Anterhaltungsblatt des Vorwärts

Nr. 224.

Sonnabend. den 16 November.

( Nachdrud verboten.)

12 Die Brüder Zemganno.

Bon Edmond de Goncourt . Tommaso Bescapé, der nach dem Tode Stepanidas in einem blöden Hinbrüten bersunfen blieb und den man noch immer stundenlang auf seinem Pantomimenkoffer am Fuß ende des Bettes fiezen fah, auf welchem seine Frau geruht hatte, weigerte fich eines Morgens bon seinem Lager aufzu stehen, und fortan berbrachte er sein ganzes Leben in seinem alten Ghebett, gleichsam glücklich in dem, was ihm in Gestalt diefer Ueberzüge und Kissen von dem geliebten Körper ge­blieben war, und was ihre träumerische Wärme wie aus dem Jenseits her aus der Vergangenheit wieder vor ihm erstehen ließ. An Berstreuung gab es für den armen alten Schwach finnigen nur noch eines: auf seinem Lager ausgestreckt liegend fich an dem Anblick feines phantastischen Husarenkostüms zu erfreuen, daß er sich alle Tage mit neuen Silbertreffen be­fegen ließ.

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Nachlässigkeiten, die sie bereits zutage treten ließen, bemäch tigte sich ihrer das Gefühl, daß der junge Direktor es nicht lange machen werde" in seiner Direktion,

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Muße unablässig beschäftigt und agierten raftlos um ihn her. Die Hände Giannis waren selbst zu der Zeit seiner Gleichfam unwillkürlich und beinahe unbewußt ergriffen fie die Gegenstände in ihrem Bereich und plazierten sie auf den als einer Flasche, auf eine äußerste Ece, auf eine Stelle ihrer Oberfläche, auf der sie sich vernünftigerweise nicht halten fonnten, und bemühten sich vergeblich, sie dort und in dieser Lage ein paar Augenblicke verharren zu lassen; seine Hände waren beständig bemüht, die Gefeße der Schwere aus ihrer Ordnung zu bringen, die Bedingungen des Gleichgewichtes zu durchkreuzen, der ewigen Gewohnheit der Dinge, auf ihrem Untergrunde oder ihren Füßen zu stehen, Gewalt anzutun. einen Tisch, einen Stuhl umzudrehen und wieder und wieder Dann wieder brachte er lange Zeit damit zu, ein Möbel, umzudrehen, nach allen Richtungen hin und mit einer so neugierigen, so bertieften Forschermiene, daß sein kleiner Bruder neugierig in ihn drang: ,, Sag' doch, Gianni, was machst Du denn da, was hast Du bor?"

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Ich suche!"

,, Was suchst Du denn?"

Ah, nichts!" Und kopfschüttelnd fügte Gianni für selbst hinzu: Nein, weiß der Teufel, ich finde es im

Aber was denn? Sag', sage es mir doch, bitte, fage

den Finale eines bittenden Kindes, das etwas wissen will. ,, Wenn Du größer bist... jezt verstehst Du es noch nicht... geh, laß mich, Brüderchen, ich suche auch für Dich!" Mit diesen Worten sprang Gianni auf einen fleinen bieredigen Tisch, so daß er aufrecht auf demselben stand, und rief seinem Bruder zu:

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Die Krankheit seines Vaters nötigte Gianni, die Direk­tion der Truppe zu übernehmen. Allein er war sehr jung als Direktor und es fehlte ihm die Autorität Leuten gegenüber, die gewöhnt waren, ihn wie ein Kind zu betrachten. Solange die Mutter lebte und der Vater im Besize seiner Geisteskraft war, hatten diese die Herrschaft in der fleinen Karawane sich geführt, das Zusammenleben der Mitglieder dieses bunten Leben nicht!" Ensembles zu leiten, die Eifersucht, die Antipathien, den Neid und das Uebelwollen in diesen einander so entgegen- es mir!" flehte Nello mit dem langen langgezogenen flagen gefetten Naturells faft mit einander auszusöhnen vermocht. Stepanida in dem Fremdartigen ihrer Persönlichkeit, ihrem wenigen Sprechen, dem ruhigen, Gehorsam heischenden Be­fehlen ihrer ernsten Stimme und ihrer dunklen Augen übte eine Art geheimnisvolle Macht über alle aus, und wenn sie befahl, wagte niemand sich zu widerseßen. Und da, wo Stepanida fich fern hielt, ließ Bescapé seine Diplomatie des ,, Attention , Brüderchen! Siehst Du das kleine Beil dort alten Italieners eingreifen. Dant seiner genauen Kenntnis in der Ede? Nimm es... gut! Es ist recht.... Nun der Persönlichkeiten, die er in seinen Leuten vor sich hatte, hau' damit aus voller Kraft auf dies Tischbein hier, dies Dank feiner Gewandtheit, den geheimen Neigungen und Ab- rechts!"- Das Tischbein zerbrach unter Gianni, der auf­neigungen dessen zu schmeicheln, zu dem er sprach und für recht auf dem invaliden Tische stehen blieb. Nun das andere den er in jedem einzelnen Sab ein freundschaftliches Mio Bein, dies hier links!" Das zweite Bein wurde abgeschlagen, caro" mit einfließen ließ; Dank endlich seinen flüglich einge- und Gianni hielt sich durch ein Wunder des Equilibres noch mischten Versprechungen für eine noch in der Ferne liegende immer auf dem Tisch, dem beide vordere Füße fehlten. Ahi Zukunft, für erfreuliche Aussichten, die er möglichst in die Ah! Ah! A!" begleitete Gianni in Artistenweise sein Nähe rückte, und nötigenfalls selbst einigen luftigen Bossen- Balancement. Jetzt da liegt der Hase im Pfeffer, iezt, gaufeleien aus seinem reichen Repertoire an derlei, erreichte Brüderchen, kommts darauf an, den dritten Fuß wegzuhauen." er bei seinen Leuten alles, was er wollte, und vermochte sie, Den dritten Fuß?" fragte Nello ein wenig zögernd. sich bezüglich der Versprechungen wie der Aussichten bis ans" Ja, den dritten; ihn aber mit ganz kleinen Schlägen Ende aller Dinge zu gedulden. Gianni hatte diese Eigen-- und einem derben Schlag zuletzt, der ihn seiner Wege schaft nicht von seinem Vater geerbt. Er verstand nicht, zu schickt." Unter diesen Worten, und während der dritte Fuß versprechen, und geriet, wenn er bei dem, was er wollte, auf im Begriff war, fich loszulösen, faßte Gianni aus der äußersten Widerstand stieß, in Born , iagte den Betreffenden, der ihm Ecke des Tisches Posto, oberhalb des einzigen noch festen widerstrebt, zu allen Teufeln und ließ, was er beabsichtigt| Fußes. hatte, ärgerlich fallen. Ihm fehlte auch die Geduld, Ver­gleiche und Verföhnungen zu stiften, und ebensowenig gab er fich Mühe, dem Gezänt zwischen dem Bajazzo und dem Herkules ein Ziel zu sehen, indem er ruhig den Ingrimm beider sich steigern und zum offenen Striege werden ließ. So manches von den Einzelheiten des Geschäfts war ihm lang­weilig, und er befümmerte fich nicht, wie sein Vater getan, um die Anpreisung der Vorstellungen, da ihm die famose Begabung des alten Bescapé für Sprachen abging: eine Be- Zuweilen verharrte Gianni unbeweglich in halb er­gabung, die es demselben möglich gemacht hatte, seine An- hobener halb niedergekauerter Haltung vor einem Gegen­preifung der Vorstellungen in den fleinen Orten der ent- stande, das eine Knie am Boden, das andere aufgerichtet und Legenſten Provinzen, in denen er sich befand, in das besondere beide Hände übereinandergelegt auf dasselbe geftüßt,-ver­Patois der Gegend zu fleiden, was im Süden Frankreichs harrte so in einer Unbeweglichkeit, daß Nello voll Respekt eine Quelle fruchtbarer Eirnahmen geworden war und über vor dem tiefen Nachsinnen des Bruders sich ihm näherte ohne welches Hülfsmittel feine französischen Kollegen, die von zu wagen, ihn anzureden, und nur ein leises Anstreifen mit Natur sehr wenig polyglott veranlagt sind, vor Merger außer feinem Körper, ähnlich wie ein Zier zärtlich seinen Kopf fich zu geraten pflegten. am Menschen reibt, um seine Aufmerksamkeit wachzurufen, ihm zu erkennen gab, daß er da sei. Gianni, ohne sich um zuwenden, legte sanft seine Hand auf des Knaben Kopf und 30g den jüngeren Bruder durch einen leisen Druck an seine Seite nieder, noch immer den Gegenstand seines Nachdenkens aufmerksam betrachtend und die Hand zärtlich auf den Locken des Kindes ruhen lassend, bis er endlich, seinen Bruder in

Schließlich war Gianni, obwohl ein guter Kamerad und ftets bereit, jedem und allen gefällig zu sein, den Mitgliedern der Truppe nicht sympathisch; sie hatten eine gewisse unbe­stimmte, unwillige Empfindung bezüglich seiner, als ob er irgend einen Plan im Kopf trage und bei sich erwäge, den er ihnen berberge, und unter der Geneigtheit zu allerlei

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Das dritte Bein fiel, und Nello sah die Tischplatte horizontal auf ihrem einzigen Bein stehen bleiben, gehalten von den beiden Fußspiben seines Bruders, dessen Körper, ebenso viel auswärts von dem Tische als oberhalb desselben, balancierend hin und her schwankte.

,, Schnell spring zu mir empor..." schrie Gianni seinem jüngeren Bruder zu, aber schon rollten Tisch und Equilibrist auf dem Boden.