Als die andern das Vergnügen der Spatzcngeschichte außgelostei hatten, sannen sie auf neuen Zeitvertreib. Es bedurfte bei ihnen keiner grotzen Ursache, um von neuem zu lachen; sie hatten sich niemals in der Lustigkeit geübt, waren darum dankbar für jede Aeuherung der Lebensfreude, die sie sich glücklich verschafft hattew war sie auch noch so platt und grob. Einer der Söhne hatte den Einfall zu juchzen und wie ein Verrückter zu pfeifen und fand darin einen ungekannten tiefen Genuh. Wahrscheinlich war die haarfeine Pointe in der Sache, das Gefühl, daß er sich zu be- nehmen vermochte, ohne in Wirklichkeit übergeschnappt zu sein. Der jüngste Sohn zeigte dieselbe Empfindungsgahe in anderer Weise er kroch auf dem bloßen Fußboden herum und begann den Invaliden zu spielen, mit einer Schnur band er sich das eine Bein auf und humpelte im Dunkeln umher; ganz still und einsam in seinem Glück. Der Oberhofbauer erzählte im Bett großartige Geschichten von Betrügereien beim Viehhandel, auf die keine Seele hinhörte, über die er sich aber selbst vor Lachen wälzte. Alle seine bis- herigcn Lebenstage hatte er sein bestes Vergnügen darin ge- funden, alle diese lichtscheuen Taten zu verschweigen und sie still bei sich zu behalten, aber jetzt fühlte er zum ersten Male die Süßigkeit, sein allerdunkelstes und verschlagenstes Innere auf- zuschließen. Die einzige, die an der Orgie nicht teilnahm, war die Bäuerin. Es ist nun einmal über oder unter der Würde einer Hausfrau, sich in Familicnstimmungen zu mischen. Aber wie sie so lag und aufpatzte, merkte sie eins und das andere, sie wunderte sich. So eine Nacht hatte sie bisher nie erlebt. Sie kannte den Oberhofbauer nicht wieder und begriff ihre Kinder nicht: die waren ja auf einmal außer Rand und Band, sie taten alle, was sie wollten. Nie hatte sie gehört, daß die Leute sich belustigen sollten. Und da gab man sich wirklich ganz frevellos dem Vergnügen hin; es war klar, sie fühlten sich alle ganz selig dabei. Und es paßte nicht einmal zu ihnen, denn sie hatten es niemals zuvor versucht, und deshalb liefen sie ganz wirr umher und hopsten und stolperten dabei, wie eckige Bälle. Die Alte war in keiner frohen Stimmung. Sie ahnte, daß hier ihre Macht auf dem Spiele stand. Man muß ja schweigen und aus der Schmach lernen, um später am Werkcltag allmählich wieder Oberwasser zu� bekommen. Sie sah voraus, daß sie hier in künftigen Rächten viel weinen würde, ehe sie den Bauer wieder von den Zinnen seiner Sorglosigkeit herunter lockte und zog. Niemand dachte an die Schweigenden. Die Leute waren im siebenten Himmel. Man lachte und tobte den Rest der Nacht hindurch. Die Ober- hofleutc gingen ins neue Jahr mit dem Lebensmut einer neuen Welt und mit einer ausgesparten Asenkraft, die Berge versetzen konnte. Es war in der Tat Holgar Danske,') der jenen Neujahrs- morgen erwacht war. Aber es schien ihnen doch, als wären sie ziemlich spät auf- gewacht; sie ahnten, daß sie hinter ihrer Zeit zurückgeblieben waren, als sie später am Vormittag sich angekleidet und auf den Weg zur Kirche gemacht hatten, ohne einen einzigen Menschen zu sehen. Die Kirche war auch verschlossen und verriegelt; sie konnten es nicht verstehen. Einer von den Keldbyburschen erschien, ein unvergleichlich diensteifriger Mensch, der erzählte ihnen, daß kein Gottesdienst wäre, dieweilen es der dritte Tag im neuen Jähr wäre und nicht der erste, wie sie zu glauben Grund haben könnten. Der- selbe Bursche klärte sie darüber auf, daß man unten in Keldbh sehr verwundert gewesen sei, weil man auf dem Oberhof zwei Tage lang gar keinen Rauch aus den Schornsteinen aufsteigen gesehen habe. Er hatte scheinbar auch Lust, noch manche anderen Dinge zu erklären, aber die vom Oberhof sagten, sie müßten nach Hause. Sie vertrugen das Gesicht des Burschen nicht, sie konnten ihn nicht ansehen; sie empfahlen sich hastig und sputeten sich heim; sie waren sehr niedergeschlagen. Es muß sich einem ja auch alles um und um drehen, wenn man entdeckt, daß alle anderen die Zeit in der man lebt und die man für nagelneu hält, schon längst vertan haben. Von den Oberhofleuten war alle Heiterkeit gewichen Sie fanden es nicht höflich von dem Burschen, daß er zu lachen begann, als sie den Rücken wandten. Zu Hause angekommen, untersuchten sie die Fensterscheiben, fanden aber nichts Merkwürdiges daran, als einige schwache Spuren von Hefe und Papier. Schon am Morgen waren die Scheiben klar gewesen. Die Keldbyer Burschen hatten nämlich das Papier in der Nacht auf den dritten Neujahrstag davon entfernt. ES war ihnen fast ängstlich zumute geworden, als am ganzen zweiten Neujahrstage kein Lebenszeichen auf dem Hofe zu bemerken war. Gesetzt, die Leute verschliefen sich da drinnen völlig! So waren die Burschen am Abend hinaufgeschlichen, um den Sachverhalt auszukundschaften. Da hatten sie aber gehört, wie die Familie jubelte und in der Finsternis da drinnen brüllte, als ob sie einen großen FestschmauS hielt, und gedeckt von dem donnernden Fest- lärm hatten sie dann das Papier aufgeweicht und von den Fenster- scheiden gekratzt. Die Oberhofleute zeigten sich an den übrigen Feiertagen nicht im Dorf. Sie saßen an den stillen frostklaren Abenden daheim und hörten daS dröhnende Gelächter weit über den See von Keldby zu ihnen heraufschallen. 1 Entsprechend dem deutschen Barbarossa.(Anm. d. Ilcber- Letzers.) ffleuies feuilleton. m. Münchener Heristfreoden. Das große Gegenstück zum Münchener Fasching ist das Münchener Oktoberfest . Einst von Ludwig I. bei der Zentenarieier der.Erhebung" Bayerns zum Königreich als Zentral-Landwittschaftliche Ausstellung in Verbindung mit einem großen Volksfest zu Füßen der Schwinthalerschen Kolossal- statue der Bavaria draußen auf der Theresienwiese, der Lunge Münchens , im Jahre 1810 gegründet, hat heute das Volksfest über die Landwirtschaft vollkommen triumphiert und von hundert Be« suchen, des Volksfestes.auf der Wies'n" wissen kaum zehn, daß neben der Gaudi auch ernste Zwecke verfolgt werden, nämlich eine Ausstellung von Zucht- und Mastvieh, landwirtschaftlichen Maschinen, Saatkorn, Feldprodukten, künstlichen Dung- Mitteln usw.— Volle 14 Tage lang danert die Gaudi und zu den Münchenern auö allen Ständen, denen das bayerische Volksfest fest ins Herz gewachsen ist. kommen Tausende von ländlichen Gästen aus allen Provinzen Bayerns mit billigen Extrazügen zum National- fest herbeigeströmt! Sehnige Franken, behäbige„Pälzer" mit früh« lichen Wcingcsichtern, das pfiffige Dachauer Bäuerlein mit Röhren- stiefeln, dem Haselnußstecken in der Hand und dem Ring gegen Zahnweh im rechten Ohr, die Vettern aus Schwaben und Neuburg und unsere tannengeraden Oberländler, die langen Bergbauern aus dem Isar - und Loisachtal, aus Mittenwald und vom Tegernsee , auS WieSbach und Partenkirchen . Prächtige Gestalten, urwüchsig, grob und„dalket", aber ehrliche Burschen und durstig, ach wie durstig l An ihrer Seite die bunten, drallen Modeln in ihrer kleidsamen. altbayerischen Nationaltracht, wie sie Wille und Thönh im.Simpli» zissimuS" zeichnen. Ich glaube, die Berliner versuchen jetzt unser Oktoberfest zu kopieren. Sie sollten das lieber lassen. Man kann vielleicht daS Drum und Dran dieser Riesen-Vogelwiese nachmachen, aber nimmer- mehr daS unvergleichliche, bodenständige Lokalkolorit, den Münchener Humor, die geistige Atmosphäre des Ganze». Nicht die sonnendurch- flirrte würzige Herbstlust, die von den blauen Alpenrinnen herunter» strömt, die Du vom Sockel der ehernen Bavaria zum Greifen nahe am Südhorizont liegen siehst; nicht den echten.Wiesenduft", der aus Steckelfischen, Pulverdampf, Käse. Brathühnern, Würsten und Schmalzlertabak zusammengebraut ist; nicht die.Erste Hühner« braterei der Welt am Spieß"; nicht den tosenden National- aesang von Volks-, Bier- und Soldatenlieden, auS Tausenden bierseligen Kehlen auf den rohen Brettcrbänken in dem „Bräurosl", beim.Wintzerfähndlein" oder in der.Augusttner« bnrg"; nicht die Humoristische Kunstausstellung, die so treffsicher die „ClouS" aus dem letzten Glaspalast und der Sezession parodiert; nicht die Apotheose des Alkohols, den Triumphzug des BicreS. Wissen Sie, was daS ist? Das find majestätische Dokumente von dem Wohlstand und Stolz unseres heimischen Brauergewerbcs: vier kolossale Mammuthpferde, feurige spcckglänzendc Rappen ostfriesischen Schlages mit Silbergeschirr und hellgelbem Ledcrwerk blitzblank aufgezäumt, dahinter der neue lange Bicrwagen mit einer unermeßlichen Reihe von Doppelhektoliterfäsiern. dar« auf der Bicrwastl mit dem braunen Plüschhut und den bunten Bändern an der keck knallenden Peitsche. DaS ganze„Zcugl", daS da in gemessenen Zwischenräumen vor den Bierburgen vorfährt, ist so seine 10—12 000 M. wert. Wie dünn, dürftig und frierend neben diesen stampfenden, funkelnden, mit Jubel von der Meirge be- grüßten Protz- und Prunkgcschirren der Großbrauereien die Limo- naden- und Selterwasserkästen, denen doch vielleicht die Zukmift gehört I Höhepunkt dcS grandiosen Wiesenrummels, der an schönen Nach« Mittagen 40—50 000 Münchener und G'scherte— wie der Münchener den Vetter vom Lande nennt— zusammenführt, sind: daS Ann- brustschießen mittelalterlich gekleideter Schützen auf den 40 Meter hohen Adler, die Ochsen- und Spanferkclbraterei, das Verkeilen der Schenkkcllner, die zu arge Schaumschlägerei treiben, die Baucrnrennen am Prinzregententag und die Krönung des Preisochsen durch denRegentcn. Bei den Bauenirennen und Trabfahren im Sulky geht eS um Summen von 1000—400 M. und.gezierte Fahnen". Voran Gendarmerie, die die Menge zu Paaren treibt, dann Fanfarenbläser, die sich vor das.Königszelt" stellen, ein Böllerschuß und los geht die wilde Hetz, dreimal um die ganze Wiese herum. Die Rcnnbuben tun ihre Pflicht. sie sitzen wie die Jockeis auf dem wilden Viertelsblut, auf Kleppern. denen ihre sportsüchtigen Besitzer, die Metzgermcistcr, CafetierS, Bäcker- meister, PrivatterS und Gastwirte von München und Umgebung stolze Namen geben. Diesmal hat Nattenbubers, ZiegeleibesitzcrS von Zam- dorf. Miß Julie, den 1. Preis gewonnen. Und 30 000 Wiesenbesncher schrien Hurra dazu und gingen danach durstig in die Augustinerburg oder zum Schottenhamel und tranken braunes Bier aus Stcinkrügcn, bis ihnen die Erde wie ein runder Holländerkäs vorkam! O Münchener Oktoberfcst, Du bist nicht zn kopieren! Theater. Charlottenburger Schiller-Theater:„Das vierte Gebot", Volksstück in vier Akten von Ludwig Anzengruber . Anzcngrubers berühmtes Wiener Volks- und Sittenstück, da? nach der Aufführung der Freien Bühne schon so oft. namentlich bei österreichischen Gastspielen, in Berliner Theatern gegeben wurde, hat eine Kraft, die bei guter Darstellung durch keine Wiederholungen eine Abschwächung erfährt. Ja die Szenen erschienen mir diesmal eher noch farbiger und frischer, die da und
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24 (27.9.1907) 188
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