Anterhaltungsblatt des Vorwärts

Nr. 9.

9)

Dienstag den 14 Januar.

( Nachdruck verboten.)

Schilf und Schlamm.

Roman von Vicente Blasco Ibanez . Dann lernte Tonet jagen. Er konnte bereits mit einer ber­hältnismäßigen Leichtigkeit das Gewehr seines Großvaters handhaben, ein regelrechtes Feuerrohr, das sich in ganz Albu­fera durch den Lärm seines Knalles auszeichnete. Der Onkel Paloma lud start, und bei den ersten Schüssen wäre der Junge beinahe in der Barfe umgefallen. Nach und nach machte er sich mit der alten Waffe vertraut, und es gelang ihm, zur großen Freude des Großvaters, Wasserhühner zu erlegen. Ja, so mußte man die Kinder erziehen. Seiner We:- nung nach durfte Tonet nur noch das essen, was er selbst mit feinen eigenen Händen fischte.

Aber während dieses Jahres einer recht rauhen Er­ziehung mußte der Onkel Paloma eine gewisse Schlaffheit bei seinem Schüler wahrnehmen. Er schoß wohl gerne und fand großes Vergnügen am Fischzug. Aber was ihm nicht so großes Vergnügen zu machen schien, das war das Aufstehen bei Tagesanbruch, den Tag mit den Armen auf der Ruder­Stange zu verbringen, wie ein Pferd an den Tauen zu ziehen und die Barfe zu schleppen.

Der Schiffer sah mit einem Blicke flar; sein Enfel haßte die Arbeit mit instinktiver Abneigung, und sein Wille bäumte fich dagegen auf. Umsonst erzählte ihm der Onkel Paloma, was für einen schönen Fischzug sie am nächsten Tage im Necati, an einer bestimmten Stelle der Olla oder an irgend einem anderen guten Plate des Albufera machen wollten. Staum hatte der alte Fischer den Rücken gedreht, so ver­schwand sein Enkel. Er zog es vor, mit den Jungen aus der Nachbarschaft durch die Dehesa zu streifen, sich am Fuße einer Zanne hinzulümmeln, und die Zeit damit zu verbringen, daß er auf den Gesang der Vögel in den Bäumen lauschte oder die bronzefarbenen Hummeln betrachtete, die sich auf die Blumen fetzten.

Der Großvater drohte ihm vergebens. Er verfuchte, ihn zu schlagen, aber Tonet entfloh wie ein kleines wildes Tier oder hob Steine auf, um sich zu verteidigen. Der Alte fügte fich ins Unvermeidliche und fuhr wie früher allein auf den Fischzug.

Er hatte sein Leben bei der Arbeit verbracht; und sein Sohn Toni, obwohl er durch die Leidenschaft zum Ackerbau vom rechten Wege abgewichen, war noch tüchtiger als er am Werke. Du lieber Gott, nach wem artete er denn nur, diefer Knirps. Wo fam er nur her mit seinem unbesieglichen Widerwillen gegen jede Anstrengung, seiner Liebe zur Faul­heit, wie er stundenlang auf der Erde liegen blieb, gleich einer Kröte am Rande eines Grabens?"

1908

reien des Gesetzes fenntlich machten, fällten mit der größten Ruhe die Urahnen des Waldes, die Riesen, die er schon ge­sehen hatte, als er ein ganz fleines Kind in den Barken saß, und die schon riesengroß waren, als sein Vater, der erste Paloma, auf dem wilden Albufera lebte, wo er die Schlangen, von denen es am Ufer wimmelte, mit dem Stocke totschlug, übrigens weit sympathischere Tiere, als die Menschen von heute.

In der tiefen Traurigkeit, in die ihn der Zusammenbruch alles Althergebrachten verfette, suchte er die vernachlässigsten Winkel des Sees auf, die niemand auszubeuten Luft hatte. Der Anblick eines alten Ziehbrunnens verursachte ihm ein Bittern; er betrachtete mit tiefer Nührung das schwarze, wurmstichige Loch, die ausgetrockneten, schartigen, mit Stroh ausgestopften Eimer, aus denen die Ratten scharenweise ent­flohen, als sie ihn fommen hörten. Das waren die Ruinen des alten Albufera, die legten Erinnerungen an eine bessere Beit. Wenn er sich ausruhen wollte, so legte er auf Sanchas Wiese unter den glibbrigen Lagunen und dem großen Schilf an und betrachtete die dunkelgrüne Landschaft, in der man jetzt noch die Ringe der legendenhaften Schlange rascheln zu hören glaubte.

3.

Als der Onkel Paloma auf die Erziehung seines Enkels verzichtete, begann dieser aufzuatmen.

Es war ihm im höchsten Grade langweilig, feinen Vater nach den Aeckern von Saler zu begleiten, und er dachte mit Sorge an seine Zukunft, wenn er den Onfel Toni, in den Schlamm der Seisfelder eingefunken, die Beine mit Blut­egeln bedeckt und den Körper von der Sonne geröstet, dastehen fah. Sein Faulenzerinstinft empörte sich. Nein, er wirde es nicht wie sein Vater machen. Er würde nicht auf den Fel­dern arbeiten. Karabinier zu werden, auf dem Sand der Küste ausgestreckt zu liegen und aufzupassen oder Feldhüter, wie die Leute, die aus den Gärten von Ruzufa kamen, mit dem weißen Barett auf dem Kopfe und dem gelben Lederzeug auf der Schulter, das erschien ihm weit angenehmer, als Reis zu pflanzen, im Wasser zu schwigen und sich die Beine zer­stechen zu lassen.

In der ersten Zeit, wo er seinen Großvater nach dem Albufera begleitete, hatte er dieses Leben annehmbar ge­funden. Es gefiel ihm, ohne bestimmte Richtung über den See zu irren, von einem Kanal in den anderen zu fahren und mitten in dem Albufera Halt zu machen und mit den Fischern zu schwaben. Manchmal sprang er anf eine mit Liefchgras bewachsene Insel und machte sich den Spaß, durch Pfeifen die einsamen Stiere zu reizen. Ein andermal wieder ging er in die Dehesa und pflückte die Brombeeren von den Sträuchern, während er nebenbei die Staninchenhöhlen zer­störte, um ein junges aus dem Grunde herauszuziehen. Sein Großvater flatschte Beifall, wenn er sich durch einen schönen Flintenschuß eines Wasserhuhns oder eines überraschten Grünhalses, der am Ufer eingeschlafen war, bemächtigte.

Alles veränderte sich auf dieser Welt, und es kamen Dinge vor, die der Alte nie geahnt hätte. Die Menschen wan­delten den Albufera durch ihre Kulturen um; und die Fa­milien entarteten, als hätten sie die Traditionen des Sees Es gefiel ihm auch, auf dem Rücken in der Barke liegen für immer verloren. Die Kinder der Schiffer waren die zu bleiben und die Geschichten aus der alten Zeit anzuhören, Leibeigenen der Erde geworden, die Enkel hoben Steine auf, die sein Großvater erzählte. Der Onkel Paloma berichtete um damit nach ihren Großvätern zu werfen, und man sab mit Kohlen beladene Barfen über den Gee fahren. Ueberall breiteten sich die Reisfelder aus. Sie rückten in den See vor und rissen große Lichtungen in den Wald. Ach, Du lieber Gott, da war es wirklich beffer, selbst ein Ende zu machen, ehe man das alles fah, ehe man eine Welt sterben sah, die man für ewig gehalten!"

Man fällte nicht eine Tanne im Walde, ohne daß er es nicht aus der Entfernung, sogar mitten in der Lagune, be­merkt hätte.

,, Wieder eine weniger!"

Die leere Stelle im Walde verursachte ihm ein schmerz­liches Brideln, und er hatte das Gefühl, als sähe er ein Grab. Er verfluchte die Pächter des Albufera, diese unersättlichen Diebe. Die Leute aus Palmar holten sich doch auch Holz aus dem Walde; es wurde kein anderer Brennstoff benutt, als die aus der Dehesa stammenden Zweige, aber sie begnügten fich mit dem toten Holz, Reifig, den vertrockneten oder ge­fallenen Bäumen, und diese unsichtbar bleibenden Herren, die sich nur durch die Starabiner ihrer Feldhüter und die Betrüge­

die denkwürdigsten Ereignisse seiner Eristenz; einzelne Schmugglergeschichten, bei denen Flintenschüsse gefallen waren; dann ging er den Lauf der Zeiten zurück und sprach von seinem Vater, dem ersten Patron; jetzt berichtete er, was dieser ihm selbst erzählt hatte.

Dieser Fischer der alten Zeit batte viele Dinge gesehen, ohne aus seiner Gegend herauszukommen. Und der Onkel Paloma erzählte seinem Enkel die Reise Carlos IV. mit feiner Gattin nach Albufera, die vor seiner Geburt statt. gefunden hatte. Das hinderte ihn aber nicht, Tonet die großen Zelte mit den im Winde flatternden Girlanden und den reichen Teppichen im Innern zu beschreiben, die man zum Königlichen Mahl in der Dehesa aufgeschlagen; er sprach von der Musik, dem Geheul der Hunde und den Lakaien mit den Puderperrücken, die die Eßwaren bewachten. Der König, der Jägerkleidung trug, verspottete die fast nackten und mit alten Windbüchsen bewaffneten ländlichen Schützen des Albufera, bewunderte aber doch ihre Leistungen, während Marie- Luise unter dem Laubwerf am Arme des Don Manuel Godoy; spazieren ging.