schmähend' und weit von mit weisend, die Schweiz und Tirol auf Schusters Rappen durchzogen. Nun aber gingen meine Barmittel, trotz eingehender, ökonomischer Erwägungen und Berechnungen zur Neige. Mit den Stiefeln mußte ich auch des öfteren ernste und der- söhnende Rücksprache nehmen, denn schon in der Schweiz war ich auf „deutschem Boden" gegangen und an meinen Absätzen hätte ich selbst den verbohrtesten, hartnäckigsten Zweifler davon überzeugen können. daß die Welt rund ist. Es war in Oberbayern , wir kamen von der Tiroler Grenze. Ich hatte mich in Gesellschaft eines Gefährten, eines„berufs- mäßigen" Walzbruders, an einem Bcrgesabhang gelagert. Ueber uns türmten sich die waldigen Höhen in gigantischen Formen auf, links, weit hinten, in Blau verschwimmend, winkten die Tiroler Berge, und zu unseren Füßen breitete sich die hügelige Ebene aus. Die Bauern waren mitten in der Heuernte, und die Eisenteile ihrer Gerätschaften blitzten und funkelten in der Mittagssonne weithin. Ein leichte Brise trug uns den köstlichen, herben Heuduft wellen- weise zu und wir sogen ihn, auf dem Rücken liegend, in kräftigen Zügen ein. Mein Begleiter war etwa 40 Jahre alt, aus der Rhein - gegend gebürtig und hatte einen schönen, ernsten Christuskopf. Er war von hohem Wuchs und hielt, was bei diesen Leuten selten vor- kommt, viel auf sein Aeutzeres. Besonders die schmalen, aristokra- tischen Hände Pflegte er mit der Sorgfalt unp Eitelkeit einer Pariser Modedame. Gott weiß, wo ich ihn aufgelesen hatte, auf der Wanderschaft findet man sich und verliert sich wieder, in raschem Wechsel, daß man kaum darauf achtet. Mit diesem reiste ich schon mehrere Tage. Es war ein interessanter, unterhaltender Begleiter. Er kannte alle Städte. Dörfer, Höfe, alle Wege und alle Häuser, wo es ein Geschenk gab. In allen„Kittchen" hatte er schon ge- brummt und m?t allen Ortspolizisten sich herumgeschlagen. Mit Hülfe eines Onkels hatte er das Baufach studiert, in Köln und zu- letzt in München , und da war es auch, wo er, durch irgendwelche Streiche, über diesen Punkt ließ er sich nicht aus, verbummelte. Er besaß viel Wissen, was mir, als einfachem Handwerksgesellen, un- geheuer imponierte, und wenn er mir in seiner fesselnden Weise etwas erklärte, dann lauschte ich andächtig und mit heiliger Scheu blickte ich zu ihm auf. Besonders geschickt im Zeichnen war er, und mit verblüffender Sicherheit und Schnelligkeit konnte er einen Menschen, ein Haus oder ein Fuhrwerk an irgendeinem Bretter- zäun oder auch auf dem Papier festhalten. Zwerchfellerschütternd aber wirkte er dann, wenn er einen geizigen Bauer oder Pastor karikierte. Mit einem einzigen Blick hatte er den charakteristischen Zug. in dem Gesicht des Verhaßten erfaßt und mit genialem Ge- schick entwarf er dessen Bild an der Wand eines Hauses oder an einem Hoftor, das Charakteristische ins Groteske übertreibend. Aus dem Tal herauf, durch die brütende Mittagsstille, klang das dünne, wimmernde Läuten eines schwindsüchtigen Glöckchcns. Nur ganz kurz, dann ein leises Nachklingen, ein schwaches Vibrieren des Tons und alles war wieder stumm und still. Den steilen Weg herauf kam jetzt ein kleiner Zug. Sechs Männer trugen keuchend einen roh- gezimmerten Sarg. Keine Blume, kein Kranz schmückte diesen, und die Sonnenstrahlen prallten auf die kahlen, nüchternen Bretter. Mich durchzog ein frostiges, häßliches Gefühl. Ein altes, schluchzendes Mütterchen, mit Ivclkcn, trockenen Zügen, mühsam an einer Krücke humpelnd, folgte hinterher. Daneben trottete ein Idiot, mit un- förmigem Kopfe und grinsendem Gesicht, und zwischen beiden trippelte barfuß ein kleiner, blasser Junge. In den kleinen Händen hielt er einen Kranz aus Feldblumen, roter Mohn, blaue Korn- blumen, vermischt, mit Rittersporn und anderen. Das war alles. Kein Pfarrer war zu sehen. Gewiß ein Selbstmörder, der da hinaus- getragen wurde, dazu eine Armenleiche. Mein Gefährte war auf- gestanden und hatte das Haupt entblößt. Ich tat desgleichen. Dann winkte er mir zu und folgte dem Zuge, und ohne zu wissen, warum, gehorchte ich. Wir schritten ernst hinter den anderen her. Die Träger blickten sich finster und fragend um. Sie nahmen vermut - lich an, es handele sich um einen Ulk. So erreichten wir den kleinen Friedhof, der am blande des Waldes gelegen war. Wohl aus prak- tischen Erwägungen hatte man ihn hier oben angeregt, denn der Boden war rissig und steinig und somit wertlos. Ein aus Knüppel- holz primitiv errichteter Zaun schloß den Friedhof ein. Ganz hinten, zwischen Brennesseln und wildem Gestrüpp, abgeschieden von allen anderen Gräbern, hatte man, in echt christlicher Liebe und Duldsam- keit, eine schmale Grube gegraben. Ohne besondere Umstände zu machen, ließen die Männer, froh, ihrer Last entledigt zu sein, den Sarg hinabgleiten. Alle warfen eine Handvoll Erde in die Gruft hinein, dumpf und hohl klang es jedesmal zurück. Oben, in dem Wipfel eines Baumes, sang in tiefen, vollen Tönen eine tlmscl. Das alte Mütterchen schluchzte bitterlich, durch ihren Körper ging ein konvulsivisches Zucken. Das Kind aber wollte gar nicht begreifen, warum die schönen Blumen in das Grab gelegt werden sollten, und mit großen blauen Augen sah es hinunter, auf den Sarg. Schon wollten die Männer beginnen, das Grab zuzuschütten, als mein Bc° gleiter ein Zeichen gab und, sich um die erstaunten Blicke der Um- stehenden nicht kümmernd, mit seinem prächtigen, sonoren Organ ein Vaterunser zu sprechen begann. Und es schien von ihm eine suggestive Mach� a>«szugchen, denn alle senkten das Haupt und beteten mit. Es war ein schöner, erhebender und doch so wunder- liche- Anblick. Der Stromer in seiner schäbigen Kleidung, den Hut in der Hand, laut vorbetend. In seinen weichen, goldblonden Locken spielte der leichte Höhenwind, seine Gestalt schien sich zu dehnen, und das feingeschnittene, bräunlich angehauchte Gesicht glühte in edlem Feuer. Unter der bannende« Wirkung dieser fascinierenden Er» scheinung mußte sich unwillkürlich alles be»«?en. Als das Gebet zu Ende war, nahm er mich am Arn, und schritt hastig dem Ausgang zu. Hinter uns folgten erstaunte Blicke und das Plumpsen der Erd» schollen klang dumpf durch die Waldesruhc. Als wir draußen waren, blieb er stehen und sah mich ernst an.„Weißt Du." sagte er, mit weicher, vibrierender Stimme,„ich ärgere mich immer, wenn ich so was sehe. Meinen Vater haben sie auch so verscharrt, sang- und klanglos, wie ein verrecktes Vieh, und es sind doch Menschen, Menschen sind's! Menschen!" schrie er noch einmal und seine Augen rollten wild. Zwei-, dreimal schallte das Echo aus dem Walde zurück:„Menschen I" E. U, Kunst. e. s. Vor dein Schloß sind nach der Seite des Lustgartens zu eine Reihe Bronzefiguren, fünf an der Zahl, aufgestellt worden. Die Standbilder der Oranier. Wen die Namen inter - esfieren, der findet an jedem Sockel eine Tafel, die Unterricht in der Geschichte erteilt. Es ist auch nicht nötig, die Namen der Bildhauer zu nennen. Die Figuren gleichen sich alle, dunkle, überlebensgroße Puppen, denen jede Charakteristik, jede plastische Form und dekorative Seite fehlt. Panzer, Schärpen, Helme, Degen in Bronze gegossen und einer Figur angehängt, deren Besonderheit insofern wechselt, als sie einmal das linke, dann das rechte Bein vorstellt, einmal den linken, dann den rechten Arm einstemmt. Das Gesicht geht in dem allgemeinen, schwärzlichen Ton unter, und so stehen diese Helden als recht düstere und in ihrer Schwärzlichkeit mißvergnügte Ge- stalten vor dem Schloß, das dadurch sogar in seiner Front noch Helligkeit gewinnt. Bis dahin hatte das Portal durch die flankierenden Nosscbändiger noch etwas Großzügiges. Die wie eine Wache aufmarschierenden„Oranier" nehmen der Fassade diesen Ein- druck und wandeln ihn ins Spielerische. Vielleicht wird auch noch der älteste Teil des Schlosses, jener schöne Fassadenwinkcl aus dem Jahrhundert auf gleiche Weise zerstört. Seit der„Siegcsallce" ist soviel über diese Art„Kunst" geschrieben worden, daß nichts mehr zu sagen übrig bleibt. Wenden wir uns zu etwas Erfreulicherem I Wenn man von hier aus über den Platz geht, den das einfach schöne und edle Museum mit seinen großartigen Trcppenanlagcn grüßt und der protzige Dom Naschdorffs verunziert, kommt man hinter dem Museum in einen stillen Winkel von einer Schönheit, wie sie Berlin selten hat. Die Nationalgalerie ragt kühn auf. Eine breite Säulenhalle führt im Rundbogen herum. Das perga- meiiische Museum liegt zurückgezogen da. Und von der Säulenhalle aus hat man wunderschöne Blicke über das Wasser, die Spree. Drüben baut sich die Geschäftsstadt auf. Gewimmel und Leben; hier die Stille. Hier an diesem stillen Winkel, in dem man sich von Großstadtlärm und-Unruhe hineinflüchtcn kann, in den die fernen Geräusche nicht hineindringen, wo Bänke zum Sitzen einladen, sind einige plastische Bildwerke zur Aufstellung gelangt, deren Wert dauerhaftere Genüsse verspricht. Ani besten wirkt die Reihe bei der Amazone von Tuaillon. Drei Plastiken. Der Sieger von Heinr. Baucke; die Stein- I l o p f e r i n von Karl Janssen - Düsseldorf und der trunkene Faun von S u ß m a n n- H e l l b o r n. Alle drei ergeben eine gute Gesamtwirkniig und lösen sich fein ab: die' gespannte, erregte Figur des Kämpfers, die ruhige Sitzstcllnng der arbeitenden, sich nach dem Kinde umblickenden Frau und die schlaffe, weichlich nach- gebende Haltung des Trunkenen. Es kommt bei den beiden Stehenden der Gegensatz des energievollen Körpers, in dem alle Muskeln spielen, zu dem Charakterlosen, Verwaschenen der Oberfläche des trunkenen Körpers gut heraus. Als das beste Werk ist der Sieger zu bezeichnen; die Steinklopferin hat für unser Gefühl etwas zu Unrealistisches, Sentimentales. Weniger gut wirkt die auf der anderen Seite der Nationalgalerie fnach dem Wasser zu) aufgestellte Reihe. Vier Bildwerke. Der Fischer, der ein gerettetes Mädchen auf dem Arm trägt, von V r ü t t. Ein wenig zu sehr Genrefigur. Der H u n n e zu Pferde von Hösel; ein bißchen zu kleinlich, von dem Künstlerischen zum Inhalt abziehend, auch zu unruhig. Ein gutes Werk, das rein die Gefetze der Plastik betont, ist der„ B ogensp anner" von Nil. Friedrich, von der Sezession her bekannt. Groß und einfach in der körperlichen Erscheinung, absehend vom Detail; Glieder in der Anspannung der Kraft. Der folgende Bocciaspieler von Aug. Kraus ist eine annehmbare, aber etwas unpersönliche Arbeit. Diese Reihe hat etwas Zusammenhangloses. Sie hat in sich keinen Halt und Ausgleich. Dadurch kommt der Eindruck des Willkürlichen, Unkünstlerischen heraus. Vor dem Gebäude der Nationalgalerie selbst steht die bekannte fignr des„Siegesboten von Marathon' von M a z rufe. Boller Kraft, voller Elastizität. Es ist dies ein erfreulicher Anfang, plastische Kunst in die Oeffentlichkeit zu bringen und sie nicht in Mufeen als in Toten» kammern aufznfpeichern. Leider haben wir in der Gegenwart diese öffentliche Wirkung der Kunst ganz vernachlässigt. Auch der Künstler könnte davon lernen. Das Daniederliegen der dekorativen Plastik und der Dcnkmalskunst hat sicher auch darin ihren Grund, daß die Künstler davon absehen mußten, für die Oeffentlichkeit zu schaffen. Sie verlieren sich mit ihren Schöpfungen ins Kleinliche. Auch m dieser Hinsicht steht also von dem neuen Borgehen eine günstig? Wirkung zu erwaUcu.
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24 (17.7.1907) 136
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