die so anders gestaltete Wirllichkeit. San Gimignano   in Italien  ist ein solcher Ort, in den blühenden Gärten der Provence   liegt noch ab und zu solch eine Stätte eingebettet, von der Stimmung unberührten vergangenen Lebens fühlt man sich in der verwilderten Wirrnis Südspaniens umklungen. Uns Deutschen   ist Rothenburg ob der Tauber   beschert, ein liebliches Wunder von romantischer Schönheit, das wie Dornröschen lange Jahrhunderte verschlafen zu haben scheint, um nun wieder mit erstaunten Augen in das Sonnenlicht zu blicken. Schon wird der Schwärm der Fremden. immer größer, die nach dem fränkischen Städtchen ziehen. Die Kunde von dem Schatz, den wir besitzen, wird immer mehr All- gemeingut. und nun erscheint auch ein Büchlein, das nach lang- jährigem Zusammentragen der Lokalforschung, nach den vielen Einzeluntersuchungcn, die sich ganz im Stillen mit der Stadt bc- kchäftigt, ein stimmungsreiches Gesamtbild entrollt. H e r m a n u U h d e- B e r n a y s hat es geschrieben, und es bildet einen Band derStätten der Kultur", einer neuen Sammlung von Städte- bildern, die der Verlag Klinkhardt und Biermann in Leipzig  herausgibt. Das alte Stadtbild des Ortes, das altfränkisch- biedere Wesen seiner Bürger, hat sich dank einem gütigen Schicksal durch die Stürme des dreißigjährigen Krieges, über die wider- standslose Besetzung und Sinverleibung an das Königreich Bayern hin ohne wesentliche Veränderungen erhalten; das schreckhafte Gespenst moderner Restaurierungswut ist gnädig vorübergeschritten und hat den winkeligen Gassen, den reich geschmückten Erkern und schlanken Türmen ihren stillen Reiz gelassen. Nur wenige Häuser sind in letzter Zeit außerhalb der Stadtmauer gebaut worden, deren Vollendung schon Kaiser Albrecht geschaut hatte, und das kgl. bayerische   Rentamt Rothenburg   stellt heute noch Steuerlisten auf, die von denen vor hundert Jahren sich fast gar nicht unter- scheiden. In graue Vorzeit reicht die Gründung des Städtchens zurück, die bald von Legende und Sage mit buntem Gerank um- spönnen wurde. Römische Kolonisierung, keltische Ansiedelungen gingen voraus, bis vor einem Jahrtausend die mächtigen Quadern geschichtet wurden, die noch jetzt die Kapelle des Burggärtleins tragen. War es die.Burg der Roden", die 1144 urkundlich er- wähnt wird, oder das helle Leuchten der roten Ziegel im Abend- lonnenschein, die der Stadt den Namen gaben? Kaiser Friedrich der Rotbart machte sie zur Reichsstadt, und so blühte sie in frischer, kühner Selbständigkeit heran. Aus dieser hochgemuten Stimmung der süddeutschen Städte des Mittelalters wurde Rothenburg   auch die interessanteste und größte Persönlichkeit seiner Geschichte geboren, der Bürgermeister Heinrich Toppler  , eine Herrschernatur, den italienischen Condottiercu und Renaissance- menschen verwandt. Noch heute halten sein Haus, der Kaiserstuhl  , das er sich im Taubertal als festen Sitz erbaute, und sein stiller Grabstein in der St. Jakobskirche   die Erinnerung an den stolzen Mann wach und sein Geist scheint noch in der kleinen Burg umher- zuwandeln, wo er mit Prunk und Pracht Kaiser Wenzel empfing und mit dem Burggrafen um Nürnbergs   Burg als Einsatz würfelte. Toppler bezwang durch strenge Strafen und kühne Kämpfe die ganze Nmgegcnd, befestigte die Stadt stark und machte sie mächtig. Sein Vermögen war so groß, daß er ganz Röthenburg hätte kaufen können. Aber von dieser stolzen Höhe herab tat er einen tiefen Fall. Die Verhältnisse wandten sich gegen ihn. der Rat setzte ihn gefangen und ruhmlos ist er gestorben, hingerichtet im dunklen Verlies oder vielleicht durch das Gift endend, das ihm ein armes Judenmädckjen zum Dank für einstmalige gute Bc- Handlung zugesteckt haben soll. Blutige Fehden und Kämpfe durch- tobten die Gassen des Stadtleins, mit ihnen wechselten Feste und Tanz. Der Geist religiöser Gärung, den die Reformation herauf- führte, breitete seine dunklen Wolken über die eben noch so heiter- röhliche Stadt. In den Wirrnissen des Bauernkrieges hat Rothen- bürg auf der Seite der Aufständischen gestanden; mit dem Schicksal des schwarzen Florian Geyer   ist es eng verknüpft und taucht ,n Hauptmanns Drama als blutiger Rahmen seines dunklen Schick- salS auf. Als der siegreiche Markgraf von Brandenburg   am 28. Juni 1625 in Rothenburg   einzog, da wurden so viele geköpft, daß es..die steile Schmiedgasse herunterrann wie ein blutiger Bach". Plünderungen und Einquartierung, das war das Los für lange Zeit. Im dreißigjährigen Kriege kam der grimme Tilly und wie durch ein Wunder nur wurde Untergang und Tod von der Stadt abgewendet. Die.wunderbare und merkwürdige Er- rettung" soll der Mtbürgermeister Nusch durch jenen gewaltigen .Meistcrtrunk" bewirkt haben, den die Sage so romantisch aus- gestattet hat und um den der biedere Glasermeister Adam Härder in unseren Tagen das alljährlich gespielte tsehr lederne) Rothen- burger Pfingstfestspiel geschrieben.... Und Rothenburg   schlief allmählich wieder ein. Hinter den dichten Buchenwäldern, die zwischen seinen Türmen und der breiten Heerstraße von Ansbach  nach Würzburg   wie eine schützende Mauer standen, lag ver- steckt und eine kleinstädtisch beschränkte Kultur entfaltete sich all- mählich. Dieratsfähigen" Familien sonderten sich von den anderen streng ab; die Töchter des Bürgermeisters hatten ihren ganz besonderen Stolz. Aus diesem verschwiegenen, eng um- grenzten Leben und Treiben ist Rothenburg   erst spät auferweckt worden. Als die Romantiker die Schönheit altdeutscher Kunst entdeckten und begeistert durch Nürnbergs   Straßen wanderten, schlummerte Rothenburg   seinen Märchenschlaf weiter. Plate» kam mit der Sehnsucht nach Italien   im Herzen in diesverstorbene Herkulanum aus dem Mittelalter" und tadelte das unausstehliche Pflaster und die Leerheit auf den Gasse». Erst Ludwig Richter  hat dies romantische Wunder entdeckt und sich hier wi« km Märchenlande gefühlt. Nach ihm kam das Völkchen der Genre» malcr, die mit Schwinds sinnigen Augen sahen; es kamen die Dichter, um von Rothenburgs Schönheit zu singen. Gottfried Keller  ahnte, daß er hier ein schöneres Seldwyla hätte finden können, und beklagte, es nicht zu kennen. Paul Heyse   hat hier die Stimmung für eine seiner schönsten Novellen, Wilbrandt den Rahmen für einen seiner farbenprächtigsten Romane gefunden» und keinen begeisterteren Lobsinger fand Rothenburg   als die fein« sinnige Amerikanerin Vernon Lee  , die Schülerin Walter Paters. Knnft. NachJapan   u n d I n d i e n" führt die Kollektion des Budapester Malers G y u l a T o r n a i, der bei Keller und Reiner ausstellt. Der Künstler, der exotische Länder bereist, hat von vornherein einen schweren Stand. Man ist mißtrauisch. Die Gefahr liegt nahe, daß das Stoffliche überwiegt, daß der Maler Illustrationen liefert und die Rolle des Photographen übernimmt. Das Künstlerische liegt nicht in dem Außerordentlichen, Eni» legenen; das überlasse der Künstler den Entdeckungsrciscndcn; im Nahen, Alltäglichen entdeckt er die feinsten Reize. Wenn man den großen Saal betritt, so ist der erste Eindruck: welche Farbenfüllcl Man ist geblendet. Und zugleich merkt man, wie wenig künstlerisch diese Fülle gebändigt und benutzt ist. Hart und rauh stehen die Farben beieinander; geleckte, glatte Malerei; die Buntheit der Naturfarbcnphotographie. So vergißt man bald den Maler und hält sich an das Stoff« liche und die phantastischen Länder. Japan   und Indien   nehmen den Betrachter mit allen Sinnen gefangen. Welch eigentümliche Länder i Eine Fundgrube für den Maler. Reich, charakte» ristisch, prunkend und graziös in den Erscheinungen. Kunst ist hier Leben und die farbigsten Träume werden hier sichtbares Ereignis. DaS ist der Gewinn. Da schweben leichte Bambusbrücken über schmale Flüsse, von Wiese zu Wiese sich spannend. Tie farbenprächtigen Gewänder der Spaziergänger schillern wie Schmetterlinge und fallen in so wundervoll lichter und doch eindrucksvoller Bewegung. Tänze- rinnen zeigen ihr graziöses Gliederspiel vor groteSk-phantastischeni Hintergrund und so scheint alles Spiel, Farbe, zuckende Bewegung. Rote Holzhäusckicn lugen aus grünem Walddickicht. Weiße, violette. gelbe Blütenbüsche hängen in schwerer Pracht. In den Tempeln der Reichtum der plastischen und architektonischen Form und der Prunk der Farben. Bei den Indern alles tieffarbig, mystisch, schwer; bei den Japanern alles geistreich, graziös, prickelnd. Und so sagt man sich: wie plump hat dieser Europäer all diese Schönheit gesehen, wie geistlos hat er diese Grazie vergröbert. Im Lesesaal der Bibliothek des Kun st gewerb e- museums ist eine kleine Ausstellung zu freiem Besuch eröffnet, die uns mit einem Schlage nach Alt-Berlin führt. Sie ist Th. Hosemann  (-f 1876) gewidmet und bringt Zeichnungen, graphische Blätter, Buchillustrationen dieses Künstlers, der in einer Zeit verstiegener Romantik instinktiv seiner Gegenwart treu blieb. Schüler von Cornelius und Schadow in Düsseldorf  , siedelte er nach Berlin   über und hat uns hier in kleinen Blättern das Leben dieser Zeit aufbewahrt: das kleine, alltägliche Leben. Sonntagsreiter, Straßenverkäufer, Jahrmarktszene». Speziell das Leben der kleinen Leute ist Gegenstand seiner Kunst. Gewiß, es ist viel Spießbürgerliches in seiner Art; speziell unS erscheint jetzt diese Note vorherrschend. Man darf gewiß nicht leugnen wollen, daß diese Farben oft geschmacklos, daß diese Linien zimperlich und schablonenhaft sind. DaS Sittcngcschichtliche überwiegt und man mag das ruhig betonen. Immerhin war hier ein Anfang; sogar ein Aiifang zu etwas Größerem, zu einer Karikatur eigener Art; die diesen Berliner   Typen der Vergangenheit zugrunde liegt. Und daß auch die Grazie nicht ganz fehlt, das zeigen jene Buchillnstra- tionen, in denen zierliches Rankcnwcrk die Bildchen lustig umspinnt, e. s. Musik. Die Lortzing-Oper beschenkt uns Schlag auf Schlag mit Bereicherungen ihres Repertoires. Am Donnerstag brachte sie VerdisRigoletto  ". Allerdings erinnerte uns die Auf. führung wiederum an die Nöte eines lediglich mit eigenen Mitteln ringenden Idealismus. Die ganz großen und die nur der Unter» Haltung dienenden Theater haben mit einander den Vorteil gemein. daß sie ganz wenige Stücke gemächlich einstudieren und dann auf lange hinaus im Repertoire ausnützen können. Bühnen dagegen. welche wirkliche Kunst Pflegen, aber nicht das Glück einer fürstlichen oder stadtischen Unterstützung genießen, müssen ihr Publikum fort- während niit Neuem versehen und können deswegen nicht an Durch- arbeitung und künstlerischer Vertiefung das erreichen, was sie wahr» scheinlich sofort in der Hand haben würden, wenn's nicht den atcm» losen Kampf ums Dasein gälte. Kaum hatte die Lortzing-Oper eine Neueinstudierung von MozartsEntführung auS dem Serail  " herausgebracht mit viel künstlerischem Verdienst, wenn auch ohne den eigentlichen Zug Mozartscher Opernmusik, so lud man sich abermals eine schwere und spezifisch anspruchsvolle Aufgabe auf. DerRigoletto  " ist eine von den weltbekannten älteren Opern Verdis  , welche bereits über den Leiergesang zu einer wirklichen Dramatik hinaufstreben. Nun schildert gerade dieses Stück den Kontrast zwischen dem gewissenlosen Wohlleben des Fürsten  , der sich vergnügt, und der Tragik dessen, was hinter der lustigen Außenseite