Er brachte einen Laib Brot, begann ihn zu schneiden und die Stücke auf dem Tuch auszubreiten. Still!" rief Jefim leise.Da hustet er.. Rybin horchte und nickte: Ja, er kommt..." Und wandte sich an Sophie und erklärte: Gleich kolpmt ein guter Zeuge... Ich möchte ihn Wohl in die Stadt führen und auf den Märkten aufstellen, damit die Leute ihn hörten... Er sagt stets dasselbe, aber alle müssen es hören..." Die Stille und Finsternis wurden dichter, die Stimmen klangen weicher. Sophie und die Mutter beobachteten die Bauern alle bewegten sich langsam, schwer, mit einer sonderbaren Vorsicht und blickten ebenfalls'unverwandt auf die Frauen. Aus dem Walde trat ein hoher, stämmiger Mensch auf den freien Platz, er ging langsam, fest auf einen Stock gestützt, und man hörte seinen heiseren Atem, Da ist Ssawelyl" rief Jakob. Ja, da bin ich!" sagte der Mann stehend bleibend und hustete. Er trug einen langen Paletot, der bis auf die Hacken reichte, unter dem runden zerknüllten Hut hing gelbliches, schlichtes Haar in feuchten Strähnen kraftlos herab. Ein helles Bärtchen wuchs in seinem gelben, knochigen Gesicht, sein Mund war halb geöffnet, die Augen unter der Stirn tief eingesunken und glänzten fieberhaft in dunklen Höhlen. Als Rybin ihn mit Sophie bekannt machte, fragte er sie: Ich habe gehört, Sie haben Bücher für das Volk mit- gebracht? «/v�a. Danke schön... im Namen des Volkes... Es kann selbst die Wahrheit aus Büchern noch nicht verstehen... kann nicht danken... so will denn ich.,, der sie per- standen hat... es tun." (Fortsetzung folgt.) Miener Jux* ' Sehr geehrter Herr Redakteur t »Selbstredend"(oder vielmehrselbstschweigend") erwarten Sie, dah ich eine Vereinbarung getreulich einhalte. Wir hatten verabredet, datz ich eine Reise in meine Vater-, Mutter-, oder Cousinenstadt Wien   dazu benütze, Ihnen einen Bericht zu schreiben über den gegenwärtigen Stand des Donauwassers, mit dem ich getauft bin, sowie der übrigen Flüssigkeiten, welche dieim Reichs- rate vertretenen Königreiche und Länder" vor politischer Ver- Härtung bewahren. Aber die conditio»ine gus non(oder die cou-sine qua non) meines Berichtes sollte ein Füllhorn von ur- wienerischem Humor sein. Ganz besonders freuten Sie sich, daß ich wieder einmal,wie einst im Mai", meinen lieben Onkel Kasperl im Prater besuche und durch ein Interview Seiner Erz- durchlaucht Ihre werten Leser auf ein Viertelstündchen über die Misere der na, sagen wir: im Bundesrat vertretenen König  - reiche und Länder hinwegtäusche. Ich bitte Sie recht dringend, erlassen Sie mir lieber die Er- füllung meiner Zusage! Wenn Sie wüßten, wie schwer mir über- Haupt, und ganz besonders in diesen Tagen und gerade erst recht in der Stadt desWiener Aristophanes", Johann Nestroy's  , die alte Lustigkeit wiederkommt: Sie würden Tränenfluten weinen, dah damit die ganze Döberitzcr Heerstraße gespritzt werden könnte. Denn erstens bin ich zum Spaßmachen schon zu alt. Wie lang ist's nicht her, daß ich, um just mit Ncstroy zu sprechen, in etwas getreten bin nämlich in den heiligen Ehestand! Wie lang ist es gar, seit der Knabe seine ersten Belehrungen über die schwierige Dramaturgie der Bretter und über die noch schwierigere der Welt, die sie bedeuten, durch väterliche und mütterliche und cousinliche Erzählungen über die einzigartige unmittelbare Wirk- samkcit des Autors vomLumpazivagabundus  " bekommen hat! Ver- gessen kann ich sie nicht, die Weisheiten des Aphoristikers vom Karltheater mag er nun als Landgraf in der Tannhäuserparodic die Erzählung vom Venusberg   begleiten mit dem Ausrufe:Merk- würdig, unsereiner kommt zu so'was netl", oder mag er die Dramaturgie der Ehe mit der Erkenntnis bereichern:Wer ein zweites Mal heiratet, verdient nicht, daß ihm seine erste Frau ge- starben ist!" Vergessen kann man das nicht aber allmählich wird man auch dafür zu alt. Dann zweitens: ich fürchte, Sie und Ihre Leser zu verletzen. Gut genug kennen Sie ja meine Begeisterung für die Bahnhöfe, auf denen man von Berkin abreisen, und für die, auf welchen man in Wien   ankommen kann. Immerhin will ich zugestehen, daß Berlin   für mich doch einen Vorzug vor Wien   hat. In Berlin  darf ich wienerisch reden, in Wien   darf ich das nicht. Denn wenn ich hier heimatlich spreche, so heißt eS:Das ist ein ungebüldeter Kerl!" tu ich es aber in Berlin  , so tverde ich für einen öfter« reichischcn Ministerpräsidenten oder gar Burgtheaterdirektor ge« halten. Doch was nützt es dem, der's nun einmal nicht ist?! Und drittens: gerade heute sträubt sich meine Feder in einer Weise, deren sich die ältesten Leute nicht mehr entsinnen. Denken Sie sich, wo ich gestern überall war: nachmittags in der neuen Jrrenhausstadt mit einer sezessionistischcn Kirche von Otto Wagner  und abends imWiener Bürgcrthcater"! lediglich Zeitmangel hielt mich ab, mir bei den Barmherzigen Brüdern im zweiten Bezirk gratis einen Zahn ziehen zu lassen. Da soll ich Sie viel- leicht noch mit guten Einfällen unterhalten? Gerade in solchen Stimmungen lernt man einsehen, was die guten Einfälle mit den Schiffen gemeinsam haben, die im Sturme landen: sie liegen einem oft so nahe und man kommt doch nicht d'rauf! Es ist mir so duster undzuwider" zu Mute, daß ich keinen anderen Ausweg weiß, als entweder eine neue Zeitschrift heraus- zugeben das letzte verzweifelte Mittel eines Deutschen  , der nichts mehr auf der Welt anzufangen weiß oder wenigstens einen Theaterbericht zu schreiben. Vielleicht fürchten Sie, daß ich Ihrem Herrn Musikreferenten ins Handwerk pfusche? Allein nichts dürfte unnötiger sein, als von Wien   nach Berlin   über Musik re- fcriercn: sind wir ja doch in Berlin   sicher, daß wir dort hinter allem Musikalischen, was auf irgendeinem Opern-, Operetten- und Konzertbrettl der Welt neu geleistet wird, in einem Abstände von höchstens einigen Jahrzehnten herhtnken; besitzen wir ja doch die beste Opernbühne der ganzen Provinz Brandenburg; bringen wir ja doch auf dieser Bühne in jedem wirklich jedem Jahrhundert allermindestens eine neue Oper zum ersten Male heraus! Bleibt nichts übrig als ein simples Referat vom Schauspiel. Wiener Bürgertheater!" Es liegt am Eingange des dritten Be- zirkes, ist als jüngst« Wiener Bühne eröffnet am 7. Dezember 1903, ist gebaut in dem die Bier-Renaissance ablösenden Stil eines Sekt-Empire, wohlbekannt aus verkrachten Volksopcrnbühnen Berlins  , diesmal zu vernünftiger Konstruktion sowie zu leidlich eleganten und freundlichen Formen gesteigert.Bürgertheater  " der Name klingt besser als.Volkstheater" und wird darum wohl auch volkstümlicher werden. Die Billettpreise stufen sich von 7 Kronen bis zu einer halben Krone(bei den billigeren Vor- stellungen von 4 und 2 Kronen bis zu 3l> und 2l> Hellern) so ab, daß jegliche Reihe um einige Heller weniger kostet, als die vor ihr liegende. Sie glauben gar nicht, wie stolz ich mit unseren 3 Kronen zwischen den kleinlichen Berappern von 3 Kronen 20 Hellern und denen von 4 Kronen 80 Hellern einsam dasaß! Man hält eben bei einem Restroy-Zyklus. Für den Jux, den ich Ihnen nicht machen kann, entschädigte ich mich selber durch dcö Altmeisters Posse:Einen Jux will er sich machen." Es liegt wirklich eine Größe in der Energie, mit welcher der ungezogene Liebling der Donaugrazicn fein Werk auf die unglaublichsten Wort- und Situationswitze hin zuspitzt. Nur darf unsereiner dabei keinen noch älteren Wiener   neben sich haben: die Erinnerung an den Mann, dessen eigene Sprechkunst seine Dichtkunst erst so recht zur Geltung gebracht haben soll, stimmt den Berichterstatter wahrlich nicht weniger unfreundlich gegen heutige Bühnenkunst... Aber nun, verehrter Herr Redakteur, machen Sie sich auf eine Steigerung meines trostlosen Zustandes gefaßt, für die nur der Wiener   einen Ausdruck hat, einen Ausdruck, den ihm sein be- rühmtes Leichenbegängnis-Jnstitut, dieOnterprise des pompcs kunebres" so schön zurechtlegt:Pompfineber-Stimmung"! Ich haben nämlich heute vormittag in allem Ernst wieder meinen alten Freund Kaspar vom Prater   besucht und interviewt, wie wir's verabredet haben, und wie ich's schon vor Jahren mit recht zwcifel- haftem Erfolge getan hatte. Sie erinnern sich ja meiner damaligen trübseligen Berichte. Daß ich aber noch um so viel trauriger ge- stimmt wurde als damals, können, Sie nicht ermessen, hätten Sie auch einen Maßstab, so groß wie die Hoffnung mancher Berliner  , daß ihre Stadt noch einmal die schönste der Welt werden wird! Denken Sie nur: Kasperl ist jetzt ein an Kindern gesegneter Vater, sogar angehender Großvater. Seine Söhne sind bereits weit über die Lande verstreut. Einer von ihnen ist ein so echter Berliner   geworden, daß er genau an der Grenze von Charlotten- bürg, Schöneberg   und Wilmersdorf   wohnt. Papa Kaspar zeigte einen Brief von ihm. Das Papier war in drei Kolonnen geteilt, und jede trug den Namen einer der drei Städte, deren Grenzen auf dem Schreibtische des Briefstellers zusammenlaufen. Und was stand in dem Briefe von Kasperl junior? 3!ichts Geringeres als ein Projekt für denZweckvcrband" Groß-Berlins, ein Projekt von einer Einfachheit, so verblüffend, daß ich starr wurde wie ein modernes Interieur. DaS Projekt bezweckt eine späten Ersatz für die versäumte Eingemeindung der Berliner   Vororte in die Residenzstadt, für ihre versäumte Unterwerfung unter die weltberühmte Schwester- stadt von Rixdorf. Ich brauche Sie wohl nicht zu erinnern an den finanziellen Aufschwung, den diese Vororte genommen haben. seit wir Theater-, Musik- und Ausstcllungsrefercntcn desVor- wärts" mit fliegenden Fahnen und Möbelwagen aus Berlin   hin- ausgezogen sind in die diversen Schlorndorfe. Genug: das Projekt meines guten Kasperl junior beabsichtigt nicht mehr noch weniger als eine Abtretung je eines geschlossenen Grenzstreifens jedes Vorortes an das Areal Berlins  . Jeder von ihnen würde demnach mit einem Berliner Ring umgeben sein, nur genau so breit, daß auf ihm eine geschlossene Reihe von Denkmälern Platz hätte. So würde nicht nur das Zusammentreffen mehrerer Ortsaruvven auf