Mnterhaltungsblatt des Jorwärts Nr. 143. Freitag, den 26. Juli. 1907 (Nachdruck verboten.) u] Die jviutter. Roma« 6ofi Mäxim G o r l i. Deutsch von Adolf Hetz. KV, Die Arbeiter bemerkten sofort die neue Händlerin. Sie traten an sie heran und meinten beifällig: L, Hast ein Geschäft angefangen. Nilowna?" Und trösteten sie und erklärten ihr, man würde Pawel bald frei lassen, denn seine Sache wäre gerecht. Andere be- unruhigten sie niit behutsamen, mitleidigen Worten, noch andere schalten wütend und offen auf den Direktor und die Gendarmen, und erweckten in ihrem Innern ein lautes Echo. Es waren aber auch Leute da, die sie schadenfroh anblickten und der Listenführer Jssai Gorbow preßte durch die Zähne: Wenn ich Gouverneur wäre, würde ich Deinen Sohn aufhängen I Man soll die Leute nicht vom rechten Wege ab- bringen!" Aus dieser bösen Drohung wehte ihr eiskalter Schreck entgegen. Sie gab Jsiai keine Antwort, sondern blickte nur in sein kleines, finnenbesätes Gesicht und schlug die Augen nieder. Sie sah, daß Unruhe in der Fabrik herrschte, die Ar- beiter traten in Haufen zusammen, unterhielten sich über etwas, und überall schnüffelten die Meister geschäftig herum; bisweilen hörte man Schimpfworte und erregtes Lachen. Zwei Polizisten führten Samoilow an ihr vorüber; er schritt mit einer Hand in der Tasche dahin, während die andere durch sein rötliches Haar fuhr. Ein Arbeiterhaufe, etwa hundert Mann, begleitete ihn und verfolgte die Polizisten mit Schimpfworten und Spott... Willst ein wenig spazieren gehen, Grischa?" rief jemand ihm zu. Ist eine Ehre für unsereins!" bestätigte ein anderer. Geht unter Bedeckung..." Ein kräftiges Schimpfwort folgte. Der Diebsfang lohnt sich offeiwar nicht mehr!" meinte ein großer, etwas krummer Arberter laut.Da fängt man an, rechtschaffene Leute fortzuschleppen..." Wenn sie ihn wenigstens Nachts fortführten," rief ein anderer aus der Menge,aber so am hellen Tage das ist doch frech... Die Bande!" Die Polizisten schritten ärgerlich, schnell vorwärts, be- mühten sich, nichts zu sehen und schienen die Ausrufe, die sie überall begleiteten, nicht zu hören. Drei Arbeiter, die ihnen begegneten und eine lange Eisenstange trugen, richteten diese gegen sie und schrien: Aufgepaßt, ihr Fischer!" Als Samoilow an Frau Wlassow   vorüber kam, nickte er ihr freundlich zu und sagte: Nun haben sie mich armen Gottesmenschen auch gefaßt." Sie verneigte sich schweigend tief vor ihm; diese jungen rechtschaffenen Männer, die lächelnd ins Gefängnis gingen, rührten sie; unmerklich empfand sie Mitleid und Mutterliebe für sie. Es bereitete ihr Vergnügen, die scharfen Worte über die Behörde zu hören darin spürte sie den Einfluß ihres Sohnes. Aus der Fabrik zurückgekehrt, verbrachte sie den ganzen Tag bei Marja, half ihr bei der Arbeit und hörte ihrem Geschwätz zu; spät abends ging sie nach Hause, wo es kalt, öde und ungemütlich war. Sie lief lange von einer Ecke in die andere, fand keinen rechten Platz und wußte nicht, was sie tun sollte. Es verursachte ihr Unruhe, daß es schon bald Nacht war und Iegor Jnwanowitsch noch immer die der- sprochenen Flugblätter nicht gebracht hatte. Am Fenster flogen schwere, graue Herbstschneefetzen vor- über. Sie klebten weich gegen die Scheiben, glitten lautlos daran herunter und schmolzen, eine feuchte Spur hinter- lassend. Sie dachte an ihren Sohn. Jetzt wurde vorsichtig gegen die Tür geklopft, die Mutter lief schnell hin, öffnete den Haken Sascha trat ein. Die Mutter hatte sie lange nicht gesehen, und jetzt war das erste, was ihr in die Augen fiel, die übernatürliche Beleibtheit des Mädchens. Guten Abend!" sagte sie, froh darüber, daß jemand gekommen war und sie einen Teil der Nacht nicht einsam zu verbringen brauchte.Ich habe Sie lange nicht gesehen! waren Sie oerreist?" Nein, ich habe im Gefängnis gesessen!" erwiderte das Mädchen lächelnd.Mit Nikolai Jwanowitsch zusammen, er- innern Sie sich seiner noch?" Wie sollte ich nicht!" rief die Mutter.Gestern hak Jegor Jwanowitsch mir gesagt, er sei frei gelassen... Von Ihnen wußte ich nichts... Niemand hat mir gesagt, daß Sie im Gefängnis seien.. Was ist auch darüber zu reden?... Ich muß mich um- kleiden, bevor Jegor Jwanowitsch kommt", sagte das Mädchen um sich blickend. Sie sind ganz durchnäßt..." Ich habe die Flugschriften mitgebracht..." Geben Sie her, geben Sie hierher!" rief die Muttek schnell. Sofort." Das Mädchen knöpfte flink den Mantel auf, schüttelte sich, und wie Blätter von einem Baume, fielen rauschend ganze Packen Papier   auf den Fußboden. Die Mutter hob sie lächelnd auf und sagte: Ich wunderte mich schon, wie wohlbeleibt Sie waren; ich glaubte, Sie wären verheiratet und erwarteten ein Kindchen... O, was haben Sie für eine Menge mitgebracht! Sind Sie wirklich zu Fuß gekommen?" Ja," sagte Sascha. Sie stand jetzt wieder schlank und zart wie vordem da. Die Mutter sah, daß ihre Wangen eingefallen und die Augen übermäßig groß waren, und dunkle Flecke unter ihnen lagen. Sie sind eben erst freigelassen... da sollten Sie sich ausruhen, und nun tragen Sie solche Last sieben Werst weit", meinte die Mutter mit einem Seufzer und schüttelte den Kopf. Das muß einmal sein!", antwortete das Mädchen zitternd.Sagen Sie, wie stehts mit Pawel... hat es ihn nicht zu sehr aufgeregt?" Bei ihrer Frage blickte Sascha die Mutter nicht an; sie hatte den Kopf gesenkt und ordnete mit zitternden Fingern ihr Haar. O nein!" erwiderte die Mutter.  Er wird sich nicht verraten." Er hat doch eine gute Gesundheit?" sagte das Mädchen leise. Er ist nie krank gewesen!" antwortete Frau Wlassow  . Aber Sie zittern ja am ganzen Leibe. Ich bringe Ihnen Tee mit Himbeersaft..." Das wäre schön! Aber ich mache Ihnen Mühe? Es ist schon spät. Lassen Sie mich selbst..." So müde wie Sie sind?" gab die Mutter tadelnd zurück. und machte sich beim Samowar zu schaffen. Sascha trat eben- falls in die Küche, setzte sich dort auf die Bank, legte die Hände an den Kopf und sagte: Ja... das liebe ich sehr! Der Aufenthalt im Gefängnis macht doch schwach. Diese dumme Untätigkeit! Es gibt nichts Qualvolleres... Sitzt man da Wochen- und monatelang.., weiß, wieviel Arbeit zu erledigen ist... die Leute dürsten nach Wissen... man kann ihnen das verschaffen, was sie nötig haben... und sitzt wie ein wildes Tier im Käfig. Das dörrt einem das Herz aus..." Wer belohnt sie für das alles?" fragte die Mutter. Und mit einem Seufzer gab sie selbst die Antwort: Niemand als Gott! Aber Sie glauben wohl auch nichI an ihn?" Nein!" erwiderte das Mädchen kurz mit einem Kopf, schütteln. Und ich will Ihnen nur sagen, daß ich Ihnen nichk glaube!" erklärte die Mutter plötzlich aufgeregt. Dann rieh sie ihre mit Kohlenstaub beschmutzten Hände schnell an der Schürze ab und fuhr im Tone tiefster Ueberzeugung fort: Ihr versteht ja selbst Euren Glauben nicht! Wie könnt Ihr ohne Glauben an Gott ein solches Leben führen?" Im Flur trat jemand laut auf und kehrte dann um; die Mutter fuhr zusammen, das Mädchen sprang schnell auf und flüsterte hastig: - if__