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Neue Belletristik.

Bon Ernst Kreowsti

es, weil fein anderer Ausweg bleibt; aber an der spikbübischen Doppelzüngigkeit eines Staisermortes ist ihm die Luft am Kriegs­handwerk verekelt worden: er nimmt fofort seinen Abschied.... Der Autor leistet mit dieser Geschichte ein Stück großer Dar­Nachdem die Jungen und Jüngsten von der deutschen   Literaten- stellungskunst. Kaiser Karl V.  , wie er war, seine Mutter, die ihu gunft alle Jemen  " versucht und die unschmackhaftesten Tränklein auf dem Abtritt geboren, das lockere Sittenleben bei Hofe, der bestilliert haven, ist der Baum wieder däre und seines tändigen Kanzler Granvella   nebst anderen weltlichen und geistlichen Per­Laubkrone beraubt worden. Dafür treiben allerhand geile Schöß- sönlichkeiten treten da hervor, und zwar mit seltener Plastit. Das linge aus seiner Wurzel. Das Romanschreiben ist zur gewöhn- Zeitkolorit ist mit ausnehmender Treue gewahrt, und der be lichen Erwerbssache erniedrigt worden; die Degenerierung schreitet wundernswert getroffene mittelalterliche Chronitenstil, der doch fort. Wie zum Beispiel aus der modernen Lyrik der letzten Jahre vom feineren modernen Sprachgefühl durchpulst wird, ohne seiner jegliche Männlichkeit entwichen ist, so auch aus der erzählenden holzschnittartigen Kraft beraubt zu werden, fut das beste dazu. Dichtung jede soziale Note. Um einem literarischen Charakterkopf Wenn diese Geschichte nicht eine so wertvolle Gabe wäre, müßte ich zu begegnen, muß man ins Ausland gehen. Wir haben keine bedauern, daß Felig Salten solche reichen, mit bewußter Weber­Lyrifer? Gewiß! Und keine Dramenverfasser? Und feine legenheit angewendeten Kunstmittel an eine Vergangenheit, die Romanschreiber? Zweifellos. Und so zahlreich wie Sand am für uns schließlich bloß ein historisches Interesse haben kann, ver­Meere. Aber das ists ja eben: aus dem Dünensande wächst nur schwendete. Die Saltensche Erzählung gehört in jede wirklich gute Geftrüpp hervor. Das Spezififum: Dichter, das ist die Kon- Wolfsbibliothek! zentration eines reichen Erlebens, eines tosmopolitischen Geistes,

eines elementaren Beugungsdranges wo ist das? Also, sagte ich, müssen wir zu den Russen und Skandinaviern gehen.

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Landsmännin Saltens, Der Sprung von da ins Gegenwartsleben, wohin uns eine die Wiener   Schriftstellerin Grete Meisel- Heß   versett, ist doch zu unvermittelt, als daß man Auch bei dem Dänen Johannes V. Jensen werden wir gleich den Atem gewänne. Dort geschlossene Form, hier Aphoris rasch dahinter kommen, daß er ein Dichter ist obwohl er Prosa mus. Die Autorm hat keinen Roman nach üblichem Muster ge­schreibt. Eigentlich Landständiges hat sein Rovellenbuch:" Die schrieben. Die Stimme"( Berlag Dr. Wedekind u. Co., Berlin  Welt ist tief...( S. Fischer, Berlin   1907 nicht an fich, mehr 1907) so heißt das Buch- ist ein Roman in Blättern". Denn: etwas Kosmisches. Der Schauplab bei jedem Stück ist ein an- Die Tage machen das Schicksal. Wie einzelne Buchblätter fallen derer: Amerika   in: Entschwundene Wälder", Spanien   in:" Dolo­res", Paris   in: Louison", die indischen Tropen in: Wälder". fie aufeinander, zerfliegen und zerstieben oder werden zusammen­Diese vier Stücke sind es auch bloß, die den Band ausmachen. Und gefaßt von einer stärkeren Macht. Der Wille baut aus den Tagen auf den Titel Novelle" können obendrein nur zwei:" Dolores" ein Schicksal, wie eine greifende, kräftige Hand aus wirbelnden Blättern ein Buch." Geschichten" mit Vorsatz und Absicht ver­und Louison" Anrecht erheben. Freilich auch nur teilweise. Es find Herzenserlebnisse, novellistisch gestreift, ohne Abschluß. So fälschen das Leben. Blätter find es, aus denen ein Schicksal bald der Dichter merkt, daß er sich tragisch verlieren könnte, bricht wird." Das Liebesleben einer Frau wird hier durch die Geschichten mehrerer Männer aufgerollt und zusammengehalten. Wie ber er ab, indem er auf und davongeht. Sein Wesen ist von anderer schieden der Mann auf eine weibliche Psyche einwirkt, wird ge­Art, ist der vollkommene Gegensab einer romanischen Volkheit, ist schildert. Es sind Impressionen seltenster Art, und man fühlt, daß germanisch. Seine unglückliche Liebe" sei Deutschland   gewesen, fagt er im Vorwort: Es war im Winter 1899, daß ich eine Ent- alles erlebt sein müsse. Die Heldin ist Sängerin. Das erklärt deckungsreise in das innere Deutschland   machte, eine Forschungs- den romantischen Einschlag in ihrem Liebes- und Cheroman. Aber reise, die gleichzeitig eine Wallfahrt war, indem ich den Teuto. die Künstlerin ist eben doch auch ein Weib, gleich allen anderen. Und des Weibes natürliche Beftimmung und höchftes wie einziges burger Wald zu sehen und an Heinrich Heines   Geburtsort zu Glück ist das Kind. In diesen Akkord klingt die Melodie dieses weilen wünschte. An Stelle von Armins Wäldern sah ich Fabrik­schornsteine, und von Heine sah ich keine Spur in Düsseldorf  , als Buches hinüber. Grete Meisel- Heß   ist zweifellos eine Schrift­daß die alte Kirchturmspike dort am Flusse noch immer schief war, ftellerin von Eigenart. Und sie entfaltet eine reiche philosophische feit er damit in feiner Kindheit gespielt hatte; aber sie stand noch bereit, psychologische Rätsel zu lösen und die geheimften Vorgänge Bildung, die sich in tiefsinnigen Reflegionen ergeht, immer gleich da. Wie es geschah, daß ich mir bei den ungeheueren Geißeln der im weiblichen Gefühlsleben durch eine packende Formel zu figieren. Fabrikschornsteine und vor dem Antlitz des Kölner   Domes, in irgend einer Nibelungennacht, den Sklaven und die entschwundenen Einmal läßt sie ihre Heldin ausrufen:" Was wäre das Höchste, das Wälder vorstellte, das weiß ich jetzt nicht mehr; aber es mruk in ich mir von einem Buch" wünschte, das ich schreiben und heraus­diesem Anschluß etwas von dem Urton der germanischen Phantasie geben, würde: Unglüdsträgern sollte es den Hals brechen und ge­widergeflungen, ich muß den Generalnenner aller Zeiten dadurch fangene Glücksgeister lösen aus ihren Berzauberungen. Rufen getroffen haben, denn ich habe eigentlich seitdem ein anderes ge- sollte es diese Geister, herausrufen von dort, wo sie hineingehert, fchaffen... Gr empfindet in allem, was er schrieb, eine hineingebannt sind. Frei sollen sie werden durch Berührung mit innere ewige Gleichartigkeit."" Damit hatte ich die Wälder ge= folcher Feder, wie verzauberte und gefangene Genien in funden, und dadurch war der am Rhein   begonnene Ring ge- Märchen, wenn die Wünschelrute ihr Gefängnis berührt. Die schlossen." Seitdem hat er sich von Deutschland   entfernt. Nicht Freude mehren!" Nun, solcher Art ist das Buch. seelisch, aber durch den Gedanken. Während seiner Wanderungen in den Tropen hatte er sich Hoffnungen gemacht, die Geschichte des ganzen Menschengeschlechts noch einmal durchzuleben, von der Beit, als es aus den Sumpfwäldern am Aequator   auswanderte, bis es bei der Schneegrenze endigte, nachdem es die temperierten Benen durchwandert hatte. Alles mit dem einen Biel   vor Augen, neue Möglichkeiten für einen gesteigerten und differen­zierteren Lebensgenuß zu finden Diese Möglichkeiten glaubt Jensen auf dem Wege der Religion gefunden zu haben, in­dem er sich dem Islam zuwendete. So find also in seinen tro­pischen Wälder"-Stizzen tiefere feelische Entwickelungsphasen ge­geben, die sich mit gewiffen religionsphilosophischen Strömungen in Deutschland   in mehr als einem Punkte berühren, und es ist leicht möglich, daß Jensen, wie er hofft, Deutschland  , und daß ieses ibn jetzt haben will" woofern eben dies Deutschland   einzig und allein durch die Bourgeoisie repräsentiert wird!

Ein Blick auf eine Auswahl belletristischer Erzeugnisse bei uns zeigt allerdings ganz andere Meinungen. Bu solchen weltreligiösen Problemen, besser Phantasmagorien, wie Jenfet versteigt sich faum ein deutscher Schriftsteller. Man bleibt am fleinen fleinlichen Dasein haften. Es gibt da soviel herumzuboffeln. Und wems schließlich zu enge wird, der flüchtet sich mit seiner Bilderphantasie aus der geräuschvollen schwächlichen Gegenwart ins rauhe Mittel­alter hinein, wie etwa Felig Salten in seiner Geschichte: Herr Wenzel auf Rehberg und sein Knecht Kaspar Dindel"( S. Fischer, Berlin   1907). Die Erzählung spielt in Bayern  , zur Zeit Karls V. Kaspar, der Waffenknecht des Junkers Wenzel, hat dem Kaiser, weil dieser ihm während der ver­meintlich zu langsamen Fahrt einen Schlag verfeßt, mit der Peitsche um die Ohren geschlagen. Der Kaiser verurteilt den Majestäts­beleidiger zum Tode durch den Strang. Kaspar hat aber den Kaiser gar nicht gekannt. Deshalb bittet der Junfer für seinen getreuen Knecht um Pardon. Karl V.   läßt sich erweichen. Hinter­drein aber stellt es sich heraus, daß sich die Begnadigung nur aufs nadte Leben erstreckte; der Kaiser will, daß Kaspar Nase und Ohren abgeschnitten. Diesen Schimpf will der Knecht nicht an fich er­Leiden; er bittet daher seinen Herrn, ihn zu erschießen. Der tut

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Anders wieder der Roman, Stille Wege"( F. Fontane u. Co., Berlin   1907) von Friternthal. Vielleicht der Held dieses Lebenslaufes selber, der sich hinter einem Pseudonamen verschanzt. Was tut es aber? Ein Deklassierter" erzählt, daß er Landstreicher wurde. Wie es fam, will er erst gar nicht unter­fuchen, weil es ihm selbst ein Problem" geblieben und die Auf­lösung der meisten Probleme auf einen Irrtum hinausläuft". Nun, da er auf die schiefe Ebene  " gekommen, hat er hinter die Moral der einzelnen Stände und Kasten gesehen. Es ist eben überall etwas faul". Um zu verhüten, daß diese Bresthaftigkeit den Kredit" erschüttere, muß sie vor den Augen der Mitwelt sorglich verborgen werden. Wenn nun überhaupt die Moral nur die Eintracht zwischen Herz, Geist und Willen, und wenn diese drei gemeinsam tie Freiheit als höchsten Lebensgewinn erstreben, so hat auch der Bagabund eine Moral". Der Held dieses Jch- Romans hat wie Jaust Philosophie, Juristerei und Medizin studiert, zwar eben nicht mit heißem Bemühen", doch mit der ehrlich empfundenen Abficht, das Gebiet des Wissens zu finden, welchem es sich ein ganzes Leben zu weihen verlohnte. Allein er fand es nicht und verlor fich. Schließlich, als das Geld vertan, fehrte er als verlorener Sohn" ins Haus der Mutter zurück. Als auch fie gestorben war, verlor er jeden Halt. An der Wissenschaft hatte er sich einen un überwindlichen Etel geholt. Dafür befeelte ihn der Drang nach Unabhängigkeit. Er ging in die Weite. Bald fehlte ihm jegliches Kleingeld", und er mußte bei Mutter Grün" nächtigen. Da fam er nun zum Nachdenken über die Macht des Kapitalismus und wie der Mensch so recht ein Geschöpf des Geldes ist. Das Geld bestimmt die Klasse seiner Geburt, entscheidet über den Ver­lauf seiner Jugend, schreibt ihm Beruf und Lebensart vor und weist ihm endlich das Plätzchen auf dem Kirchhof, welches dem Menschen, je nach seinem Verhältnis zum Gelde, zukommt. Ohne Geld bleibt er zeitlebens auf der Stufe des Animalischen stehen, wie auch meist nur das Geld ihn in höhere Bahnen zu führen vermag. Ja, und die Armut ist so ziemlich die einzige Gemeine heit, für welche es keine Verzeihung gibt. Daß ein solcher Mensch, der eigentlich zu nichts nüße, auf die Landstraße tommt, ist kaum verivunderlich. Wegen Bettelns gerät er mit der licben