Die Mutter blickte sie scharf an. In ihrem Wesen lagetwas Schwungvolles, Großspuriges und Hastiges...Sophie ging schnell im Zimmer auf und ab und sagtezuversichtlich:„Die Hauptsache ist, daß alle nicht lange im Gefängnisfitzen, daß sie bald abgeurteilt werden. Sobald mau sie indie Verbannung schickt, verhelfen wir Pawel Michailowitschsofort zur Flucht... Er ist hier dringend nötig."Sie suchte mit den Augen einen Platz für ihrenZigarettenstuinmel und steckte ihn in einen Blumentopf.„Davon gehen die Blumen aus!" bemerkte die MutterUnwillkürlich.„Entschuldigen Sie!" sagte Sophie.„Nikolai sagt mirdas auch immer..." Und sie nahm den Stummel aus demBlumentopf und warf ihn zum Fenster hinaus.„Sie müssen entschuldigen! Ich habe das ohne Ueber-Zleguug gesagt. Wie kann ich Sie belehren?"„Warum nicht, wenn ich schlampig bin?" erwiderte Sophieachselzuckend.„Ist der Kaffee fertig? Danke! Aber warumnur eine Tasse? Trinken Sie nicht?"Und plötzlich ergriff sie die Mutter bei der Schulter,zog sie an sich heran und fragte sie erstaunt:„Genieren Sie sich wirklich?"Die Mutter erwiderte lächelnd:„Erst gestern bin ich zu Ihnen gekommen und benehmemich nun schon so, als wenn ich zu Hause wäre, Sie schonlängst kenne... fürchte nichts, spreche, was ich willmache sogar allerhand Bemerkungen."„So muß es auch sein!" rief Sophie.„In meinem Kopfe dreht sich alles... ich komme mirselbst fremd vor... Früher ging und ging man um einenherum, bevor man ihm etwas Herzliches sagte... jetzt aberliegt das ganze Herz offen da, und man sagt sofort, was manfrüher nicht einmal gedacht hätte..."Sophie zündete sich wieder eine Zigarette an und be-trachtete die Mutter freundlich und schweigend mit ihrengrauen Augen.«Sie wollen ihm zur Flucht verhelfen?... Aber wiewird er als Flüchtling leben?"„Das ist eine Kleinigkeit!" antwortete Sophie und goßsich noch Kaffee ein.„Wie andere Flüchtlinge... Ich habesoeben einen getroffen und begleitet... war auch ein sehrwichtiger Mensch... ein Arbeiter aus dem Süden, der auffünf Jahre verbannt war und dreiundeinhalb Monate inder Verbannung gelebt hat... Deswegen gehe ich auch soüppig. Sie denken wohl, ich kleide mich immer so? Ichkann Putz und diese rauschenden Gewänder nicht ausstehen... Der Mensch ist einfach und muß sich einfach kleiden,hübsch, aber einfach..."Die Mutter schüttelte nachdenklich den Kopf und sagteleise:„Nein, dieser erste Mai hat mich anscheinend ganz undgar aus der Fassung gebracht! Mir ist so ungemütlich, wie»oenn ich jetzt auf zwei Wegen gehe... Bald kommt es mirso vor, als wenn ich alles verstehe, dann ist mir wieder, alswäre ich in Nebel geraten... Jetzt Sie, zum Beispiel...eine feine Dame... beschäftigen sich mit denselben Dingenwie Pawel... kennen ihn, schätzen ihn... das dankeich Ihnen..>„Nun, eigentlich sollten wir Ihnen danken," lachte Sophie.„Was ist denn an mir? Ich habe ihn das nicht gelehrt!... Also ich sage," fuhr sie hartnäckig fort,„bald kommt miralles einfach und nahe vor, bald kann ich diese Einfachheitnicht begreifen. Auch ist mir bald ruhig zu Mut und dannwieder ängstlich, daß es so ruhig ist. Ich Hab' mein ganzesLeben Angst gehabt... jetzt aber, wo wirklich Grund vor-Händen ist... Hab ich gar keine. Woher kommt das? Ichbegreife es nicht!"...Sophie erwiderte nachdenklich:„Mit der Zeit werden Sie alles begreifen!... Nun,ich muß aber endlich diese ganze Herrlichkeit ablegen..."Sie legte den Rest der Zigarette auf ihre Untertasse,schüttelte den Kopf, ihr goldiges Haar fiel in dichtenSträhnen über den Rücken, und sie ging fort.Die Mutter blickte ihr nach, seufzte, sah sich um, ohnean etwas zu denken und begann in einem halbträumerischen,sie bedrückenden Zustand der Ruhe das Geschirr abzuräumen.lFortsetzung folgt.)I�seue Sauten in Berlin.Von Ernst Schur.Das Schiller-Theater baute auf Charlotten»b u r g e r Gebiet an der Bismarckstraße, deren radikale Neubildungder Magistrat dieser Stadt, einem kaiserlichen Wunsche allzuwillig nachgebend, mit einer Schnelligkeit vollzog, die an anderenStellen und bei anderen Aufgaben erwünschter gewesen wäre, einVolkstheater. Entwurf und Ausführung besorgten die MünchenerArchitekten Heilmann und Littmann. Im Stil der Fassadeist ein Anklang an den Biedermeierstil unverkennbar. Doch drängtsich dieser Einfluß nicht so markant auf. Was man als angenehmempfindet, das ist das Ruhige, Intime des Eindrucks. Nament-lich bei Theatern wird der Architekt leicht in einebombastische Pose hineingedrängt. Dieser Bau hat etwasSchlichtes und macht im mittleren, nach der Straße zuliegenden, vorspringenden Eingangsteil mit dem germideten Vorbau.der die Portale(einfache, nicht zu große Türen) und darüber einensich schmal hinziehenden Balkon zeigt, eigentlich mehr den Eindruckeines villenartigen Landhauses als eines großstädtischen Ächeaters.Erfreulicherweise. Dieser Eindruck wird noch durch den zierlichenund doch soliden Holzzaun in Weiß, der das Grundstück und denVorgarten gegen die Straße abschließt, erhöht. Auch der ebenfallsganz in Weiß gehaltene Putz der Fassade trägt dazu bei. ImInnern ist in Treppe, Foyer, Garderobe eine Raumgestaltung inne-gehalten, die nicht originell genannt werden kann, jedoch mit Umsichtdie modernen Anregungen verwertet. Bedeutungsvoll wird wiederder Zuhörerraum und die Bühne. Es ist hier zum ersten Male aufein Volksrheater das Prinzip des amphnheatralischen Aufbaues, dasim Bayrcnthcr Wagner-Theater und im Münchcner Prinzregenten»Theater zur Geltung gekommen ist, angewandt, ein Prinzip, das imeigentlichen Sinne als demokratisch zu bezeichnen ist. Die Logenfallen weg. Der Parkettraum steigt bis zu der Hinteren Rückwandgleichmäßig an, so daß jeder Besucher die Bühne frei vor sich liegensieht. Auch der störende Kronleuchter ist fortgelassen. Die Beleuchtungfindet-von der der Bühne gegenüberliegenden Rückwand her statt.so daß das Licht niemand stört. Leider ist die Farbein diesem Räume sehr geschmacklos ausgefallen. Die Archi-tektur der Wände leidet unter einem schlecht gegliedertenSäulenarrangcmcnt, und die farbige Bcmalung der Wandzerreißt durch kleinliche Motive die Großzügigkeit des Raums. Auchdie Decke läßt Eigenart und Kraft vermissen. Die Sitze disharmo»nieren ebenfalls mit ihrer geschmacklosen Farbe(rotbraun) in demwesentlich auf Grau, Grün und Weiß gestimmten Raum. So leidetschließlich der Gesamteindruck. Die Architekten haben nicht ver-standen, diesem neuen Prinzip des Thcaterbaues, das von der sonstüblichen und ein deutliches Abbild unserer sozialen Verhältnisse ge»währenden Einschachtelung und Absonderung der einzelnen Klasienabsieht und wieder einmal den Anblick einer festlich ver-sammelten Menge ermöglicht, eine gleichermaßen. neue,vollendete Form zu geben. Das ist um so mehr zu be-dauern, als dieses Prinzip gerade dem architektonischen VermögenGelegenheit gibt, sich mit aller Kraft zu betätigen, indem eben durchdie Vermeidung von Logen und Rängen der Raum einheitlicherwird, die Wände groß und entscheidend hervortreten, auf die Bühnesich alle Linien konzentrieren, der Zuschauerraum selbst nur einegroße Einheit bildet, so daß überall nur große Flächen und Massenvorherrschen, die gerade den Architekten reizen müßten. Während ersonst den praktischen Bedürfnissen folgen muß, hier etwas anfügen.da unterbrechen muß, kann er hier, den Bedürfnissen folgend, groß-zügig gestalten und wird dann gerade das Wesen treffen. Jeden-falls ist eS aber von Vorteil, daß dieses Prinzip des anrphi-theatralischen Aufbaus einmal zum Durchbruch gelangt. Dies istwertvoll. Und zweitens wird man die Fassade als eine neue, glück»liche Lösung des großstädtischen Thentcrbaues betrachten, die um sobefriedigender ist, als sie an Stelle der protzigen Rcklamesuchtschlichte, einladende Einfachheit setzt.•Am Potsdamerplatz, von der Bellevucstratze durchgehend nachder PotSdamerstraßc, baute Professor Bruno Schmitz das Rhein-gold-Restauranr. Schmitz ist ein Architekt, der nach seinen letztenBaute», dem Buchgewerbehaus in der Deffauerstraße, dem Marmor-automat in der Friedrichstraße, neben Mefsel genannt werden muß.Er strebt ins Monumentale: er weiß Massen zu gliedeni, und inder Herbeiführung einer großzügigen, fornivollen Einheit übertriffter vielleicht sogar»och Messel. Messel gibt Aphorismen, kühneEinjälle, Versuche, Schmitz gibt ausgereifte Werke.Am höchsten ist in dieser Beziehung die Faffade nach derBellevnestraße zu werten. Sie baut sich in kompakter Monumentalitätauf: sie ist modern, ohne in Künsteleien auszuarten: sie hat alte.reife Schönheit und Ausgeglichenheit, ohne in irgend welche Nach-ahmung früherer Formen zu verfallen. Prachtvoll ist der Stein ge-wählt: er schimmert mattgrau und stumpf, und die Formen tretenhierin mit wuchtiger Silhouette heraus. Große Palastfenster imunteren Mittelteil, seitlich flankiert von vorspringenden Portalen,über denen bronzene Dachkappen sich wölben; darüber eine Linieschmaler Fenster; oben eine breitere Betonung und schließlich dasimposante, schiminernde Metalldach, das in hoher Schrägung auf«ragt, dessen Grün zu dem Grau der Fassade vornehni wirkt, durchkeinen Schornstein m der Silhouette unterbrochen.