Unterhaltungsblatt des Vorwärts

Nr. 2.

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Freitag den 3 Januar.

( Wasbruß verboten.)

Schilf und Schlamm.

Stoman von Vicente Blasco Ibanez . Autorisierte Uebersetzung von Wilhelm Thal Einzelne Sennen liefen in das Geftrüpp der Böschung und begleiteten die Barke. Scharen von Enten flatterten um den Bug und trübten den Spiegel des Kanals, in welchem die Hütten des Fleckens, die angerammten schwarzen Barken und die Strohdächer der Aalkäften, auf deren Spigen Holz­freuze befestigt waren, als wolle man die Aale unter den göttlichen Schuß stellen, verkehrt auftauchten.

1908

wieder herauszufommen. Eine Ochsenherde weidete an den mit Schilf bewachsenen Ufern, am Rande der zur Dehesa ge­hörenden Sümpfe. Einige von ihnen waren in die Nähe der kleinen Inseln geschwommen, standen bis zum Bauch im Schmuß und stampften lärmend mit ihren dicken Füßen. Es waren große, schmußige Tiere mit ungeheuren Hörnern. die Schnauze voller Speichel und den Rücken mit Schlamm be­deckt. Stolzen Blickes schauten sie der Barke nach, die zwischen ihnen durchfuhr, schüttelten ihren Stopf und schleuderten Schwärme dider Stechmücken, die ihnen auf die Stirn gefallen waren, rings umber. In einiger Entfernung sahen die Leute der Barke auf einem kleinen Hügel, der in Wirklichkeit nur eine dünne Schmutzunge zwischen zwei Wassern bildete, einen Menschen fißen. Die Bewohner von Balmar fannten ihn.

,, Das ist Sangonera," riefen sie, der Trunkenbold Sangonera."

Die Hüte schwenkend, fragten sie ihn, wo er diefen Morgen gestohlen, und ob er die Abficht hätte, auf diesem Hügel zu schlafen. Sangonera blieb unbeweglich; da ihm das Geschrei und das Lachen jedenfalls läftig war, so stand er auf, machte eine leichte Pirouette und verabreichte sich mehrere Schläge auf den Rücken, indem er sich ernsthaft mit komischem Aus­druck der Verachtung verneigte.

Als das Postboot den Sanal verlassen, fuhr es mitten durch die Reispflanzungen, ungeheure Felder flüssigen Schmutzes, aus welchem bronzefarbene Halme aufragten. Die Schnitter, die bis zur Hüfte im Waffer standen, näherten sich, die Sense in der Hand, mit regelmäßigen Schritten, und die schwarzen Barfen, die so eng wie Gondeln waren, fingen in threm Schoß die Garben auf, um sie nach den Dreschtennen zu überführen. Inmitten dieser Flußvegetation, die gleichsam eine Verlängerung der Kanäle bildete, erhoben sich hier und ba auf Schlamminseln kleine weiße Häuser, aus denen Als er aufgeftanden war, wurde das Gelächter, das sein Stamine aufragten. Hier waren die Maschinen untergebracht, seltsamer Anblick erregte, noch heftiger. Er trug einen Hut. die je nach den Bedürfnissen der Kultur die Felder über- an dem ein großer Strauß von Blumen der Dehesa befestigt schwemmten oder austrockneten. war. Um feine Brust und feinen Gürtel waren Girlander Die hohen Böschungen verdeckten das Neß der Kanäle, von wilden Glockenblumen gewickelt, wie sie unter dem Ufer­breite Fahrstraßen, in denen die mit Reis beladenen Segelschilf wachsen. barken langfam einherschwammen. Ihre Borderteile blieben unsichtbar und die großen dreieckigen Segel glitten wie auf dem Festland schreitende Gespenster über den grünlichen Grund der Felder.

Die Passagiere betrachteten mit Kennermiene die Felder, gaben ihre Meinung über die Ernte ab und beklagten das Schicksal derer, die die Feuchtigkeit der Reispflanzungen um brachte.

in

Alle lachten und machten sich über ihn lustig.

Der berühmte Sangonera, er hatte nicht seinesgleichen den anderen Dörfern des Sees."

Sangonera hatte den unerschütterlichen Entschluß gefaßt, nicht zu arbeiten, wie es der Neft der Menschheit tat; er be­hauptete, die Arbeit wäre eine Beschimpfung Gottes, und verbrachte den Tag damit, jemand zu suchen, der ihn bein Trinken freihielt. Er betrank sich in Berello und schlief in Die Barke schwamm durch ruhige Kanäle auf einem Balmar; er trank in Palmar und erwachte am nächsten Tage gelblichen Wasser, das die goldenen Reflexe des Tees auf- in Saler, und wenn zufällig auf dem Lande irgend ein Fest ties. Unten neigten die Flußgräfer unter dem Druck des fattfand, so fand man ihn in Silla oder Catarroja. Es war Stiels ihre Häupter, und das Bittern der Pflanzen wurde ein wahres Wunder, daß man seine Leiche nicht in irgend durch die Stille und Reinheit des Waffers noch stärker. In einem Stanal fand, denn er machte so viele Reisen in der den furzen Augenblicken, in denen die Unterhaltung schwieg, größten Trunkenheit, zu Fuß durch den See, an der Grenze hörte man den mühsamen Atem des auf einer Bank liegenden der Reispflanzungen entlang, die so schmal wie eine Art­armen Stranken, und das zähe knurren Canamels, wenn er, schneide war; das Waffer reichte ihm bis zur Brust, wenn er ten Kopf geneigt und das Kinn auf die Brust gepreßt, schiver- durch die Gräben stolperte, in die niemand sich anders als fällig aufatmete. Von den fernen, fast unsichtbaren Barfen in der Barke wagte. Der Albufera war fein Haus. Sein hörte man, durch die ruhige Luft noch verstärkt, das Geräusch Instinkt als Sohn des Sees ließ ihn jede Gefahr vermeiden, einer auf die Schiffsplanken fallenden Ruderstange, das und so manche Nacht, wenn er in Canamels Schänke erschien, Stnistern der Masten und die Stimmen der Schiffer, die sich um sich ein Glas zu erbetteln, hatte er den Tanggeruch und an den Kreuzungspunkten der Kanäle anriefen, um nicht die schleimige Berührung eines Aales. gegeneinander anzulaufen.

Der Schiffsführer mit dem abgeschnittenen Ohr ließ plöglich seine Stange finfen, sprang über die Beine der Bassagiere an das andere Ende der Barke und begann sein Segel zu richten, um den leichten Nachmittagswind zu be­nußen.

Der ewig brummende Schänfwirt murmelte, als er diese unterhaltung anhörte:

,, Sangonera, ein unverbesserlicher Taugenichts! Mehr als tausendmal hatte er ihn aus der Schänke gewiefen."

Und die Leute lachten, während sie sich an den seltsamen Aufpuß des Vagabunden erinnerten, an seine Manie, sich mit Blumen zu schmücken und sich jedesmal wie ein Wilder mit Girlanden au umwinden, wenn sein hungriger Magen anfing, die Wirkung des getrunkenen Weines zu verspüren.

Man war in den See eingelaufen, den mit Lieschgras versperrten und mit kleinen Inseln besäten Teil, den man mit einer gewissen Vorsicht befahren mußte. 8ur Linken zeigte fich die dunkle und wellenförmige Linie der Dehesa­Die Barle fuhr in den See ein. Zwischen zwei Pflanzen­tannen, die den Albufera vom Meere trennt; ein Urwald, linien, die den Quais eines Hafens ähnelten, fab inan eine der sich meilenweit erstreckt, in dem wilde Stiere weiden große, glänzende, helle Wafferfläche von weißlichem Blau auf­und in dessen Schatten die Schlangen leben, die wenig Leute tauden. Das war der Aluent, der wahre Albufera, das freie gesehen haben, von denen aber alle in den Spinnstuben Waffer mit seinen Schilfbüscheln, die sich auf weite Ent sprechen. Auf der entgegengesetzten Seite liegen die un- fernungen ausdehnten und in die fich die Seebögel flüchteten, gebeuren Ebenen, die sich in unabsehbarer Ferne verlieren die die säger der Stadt so eifrig verfolgten. Die Barke und die Reispflanzungen von Collana und Sueca bilden. fuhr am Ufer der Dehesa entlang, wo einzelne mit Wasser deren Linien mit den fernen Bergen verschmelzen. Maffen bededte Sümpfe sich nach und nach in Reisfelder ver­schwarzer, glibbriger Gräfer stiegen wie schleimige Fühl- wandelten. fadenwürmer aus dem Grunde auf und rollten sich um die Stange des Schiffers. Bergeblich tauchte der Blick in die bunkle, verpeftete Begetation, in der es von den Tieren pimmelt, die im Schmute leben. Aller Augen sprachen den­felben Gedanken aus; wer da hineinfiel, hatte große Mühe,

Ein muskulöser Mann zog aus seiner Barke Störbe mit Erde, die er auf eine fleine, von schlammigen Gräben um­gebene Lagune schütrete. Er erregte die Bewunderung der Baffagiere. Das war der Onkel Toni, der Sohn des Onkel Paloma und feinerseits wieder der Bater Tonets, des Kuba­