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dort mit unterlaufenden Gewaltsamkeiten weniger auffällig als bei dem ersten Sehen. Das Publikum folgte ohne besonders laute Beifallskundgebungen, aber offensichtlich mit gespanntester Anteil­nahme; so viele Taschentücher wie hier während der Schlußszene geraten nur selten an einem Theaterabend in Bewegung. Die Aufführung reiht sich dem Besten, was den Schiller­Theatern glüdte, an. Der Schalanter Leopold Thurners mit der gebeugten Haltung, den unsicheren Bewegungen, dem auf­gedunsenen Weingesicht, der heiseren, renommistisch lauten Stimme war ein Typ von sinnenfälliger Echtheit, und dabei Wiener   durch und durch. Fanny Wolfs vierschrötige und doch so luchtern dreinschauende Madam Schalanter stand ihm ebenbürtig in an­schaulicher Geschlossenheit zur Seite. Ein ähnlich bodenständiges Gepräge trug Hans Gerhards jugendlicher, lang auf geschossener Martin; ausgezeichnet war der Ausdruck des Hoch­muts und der Blasiertheit in den apathischen Zügen, packend der Umschlag schläfrigen Phlegmas in sinnlosen Jähzorn. Die Leistung gipfelte in der Kerkerszene des Schlußaktes, dem Abschied von der Großmutter. Frau Gude- Brandt, welche die Rolle der un­beirrbar gütigen Alten spielte, wirkte hier schlicht sympathisch. In der Figur der jungen Schalanter erschien Else Baumbach neben den anderen Familienmitgliedern anfangs etwas blag fon­ventionell, doch sie wuchs dann zusehends. Gut gelang ihr die Mischung widerstreitender Gefühle, das Aufflammen berstedter Reue beim Zusammentreffen mit dem einst verschmähten Drechslergesellen, über alles Erwarten gut im letzten Aufzuge das Bild der hoffnungslos Bertretenen. Den Stolzenthaler und Hutterer   gaben die Herren Bernhard Herrmann und Willy Eberhardt, dieser freilich ohne Dialekt, in sicherer Umrißzeichnung. In der Kleinen Episodenrolle des alten Gärtners erfreute ar! Stoppel durch eine Fülle fein beobachteter Kleiner Einzelzüge.

Technisches.

dt.

Ein Drachenturm. Ein ganz eigenartiges Gebäude, twie es sicher noch nie auf der Erde gesehen worden ist, hat sich Alexander Graham Bell  , der berühmte Zweiterfinder des Telephons und neuerdings eifriger Vorkämpfer des Drachenfluges, errichten lassen. Es stellt einen Turm von 25 Meter Höhe dar, der ganz aus Flugdrachen erbaut ist. Bell hat in der Vervollkommnung des Flugdrachens einen ganz neuen Weg beschritten. Die älteste Form des Drachens ist die allbekannte, die noch heute von unserer Jugend allgemein bevorzugt wird. Wer ihr Erfinder ist, läßt sich wohl faum noch feststellen. Man könnte sie wohl als die chinesische Form bezeichnen, weil in feinem Lande der Erde das Drachensteigen seit so langer Zeit als Voltsbelustigung ausgeübt wird wie in China  . Wie jeder weiß, unterliegt auch diese Form einer großen Mannigfaltigkeit der Gestaltung, wobei aber stets dieselben Grund­gefeße gewahrt bleiben. Einige Völker, wie die Japaner und die Maori von Neu- Seeland  , bevorzugen z. B. die Gestalt von Bögeln oder Fledermäusen. In der Wissenschaft, die ja erst seit ber­hältnismäßig kurzer Zeit den Flugdrachen zur Erforschung der höheren Luftschichten benußt, führt diese Drachenart den Namen Eddyhalay- Drache. Eine vollkommene Neuheit der Konstruktion war dann der nach seinem Erfinder Hargrave aus Sidneh benannte Kistendrache; noch spätere Erfindungen waren der Treppendrache bon Köppen und der Tetraederdrache von Graham Bell  . Dieser lettere hat die Eigenart, sich in beliebiger Zahl zu einer großen Gruppe von Drachen bereinigen zu lassen, und der erwähnte Drachenturm ist das bisher außerordentlichste Ergebnis diefer Kombination. Er ist nämlich nicht dazu bestimmt, auf der Erde zu bleiben, sondern er soll fliegen, stellt also eine Art von Luftschiff dar, dessen Ausmaße ja auch nicht über die Kolosse der modernen Luftschiffe hinausgehen. Der Drachenturm besteht lediglich aus einer ungeheuren Zahl miteinander verbundener Tetraederdrachen und besitzt ein Gesamtgewicht von weniger als 100 Bentner, soll aber ohne andere Triebkraft als den Wind ein Gewicht von 500 Zentner durch die Lüfte tragen. Auf den Probeflug dieses Drachenturms, über deffen Bau die Wochenschrift" Science  " be richtet, darf man wohl gespannt sein.

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Humoristisches.

Humor des Auslandes.

Im Kaffeehaus. Cafetier( zum eintretenden Abbokalen): Guten Tag, Herr Doktor, wie geht's? Dottor: Dante. Wenn ich zu flagen habe, geht's mir gut, habe ich nicht zu flagen, geht's mir schlecht. ( Neue Glühlichter", Wien  .)

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Buffmann: Herr, ich bin ein Self- made man." Blunt: Ei ja, Sie sehen allerdings nach der Sorte Männer aus, die Sie imstande sein würden zu machen."

( Pick me up.")

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" Mein Herr, Sie haben unseren Freund Bágrez einen Efet genannt. Wir sind gekommen, Satisfattion zu verlangen." Gut. Sobald ich einen Esel treffe, werde ich ihn um Verzeihung bitten." ( P. B. J., Buenos Aires  .)

Berantwortl. Redakteur: Hans Weber, Berlin  .

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Notizen.

Berlin   als deutscher   Theatermarkt. Süd­deutsche Blätter drucken mit Behagen eine Kritik von Dr. Anward über das verfloffene allerdings troftlose Berliner   Theaterjahr nach, die in der Gegenwart" erschienen ist. Es wird darin Berlin   als unangenehmes Vorbild für das Theaterleben ganz Deutschlands   hin gestellt, weil seine Theaterleiter nicht die Wünschelrute befizen, Quellen zu entdecken, und nicht die Zeit haben, auf die Zukunft zu lauschen. Denn hier ganz besonders ist das Theater ein Geschäft. Was geht den Direktor im Grunde die Literatur an! Weit wichtiger ist es ihm, sein Publikum zu kennen und ihm zu bieten, was ihm gefällt. Daher die spezifische Note, die jedes Berliner   Theater auf­weift; daher die geringe Ausbeute für die Kunst."

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Der Kritiker beklagt dann weiter die Abhängigkeit der Provinzs bühnen von Berlin  , die zu einer förmlichen Sklaverei ausarte, und verlangt, daß fie fich davon freimachen...

So wenig die angeführten Tatsachen zu bestreiten sind, so sehr find doch die Gründe des allgemeinen Niederganges unseres Dramas in der letzten Zeit verkannt. Es ist nicht die Schuld der Bühnen­direktoren, daß so wenig Gutes für die Bühne geschaffen wird. Die jungen Genies, mit denen man es in Berlin   im letzten Winter ver­suchte, berpufften elend und hinterließen nichts als einen lyrisch­bombastischen Wortschwall. Die unbestreitbare Dekadenz des aus der naturalistischen Gesundungskur viel zu früh herausgeriffenen deutschen  Dramas ist nicht so ungefähr, sie ist ein Spiegelbild des fort­schreitenden Klaffenzerfalls und der Inhalt- und Ideallosigkeit des noch das Theater beherrschenden Bürgertums. Daran kann jede noch so wünschenswerte Emanzipation der Provinzbühnen von Berlin  nichts ändern. Denn auch in Hamburg   oder München   oder sonstwo herrschen dieselben Zustände.

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Wettbewerb um ein Berliner   Volksstück". Das Theater an der Spree sezt einen Preis von 3000 M. für das beste Berliner   Volksstück" aus. Unter einem Voltsstück versteht e8 schichten berechnetes Theaterstück, noch viel weniger gar ein nicht etwa ein für die niederen" Volks­Machwerk von der Art jener Sensationsstücke", die in den letzten Jahren Mode geworden find, sondern vielmehr ein den tiefsten Wesensgehalt unseres heimatlichen Volkstums widerspiegelndes Bühnenwert, das jene Einfachheit und Schlichtheit aufweist, die der beste und fünstlerisch erfreuliche Teil des Berliner   Vollscharakters find. Das Stück darf ernster oder heiterer Natur sein, soll" Gemüt lichkeit" befizen, aber feine Anschauung verletzen.- Fehlt nur noch die Bedingung, daß der Verfasser dieses Volksstückes", dessen Zeiten unwiderbringlich vorbei sind, 1000 Aufführungen garantiert und die Reklame gratis besorgt.

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Bei dem Gastspiele norwegischer Künstler im Neuen Theater, das am 30. September beginnt, werden auch Requi­siten und Dekorationen des National- Theaters zu Kristiania   ver­

wendet.

mann Bahr, wird vom Berliner   Lessing- Theater, außerdem bom -Die gelbe Nachtigall", ein neues Stüd von Her Leipziger Schauspielhaus und dem Münchener   Gärtnerplaz- Theater aufgeführt werden.

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Abenden in der Komischen Oper dirigieren. Bühnenspiegel. Direktor Mahler wird an vier dem fgl. Schauspielhause den Rüden zu fehren, da ihr Frl. Willich Rosa Poppe droht allzusehr in ihr heroisches Fach eingreift, fie bekundet in einem Schmerzensschrei an die Deffentlichkeit ihre Sympathie für die englisch  - amerikanische Bühne. Durch Uebertragung geeigneter Rollen wird sie hoffentlich wieder Sympathie für die deutsche Bühne ge­

winnen.

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werke von Adolph L'Arronge   sollen in vier Bänden erscheinen. Die Adolph L'Arronge   als RIaffiter. Die Bühnen­gute Tochter fann also in Zukunft Hasemanns Töchter" daheim

lesen.

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Neues vom Kinematographen. Der Kinemato­graph, der immer mehr aufhört, ein Spielzeug zu sein und langsam in das Laboratorium des Gelehrten eindringt, hat sich ein ganz nenes Aufnahmegebiet erobert. Er führt jetzt auch das Leben der fleinsten Wesen, die für das menschliche Auge nur noch durch das Mikrostop sichtbar sind, vor Augen. Es ist gelungen, durch das Mikroskop hindurch finematographische Aufnahmen zu machen und diese auf der Demonstrationsleinwand in folcher Vers größerung vor Augen zu führen, daß die Bewegungen der Kleinlebewesen vortrefflich gu erkennen find. Nach dem Berliner Tageblatt" fieht man auf den Films der Eclipse". Gesellschaft das Leben in einem Waffertropfen, die Käse und Feigenmilben, und beobachtet in einer verblüffenden Deutlichkeit den Blutstrom in einem Goldfischschwanz. All diese Bilder eröffnen denen, die nicht mit dem Mikrostop zu arbeiten gewöhnt sind, den Blick in eine neue Welt voll seltsamer Wunder.

Druck u. Verlag: Vorwärts Buchdruckerei u.Verlagsanstalt Paul Singer& Co., Berlin   SW.