesterlichen Arme empor und der Pastor schrie in Todesangst: Rettet, helft, rettet!" Da war der Bann gebrochen; ein einziges, schallendes, Herz­liches Lachen löste das Entsetzen aus, und unter diesem Gelächter zog man den Pastor aus der Gruft.

Lappenstoffel hatte noch im Tode gesiegt.

Kleines Feuilleton.

Geibel der Negerfreund.

In dem Petersprozeß überboten sich die Herren Afrikaner in Schilderungen des nichtsnußigen, verlogenen und grausamen Charakters der Negerbevölkerung. Dem gegenüber fragt man sich

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unwillkürlich, in welchem Lichte denn wohl die vortrefflichen Weißen den Schwarzen erscheinen mögen. Die Phantasie eines Dichters gehört dazu, sich das auszumalen und an eine dichterische Beantwortung dieser Frage möchten wir denn auch erinnern. Geibel hat bei seinem Neger weib" zwar amerikanische Ver­hältnisse im Auge, aber jetzt paßt die Schilderung auch auf Afrika und geht uns näher an. Die letzten Verse des Gedichts lauten: Kluge Männer sind die Weißen, sie durchfahren kühn die Meere, Bligesglut und Schall des Donners schläft in ihrem Jagdgewehre, Ihre Mühlen, Dampfgetrieben, regen sich mit tausend Armen, Aber ach, bei ihrer Klugheit wohnt im Herzen kein Erbarmen. Oftmals hört ich auch die Stolzen sich mit ihrer Freiheit brüsten, Wie sie kühn vom Mutterlande losgerissen diese Küsten; Aber über jenen Edlen, der mit Mut das Wort gesprochen, Daß die Schwarzen Menschen wären, haben sie den Stab gebrochen. Süß erklinget ihre Predigt, wie ein Gott für sie gestorben, und durch solches Liebesopfer aller Welt das Heil erworben; Doch wie soll das Wort ich glauben, wohnt es nicht in ihren Seelen? ist denn das der Sinn der Liebe, daß sie uns zu

Tode quälen?

O du großer Geist! was taten meines armen Stamms Genossen, Daß du über uns die Schale deines Bornes ausgegossen? Sprich, wann wirst du mild dein Auge aus den Wolken zu uns wenden? Sprich, o sprich, wann wird der Jammer deiner schwarzen Kinder enden? Ach, das mag geschehen, wenn der Mississippi rückwärts fließet, Wenn an hoher Baumwollstaude dunkelblau die Blüte sprießet, Wenn der Alligator friedlich schlummert bei den Büffelherden, Wenn die weißen freien Pflanzer, wenn die Christen Menschen werden.

Unsere Afrikaner und ihre Anbeter werden freilich über diese Humanitätsduselei Geibels spöttisch lächeln.

Kunst.

Die Ruinen von Angter. Der soeben ratifizierte französisch- siamesische Vertrag fügt dem oftafiatischen Besitz Frank­ reichs drei volfreiche Provinzen hinzu. Aber er ist nicht nur von politischer und wirtschaftlicher Bebeutung. Das Gebiet, das Kambodscha einverleibt oder, genauer genommen, zurückerstattet wird, enthält die umfangreichsten und künstlerisch bedeutendsten Die Ruinen bon Schöpfungen der indischen Architektur. Anglor stellen die großen Tempelbauten des südlichen Indiens und die berühmten Ruinen von Ankrädhapura auf Ceylon in Echatten. Auf einer quadratischen Basis erheben sie sich in pyramidenförmiger Verjüngung, gekrönt bon ungeheuren Götter bildern, die nach allen bier Richtungen blicken. Eine unüberblick­bare Fülle von Basreliefs, Inschriften und Ornamenten bedeckt die Mauern. Proben dieser seltsamen, phantastischen Kunst gibt das Museum des Trocadéro in Paris in Abgüssen und Verkleine rungen. Nun tritt an die französische Republik die Aufgabe heran, die Originale vor dem Verfall möglichst zu bewahren. Ein Wieder aufbau und selbst eine Konsolidierung sind allerdings wegen der hohen Kosten ausgeschlossen, handelt es sich doch um Konstruktionen, die mehrere Quadratkilometer bedecken. Was vorläufig ins Auge gefaßt werden kann, ist die Organisation eines Wachdienstes zur Berhinderung der weiteren Zerstörung durch Entnahme von Bau­materialien durch die Eingeborenen und durch Plünderungen mehr oder minder kunstverständiger Touristen. Auch muß der Wald ausgerodet werden, der jetzt das Trümmerfeld bedeckt und zur Zerbröckelung des Gemäuers beiträgt. Ein Komitee zur Er. haltung der indochinesischen Altertümer", das sich fürzlich kon­ftituiert hat, will sich dieser Aufgabe widmen. Es will auch die Ruinen zugänglicher machen. Bisher erforderte ihr Besuch eine förmliche Forschungsreise mit Nachtlager in der Wildnis. denkt man daran, die 12 Kilometer lange Fahrstraße, die einst Angfor mit dem großen See verband, wiederherzustellen und ein Hotel zu errichten. Die verbesserte Zugänglichkeit wird wohl dazu beitragen, das ungeheuere, bisher noch unerschlossene Material zur politischen und Kulturgeschichte von Kambodscha , das hier vor­liegt, zu entziffern und wissenschaftlich zu verarbeiten. Es scheint, daß ums 8. Jahrhundert eine Hinduexpedition in Kambodscha ge­landet hat, die der intellektuell mäßig begabten eingeborenen Rasse eine höhere Seligion und eine soziale Gliederung brachte. Diese Fremdlinge beherrschten das Land bis ins 14. Jahrhundert und führten es bis zu der kulturellen Blüte, von der Angkor ein Beugnis gibt. Dann verschwanden sie wieder, und die Eingeborenen fielen in den früheren Zustand zurück. Daraus ergibt sich die Un­richtigkeit der Bezeichnung Khmer- Kultur, die man, nach dem Namen der Eingeborenen, der Kultur von Angkor gegeben hat.

Anthropologisches.

Nun

Ein Rüdenzopf. Die Behaarung bei Tieren und Menschen bietet dem Naturforscher und Anthropologen ein außerordentlich twichtiges Gebiet für Untersuchungen, auf das neben anderen her­vorragenden Gelehrten auch Charles Darwin ein großes Gewicht gelegt hat. Das berühmteste Beispiel dafür, daß sich in seinen Arbeiten findet, ist die Feststellung, daß beim Menschen die Haare auf dem Oberarm nach unten und die auf dem Unterarm nach