7 Und neben ihr stand die Kuh und rührte mit ihrem Kopfe fast an Anes Ellenbogen. Die Kuh hatte einen Hängcwanst und auswärts gedrehte Beine. Sie war gerade beim Wiedcrläucn ihrer Mahlzeit. Die Kuh war alt, aber gut, gesund im Fell und ordentlich gepflegt. Im Kreuz und am Rücken war sie ja ein wenig scharf. sonst aber war schon alles recht gewesen. Das Euter war fein und zottig und strotzte von Milch, die schönen, schwarz-weitzen Hörner hatten nicht allzuviele Ringe aufzuweisen. Mit feucht- glänzenden Augen zermahlte sie zum zweiten Male ihr Futter und schob dabei den Unterkiefer beständig von links nach rechts. Wenn sie einen Bissen verschluckt hatte, drehte sie den Kopf und schaute sich um. Wenn der nächste Futtcrklotz bis ins Maul hinauf- gerutscht war, stand sie wieder mit ruhigem Hals da und kaute weiter. Der Schleim lief ihr gemächlich aus dem breiten Maul, und wenn sie beim Atmen Luft schöpfte, sang es in ihrem Innern wie in einer dicken Orgel. Sie war eine gesunde, lebhafte Kuh und in voller Reife. Die Ereignisse ihres Lebens hatte sie bereits alle hinter sich; sie hatte ihre Kälber geboren, ohne sie je sehen oder lecken zu dürfen; sie hatte ihr Futter verzehrt und stets treu und redlich ihre Milch hergegeben. Nun kaute sie hier wieder, wie fie'L auch anderswo getan hätte und schwang ihre Schwanzquaste in steifen Schnörkeln, um die Fliegen zu verscheuchen. Der Spann- riem war säuberlich aufgerafft und hing aus dem einen Horn; sie hatte ja nicht die Absicht durchzubrennen oder sonst was Ab- sonderliches zu unternehmen. Die alten, abgebrauchten Halftern hatten weder Nasencisen noch innere Zwecken. Man brauchte Anes Kuh nicht erst im Zaum zu halten. Heute trug sie einen neuen Strick, nicht den alten, dünnen, der angestückelt war und an dem sie sonst auf die Weide geführt wurde. Ane hatte ihre Kuh schön machen wollen. Nun ja, es war auch wirklich eine gute Kuh für den Fleischer. Drum dauerte es nicht lange, bis ein Mann an das Pärchen heran- trat, die Kuh von allen Seiten betrachtete und seine Fingerspitzen in ihr Nückenfell eingrub. Die Kuh rückte ein wenig zurück, war aber nicht böse. Na, Muetterl, was kost' denn die Kuch?" fragte er, und sein fester Blick wanderte von der Kuh auf Ane. Ane strickte weiter. I verkaaf nit", anwortete die Alte. Und wie wenn sie das Gespräch auf höfliche Weise abbrechen wollte, liest sie die Strick- nadeln mit der einen Hand los und trocknete sich eifrig die Stirn. Der Mann ging, aber er drehte sich noch oft nach dem tüchtigen Bich um. Bald darauf kam ein Schlächter. Der fuchtelte mit seinem spanischen Rohr der Kuh vor den Hörnern herum und liest seine feiste Hand rasch über ihr Fleisch gleiten. Was kost' die Kuh?" Die alte Ane schielte zuerst auf ihre Kuh, die vor dem spanischen Rohr ehrfürchtig mit den Augenlidern zitterte, wendete dann den Kopf, als ob sie weit wo in der Ferne ctlvas sehr Wichtiges sähe. Schlicstlich sagte sie:De verkaaf i nit." Fertig. Der Schlächtermeister schwankte in seinem blut- befleckten Staubmantel weiter. Bald darauf kam noch ein Käufer. Die alte Ane schüttelte den Kopf.I verkaaf halt nit." Sie hatte einer ganzen Reihe von Käufern eine abschlägige Antwort gegeben; so kannte man sie bald und redete viel von ihr. Einer der Männer, die um die Kuh gefragt hatten, kam ein zweites Mal. Er wollte das Tier durchaus haben und machte ein Angebot, das sehr vorteilhaft war. Die alte Ane sagte: nein. Ein bitzchcn unruhig, aber bestimmt. Js denn die Kuh verkauft?" fragte der Mann. Na, na, verkaaft is sie nit." Ja, nachher, wegen was stehst denn nachher da und protzt mit Deiner Kuh?" Die alte Ane liest den Kopf finken, strickte aber hartnackig weiter. Na also, jctz red' Do. Wegen was stehst denn da mit der Kueh?" fragte der Mann ganz aufgebracht.Sie g'hert am End' gar nit Dein?" A. das war nit schlecht. Frcili g'hert sie mein. No freili, das is ja mei Vieh." Ane fügte hinzu, dast sie die Kuh wahrlich schon als Kalb gehabt habe; ja. wahrhaftig. Und sie redete und redete auf den Mann ein, als ob sie sich bei ihm entschuldigen , nüstte; er aber unterbrach sie heftig: Ja. stehst denn Du da. zum Leut' foppen?" Ane schweigt. Sie strickt wütend drauf los; sie weist nicht, wohin sie schauen soll, fo Ungemütlich ist's ihr. Der Mann wird immer wütender. Na, jetz sag amal: bist denn herkommen zum Leut' foppen? Da hört Ane auf zu stricken. Sie löst den Spannricmcn vom Horn der Kuh und machte sich zum Rückzug bereit. Sie schaut aber den Aufgebrachten noch zum Schluß treuherzig an und sagt ,n einem bittenden Ton: S is halt gar so viel einsam,'s Viech, gar so viel einsam. I Hab' ja blast de anzigc Kueh in meiner Keusch'», und sie kommt halt fast gar nit mit andre Viecher z'sammen. I wohn' ja so weit droben in der Einschicht. So Hab' i halt g'mant, i kunnt sie grab auf'n Markt herführen, dast sie a bistl unters Viech kummat und a bistl a Zerstreuung Hütt. O mei, o mei, i Hab' halt g'mant, das kunnt neamand nit schad'n. No. und so sein mar halt herg'reist. 1 Aber mir zwa sein nit zum Verkaaf'n und jetzt geh'n mar halt wieder ham. No ja, und i bitt halt recht sehr um Entschuldigung No ja, und fiat Gott a und i bedank mi halt recht schen." kleines fsuilleton. Unsere große Zeit. Ich bin ein Verräter. wen, ist's nicht bekannt? Es sagt's ja der Schulze, der Büttel, Der Amtmann , der Pfarrer, die Herren vom Stand, Und fragt sie im leinenen Kittel Der Bauer:Er ein Verräter? warum?" Da heitzt's:O Bauer, wie schwatzst doch so duntm! Er hält's ja mit den Franzosen!" O kleine, erbärmliche, alberne Zeit! Die Narren sie nennen's die große, Weil ihnen ein Kaiser daher kommt geschneit, Weil im Blute liegt der Franzose. Weil der Franktireur aufgeknüpft am Baum Von Vaterlandslieb' träumt den letzten Traum, Weil Dörfer brennen und Städte. Weil das kalte Feld ist durchrieselt mit Blut, Weil Leichen rings starren an Leichen, Weil Verwundete ächzen in Fieberglut Umgeistert vom Mondlicht, den, bleichen, Weil riesengrost schreitet von Land zu Land Da? Leid im Bettler- und Trauergewand Und Hunger grinsen und Typhus. Verzeiht mir. erleuchtete Geister, verzeiht, Mein Herz ist viel weicher geschaffen, Und ninnnerinehr dünkt's ihm erhabene Zeit, Wenn sich Völker befehden in Waffen, Wenn unter dem Faustrecht die Freiheit weint, Und wenn man vom Gott der Liebe noch meint, Er fteue wie Mars sich der Schlachten. Und auf Wilhelmshöh' dort, statt auf Galgenhöh' Der gefiirstete Missetäter Und ringsum Parteihast und blutiges Weh Und Franzosenfreund und Verräter Gescholten ein jeder, der's menschlich meint, Und der den Menschen auch ehrt noch im Feind! O Zwerghafte Größe der Zeiten I Theobald Kerner. Dieses bisher unbekannte Gedicht, das aus dem Dezember!870 stammt, wird aus den, Nachlasse Theobald Kerners{j 11. August 1907) imMärz" veröffentlicht. Es zeugt für den Freimut Kerners, dast er sich von dem blutdürstigen Geraffel seiner Mitpoeten nicht anstecken liest. Sprachwissenschaftliches. Londonismcn und Parisismen. Es gibt viele wackere Leute, die sich einreden, sie verstehen Französisch, weil sie in der SchuleCharles Douzc" gelesen haben und imstande sind, einen Leitartikel desTemps" mit den sogenannten europäischen Redensarten halbwegs zu verstehen, oder die sich ihrer englischen Sprachkenntnisse rühmen, weil sie einen Essay von Macanlay in seiner so stark mit romanischen Wörtern durchsetzten Sprache, oder eine englische Depesche zur Not heransbekommcn, wobei allerdings Mistverständnisse schlimmster Art selbst den Berussübersetzern in unseren amtlichen Tclegraphenbureaus unterlaufen. Die meist philologische Betrachtung aller sprachlichen Fragen hat es leider dahin gebracht, besonders bei uns zu Lande, dast man bei einer wissenschaftlichen Betrachtung fremder Sprachen gar nicht mehr daran denkt, dast Sprache mit Sprechen zusammenhängt. Eine Sprache ist den meisten nicht etwas Gesprochenes, sondern etwas Gedrucktes, und mit dem Gedruckten glaubt man leicht fertig zu werden. Nun weist ja alle Welt, auch die Philologen, dast von der Schriftsprache das ungeheure Reich menschlicher Rede nicht allein ausgefüllt wird. Die Alltagssprache der großen Massen jedes Voltes, ja selbst die nicht von der bewußten Sprachkunst beherrschte Alltagsrede der Gebildeten weicht so stark von der Sprache der Bücher und Zeitungen ab, dast die Kenntnis der gedruckten Sprache irgendeines Volkes keineswegs zum vollkommenen Verständnis der lebendigen Rede ausreicht. Nur durch jahrelangen Aufenthalt im Lande einer fremden Sprache selbst und durch die tägliche Bc-« rührung mit dem lebendigen Wort lebendiger Menschen kann man sich in den geheimen Gängen eines fremden Sprachbaues mit Sicherheit zurechtfinden. Rein philologisch betrachtet bietet die Alltagsrede so graste Abweichungen von der Drucksprache, dast jene mindestens den Namen eines besonderen Dialektes verdient. Dieser zerfällt nun wieder in mundartliche Abtönungen je nach den Lebens» kreisen, denen die Sprechenden angehören. In Formenlehre, Satz» bau und namentlich ini Wörterschatz führt jede Alltagssprache ein von der Drucksprachc gesondertes L:bcn.