Anterhaltungsblatt des Vorwärts

Nr. 12.

12]

Freitag den 17 Januar.

( Nachdrud verboten.)

Schilf und Schlamm.

Roman von Vicente Blasco banez. Etwas Feuchtes und Staltes wie eine Fledermaus schoß an den Kindern vorüber und streifte ihr Gesicht, und diese Berüh­rung, bei der sie zitterten, entriß sie ihrer schmerzlichen Unbeweg­lichkeit. Schnell nahmen sie ihre Wanderung wieder auf, bald, fallend und sich wieder erhebend, bald gegen die Bäume stolpernd und bei den geheimnisvollen Zönen des Waldes zitternd. Die Erinnerung an Sancha suchte sie heim. Alle Geschichten vom See, die man sich abends am Barfenfeuer erzählte, zogen an ihren Augen vorüber, und wenn sie gegen die Rinde der Bäume anrannten, glaubten sie, die raube und falte Haut ungeheurer Reptilien zu berühren. Das Geschrei der Wasserhühner ließ sich in der Ferne in den Gräfern ver­nehmen, und diese Laute hörten sich wie die Klagen von Menschen an, die eben ermordet wurden. Ihr toller Lauf durch das Geftrüpp, bei dem die Gräser fnidien und Zweige zertraten, weckte in dem dunklen Dickicht eine Menge von Geschöpfen, die nun ebenfalls die Flucht ergriffen und raschelnd über zertretene trockene Blätter huschten.

Sie famen an einen großen Kreuzweg. Die Dunkelheit war an diesem offenen Orte weniger start. Sie hatten nicht mehr die Kraft, weiter zu wandern, und zitterten vor Furcht, angesichts des riesigen Hochwaldes, der sich wie eine Woge im Dunkeln bewegte.

1908

Ihr frühreifer Fraueninstinkt, ihre Pfiffigkeit einer ver­lassenen und vagabundierenden State gab ihr über Tonet ein bedeutendes Uebergewicht. Sie wollten im Walde bleiben, nicht wahr? Sie würden schon am nächsten Tage, wenn sie wieder ins Dorf kamen, einen Vorwand finden, mit dem fie ihr Abenteuer erklären konnten. Uebrigens würden sie alles Sangonera zur Last legen. Sie wollten hier die Nacht ver­bringen und sich das betrachten, was sie nie gesehen hatten. Tonet empfand einen seltsamen, unerklärlichen Rausch. Er betrachtete seine Gefährtin mit zärtlichen Blicken; doch seine ganze Aufmerksamkeit fonzentrierte sich auf Neletas Kopf, der sich an seine Schulter lehnte; die Liebkosung dieses Mundes, der bei jedem Atemzug seinen Hals berührte, fißelte ihn wie ein Sammethandschuh. Weit riß sie die grünen Augen auf, in denen sich der Mond wie ein Tautropfen wiederspiegelte und, indem sie sich umwandte, um eine bessere Lage zu finden, drückte sie ihn noch mehr an sich. Tonet, Tonet", murmelte sie wie im Traum und schmiegte sich noch mehr an ihn an.

Wie spät mochte es sein?... Der Knabe fühlte, wie sich seine Augen unter dem seltsamen Rausche schlossen, in den er noch mehr, als durch den Einfluß des Schlummers, ver­fant. Bon den Tönen des Waldes hörte er nur noch das Summen der Mücken, die mit den Flügeln schlugen. Es war ein seltsames Konzert, das sie den ersten Wogen des Schlummers entgegentrug. Die einen pfiffen wie freischende Geigen und wiederholten dieselbe scharfe Note bis ins Unend­liche; die anderen, ernsteren, stimmten eine furze Skala an, bässe oder wie der Klöppel einer fernen Glocke. und die dicksten, größten brummten dumpf wie ernste Sontra­

die schon stark brannte, und von dem Hunde eines Feldhüters. Am nächsten Morgen wurden sie von der Sonne geweckt, der heftig zu bellen anfing und ihnen seine weitaufgerissene Schnauze zeigte.

Sie fetten sich, eng umschlungen, als träufele ihnen die Berührung ihrer Körper neues Vertrauen in die Adern. Releta weinte nicht mehr. Vor Müdigkeit und Schmerz zu fammenbrechend, lehnte sie leise seufzend ihren Kopf auf die Schulter ihres Freundes. Tonet blidte nach allen Seiten, als müßte ihn, weit mehr noch als die Dunkelheit des Waldes, dieses Dämmerlicht erschrecken, in dem er jeden Augenblick Sie befanden sich fast an der Grenze der Dehesa, und es irgend ein wildes, den verirrten Kindern feindselig gefinntes war nur ein kurzer Weg, um nach Palmar zu gelangen. Um Tier auftauchen zu sehen glaubte. Das Geschrei des Kuckucks fich für die angstvolle Nacht schadlos zu halten, lief Tonets gerriß das tiefe Schweigen. Die Ströten eines benachbarten Mutter ihrem Sohne mit einer Ruderstange in der Hand ent­Sumpfes, die bei ihrem Erscheinen verstummt waren, faßten gegen und verabreichte ihm einige Schläge. Außerdem ver­wieder Vertrauen und stimmten von neuem ihren Gesang an; Markte einige Maulschellen, damit sie sich künftig nicht mehr fetzte Neletas Mutter ihrer Tochter bei ihrer Rückkehr vom die lästigen, klebrigen Stechmücken summten ihnen um den Kopf und machten sich in dem Halbdunkel nur durch ihr im Walde verirrte. ewiges Brummen bemerkbar.

Die beiden Kinder gewannen nach und nach ihre Seiter­feit wieder. Sie fühlten sich hier nicht übel und konnten recht wohl so die Nacht verbringen. Die Wärme ihrer aneinander geschmiegten Körper schien ihnen ein neues Leben zu ver­leiben und ließen die Furcht und ihren tollen Lauf durch den Wald vergessen.

Ueber den Tannen auf der Seite des Meeres begann ein weißliches Licht aufzuflimmern. Die Sterne schienen zu erlöschen und in einem Milchmeer zu versinken. Die von der geheimnisvollen Umgebung des Waldes erregten Stinder befrachteten ängstlich dieses Phänomen, als fäme ihnen jemand, in einen Lichtglanz eingehüllt, zu Hülfe. Etwas Schimmerndes erschien über dem Wipfel der Bäume; es war zuerst eine kleine Linie, leicht gebogen wie eine filberne Wimper, dann ein voller, glänzender Halbkreis und endlich ein ungeheurer Raum wie von Honigfarbe, der sich mit prachtvollem Glanz inmitten der sterbenden Sterne erhob. Der Mond schien den beiden Kindern zuzulächeln, die ihn mit der Bewunderung junger Wilder betrachteten.

Am Fuße eines jeden Baumes blieb noch ein schwacher Schattenreft zurück, und der Wald schien von dem aus den Sträuchern herabfallenden Dunkel, in das das Licht nur stellenweise drang, vergrößert, ja fast verdoppelt. Die wilden Seenachtigallen, die ihre Freiheit so heiß lieben, daß sie sterben, wenn man sie in Gefangenschaft sekt, begannen auf allen Bunkten des Weges zu singen, und selbst die Mücken summten leiser in dem von neuem Licht überschwemmten Raum.

Die beiden Kinder fingen an, an ihrem Abenteuer Ge­fallen zu finden.

Neleta fühlte schon nicht mehr die Schmerzen an ihrem Fuß und flüsterte ruhig ihrem Kameraden etwas ins Ohr.

Seit diesem Abenteuer hielt das ganze Dorf in schwei­gender Uebereinstimmung Tonet und Neleta für verlobt, und beide suchten und liebten sich, ohne es sich zu sagen, als hätte fie diese Nacht unschuldiger Umarmung im Walde für immer miteinander verbunden, und als verstände es sich von selbst, daß einer nur dem anderen angehören könnte.

Mit diesem Abenteuer nahm ihre Kindheit ein Ende. Aus war es mit den langen Streifzügen und dem fröhlichen Leben, das keine Sorgen und keine Verpflichtungen kannte. Neleta führte dasselbe Leben wie ihre Mutter, sie zog jeden Morgen mit den Aalförben ab und fam erst am folgenden Nachmittag wieder nach Hause. Tonet konnte sie nur abends einen Augenblid sprechen; er arbeitete mit seinem Vater auf dem Felde oder begleitete feinen Großvater auf den Fischzug.

Der Onkel Toni, früher so gut, war jetzt ebenso an­spruchsvoll wie der Onkel Paloma, und Tonet beugte sich wie ein refigniertes Vieh unter das Arbeitsjoch. Sein Bater, dieser eigensinnige Held, der sich die Erde erobern wollte, war in seinem Entschluß noch immer unerschütterlich. Wenn die Zeit fam, wo der Reis gesät oder geerntet wurde, mußte der junge Bursche seinen Tag in Saler verbringen. Den Rest des Jahres fischte er zuweilen im See mit seinem Vater und zu anderen Malen mit seinem Großvater, der ihn kamerad­schaftlich in seiner Barfe aufnahm, obwohl er jeden Augen­blick den Jungen verwünschte und gegen das Schicksal wetterte, das solche Bagabunden in seiner Hütte hatte geboren werden lassen.

Troßdem wurde der junge Mann von der Langeweile zur Arbeit getrieben. Im Dorfe war niemand mehr, mit dem er sich hätte unterhalten oder tagsüber herumstreifen fönnen. Neleta wanderte nach Valencia , und seine ehemaligen Spielgefährten waren ebenso erwachsen wie er; sie mußten sich ihr Brot verdienen und lenkten die Barken ihrer Väter. Blieb