Schein. Stimmen werden laut. Die militärische Patrouille Ilappert über die Holzbohlen deS Bahnsteigs zugauf, zugab. Dann ein Trompetensignal und ein Pfiff- Es geht weiter. Jetzt schwinden die Berge. Eine weite Ebene tut sich auf mit Sümpfen, Seen und brackigen Wasserläufen, die reich sein soll an Sumpfgeflügel. Je weiter sich die Ebene dehnt, desto intensiver wird die Leuchtkraft des Mondes, der alles mit einem fahlen, rötlichen Licht übergießt. Nim rattert der Zug über eine Brücke. Ein träges Wan'er blitzt auf: der Wardar ist es. der jetzt müde und still durch die Steppe schleicht. Und dann steigt es, wie ein Silberleuchten am südlicheil Hori- zont auf. Und wächst. Wie ein zitternder Phosphorstreisen liegt es da. Das ist das Meer— das Meer von Saloniki. Das ist eine Kühlung nach dein heißen Tage und der schwülen Nacht. Näher und näher jagt der Zug der im Mondlicht schimmernden Flut. Bald liegt eine Bucht dem Schienenstrang zur Rechten. Und nun geht es iminer dem Meere entlaug, bis der Zug in den am Hafen erbauten Bahnhof von Saloniki langsam hinein- rollt.— In. kleines feiäUetou. Die Judenstadt. Wer aus dem Westen nach dem europäischen Orient kommt, kennt sich nicht gleich aus, ob er einen Türken, einen Arnauten, einen Bulgaren , einen Griechen oder einen Juden vor sich hat. Er muß erst sehen lernen hier unten in Saloniki, dann lernt er auch untcrscheioen. Und dann sind auch diese Juden— und es gibt fast nur Juden: von 130 000 Einwohnern sind es 95 000— den Juden bei uns zu Lande so ganz unähnlich. Es sind hochgewachsene, hagere Menschen mit klugen und stolzen Augen. Männer mit langen Patriarchenbärten und pelzverbrämten Kaftans durcheilen die schmalen Gassen. Ueppige und doch elastische Frauen mit schwarzen Äugen und einer grünbcbänderten Haube halten in schattigen Winkeln ihren Morgenschwatz. Kleine Judcnkinder lärmen und lachen auf den Straßen. Fast jede Gaffe hat ihre Synagoge. Die in vier Sprachen gehaltenen Firmenschilder der Kaufläden weisen neben den Lettern der lateinischen, türkischen und griechischen Schrift auch die der hebräischen auf. Ja, mancher Straßcnnamen ist an den Ecken der Gassen nicht nur auf türkisch, sondern auch auf hebräisch verzeichnet. Es gibt wohl kaum eine Tätigkeit, kaum ein Geschäft in Salo - niki— außer dem Verkauf von Schweinefleisch—, das der Jude nicht betreibt. Als Hamal(Lastträger) schleppt er im Hafen die schwersten Lasten. Als Stiefelputzer, der für einen Metallit(vier Pfennig) arbeitet, drückt er sich an den Straßenecken, vor den Cafes und Spcisehäusern herum. AlS Händler durchzieht er laut schreiend mit seincni Tragbüael, an dem zwei Riesenkörbe mit Geflügel, Obst oder Grünkram baumeln, die Gassen der Stadt. Als Limonadepverkäuser preist er den Inhalt seines mit Blumen ge- schmückten riesigen Tonkruges an. Er ist Barbier und Arzt, Kom- Missionar und Gelegenheitsmacher. Aber er ist auch Handwerker. Wir finden ihn als Glaser und Schuhmacher, als Sattler und Tischler, als Maurer und Goldarbeitcr, als Bäcker und Fleischer. In dem großen Bazar in der Mitte der Sabri Paschastratze ist der Jude der alles beherrschende Geschäftsmann. Hier schachert er im Kleinhandel und hier hält er elegante Etablissements, wie sie Wien und Paris nicht besser bieten können, dem kauflustigen Publikum jpffen. In den großen Banken sitzen Juden an den maß- gebenden Stellen. Juden dirigieren die meisten der besseren Hotels, ,n denen sie bis hinunter zum Portier und Dragoman vertreten sind. Es ist Spätnachmittag am Freitag. Der muhammedanische Sonntag geht seinem Ende zu und der Sonntag der Juden will beginnen. Noch ist die Sonne nicht gesunken. In den Gassen ist ein Gewogc und Gedränge von Menschen, wie an keinem anderen Tage der Woche. Die Haremsfrauen, die ihren Sonntag in stiller Beschaulichkeit, Zigaretten rauchend und«üßigkeiten knabbernd, am Meeresufer genossen haben, eilen ihren Behausungen zu. In schwarzer Seide vermummt, trotten sie auf ihren Holzsandalen in Trupps, zu Sechsen oder Achten, durch die Gassen. Durch diese schwarzen Gestalten schieben sich in nicht minder eiliger Hast die blauen, gelben oder schwarzen Kaftan« der Juden. Die letzten Ein- käufe für den„Schabbes" müssen gemacht werden. Die Verkäufer halten ihre Waren nur noch kurze Zeit feil. Ganze Straßenzüge sind von ihnen gefüllt. Da steht Jude neben Jude. Der verkauft nur Leber, der andere Hammclköpse, der dritte Rippenfleisch usw. Das ist die Gasse der„koscheren" Schlächter. Dann kommt die der „koscheren" Geflügelhändler. Auch dort ist alles rituell geschlachtet. In der Gasse der Fischhändler werden nur solche Flossentiere feil- geboten, die das Gesetz Mosis zu essen gestattet. Die Böcker und Kuchenhändlcr füllen mit ihren Waren gleichfalls einen ganzen Straßenzug. Ebenso die Obst- und Gemüsehändler, in deren(Kasse das Rot der Tomate, das Gelbgrün des auf Schnüren gereihten Knoblauchs und das Weißgrau der Zwiebeln alle anderen Farben übertönt. Kauf und Verkauf geht hier nicht so still von statten wie in den Gaffen der türkischen Händler. Hier tost und braust ein Lärm von ungezählten, laut feilschenden Menschenstimmen, die sich nicht übervorteilen lassen wollen. Und das geht so fort, bis die Sonne gerade noch voll über dem Horizont sichtbar ist. Dann wird es(tili Die(Snnhler Nacken ifire Wa ren Zusammen und die Käufer ziehen mit gefüllten Taschen heimwärts, den Sabbat würdig zu empfangen. Und die Sonne sinkt und eine neue kommt und grüßt den Sonnabend in Saloniki. Die laute und geschäftige Stadt ist still und untätig geworden. In den Molden- und Mittagstunderr füllten die zahlreichen Synagogcnbesucher die Gassen. Nun, da der Nachmittag gekommen, ist die breite Hafenstrahe in einen einzigen großen Kaffeehausgarten verwandelt. Tische und Stühle sind bis hart an den Meeresstrand gerückt. Dort sitzen die„Jungen" beim Bier und Kaffee. Sie lachen und scherzen, spintisieren und philo- sophicren. Keiner raucht. Das Rauchen ist den Juden am Schabbes verboten und wagte einer, sich gegen dieses Verbot aufzulehnen und am Sonnabend mit brennender Zigarre auf offener Straße oder in einem öffentlichen Lokale zu erscheinen, so würde ihm i— erzählte mir der jüdische Dragoman eines Hotels— sicherlich der erste beste des Weges einherkommende Glaubensgenosse die Zigarre aus dem Munde schlagen. Die Alten lassen den Jungen die frische Seeluft und den Blick aufs Meer. Sie sind in ihren dumpfen, engen Gassen geblieben. Dort kauern sie auf den Treppenstufen bor den Hauscingängen: gesondert nach Geschlechtern— hier die Männer und dort die Frauen. Wie aus Stein gemeißelt sitzen sie in ihrem Sonntags- staat da. Nicht Freude, nicht Schmerz, nicht Erwartung bewegt diese runzligen, gelben Gesichter. Sie schauen nicht dem Fremd- ling nach, der durch ihre Straßen schlendert. Kein Fünkchen Neugier blitzt in ihren alten Augen auf. lind wären nicht die groß- äugigen, laut lärmenden Kinder— auch kein Lachen ertönte in diesen sonnenleeren Gassen der Judenstadt.— Musik. Die Berliner Kollegen der übrigen Kunstrcferate können ziemlich bequem mit dem Flusse des Fortschritts weitcrschreiten. Der Musikrefcrcnt lebt fast nur mehr vom Tod. Uraufführungen musikalischer Werke sind bei uns Seltenheiten; und wenn sie kommen, dann gehen sie allermeist schnell dahin. Selbst von den viele» Ausgrabungen bewähren sich nur die wenigsten. Dazu nun die Todesfälle, für die wir die Sterbeglocke läuten sollen. In den letzten Tagen hatten wir wieder den Tod eines Großen zu der- zeichnen. Edvard Hagerup Grieg war am 15. Juni 1843 zu Bergen in Norwegen geboren. Nach einem Studium am Leip- ziger Konservatorium kam er nach Kopenhagen , und zwar in die auf dänischen Boden verpflanzte Nachromantik der deutschen Musikgeschichte. Erst später überwand er sie durch einen euer» gischen Griff in den Schatz nordischer Volksweisey und durch eine ihnen entsprechende Führung der Harmonien, die auch uns etwas wie eine Erlösung aus den einförmigen Bewegungen innerhalb der herrschenden Harmonien bedeutete. Ueber diese nationale Färbung kam Grieg allerdings so wenig hinaus, daß es auf die Dauer immer schwerer und schwerer wird, aus ihm eine voll- kommene musikalische Befriedigung zu holen. Seine Anerkennung in Deutschland war aber so groß, wie kaum jemals die eines anderen ausländischen Komponisten. Sein hauptsächlicher Ver- leger war unser Leipziger Peters; die Berliner Akademie nahm ihn als Mitglied auf; und auf zahlreichen Konzertreisen wurde er entsprechend gefeiert. Die singende und spielende Musikwelt hat ihn längst zu ihrem vertrauten Freunde gemacht. Am be- liebtcsten wohl sind seine Sologesänge, zumal sie sezesjionistischen Interessen entgegenkommen. Gleiches gilt von seinen Musiken zu norwegischen Dichtungen, namentlich zu Ibsens „Peer Gynt "; dem -dänischen Dichter L. v. Holberg aus der ersten Hälfte des acht» zehnten Jahrhunderts widmete er eine modern- altväterliche Orcheftersuite. Dazu dann mehrfache Kammermusiken und namentlich charakteristische Klavierstücke. Das Beste von ihm sind wohl seine drei Äiolinsonaten, deren geradezu flammender Schwung immer wieder entzückt. Es ist nicht viel anderes als eine Sterbeglocke, daß wir über eine Erstaufführung in der„Komischen Oper" von vor- gestern(Donnerstag) berichten. Das Hasten nach anscheinend be- währten älteren Stücken, die entweder durch einen Mißerfolg allgemein ernüchtern oder durch einen Erfolg doch nur ein Stehenbleiben bedeuten, ließ diesmal wieder nach dem französischen Komponisten I. E. Fr. M a s s e n e t(1842 geb.) greifen. Wir haben im Laufe der letzten Jahre die Oratorienbearbeitung seines biblischen D ranras„Maria Magdalena " recht skeptisch, seine Opern „Manen" und„Der Gau-ler von Notre Dame " mit Achtung im allgemeinen kennen gelernt. Nun erinnerte man sich seines „Werter", der erst längere Zeit nach seiner Vollendung und zwar nicht in Paris , fondern in Wien zum ersten Male heraus- gekommen ist(1892). Selten hat ein Werk der schönen Literatur einen solche» langnachhallendcn Erfolg errungen wie„Die Leiden des jungen Werter" von Goethe(1774). Wie sehr es als ein charakteri- stisches Zeugnis der sogenannten Sturm- und Trangperiode zu verstehen ist, einer Periode, die innerhalb der Zopfzeit bereits ein Stück der späteren Romantik vorwegnahm, bedarf hier wohl keiner Auseinandersetzung. So sehr jenes Erzählungswerk auf rührende Sentimentalität ausgebaut ist, so bewunderungswert erscheinen doch ihre kräftige Größe und die Energie des Gegenwirkens gegen eine bequeme Gemütlichkeit von Aufklärung und Rationalismus. Nun sollte dieses spezifisch deutsche und epische Werk in einen fraiizöstschen Operntext gezwängt werden. Es waren gleich drei Autoren, die iick diese Mühe gemacht haben: und ein deutscher
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24 (14.9.1907) 179
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